Nun treibt die Stadt schon nicht mehr wie ein Köder, der alle aufgetauchten Tage fängt. Die gläsernen Paläste klingen spröder an deinen Blick. Und aus den Gärten hängt der Sommer wie ein Haufen Marionetten kopfüber, müde, umgebracht. Aber vom Grund aus alten Waldskeletten steigt Willen auf: als sollte über Nacht der General des Meeres die Galeeren verdoppeln in dem wachen Arsenal, um schon die nächste Morgenluft zu teeren mit einer Flotte, welche ruderschlagend sich drängt und jäh, mit allen Flaggen tagend, den großen Wind hat, strahlend und fatal.
In 5 Wochen schließt die 12. Architekturbiennale, kurz vor Toresschluss schaffe ich es gerade noch, weder Architektur noch fettige Fritelle zum Salute-Fest zu verpassen.
Deshalb ist es jetzt höchste Zeit, sich der 55. Kunstbiennale 2013 zuzuwenden.
Länderausstellung Makedonien, Palazzo Pesaro Papafava: Zarko Baseski - Projekt Leap
Was bisher an Informationen zu den Ausstellungen in den Nationenpavillons eintrudelte, hat die Vorfreude bereits aktiviert. Die meisten KünstlerInnen sind mir unbekannt, deshalb füge ich den einfachen Namen einiges Ergoogeltes bei. Die KuratorInnen werden in einigen Ländern sehr hervorgehoben, ist ein gewisser Trend wie auch ein Trendjob, interessieren mich aber weniger. Ich will vor allem ein paar Vorab-Infomormationen über die 'Aktiven' der spannenden Wundertüte, die in Vorbereitung ist. (Fotos von der 54. Biennale 'Illuminations'.
Arsenale, Padigli- one Italia: scharf bewaff- nete Security - unange- nehm und idiotisch
Vatikan zum ersten Mal bei der Kunstbiennale. Es wurden noch keine Namen genannt, lediglich, dass es um ein Thema aus der Genesis gehen sollt. Der Pavillon des Vatikanstaats liegt im gleichen ehemaligen Kasernengebäude des Arsenales, in dem seit der Architekturbiennale 2012 Argentinien seinen festen Sitz hat. http://galleristny.com/2012/10/vatican-city-will-have-first-ever-venice-biennale-pavilion/
YARAT! Love me, love me not Gruppenausstellung von KünstlerInnen aus Azerbaijan, Iran, Türkei, Russland, Georgien, Tesa 111 im Arsenale Novissimo (voraussichtlich sind die Ausstellungen im Nordteil des Arsenale dann über die neue Brücke am Torre della Porta Nuova leicht zu erreichen, d. h. nicht mehr mit Bootsshuttle)
Kürzlich wurden auf der Website der Biennale die Listen für 2013 veröffentlicht. Die Liste der KünstlerInnen und die Liste der nationalen Ausstellungen. Es kommen sicher noch einige 'Collateral Events' dazu, aber die Informationen sind jetzt bis auf wenige Ausstellungsorte komplett, gut zwei Monate vor der Eröffnung. Fehlende Websiteadressen von einzelnen nationalen Ausstellungen werde ich noch zusammenstellen. Und mich auf die Biennale freuen.
Wieder findet am kommenden Samstag das jährliche herbstliche Sternegucken unter dem Motto "Stelle in Laguna" statt.
Treffpunkt um 20:30 Uhr auf der Piazza S. Marco. Es stehen Teleskope zur Verfügung, aber Mitbringen eines Fernguckers, wenn denn einer greifbar ist, wäre nicht schlecht.
Die opulente Beleuchtung der Piazza wird eigens heruntergefahren, damit die Sterne auch gut zu sehen sind. Erklärungen finden auf italienisch statt, alles Weitere findet sich.
Bei schlechtem Wetter fällt die Sache aus, was wir nicht hoffen wollen.
So nennt ihn der Volksmund seit dem 15. Jahrhundert. Wieder eine dieser venezianischen Mischungen von Geschichte und Geschichten. Wunderbar.
