Fassade des Palazzo delle Esposizioni, gestaltet von John Baldassari (Ehrenlöwe Lebenswerk)
Drei Tage vor Eröffnung werden die Medienvertreter übers Biennalegelände geschickt, nicht ohne Stimmungsaufheller wie Häppchen und Alkohol.
Das Ergebnis: alle berichten nur über eine Handvoll Pavillons in den Giardini (und die entsprechenden Warteschlangen davor), in diesem Jahr:
Skandinavien (geteilte Bewertung, aber immer mit Foto der Wasserleiche im Pool); Tschechien Foto unten (toll: man erkt kaum, dass man die Ausstellung betritt bzw. schon durchquert hat); Deutschland (langweilig und die Katze ist doof); Großbritannien (ein 30-Minuten Film, harmlos und öde); USA (nicht besonders einfallsreich, aber eine sichere Nummer); Korea (erfrischend, heiter, elegant).
Die Strecke zwischen diesen sieben Pavillons (Skandinavien hat zwei) ist in weniger als fünf Minuten bewältigt.
Durch den Medienrost fallen leider Ausstellungen wie z. B. Brasilien, Russland, Finnland, Polen, Spanien....
Alle berichten auch über den zentralen Palazzo delle Esposizioni, noch ein paar Meter weiter. Schwerpunkte sind hier die Rehberger-Cafeteria (die mich an OP-Art und Kinderladeninterieurs der Sechziger erinnert, aber vielleicht sind die Medienvertreter zu jung?), immerhin mit einem Goldenen Löwen gepusht; die hochkomplizierten Spinnenkugeln Thomas Saracenos (ungeteilte Faszination); Natalie Djurbergs Knetepflanzen und Videos (Fazination schon, aber nicht ungeteilt); und Yoko Ono, die einen der beiden Ehrenlöwen erhielt.
Und damit bleibt fast die ganze Ausstellung dieses Palazzo medial unterbelichtet.
Ausstellung Thomas Saraceno rechts
Der Besuch im Aus-
stellungs-
gelände des Arsenale ist fußmäßig schon anspruchs-
voller und es gäbe auch hier viel zu erzählen. Es bleibt aber weitgehend bei der Erwähnung des (neu hinzugekommenen) Vergini-Gartens (Kunst in der Natur - Natur als Kunst); den wunderbar zauberischen Goldfäden von Lygia Pape direkt im Eingang; der dunklen Installation von Chu Yun, die man aber erst wirklich wahrnehmen kann, wenn man ins Schwarze geht und abwartet, bis man im Dunklen sieht (hat vermutlich kein Medienvertreter ausprobiert); des Pavillons von Italien (erwähnenswert, dass der Inhalt nicht erwähnenswert, da berlusconiangepasst sei).
Glücklicher Zufall: Daniel Birnbaum, Biennaledirektor, führt (auch mich) durch das Arsenale
Nicht erwähnt werden z. B. die Chinesen, die Afrikaner, die Lateinamerikaner und die gesamten riesiegen Ausstellungen (z. B. Die Angstgesellschaft, oder Jan Fabre, der mich schon 2007 im Palazzo Benzon irritierte) im Arsenale Novissimo auf der anderen Seite des Arsenale-Beckens. Die erreicht man mit einem Shuttleboot oder über den Nordeingang mit der Linie 41/42/51/52, Haltestelle Bacini.
Skulpturen von Miranda July im Vergini-Garten
Das ist alles viel Latscherei und kostet vor allem Zeit. Ebenso wie die vielen Ausstellungen im Stadtgebiet, z. T. Länderpavillons, z. T. sog. Collateral Events, die insgesamt, wie in jedem Jahr, bem kurzen Medienschlaglicht auf die Biennale im Dunkeln bleiben. Ich vermute, es liegt daran, dass die Damen und Herren Medienvertreter sich erstens nicht die Mühe machen wollen, nicht zentral präsentierte Angebote zu prüfen. Und zweitens, dass mit aktueller Kunst in originalen Locations (eines der "Alleinstellungsmerkmale" der venezianischen Biennale!) eine weiterer Berichtsschauplatz aufgemacht wird, der auch veneziansche Geschichts- und Architekturkenntnisse erfordert. Was nun mal nicht jeder spannend finden kann.
Eine der Installationen von Jan Fabre wird von einem Helfer gesäubert (Taubendreck, Styroporunterlagen, Zahnbürste)
Besonders schade finde ich das in diesem Jahr z. B. für die Ausstellungen im Androne des Palazzo Donà dalle Rose (Venice in Venice), im Palazzo Michiel (Island und Singapur); die ehemalige Scuola Grande della Misericordia mit der Ausstellung West-Östlicher Divan (Iran, Afghanistan, Pakistan); und in diversen Kirchen, die normalerweise nicht zugänglich sind.
Scuola Grande della Misericordia, gesehen durch eine Magnetbänder-Installation
Ich habe aber längst noch nicht alle Ausstellungen abgegrast und hoffe, das im Laufe der nächsten Monate zu tun. Und werde hier nach und nach auf Ausstellungen hinweisen, die aus meiner Sicht den Besuch, die Latscherei, den Zeitaufwand wert sind (und in Einzelfällen vielleicht auch nicht).
Aleksandra Mir hat unter dem Titel "All places contain all others" Fotopostkarten gestaltet, die unter der Überschrift "Venezia" farbenfroh alles Mögliche zeigen, war NICHT Venedig darstellt (Karten kostenlos, Briefmarken im Shop erhältlich). Eine Aufforderung, Sehgewohnheiten, Verknüpfungen, Tiefe und Oberflächlichkeit von Eindrücken, und Selbsttäuschunen zu prüfen.
In meinem Büro mit permanentem Rein-Raus von KollegInnen und Gästen hängt seit 3 Wochen diese Postkarte und geht bisher anstandslos durch.
Aleksandra Mir Venezia
Einfach eine Frage der Wahrnehmung!
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