30. November 2013

Biennale 2013: Das war wohl nix



Die Kunstbiennale endete vor einer Woche, der November endet heute, und ich habe völlig verbaselt, rechtzeitig meinen Preis "War wohl nix" zu verleihen. Die bisherigen Preisträger waren:
2009 der Pavillon der Ukraine
2011 die Installation "Ascencion" von Amish Kapoor
Es ist immerhin das dritte Mal dass ich ihn vergebe, also wird nicht darauf verzichtet sondern nachträglich verliehen.

Selten funktionierte während der Biennale etwas nicht wie gewünscht, z. B. der dänische Pavillon.



Manches an dieser Biennale war erstaunlich, z. B. die Auswahl der Jury, wenn ich davon ausgehe, dass Werke, Ideen oder Konzepte prämiiert werden sollen, die überraschen, überflie-
gen, unabweisbar überzeugen. Wenn allerdings Kunst nicht unter den Maßstab der Bewertung gestellt werden soll oder, besser, die eigenartigen Maßstäbe des globalen Kunstmarktes persifliert werden sollten, geht die Auswahl der Jury in Ordnung. Überragend ist vielleicht das Lebenswerk Maria Lassnigs (aus meiner persönlichen Sicht), die anderen PreisträgerInnen  reihen sich ein, egal ob Location, Foto, Performance oder sonstiges Werk, der Löwe ist ein Löwe ist ein Löwe mehr nicht.



Maria Lassnig

Kein Pavillon, kein Einzelwerk war so ärgerlich wie die Schließung des neuen Biennale-Eingangs am neu erbauten Ponte dei Pensieri und seine Degradierung zum AUSGANG. Das Ausstellungsgelände des Arsenale von zwei Seiten zu öffnen, war eine großartige und gleichzeitig praktische Idee. Sie ermöglichte völlig unterschiedliche Wahrnehmungen abhängig vom Startpunkt, und InhaberInnen von Dauer- und 2-Tage-Karten ersparte sie die erzwungende Wiederholung des Schlauches durch oder entlang der Tana. Ich habe ausführlich über den Bau der Brücke 2009 berichtet:

25.2.2009 Brücken in Arbeit
1.5.2009 Mehr über die neue Biennale-Brücke
26.5.2009 Biennale Venezia - betrifft Brücke
27.5.2009 Nachrichten von der Brücke

Der Preis "War wohl nix" geht deshalb in diesem Jahr an die Biennale di Venezia, Herrn Präsident Paolo Baratta
Sonntagsmorgens auf der Brücke vor der verschlossenen Tür "Exit only" dachte ich, hier handele es sich um irre motivierte Sparsamkeit - Personalkosten für eine Person zur Karten-
kontrolle! Als ich die Tür dann in der Einschränkung von innen nach außen nutzte, stellte sich heraus, dass man an Stelle des vorherigen Einlassbüdchens einen "Museumsshop", den zweiten im Arsenale (!) an die Mauer geklebt hat, mit Verkaufspersonal, das natürlich auch die Karten kontrollieren könnte. Was könnte also der Grund sein, hier niemanden mehr EINTRETEN zu lassen?!


Sehr geehrter Herr Baratta, wenn Sie darüber nachdenken, dass zum Glück nicht alle 475.000 Kunstinteressierten aus aller Welt, aber immerhin Ihre venezianischen MitbürgerInnen sich vor der verschlossenen Tür fragten, wer sich den Schwach-
sinn einfallen ließ, ist Ihnen die Sache sicher sehr peinlich. Und niemand muss Sie oder Ihre/n NachfolgerIn auffordern, diese bürokratische und kundenunfreundliche Maßnahme zurückzu-
nehmen und zur Architekturbiennale 2014 den Eingang Ponte dei Pensieri wieder zu öffnen. Sie veranlassen das sicher reumütig selbst. Und wir werden Ihnen die Sache verzeihen. Versprochen.






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19. November 2013

Scuola grande di San Marco

Scuola grande di San Marco neben SS. Giovanni e Paolo (eingerüstet) am 31.10.2013
 
Für Venedig-LiebhaberInnen ist es eine Sensation. Und vor allem eine Überraschung. Vor 3 Wochen stand ich noch davor, keine Andeutung künftiger Dinge (obwohl mir das geöffnete Fenster in der 1. Etage auf dem Foto hätte auffallen können...!)

