4 Wochen auf San Giorgio Maggiore
Den Monat Oktober 2013 verbrachte ich auf der Insel S.Giorgio Maggiore. In Sichtweite des Massengewimmels vor dem Dogenpalast läuft hier wie auf manchen anderen Laguneninseln ein ganz anderes Programm.
Vorne die großartige Palladio-Kirche, entlang der Marina temporär funktionierende Ausstellungsräume und dazwischen eine Terassenbar kennen viele VenedigbesucherInnen. Dahinter und abgesperrt, zu sehen nur beim Blick vom Campanile S. Giorgio und den Wochenendführungen durch den Gebäudekomplex steht eines der ältesten Klöster Venedigs, in dem nach über 1000jähriger Geschichte immer noch eine Gemeinschaft von Benediktinern lebt, betet und arbeitet, dessen Räume aber zum größten Teil die Bibliotheken, Archive und Verwaltung der Fondazione Cini beherbergen.
Diese Stiftung schreibt im Rahmen ihres Vittore Branca Zentrums für das Studium der italienischen Kultur jährlich mehrere 3monatige Post Doc- und 6monatige Promotions-stipendien aus (Bewerbungsschluss jeweils Ende Januar), darüber hinaus können sich freie ('independent') WissenschaftlerInnen jederzeit um ein Aufenthaltsstipendium bewerben. Das geht unkompliziert per Formular, Lebenslauf, Beschreibung des jeweiligen Arbeitsthemas-Studienprojekts-Veröffentlichungsprojekts; Dauer und Zeitpunkt des geplanten Arbeitsaufenthalts darf man sich wünschen.
Bewerbungen der 'Freien' werden in 4-6 Wochen begutachtet und beantwortet. Der Aufenthalt ist nicht kostenlos, orientiert sich aber zum Teil auch an den Mitteln des/der Bewerbers/in und liegt unter dem Preis eines einfachsten Hotelzimmers in Venedigs. Die Zimmer in Centro Branca sind klein aber funktional-komfortabel mit Bad und Küchenecke (Mikrowelle, Induktionsplatte etc.), die Gebäude sind klimatisiert (gut im Sommer) mit Fußbodenheizung (gut im Winter) und so struk-
turiert, dass (die von mir befürchtete nervige) Wohnheim-
atmosphäre weitgehend verhindert wird.
Ich glaube, so zentral in Venedig gibt es keinen ruhigeren Ort als S. Giorgio M.
Der Park im südlichen Teil der Insel ist überraschend groß, in seiner jetzigen Form erst in den 1950er Jahren angelegt, mit breiten Wegen, es geht aber auch quer durch, gepflegt und beschnitten, aber auch mit Unterholz, diversen alten Nadel- und Blattgehölzen, Gras und Wildblumen und einer überraschenden Vielfalt und Menge von Pilzen im nassen Oktober 2013.
Der Park ist praktisch immer leer, man kann sich ungeniert allen Arten von Herumhopserei, Uferrundlauf oder lautem Gesang hingeben sowie der Kontemplation auf Bänken oder Ufermäuerchen, Meditation mit Blick auf die Lagune und die umliegenden Inseln S. Servolo, S. Lazzaro, La Grazia, S. Clemente und den Canale Orfano, in dem zu Zeiten der Serenissima Urteile zum Tod durch Ertränken vollstreckt wurden.
Das Teatro Verde und die Piscina (ein großes Hallenbad mit Sprungturm und allem Zip und Zap) die die Fondazione Cini in den 50er Jahren bauen ließ, werden leider nicht mehr genutzt. Ersteres nur für 1-2 Konzerte pro Jahr, wenn überhaupt, letzteres trockengelegt, einmal während meines Aufenthalts für eine Architekturausstellung im Pool, in den man über eine Leitertreppe kletterte. Schade, aber wohl gewollt.
