28. Juli 2013

Biennale ohne Ticket (2013)

Trifft voll in mein Humorzentrum:
Piranha and Fish-eating People, Wei Yan.
Ausstellung 'Voices of the Unseen'

Es gibt bereits von der Biennale 2011 einen Eintrag mit dem Titel Biennale ohne Ticket, und auch in diesem Jahr sei auf diese Möglichkeit hingewiesen. Eine Biennale-Eintrittskarte ist, finde ich, preisgünstig, verglichen mit sonstigen Eintritts-
preisen in Venedigs Museen (abgesehen vom unschlagbar billigen Museo Storico Navale, das dem Verteidigungsministe-
rium gehört).

Aber Giardini + Arsenale an 2 Tagen sind eine Herausforderung an Aufnahmefähigkeit und Zeit, nicht jede/r hat ganze 2 Tage für die Gegenwartskunst, und wer die nicht hat, kann möglicherweise auch nicht die tollen kostenlosen Biennale-Angebot und "collateral events" überall in der Stadt und auf den Inseln abzuklappern.

Also Kompromisslösung: die Ausstellungen im Arsenale novisssimo, kostenlos zu betreten über die  Nordeingänge des Arsenale. Öffnungszeiten sind die gleichen wie alle Biennale-Zeiten, Di-So 10-18 Uhr. Die Ausstellungen sind wieder sehr interessant und vor allem sehr chinesisch, wie sich auch in der Stadt die Zahl chinesischer KünstlerInnen mit jeder Biennale erhöht. 
Das Spektrum ist riesig, die großen Hallen ("tese") des Arsenale novissimo sind nicht überlaufen und vor allem etwas luftiger als viele andere Ausstellungsräume, man kann einen guten halben Tag oder mehr dort verbringen, muss aber unbedingt Wasser und Proviant dabei haben, es gibt keinerlei Verkauf. Aber sanitäre Einrichtungen, immerhin.


Ausstellung 'Voices of the Unseen':
Han Zijian, Three Lu Xun, 

Detail einer
Skulpturen-
installation












 


Wer durch die Fenstertür an der Arsenalemauer einsteigt, landet sofort in der enormen, mehrere Hallen (Tese di S. Cristoforo 92, 93, 94 und Nappa 91) füllenden Ausstellung "Voice of the Unseen, Chinese Independent Art 1979 - now". Wobei sich die Frage stellt, was heißt unabhängig? Wovon, von wem? Fast alle chinesischen Ausstellungen in Venedig laufen unter der Marke 'unabhängig', außer der nationalen Ausstellung im Arsenale, aber die würde sich nicht als 'abhängig' definieren. Da landet die Kunst im Politischen, was in Ordnung ist, aber den/die normale/n KunstkonsumentIn und durchschnittlich politisch bewußte/n Globalisierte/n (wie mich) etwas überfordern mag. Aber: sehr beeindruckend, mit teils großartigen Werken, aber auch (mit westlichen Augen gesehen) skurrilen.

Z. B. die 5 unvorstellbar dicken Herrscherfiguren von Tian Shixin (sehenswerter Film über den Künstler). Das Format der Herren ist vermutlich symbolisch (was symbolisiert der Umfang eines Herrschers? Machtfülle? Fülle der Weisheit? keine Ahnung), trotzdem kommen leise Zweifel an der Gegenwarts-
kunst auf. Nutzt die Gelegenheit! Jede/r sehr Dicke (richtig Dicke!), und die, die sich sehr dick fühlen, stellen sich mit dem Rücken zu den dicken Herrschern und knipsen die Spiegelwand gegenüber. Das Foto von sich + den dicken Herrschern wird an FreundInnen, Verwandte, KollegInnen gemailt, unbedingt an alle, die sich schon Kommentare zum Thema Übergewicht geleistet haben. Dann sammle man die eintreffenden Glück-
wünsche zum neu geformten Körper ein, denn da niemand weiß, wie unglaublich dick die Chinesen sind, verführen sie zu völliger Fehleinschätzung der Person, die mit ihnen auf dem Foto ist. Grandioser Erfolg!