Die Scuola grande di San Marco mit ihrer medizinischen Bibliothek und medizinhistorischen Ausstellung lädt zum Salutefest ein zu ihrer Wiedereröffnnung. Es gibt den ganzen Tag kostenlose Führungen (von 10-16 Uhr) und um 17:30 Uhr ein Eröffnungskonzert des Orchesters der Fenice. Ab dem 23. November ist das Gebäude dauerhaft von Dienstag bis Samstag von 9:30-13 und 14-17 Uhr geöffnet.

Die untere Halle der Scuola grande di San Marco war bis vor kurzem die Eingangshalle des Ospedale Civile (und die historische Scuola gehört auch weiterhin zum Krankenhaus), im Zuge der Um- und Erweiterungsbauten wurde sie als Durchgang geschlossen. Die oberen Räume (Herbergsraum und Versammlungsraum der Bruderschaft von San Marco) waren geschlossen, seit ich nach Venedig reise. 

Nur einmal vor etwa 12 Jahren, als die Tür zur Treppe offen stand und ich, dem Aufpasser winkend, ausprobierte, ob das auch für die oberen Räume galt, konnte eintreten und, ganz allein, diesen einzigartigen Ort sehen. Von der künstlerischen Gestaltung der Wände und Decken über die unzähligen medizinischen Manuskripte und Drucke bis hin zu den wirklich gruseligen chirurgischen Werkzeugen - atemberaubend!

Damit steht ein weiterer bedeutender Ort der venezianischen Kulturgeschichte restauriert zum Besuch frei, 5 Minuten vom Palazzo Grimani entfernt, dessen Restaurierung ich auch in höchstem Maße bewundere. Ich muss leider warten, bis ich wieder in Venedig bin und empfehle die Besichtigung unbedingt als einen der Höhepunkte einer Venedigreise.

17. November 2013

Ein Fund auf der Piazza



Frühmorgens unterwegs auf der Piazza (und zwar auf der Ideallinie vom Bankautomaten an der Merceria zur Bibliothek des Museo Correr, Eingang links des Florian) liegt vor mir auf dem Trachytpflaster eine längliche Inschrift.

Denkmale auf dem Pflaster kennt man, z. B. verlegt von Denkraum Namen und Steine der Aids-Stiftung. Oder das Kunstprojekt "Stolpersteine" von Gunter Demnig, der in Deutschland und Europa über 40.000 gestaltete Steine zur Erinnerung an die Opfer des Faschismus installiert hat.

Das hier liegt schon seit 1625 und es ist kein Kunstprojekt, ich sehe es nach den vielen Überquerungen der Piazza tatsächlich zum ersten Mal. Es lag wohl innerhalb des Bezirkes, der zur Sanierung des Campanile viele Jahre eingezäunt war. Und davor, zu Zeiten der Taubenschwärme, war das vielleicht der Standplatz eines Maisverkaufskarrens oder es sassen/standen die Tauben darauf oder die Taubenfütterer. 

Die Inschrift muss zu tun haben mit der Handwerkszunft (arte) der Schuhmacher (calegheri), die ihre Scuola bzw, Scoletta am Campo San Tomà hatten. Das Gebäude existiert noch, man kann den Saal für Veranstaltungen mieten. Und ich bin immerhin die Enkelin eines Berliner caleghero der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Tage später überquere ich die Piazza in Begleitung einer leitenden Mitarbeiterin der Biblioteca Marciana, die, hoffe ich, meine Frage beantworten kann. Sie glaubt, dass das ein Relikt der Prozessionsordnung ist, für die Züge von Signoria, Klerus, Scuole (Brüderschaften von Zünften, Landsmannschaften, bürgerlicher oder religiöser Art), die an bestimmten Festtagen und auch außerordentlichen Gelegenheiten mehrfach jährlich von San Marco über die Piazza und wieder zurück führten. Es gibt viele künstlerische Darstellungen dieser Prozessionen, meist aber aus der Zeit vor dem Jahr 1625, wie dieses Bild von Gentile Bellini von 1496 (zu sehen in der Accademia).