Die kleine, an das Schwimmbadgebäude anschließende Marina "Darsena Verde" dient einem anliegenden Segelclub mit eigenem Gebäude für Segelfreizeiten, u.a. Segelunterricht für kleine Kinder in winzigen Booten. Sehr putzig, wenn 5 Segelchen hinter einem Motorboot herjuckeln, in dem der Lehrer mit dem Megaphon quakt.
Die 'Nicht-Residenti' auf der Insel kennt man schnell, die Bibliothekare, die Rezeptionisten, die Gärtner, die Haus-
techniker, die Verwaltungsbürofrauen die sich um das Centro Branca und das Eventmanagement kümmern, den Campus-
master, die Zimmerfrau, die Nachtwächter kommen täglich auf die Insel. Man grüßt sich freundlich, und trifft man sich zufällig in der Stadt, grüßt man auch freundlich. Inselgemeinschaft, wenn auch nur vorübergehend.
Mönche sieht man selten, von weitem in ihrem Gemüsegarten oder in der Kirche, hinter dem Altar in ihrem Chorgestühl.
Die "Residenti" wechseln häufig und sind völlig mit ihren Projekten beschäftigt. Man sieht sich allenfalls beim offiziellen 'Spritz' zu dem die Stiftung donnerstags nach Bibliotheks-
schluss einlädt, damit man sich gegenseitig vorstellen kann, ansonsten per Zufall in der Bibliothek (schweigend), im Gym (schweigend), am Waschautomaten oder auf dem Nacht-
vaporetto bei der Heimfahrt, wenn nur 5 Fahrgäste an Bord sind. Ansonsten ist Initiative gefragt, will man die hochinteressanten MitbewohnerInnen und ihre Arbeit näher kennenlernen.
Ich war morgens als Erste allein auf dem Campanile um den Morgennebel steigen zu sehen, ich war abends die Letzte allein im stockdunklen Kirchenschiff von S. Giorgio, ein einzelner Lichtkreis beleuchtete die Stufen zum Altarraum, aus der dunklen Apsis klang die Komplet der Mönche wie jenseits von Zeit und Raum. (Kleine Panik: man sieht mich nicht, komme ich raus bevor die die Tür geschlossen wird?!)
Vor meinem Zimmerfenster durchquerten im Morgengrauen täglich 3-5 Riesenkreuzfahrtschiffe das Bacino, in der Abenddämmerung bzw. schon im Dunkeln (Ende Oktober!) fuhren sie in die andere Richtung wieder aus. Die Autofähren vom und zum Lido ziehen in dichtem Takt vorbei, die großen Personenfähren von S. Zaccaria nach Punta Sabbioni tuten bei der Ein- und Ausfahrt, dagegen hilft keine Doppelver-
glasung.
Man legt weite Wege auf 2 Etagen zurück auf Fluren, Treppen, durch Verbindungsräume, Kreuzgänge; spannend immer wieder die unterschiedlichen Ausblicke aus den Fenstern des Klosterkomplexes. Morgens hängt der Nebel in den beiden Kreuzgängen, manchmal so dicht, dass der Campanile darin verschwindet. Bei warmem Wetter steht nachmittags beim Verlassen der Bibliothek der Duft der Zypressen wie ein Körper im hinteren Kreuzgang. Überall in den Außenbereichen rieselt es von den Wänden, jeden Morgen gibt es neue kleine Sand- und Putzhäufchen im Winkel zwischen Wänden und Boden, die in den Kreuzgängen aufgefegt werden. Wie lange dauert es, bis so ein Mauerwerk zerrieselt ist?
Einen beträchtlichen Teil meiner Tage verbrachte ich in den Bibliotheken, eine Freude, die ich nicht angemessen beschreiben kann. Der außergewöhnliche Raum der Manica Lunga mit seinen hohen Regalen, dem Gewölbe darüber mit den alten Dormitoriumslampen, die lange Reihe von Arbeits-
tischen (von denen immer nur wenige besetzt sind), die kleinere Struktur der ehemaligen Mönchszellen, die warme Athmosphäre des Holzes, dessen Duft mittlerweile leider verflogen ist, das Klima der Fußbodenheizung unter dem neuen Parkett. (Und die Vorstellung der alten Steinplatten, die unter dem Parkett erhalten sind: im Sommer morgens frisch und kühl, im Winter das eiskalte Grausen unter nackten Fuß-
sohlen...! Hatten die Mönche Winterteppiche oder gingen sie mit Socken zu Bett?)