Mehr chinesische Kunst läuft auf diesem Gelände unter dem Titel "Passage to History, 20 Jahre Biennale und chinesische zeitgenössische Kunst" (Nappa 89) und "Mind Beating" (Spazio Thetis) und "Crossover" (Tesa 113). 
(Noch mehr chinesische Kunst an mehreren Orten in der Stadt und im natioanlen Pavillon VR China im ticketpflichtigen Bereich des Arsenale.)

Eine schöne, kontemplative Installation "Outpost" von Samar Singh Jodha in der dunklen, fast leeren Hälfte der Nappa 90 gefiel mir sehr gut. Fast hätte ich sie übersehen, da sie zwischen den raumgreifenden Chinesen und Andorra im Dunkeln quasi versteckt ist.

Andorra, Samantha Bosque

Andorra also, auch in der Nappa 90, stellt 3 differenzierte junge KünstlerInnen aus. Die Werke von Javier Balsameda, Samantha Bosque und Fiona Morrison sind intensiv und bewundernswert jedes auf seine Weise, am stärksten berührt hat mich das schöne, melancholische Video "Two walks" von Fiona Morrison. Unbedingt in Ruhe und ganz ansehen.


In der Tesa 100 gibt es (zusätzlich zum nationalen Pavillon am Campo S. Stefano) eine Ausstellung "Love me love me not", Azerbaijan und Nachbarländern. Mit reizvollen und originellen Exponaten (z. B. eine spuckende Ölquelle, das schwarze Gold...), teils auch ziemlich folkloristisch. 

In der Tesa 105 stellt das Projekt Ars Aevi aus. Während der Belagerung von Sarajewo 1993 wurde das Projekt zum Bau und zur Ausstattung eines Museums für zeitgenössische Kunst in Sarajewo gegründet. Die Projektträger haben Kunstwerke gesammelt, die z. T. hier gezeigt werden, Baubeginn des Museums, Plan von Renzo Piano, soll 2014 sein. 
Gleichzeitig ist die Tesa 105 ein hochinteressantes Beispiel für die Konvertierung eines sehr alten Industriegebäudes in ein Bürogebäude unserer Zeit: gläserne Büroräume auf mehreren Etagen, Konferenz- und Ausstellungsräumlichkeiten. Man sollte die Gelegenheit nutzen, ungeniert diese Räumlichkeiten inspizieren.

Büroraum, eingebaut in die Tesa 105. (Ausstellungsräume Ars Aevi)

Im Turm der Porta Nuova gibt es eine Installation von Shirazeh Houshiary, die ich nicht verstanden habe. Breath. Rätselhaft. Habe ich nicht ordentlich geguckt? Ich habe auch nichts gehört, hätte ich sollen? Hat die Sache nicht funktioniert? 
Für Interessierte ein wichtiger Tipp: die Ausstellung findet auf der 1. Etage und auf der 3. (oder 4.?) statt. Jedenfalls Treppen ohne Ende, und je höher, desto heißer ist der Turm. Auf meine Nachfrage erfuhr ich: die Besucher sollen ruhig zu Fuss nach oben schnaufen, das sei Teil des Kunsterlebnisses. Wer aber nach einem Aufzug fragt, wird freundlich hinein-
gestellt und fährt nach oben. Na also!


Und natürlich kann man vom Nordufer des Arsenale novissimo das S.S. Hangover bewundern, wie es mit einem fetten Pegasus auf dem Segel den ganzen Tag lang immer wieder langsam und feierlich aus einer der beiden Gaggiandre des Arsenale (Wasserdocks, erbaut 1568-73) gleitet, während eine 6köpfige Blaskappelle einen herrlich melancholischen Choral spielt und auf den Punkt mit Ende des Stücks in die andere Gaggiandra zurückkehrt. 
Das ist ein Teil des "Palazzo encyclopedico" und Werk des isländischen Künstlers Ragnar Kjartansson (Komposition: Kjartan Sveinsson), der bei der Biennale 2009 der Künstler des isländischen Pavillons war und 6 Monate lang im Palazzo Michiel da Brusà malte und Bier trank. Ich finde seine Arbeit großartig.