Ein kleiner dunkler Fleck unterhalb der Fahnenstange auf der Balustrade: Carmagnolas Kopf 1. Der Kopf: Sitzt oben auf der Südwest- ecke der Balustrade von San Marco, gegenüber dem Campa- nile. So hoch, dass man ihn von unten nicht wahrnimmt, es sei denn, man weiß, er ist da. Ob man ihn von oben wahrnimmt, weiß ich nicht, ich war nur einmal vor Jahren auf dieser Terasse und so hin und weg von der Aussicht und der wunderbaren Quadriga (ihrer Nachbildung, aber eben ganz nah!), dass ich diesen roten Hinterkopf links auf der Ecke ganz sicher nicht mitbekommen habe. Und selbst wenn man ihn tätscheln würde: ein Kopf halt, lebensgroß, Porphyr. Stichwort Porphyr: führt zu 3., aber erst mal folgt
2. Carmagnola eigentlich Franceso Bussone, genannt Carmagnola, war einer der Söldnerführer des 15. Jahrhunderts, die für Venedig die Landkriege erledigten, denn die Serenissima Repubblica besass kein stehendes Heer. Historische Details stehen im Wikipediaeintrag.
Gentile Bellini: Die Prozession auf dem Markusplatz, 1496, Detail. Pfeile: Oben rechts von der roten Figur, unterhalb der orangefarbenen Dekoration der Porta della carta, ein kleiner rotbrauner Kopf: der Porphyrkopf. (Notfalls Lupe nehmen, dann ist er eindeutig zu erkennen. Untendie pietra del bando.
Erfolgreich genug als Mann des Krieges leistete er sich anscheindend den Luxus oder die Dummheit, Loyalitäten nicht klar zu setzen und damit Vertrauen zu verspielen. Da niemand seine Fähigkeiten unterschätzte, lud man ihn zu einem vorgeblichen Palaver nach Venedig ein und, wie ich irgendwo las, führte man ihn im Dogenpalast mittels Schließen von Türen und Postieren von Wachen immer weiter bis in einen Raum aus dem es kein Entkommen mehr gab. Verhör, Geständnis, Gerichtsverhandlung, Urteil und Vollstreckung erfolgten blitzschnell. Ehe die VenezianerInnen noch recht wussten was warum passierte, lag sein Kopf schon ausgestellt auf der "pietra del bando", dem Stein (aus ebenfalls Porphyr) an der Südwestecke von San Marco, der eigentlich der Verkündung von Regierungsnachrichten diente (immer noch da, hinter der Absperrung die die Basilika umgibt). Alle abgeschlagenen Köpfe wurden dort drei Tage und drei Nächte zur Abschreckung ausgestellt (wie die Viergeteilten an den Haken an der Fährstation bei S. Canciano und bei den Tolentini). Carmagnolas Kopf wurde wieder abgeräumt, aber seine Schuld blieb in der Diskussion, wurde nie bewiesen, die Anklage war falsch, die Strafe unverdient. Eines der nie eingeräumten Fehlurteile der venezianischen Justiz, gegenüber sehr wenigen öffentlich bekannten. Und die Projektion des justizirrtümlich hingerichteten Carmagnola wanderte von der pietra del bando geraus nach oben auf die darüber liegende Brüstung zum Porphyrkopf, der dort schon seit längerer Zeit angebracht und passend rot war, die Legende von Carmagnolas Kopf entstand.
3. Porphyr - der Stein der Kaiser Der Kopf stammt, genau wie die Porphyr-Skulptur der Tetrarchen und viele weitere Schätze in und um San Marco, von der Plünderung Konstantino-pels 1204. Porphyr wurde im byzantini- schen Kaiserreich, also Ostrom, fast ausschließlich für die Darstellung von KaiserInnen verwendet (Kinder byzantinischer Herrscher wurden als porphyrgeboren bezeichnet). Bei der Identifizierung des Kopfes war die Steinart der wichtigste Hinweis, nach einigem wissenschaftli- chen Hin und Her im 20. Jahrhundert hat man sich darauf geeinigt, dass er Kaiser Justinian I darstellt. Vor allem Vergleiche mit Münzen und Mosaiken in Ravenna, die Justinian I zeigen, führten zu dieser Auffasung. Ausserdem glaubt man, dass er aus dem Philadelphion in Konstantinopel stammt, wie die Tetrachen eine Etage tiefer.