In der Longhena-Bibliothek, die immer im Kino auftaucht, wenn eine Barock-Bibliothek gebraucht wird, deren geschnitzte Regale während der französischen Besatzung 1797 ausgela-
gert und gerettet wurden, gibt es kein Parkett, sondern die typischen rot-weißen Steinquadrate und keine Heizung. Der Raum ist still und kühl und enthält in seinen vergitterten Wandschränken die Bücher zur Geschichte Venedigs. Mir stockt immer der Atem, wenn ich den Raum betrete, immer allein, die quietschenden Gittertüren öffne, die gesuchten Büchr hole und an ihrer Stelle die Entnahmezettel hinterlasse. Mein Bücherstapel an meinem Arbeitsplatz in der Manica Lunga hält mich ohne Mittagessen fest bis um 16:30 einer der Bibliothekare Feierabend bimmelt, manchmal gibt es 2 Stunden Sonderverlängerung für Branca-StipendiatInnen. Selten ziehen Besuchergruppen mit dozierendem/r Guide durch die Manica Lunga, oben rein, an den Regalen entlang bis ganz unten zum Triforen-Fenster am Bacino, wieder rauf, das sind insgesamt 250 m.
Die 'Residenti" sind jeweils eingeladen zu öffentlichen Veranstaltungen der Fondazione Cini, Lesungen, Konzerten, anderen Aufführungen in den vielen Veranstaltungsräumen der Insel, immer wieder Räumen, die man noch nicht kennt. Es gibt auch geschlossene Veranstaltungen wie Konferenzen, Kongresse, Privatfeiern, die man aber z. B. auf dem Weg zur Bibliothek durchquert mit der Cini-Chipkarte um den Hals.
Im Oktober fanden eine ganze Reihe solcher Veranstaltungen statt (weshalb dann die Wochenendführungen auf der Insel abgesagt werden), z. B. einen internationalen Kardiologen-
kongress mit ca. 400 Teilnehmern, der mir die Erkenntnis bescherte, dass der Kardiologe tatsächlich männlich ist. Viel männlicher jedenfalls als die Bundeswehr, vermutlich auch männlicher als der Vatikan, der ja eine Menge Nonnen beschäftigt. Ich habe vielleicht ein Dutzend weiblicher Kongressteilnehmerinnen gesehen, junge gut aussehende. (Studieren Frauen erst seit kurzem Kardiologie? Sie müssen vermutlich nicht nur sehr gut sein, sondern auch noch weibliche Qualitäten wie Schönheit explizit vorweisen, um in der Männerdomäne erfolgreich zu sein?) Alte oder durchschnittlich aussehende Frauen jedenfalls waren nicht dabei.
Zur 2tägigen geschlossenen Veranstaltung Rolex Arts Weekend, das im Rahmen eines MentorInnenprogramms für junge KünstlerInnen jährlich stattfindet, wurden auch die 'Residenti' eingeladen. Ich gehöre nicht zur Rolex-Zielgruppe und hatte nie davon gehört. Eigentlich handelt es sich dabei um ein hochklassiges Marketingevent, zu dem 500 interna-
tionale Kunstmenschen und MultiplikatorInnen kostenlos von Rolex nach Venedig eingeflogen, 3 Tage lang in **** und ***** - Hotels untergebracht wurden, unterhalten mit Arts Weekend und geschlossener Aufführung im Fenice. Für mich war das Programm eine sehr spannende Erfahrung mit der Arbeit junger KünstlerInnen und paralleler theoretischer und philosophischer Auseinandersetzung mit Kunst und künstlerischem Ausdruck auf hohem und dichtem Niveau. Und, zusätzlich, interessanter Begegnungen, z. B. als ich mich beim abschließenden Essen mit meinen Begleitern, 2 jungen Doktoranden von Cambridge und Princeton, an einem Tisch mit 3 bekannten KuratorInnen aus Seoul, Mexico City und New York City fand. Eine Zufallsgruppierung, eine sehr animierte Tischgesellschaft, ein wunderbares Menu von Meeresfrüchten...