Vermutlich gab es mehr solcher Plaketten auf dem Pflaster der Piazza, die aber nicht erhalten sind, warum auch immer diese eine noch da ist.

Und prompt: ist die Aufmerksamkeit geweckt, mache ich die nächsten beiden Funde von Buchstaben an erstaunlichen Stellen. Spolien von ehemaligen Gebäuden? Von Gräbern aus den vielen abgerissenen Kirchen? 

Keine Ahnung. Unerschöpfliche venezianische Rätsel!










Rechts des Eingangs der Gesuiti-Kirche in Cannaregio









Drei ziemlich große Steinplatten auf dem Campo S. Giorgio Maggiore, vor der Palladio-Kirche, etwas links versetzt:

 



Ergänzung 14.1.2014:
Nach einiger Sucherei haben die Korrespondenten B. und P. A. die Inschrift der Calegheri auf der Piazza gefunden und teilen die Koordinaten mit, unverbindlich: N 45grd26.023' , E 12grd20,304'
Herzlichen Dank!


Ergänzung 12.3.2017:
Eine andere Lösung des Rätsels scheint gefunden bei der Lektüre von Petra Wichmann: Die Campi Venedigs. Entwicklungsgeschichtlichte Untersuchungen zu den venezianischen Kirch- und Quartiersplätzen. München, Scaneg 1987.

"Märkte konnten nur auf großen freien Arealen abgehalten werden, die Bebauung mit festen Marktständen war aber - abgesehen von bestimmten Bereichen von Rialto - nicht üblich. Auf dem Markusplatz hat man die Standorte für die an Markttagen aufgeschlagenen Buden im 15. Jahrhundert im Pflaster markiert. Das ist ein früher Hinweis auf eine besondere Aufgabe der Pflasterung in Venedig, die oft dazu benützt wurde, bestimmte Funktionsbereiche zu markieren und voneinander abzugrenzen." (S. 72)

Gabriele Bella, Markt auf der Piazza

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14. November 2013

Ab heute mit Googlemaps in Venedig

... und zwar zu Fuss.

Wandern in Venedig in fast frischen Fotos, jedenfalls denen dieses Sommers.
Siehe Eintrag vom 16.7. 13.


Größere Kartenansicht

Ich habe den Link auf die Rampe entlang der nördlichen Arsenalemauer gesetzt (oben), ein Weg, den ich so gerne gehe. Er ist vor allem luftig und leer, mit weiter Sicht bis nach Torcello.
Während viele Fotos zeigen, wie voll und lebhaft die Stadt im Sommer eben ist, wie z. B. an der Dogana:



Größere Kartenansicht

Weitere Hinweise auf verschiedene programmierte Funktionen:
Google Blog: StreetView floats into Venice
Google Maps: Venice - The City Built on Water


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9. November 2013

Venezianische Inselperspektiven (keine Werbung)

http://geograficamente.files.wordpress.com/2013/11/disegno-sul-progetto.jpg
Themenpark Venedig (Zamperla/Università Ca' Foscari)


Den Campanile von S. Giorgio Maggiore besuchte ich im Okto-
ber mehrfach. Er stand in der Blickschneise meines Zimmers und ich war neugierig auf den Ausblick bei unterschiedlichen Wetterbedingungen. Wenn auch der Oktober weitgehend regnerisch und neblig war, abgesehen von zwei brillianten letzten Tagen vor meiner Abreise.


Die Inseln östlich-südöstlich der Giudecca fallen von dort oben ins Auge, und ich habe ihnen (neben den bekannten und viel besuchten Inseln S. Servolo und S. Lazzaro) ein bisschen Interesse gewidmet, mit überraschenden Ergebnissen. 

Die Insel San Clemente, aus der Sicht von Westen am dichte-
sten bebaut, wurde wie die meisten Laguneninseln von Orden besiedelt, und diente ca. 150 Jahre, bis in die 70er des letzten Jahrhunderts, der Verwahrung weiblicher psychisch Kranker, analog zu S. Servolo, wo Männer untergebracht waren. Das Luxushotel auf der Insel, das 2012 immerhin eine Pleite inkl. monatelanger Schließung geschafft hatte, wurde in diesem Jahr (laut Presse zum Preis von 78-Millionen) vom türkischen Unternehmen Permak gekauft und damit ist die Insel auch künftig off limits für Nicht-Hotelgäste.