Turm, in dem Michel de Montaigne seine Werke schrieb
... sondern ein paar Tagein Frankreich, im Périgord, genau gesagt in St. Michel de Montaigne. Dem Ort, in dem der gleichnamige Essaist, Gutsbesitzer, Politiker im 16. Jahrhundert geboren wurde, weitgehend lebte und starb.
Die Verbindung zu Venedig existiert natürlich, denn selbstverständlich besuchte Herr de Montaigne Venedig, und zwar eine einzige Woche während eines 17monatigen Aufenthalts in Italien, den er bzw. zum Teil ein Sekretär im "Tagebuch einer Reise nach Italien" beschreibt. Venedig hat ihn nicht umgehauen, meint der Sekretär. Was ja doch verwundert. Vielleicht waren auch seine Erwartungen zu hoch oder seine dauerhafte Trauer zu tief, nachdem der Herzensfreund seiner jungen Erwachsenenjahre, Étienne de La Boétie, der vor Begeisterung und Verehrung für Venedig glühte, noch jung ein Opfer einer Seuche wurde.
Der Sekretär schreibt jedenfalls recht unbeeindruckt:
"Was in Venedig eine nähere Befassung lohnt, dürfte ja hinreichend bekannt sein. Herr de Montaige meinte, er habe sich eigentlich alles anders, das heißt imposanter vorgestellt."
(Der Besuch findet im Jahr 1580 statt, als Michel de Montaigne in der
frischen Blüte seines schriftstellerischen Ruhms steht. Und sechs Jahre
nachdem sein König, Henri III,
auf einem Zwischenstop auf dem Weg von seinem polnischen zu seinem
französischen Königreich in Venedig rauschend empfangen und bombastisch
gefeiert worden war. Denn Venedig brauchte für seine Türkenprobleme die
Kooperation des eigentlich türkenfreundlichen Frankreich.)
Wendeltreppe im Turm Montaigne
"Gerade deshalb aber erkundete er die Stadt besonders aufmerksam, um vielleicht doch hinter das Ungewöhn- liche zu kommen, das sie auszeichne. Und tatsächlich beeindruckte ihn manches - am meisten das Arsenal und der Markusplatz, ebenso aber die öffentliche Ordnung, das bunte Gewimmel der Menschen aus aller Herren Länder und nicht zuletzt die geographische Lage. "
Herr de Montaigne hatte trotz seines Prominentenstatus vermutlich keine Chance, andere als öffentliche Anlagen (und Kirchen etc.) zu besuchen, also keinen der Palazzi, die heute, egal in welcher Funktion, besichtigt werden können. VenezianerInnen war der Kontakt zu AusländerInnen verboten, aus Sicherheitsgründen. Bei geschäftlichen Kontakten waren Staatsbeamte anwesend zur Kontrolle von Warenaustausch, Abfuhr von Zöllen, Gebühren etc.. Ansonsten hatten BesucherInnen der Stadt, so auch Herr de Montaigne, allenfalls Kontakt zu ihrem Botschafter (in diesem Fall zu Herrn du Ferrier, der seinerseits privat nicht mit VenezianerInnen verkehrte). Und diverse Gebäude die uns heute tief beeindrucken, z. B. die Salute, S. Giorgio Maggiore, existierten noch nicht.
Arbeits- und Ruheraum Montaignes, 1. Etage des Turms (nicht Montaigne's Bett, nicht "Montaigne's Katze", sondern die des derzeitigen Schlossbesitzers, die sich gerne im Turm aufhält...)
"Montag, den 7. November, erschien bei ihm, als er gerade zu Abend aß, ein Bote und brachte ein Geschenk. Signora Veronica Franca, eine venezianische Edelfrau und Kurtisane, die selber dichtet, schickte ihm ihr jüngstes Werk, ein Bändchen Briefe. Herr de Montaigne ließ dem Mann zwei Taler geben."