Es war vor allem ein Höhepunkt meines Aufenthaltes auf S. Giorgio M., weil das Essen im PALLADIANISCHEN Cenacolo (normalerweise in Klöstern Refektorium genannt) stattfand, wovon weder meine Kollegen noch ich je zu träumen gewagt hätten. (Die Jungs fotografierten sich gegenseitig, als Beweis für die Eltern.) Das Cenacolo steht zwar immer offen, mit neuem Parkett, Wandtäfelung und vor 7 Jahren wieder gekrönt mit der "Hochzeit zu Kana" von Veronese, dessen Original im Louvre hängt und dank Computertechnik originalgetreu reproduziert wurde. Reingehen und ansehen, ja - aber darin essen?! Und es stellte sich heraus, dass das alte klösterliche Schweigen bei den Mahlzeiten, begleitet nur von Lesungen, seinen Sinn hatte: nachdem die Konversation an den Tischen in Schwung war, stieg der Geräuschpegel derart, daß man sich mit den TischgenossInnen nur noch rufend verständigen konnte. Es herrschte einfach ein Wahnsinnslärm bei diesem Essen.
Das Cenacolo liegt erhöht, man betritt es über eine schöne breite Treppe zwischen zwei Marmorwaschbecken, und als BewohnerIn der Insel weiß man, dass es draußen hinter der Wand mit dem Veronese eine ebenerdige Tür gibt: sie führt in die niedrige ehemalige Klosterküche unter dem Cenacolo. Die dürfte auch hier die früher übliche Wärmequelle für den Speisesaal gewesen sein, Fußbodenheizung sozusagen. Heute darf diese Küche aus Brandschutzgründen nicht mehr genutzt werden, sie dient aber noch als Anrichteküche.
Bei allen Veranstaltungen mit Kocherei reisen nicht nur die passenden Tische, Stühle, Geschirr, Dekoration etc. per Boot an, sondern auch das Cateringteam durch das Wassertor an der Südwestseite der Insel, das nur ein paar Meter vom Cenacolo entfernt liegt. Es wird ein großes Zelt rechts des Speisesaalhauses aufgebaut, darin 10-15 große Gasflaschen und Klapptische für mobile Herde. Dort wird das Essen brandsicher frisch zubereitet, die Töpfe in die Anrichteküche gebracht und von dort über eine schmale Treppe unterhalb des Veronese, verdeckt durch einen Holzpanelwand, in den Speisesaal.
So geht das also. Und ich - wer bin ich! - durfte in Palladios Speisesaal essen. Einmal im Leben.
Siehe auch Archiv Blogeinträge Oktober 2013, enthält das eine oder andere zum Thema S. Giorgio M.
Vorne die großartige Palladio-Kirche, entlang der Marina temporär funktionierende Ausstellungsräume und dazwischen eine Terassenbar kennen viele VenedigbesucherInnen. Dahinter und abgesperrt, zu sehen nur beim Blick vom Campanile S. Giorgio und den Wochenendführungen durch den Gebäudekomplex steht eines der ältesten Klöster Venedigs, in dem nach über 1000jähriger Geschichte immer noch eine Gemeinschaft von Benediktinern lebt, betet und arbeitet, dessen Räume aber zum größten Teil die Bibliotheken, Archive und Verwaltung der Fondazione Cini beherbergen.
Park auf S. Giorgio M. |
Zypressenkreuzgang im Nebel |
turiert, dass (die von mir befürchtete nervige) Wohnheim-
atmosphäre weitgehend verhindert wird.
Ich glaube, so zentral in Venedig gibt es keinen ruhigeren Ort als S. Giorgio M.