Auf der kleinen Insel Santo Spirito gibt es nur noch wenige Ruinenreste. Die Insel war (nach früheren Klosternutzungen) den Franziskanern von der Insel Kreta zugeteilt worden. Nach dem kompletten Verlust Kretas an die Osmanen 1669 wurden sie aus der Kolonie evakuiert und hier konzentriert, ähnlich wie die kretischen Nonnen auf San Servolo. Nachdem die Insel lange ungenutzt lag, gab es vor gut 10 Jahren ein ambitio-
niertes Konzept für eine künftige Nutzung als Umweltbildungs-
stätte mit Veranstaltungs- und Ausstellungsräumen, Labors, Wohntrakt und sogar einem kleinen archäologischen Park um die Reste aus dem 17. Jahrhundert. Ich habe es in der Bibliothek der Fondazione Cini gefunden, wurde aber nichts daraus.
Statt dessen verkaufte die Stadt die Insel an die Società Poveglia (wie auch andere Inseln), die sie 2011 zum Verkauf bot, laut Presseberichten mit der Aussicht auf ein weiteres Luxushotel.


Weiter im Süden und aus Campanilesicht stark bebaut ist die Insel Sacca Sessola. Eine neue Insel, Ende des 19. Jahr-
hunderts aufgeschüttet aus den Ausbaggerungen der Fahr-
rinnen für den Industriehafen Marghera, genutzt durch Errich-
tung verschiedener Heilanstalten (Cholera, Tuberkulose...), die sich als echte Überraschung erwies. Dort existiert in aller Stille neben den vielen Luxusangeboten Venedigs ein neues Luxusding, Eröffnung 2014, mit klar definierter Zielgruppe, die auch diese Insel von wie auch immer gearteter öffentlicher Nutzung ausschließt.


Die wirkliche Überraschung einer Inselperspektive wurde be-
kannt am 30. Oktober, und ich erfuhr sie erst im www nach meiner Rückkehr: die Sacca San Biagio als künftiges "Kultur- und Unterhaltungszentrum", ein  "Veniceland", durch das Unternehmen Zamperla SA und die Universität Ca' Foscari.

Damit man das auch glauben kann, verlinke ich Veröffent-
lichungen:


Pressekonferenz Zamperla Spa und Universität Ca' Foscari
The Local
DEZEEN
24 Ore (nicht übersehen: Video Arsenale Zamperla)
Blog "geograficamente"
Blog "tuttacronaca
La Nuova
La Stampa

Das Inselchen, aufgeschüttet aus Müll, soll, wird der Plan genehmigt, mit Zamperla-Technik und -Know how und akade-
mischer Unterfütterung ein Themenpark Venedig & Lagune werden, mit Nachbauten (z. B. von Casone, Lagunenfischer-
hütten), Erlebnispfaden und -technik (z. B. dem Arsenale, einem Riesenrad), Shows (z. B. Carnevale).
In Sicht- und Reichweite des Originals, zwei Riesenkreuz-
fahrtschiffslängen entfernt vom Riesenkreuzfahrtschiffshafen. Für "das große Publikum".
Das ist wohl als großer Wurf gedacht, der schlecht bezahlte Arbeitsplätze schafft, weiteres Geld in welche Kassen auch immer schiebt, bestimmte Zielgruppen mit Bespassungsbedarf erreicht (denen die Latscherei in Venedig selbst zu anstreng-
end, Museen zu langweilig, die Zeit bei ein paar Stunden Aufenthalt zu kurz, das Interesse an der Stadt überhaupt zu klein geraten ist?), die Stadt, ihre BewohnerInnen, den ÖPNV etc. ein bisschen entlastet ohne die Besucherzahlen zu reduzieren.
Ob sich regender Protest wirksam ist wage ich zu bezweifeln, die Entscheidungswege zu Genehmigungen in Venedig sind eines der großen Rätsel der Welt... 



Blick vom Campanile S. Giorgio nach Südosten
Linke Seite: Vordergrund S. Giorgio, La Grazia (unbewohnt), dahinter San Clemente, links dahinter Santo Spirito.
Rechte Seite: Vordergrund Giudecca (Hotel Cipriani), Hintergrund Sacca Sessola

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