Davon abgesehen, dass der Name Veronica Franco falsch notiert wurde, könnte Herrn de Montaigne Frau Franco unterschätzt haben. Sie war eine respektierte Kurtisane und auch Schriftstellerin, die sechs Jahre zuvor die Aufmerksamkeit Henris III auf sich zog, sehr zum Ärger der weiblichen venezianischen Gesellschaft. Nach all dem Aufwand seines Empfangs (Triumphbogen von Palladio auf dem Lido, Empfang an der Piazzetta, Unterbringung in der Ca' Foscariinklusive einer zur Unterhaltung des Königs nächtlich auf dem Canal Grande schwimmenden und lautstark arbeitenden Glasbläserei, aufwändigste Gastmahle etc.) interessierte er sich auf dem pompösen Ball zu seinen Ehren nicht für die versammelte Noblesse, sondern für Signora Franco, und das auch noch intensiver als nachhaltige Gerüchte seiner Homosexualität hätten erwarten lassen.
Bibliothek im Arbeitsraum, 2. Etage, leider in alle Winde zerstreut Siehe auch unten Video des Arbeitsraumes
"Die Liebesdamen Venedigs sind berühmt für ihre Schönheit; Herr de Montaigne konnte sich diesem verbreiteten Urteil freilich nicht anschließen, obwohl er die vornehmsten der Frauen besucht hat, die mit selbiger Handel treiben. Jedoch wunderte er sich, sie in solcher Menge - etwa hundertfünfzig - anzutreffen; auch machte es ihn stutzig, dass sie sich hinsichtlich Kleidung und Mobiliar einen fürstlichen Aufwand zu leisten vermögen, wo sie doch einzig dieses Gewerbe als Verdienstquelle haben. Viele einheimische Adelige halten sich eine solche Kurtisane für sich allein und erstatten ihr sämtliche Ausgaben; jedermann weiß es, und niemand stört sich daran."
Was lässt sich daraus schließen? Herr de Montaigne hat das Angebot geprüft, es entsprach in Qualität und Preis nicht seinen Vorstellungen? Die Trauben waren ihm zu sauer? Im Gegenzug kommt er moralisch und mißgönnt den Kurtisanen ihren Wohlstand und den Freiern ihre Unbekümmertheit?
Wer die "Essais" liest, kann sich das kaum vorstellen. Ich glaube: der Sekretär, der die Niederschrift dieses Teils des Reisetagebuchs besorgt, riskiert bei diesem etwas heiklen Thema nichts und passt seine Meinung der gesellschaftlich gültigen an. Und Montaigne selbst, der ohne Ende, bis zu seinem Tod, an Ergänzungen der "Essais" schrieb und schrieb, sah sich wohl nicht zu weiterer Ausführlichkeit des extrem kurzen Venedig-Berichts veranlasst. Mir als Venedig-Bloggerin ist allerdings rätselhaft, wie der Vielschreiber Montaigne zum Thema Venedig derartig kurz angebunden sein konnte. (Noch was zum Thema Kurtisanen)
"Herr de Montainge mietete sich eine Gondel für Tag und Nacht, was ihn einschließlich Bootsführer zwei Livrees kostete, also etwa siebzehn Sous. Die Preise für Essen und Trinken entsprechen etwa Pariser Verhältnissen. Dennoch lebt man wohl nirgends auf der Welt so billig wie in Venedig: erstens benötigt man kein Gefolge, denn es ist üblich, dass jeder allein geht; zweitens muss man auch an Kleidern keine Verschwendung treiben; drittens braucht man keine Pferde."
Was sagt mir das? Vielleicht: im Venedig des 16. Jahrhunderts wurde gutes Geld ausgeben für Sex und Gesellschaft, Essen und Trinken. Preiswertgünstiger scheinen Mobilität durch eigene Gondeln & Gondolieri sowie Selbstdarstellung in Bezug auf Kleidung und 'Gefolge' (das de Montaigne bei sich hatte, eine ganze Reisegruppe, genau genommen) gewesen zu sein. Letzteres empfiehlt sich ohnehin nicht engen venezianischen Gassen und erstere entsprach vielleicht nicht ganz dem Aufwand, der in Paris gemacht wurde. Aber Bescheidenheit in Kleiderfragen war eher keine venezianische Tugend.
Die Feststellung, man lebe nirgends auf der Welt so billig wie in Venedig, hat sich mittlerweile überholt, wie wir alle wissen.
(Fetter Text zitiert aus: Michel de Montaigne; Tagebuch einer Reise nach Italien über die Schweiz und Deutschland. Diogenes 2007. Übersetzung von Ulrich Bossier)