Der Park im südlichen Teil der Insel ist überraschend groß, in seiner jetzigen Form erst in den 1950er Jahren angelegt, mit breiten Wegen, es geht aber auch quer durch, gepflegt und beschnitten, aber auch mit Unterholz, diversen alten Nadel- und Blattgehölzen, Gras und Wildblumen und einer überraschenden Vielfalt und Menge von Pilzen im nassen Oktober 2013.
Der Park ist praktisch immer leer, man kann sich ungeniert allen Arten von Herumhopserei, Uferrundlauf oder lautem Gesang hingeben sowie der Kontemplation auf Bänken oder Ufermäuerchen, Meditation mit Blick auf die Lagune und die umliegenden Inseln S. Servolo, S. Lazzaro, La Grazia, S. Clemente und den Canale Orfano, in dem zu Zeiten der Serenissima Urteile zum Tod durch Ertränken vollstreckt wurden.
Ausstellung in der Piscina (Rolex Arts Weekend) |
Das Teatro Verde und die Piscina (ein großes Hallenbad mit Sprungturm und allem Zip und Zap) die die Fondazione Cini in den 50er Jahren bauen ließ, werden leider nicht mehr genutzt. Ersteres nur für 1-2 Konzerte pro Jahr, wenn überhaupt, letzteres trockengelegt, einmal während meines Aufenthalts für eine Architekturausstellung im Pool, in den man über eine Leitertreppe kletterte. Schade, aber wohl gewollt.
Herbstmorgen an der Südspitze von S. Giorgio M. |
Die kleine, an das Schwimmbadgebäude anschließende Marina "Darsena Verde" dient einem anliegenden Segelclub mit eigenem Gebäude für Segelfreizeiten, u.a. Segelunterricht für kleine Kinder in winzigen Booten. Sehr putzig, wenn 5 Segelchen hinter einem Motorboot herjuckeln, in dem der Lehrer mit dem Megaphon quakt.
Die 'Nicht-Residenti' auf der Insel kennt man schnell, die Bibliothekare, die Rezeptionisten, die Gärtner, die Haus-
techniker, die Verwaltungsbürofrauen die sich um das Centro Branca und das Eventmanagement kümmern, den Campus-
master, die Zimmerfrau, die Nachtwächter kommen täglich auf die Insel. Man grüßt sich freundlich, und trifft man sich zufällig in der Stadt, grüßt man auch freundlich. Inselgemeinschaft, wenn auch nur vorübergehend.
Mönche sieht man selten, von weitem in ihrem Gemüsegarten oder in der Kirche, hinter dem Altar in ihrem Chorgestühl.
Branca-Mitarbeiter auf dem Weg zur Arbeit im morgendlichen Kreuzfahrtverkehr |
Die "Residenti" wechseln häufig und sind völlig mit ihren Projekten beschäftigt. Man sieht sich allenfalls beim offiziellen 'Spritz' zu dem die Stiftung donnerstags nach Bibliotheks-
schluss einlädt, damit man sich gegenseitig vorstellen kann, ansonsten per Zufall in der Bibliothek (schweigend), im Gym (schweigend), am Waschautomaten oder auf dem Nacht-
vaporetto bei der Heimfahrt, wenn nur 5 Fahrgäste an Bord sind. Ansonsten ist Initiative gefragt, will man die hochinteressanten MitbewohnerInnen und ihre Arbeit näher kennenlernen.
Eines der Nebengebäude für Veranstaltungen |
Ich war morgens als Erste allein auf dem Campanile um den Morgennebel steigen zu sehen, ich war abends die Letzte allein im stockdunklen Kirchenschiff von S. Giorgio, ein einzelner Lichtkreis beleuchtete die Stufen zum Altarraum, aus der dunklen Apsis klang die Komplet der Mönche wie jenseits von Zeit und Raum. (Kleine Panik: man sieht mich nicht, komme ich raus bevor die die Tür geschlossen wird?!)
Vor meinem Zimmerfenster durchquerten im Morgengrauen täglich 3-5 Riesenkreuzfahrtschiffe das Bacino, in der Abenddämmerung bzw. schon im Dunkeln (Ende Oktober!) fuhren sie in die andere Richtung wieder aus. Die Autofähren vom und zum Lido ziehen in dichtem Takt vorbei, die großen Personenfähren von S. Zaccaria nach Punta Sabbioni tuten bei der Ein- und Ausfahrt, dagegen hilft keine Doppelver-
glasung.
Vor meinem Zimmerfenster |
Unten: Teil des Daches der Manica Lunga, darüber der Gemüsegarten der Mönche, die Terassenbar, Ausstellungsräume der Cini-Stiftung, oben rechts Darsena Verde |
tischen (von denen immer nur wenige besetzt sind), die kleinere Struktur der ehemaligen Mönchszellen, die warme Athmosphäre des Holzes, dessen Duft mittlerweile leider verflogen ist, das Klima der Fußbodenheizung unter dem neuen Parkett. (Und die Vorstellung der alten Steinplatten, die unter dem Parkett erhalten sind: im Sommer morgens frisch und kühl, im Winter das eiskalte Grausen unter nackten Fuß-
sohlen...! Hatten die Mönche Winterteppiche oder gingen sie mit Socken zu Bett?)
Longhena Bibliothek 2007, vor dem Umbau des Dormitoriums |
In der Longhena-Bibliothek, die immer im Kino auftaucht, wenn eine Barock-Bibliothek gebraucht wird, deren geschnitzte Regale während der französischen Besatzung 1797 ausgela-
gert und gerettet wurden, gibt es kein Parkett, sondern die typischen rot-weißen Steinquadrate und keine Heizung. Der Raum ist still und kühl und enthält in seinen vergitterten Wandschränken die Bücher zur Geschichte Venedigs. Mir stockt immer der Atem, wenn ich den Raum betrete, immer allein, die quietschenden Gittertüren öffne, die gesuchten Büchr hole und an ihrer Stelle die Entnahmezettel hinterlasse. Mein Bücherstapel an meinem Arbeitsplatz in der Manica Lunga hält mich ohne Mittagessen fest bis um 16:30 einer der Bibliothekare Feierabend bimmelt, manchmal gibt es 2 Stunden Sonderverlängerung für Branca-StipendiatInnen. Selten ziehen Besuchergruppen mit dozierendem/r Guide durch die Manica Lunga, oben rein, an den Regalen entlang bis ganz unten zum Triforen-Fenster am Bacino, wieder rauf, das sind insgesamt 250 m.
Ganz hinten rechts - Treppenaufgang zu den Bibliotheken |
Die 'Residenti" sind jeweils eingeladen zu öffentlichen Veranstaltungen der Fondazione Cini, Lesungen, Konzerten, anderen Aufführungen in den vielen Veranstaltungsräumen der Insel, immer wieder Räumen, die man noch nicht kennt. Es gibt auch geschlossene Veranstaltungen wie Konferenzen, Kongresse, Privatfeiern, die man aber z. B. auf dem Weg zur Bibliothek durchquert mit der Cini-Chipkarte um den Hals.
Im Oktober fanden eine ganze Reihe solcher Veranstaltungen statt (weshalb dann die Wochenendführungen auf der Insel abgesagt werden), z. B. einen internationalen Kardiologen-
kongress mit ca. 400 Teilnehmern, der mir die Erkenntnis bescherte, dass der Kardiologe tatsächlich männlich ist. Viel männlicher jedenfalls als die Bundeswehr, vermutlich auch männlicher als der Vatikan, der ja eine Menge Nonnen beschäftigt. Ich habe vielleicht ein Dutzend weiblicher Kongressteilnehmerinnen gesehen, junge gut aussehende. (Studieren Frauen erst seit kurzem Kardiologie? Sie müssen vermutlich nicht nur sehr gut sein, sondern auch noch weibliche Qualitäten wie Schönheit explizit vorweisen, um in der Männerdomäne erfolgreich zu sein?) Alte oder durchschnittlich aussehende Frauen jedenfalls waren nicht dabei.
Am allerletzten Tag zufällig entdeckt: Führung durchs Kloster. Anfragen an der Kasse zum Campanile-Fahrstuhl. Beim nächsten Mal. |
tionale Kunstmenschen und MultiplikatorInnen kostenlos von Rolex nach Venedig eingeflogen, 3 Tage lang in **** und ***** - Hotels untergebracht wurden, unterhalten mit Arts Weekend und geschlossener Aufführung im Fenice. Für mich war das Programm eine sehr spannende Erfahrung mit der Arbeit junger KünstlerInnen und paralleler theoretischer und philosophischer Auseinandersetzung mit Kunst und künstlerischem Ausdruck auf hohem und dichtem Niveau. Und, zusätzlich, interessanter Begegnungen, z. B. als ich mich beim abschließenden Essen mit meinen Begleitern, 2 jungen Doktoranden von Cambridge und Princeton, an einem Tisch mit 3 bekannten KuratorInnen aus Seoul, Mexico City und New York City fand. Eine Zufallsgruppierung, eine sehr animierte Tischgesellschaft, ein wunderbares Menu von Meeresfrüchten...
Rolex Arts Weekend, Theaterarbeit des Warschauer Ensembles mit Blick auf das Hotel Cipriani |
Es war vor allem ein Höhepunkt meines Aufenthaltes auf S. Giorgio M., weil das Essen im PALLADIANISCHEN Cenacolo (normalerweise in Klöstern Refektorium genannt) stattfand, wovon weder meine Kollegen noch ich je zu träumen gewagt hätten. (Die Jungs fotografierten sich gegenseitig, als Beweis für die Eltern.) Das Cenacolo steht zwar immer offen, mit neuem Parkett, Wandtäfelung und vor 7 Jahren wieder gekrönt mit der "Hochzeit zu Kana" von Veronese, dessen Original im Louvre hängt und dank Computertechnik originalgetreu reproduziert wurde. Reingehen und ansehen, ja - aber darin essen?! Und es stellte sich heraus, dass das alte klösterliche Schweigen bei den Mahlzeiten, begleitet nur von Lesungen, seinen Sinn hatte: nachdem die Konversation an den Tischen in Schwung war, stieg der Geräuschpegel derart, daß man sich mit den TischgenossInnen nur noch rufend verständigen konnte. Es herrschte einfach ein Wahnsinnslärm bei diesem Essen.
Das Cenacolo liegt erhöht, man betritt es über eine schöne breite Treppe zwischen zwei Marmorwaschbecken, und als BewohnerIn der Insel weiß man, dass es draußen hinter der Wand mit dem Veronese eine ebenerdige Tür gibt: sie führt in die niedrige ehemalige Klosterküche unter dem Cenacolo. Die dürfte auch hier die früher übliche Wärmequelle für den Speisesaal gewesen sein, Fußbodenheizung sozusagen. Heute darf diese Küche aus Brandschutzgründen nicht mehr genutzt werden, sie dient aber noch als Anrichteküche.
Bei allen Veranstaltungen mit Kocherei reisen nicht nur die passenden Tische, Stühle, Geschirr, Dekoration etc. per Boot an, sondern auch das Cateringteam durch das Wassertor an der Südwestseite der Insel, das nur ein paar Meter vom Cenacolo entfernt liegt. Es wird ein großes Zelt rechts des Speisesaalhauses aufgebaut, darin 10-15 große Gasflaschen und Klapptische für mobile Herde. Dort wird das Essen brandsicher frisch zubereitet, die Töpfe in die Anrichteküche gebracht und von dort über eine schmale Treppe unterhalb des Veronese, verdeckt durch einen Holzpanelwand, in den Speisesaal.
So geht das also. Und ich - wer bin ich! - durfte in Palladios Speisesaal essen. Einmal im Leben.
Zu Tisch im palladianischen Speisesaal |
Siehe auch Archiv Blogeinträge Oktober 2013, enthält das eine oder andere zum Thema S. Giorgio M.