 
Mehr davon, bessere Aufnahme
Interview mit Ragnar Kjartansson


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24. Juli 2013

Biennale & Venezia minore

 

Fondazione Gervasuti, Austellungsräume 1. Etage


Die Vorstellung venezianischer Architektur sind die Prachtbau-
ten überall in der Stadt aber vor allem entlang des Canal Grande. Mit großen Räumen, frei schwingenden Terrazzo-
böden, vergoldeten Kassettendecken oder Fresken, hohen Fenstern, Land- und Wassertoren. Man kann sie betreten beim Besuch der darin untergebrachten Museen, oder anlässlich von Konzerten, Karnevalsbällen oder Ausstellungen der Biennale.


Nicht im touristischen Venedigbild enthalten sind die Häuser, die unterhalb der Kategorie 'großartig' rangieren, aber für das Stadtbild wie für das Leben einer Stadt unverzichtbar sind, "Venezia minore" genannt. Wohnsiedlungen, Geschäftszeilen, Handwerksbetriebe, die auch immer stärker den Bedürfnissen der Tourismusindustrie angepasst werden als Eigentums-
wohnungen, B & B, Ferienwohnungen, kleine Hotels, und dem Stadtbild und der Bevölkerung verloren gehen.


Auch in der Venezia minore finden Biennale-Ausstellungen statt, und diese sehr speziellen Venedig-Eindrücke jenseits von Palästen und Vaporetto d'Arte sollte man nicht auslassen. Den wunderbaren Palazzo Grimani kann man inzwischen immer besuchen, die Häuschen der kleinen Leute nur zur Biennale.

Säulenrest in der Ausstellung Montenegro

zum Beispiel die Mogel-
packung, die als Ad-
resse Palazzo Malipiero nennt, wo immer mehrere Ausstellungen stattfinden, aber nicht etwa im Androne (Halle des Eingangs- oder Wassergeschosses), oder im Piano nobile, sondern im 'Gebäude-
komplex' drumherum. Zu betreten durch diverse Seiten- oder Hintertüren. Über Treppen, bei denen mir jedesmal der Zungenbrecher diekatzetrittdietreppekrumm einfällt, und ich mich freue wenn nur die Zunge bricht und sonst nichts. In diesen Anbauten befanden sich früher vielleicht Wirtschaft- oder Versorgungsräume, oder Zimmer von Hausangestellten.


Derselbe Säulenrest von der anderen Seite, Treppen-
aufgang zur Ausstellung Zentralasien






In diesem Jahr gibt es hier die Nationalausstellungen von Estland, Montenegro, Bosnien-Herzegowina, und 'Zentralasien'. Jede der 4 Ausstellungen ist auf ihre Weise sehr sehenswert, die sommerlichen Temperaturen  in den teils win-
zigen, niedrigen, oder sogar fensterlosen Räumen gehören dazu. (Als der Iran hier ausstellte, hatte man eine herrlich erfrischende Klimaanlage installiert, die wunderbaren Duft ausatmete. Orientalischer Luxus im venezianischen Kleine-Leute-Haus!) 

Sehr tief sitzend im Eingangsraum der Montenegro-Ausstellung und am Treppenaufgang zur Zentralasien-Ausstellung kann man ein Mauerteil bzw. eine Säule sehen, die noch aus dem ursprünglichen Bau des 11. Jahrhunderts stammen könnte.


Whithey McVeigh, Hunting Song
Auf die alten Handwerks-
höfchen der Stiftung Gervasuti habe ich schon öfter hingewiesen. Sie beher-
bergen wieder besondere Ausstellun-
gen in ihren verfallenden zwei Etagen mit rohen Holzfuß-
böden, zerfetzten Tapeten und vernagelten Fensteröffnungen als Projektionsflächen für Videos und der unvergleichlich stimmungsvollen kleinen Bar im offenen Hinter-
hof unter rankenden Klettertrompeten. In diesem Jahr leider ohne Hängematte, dafür gibt es ein paar Tischlein mehr.


Unter dem Link der Stiftung finden sich unter 'Projects/current weiterführende Links zu den derzeitigen Ausstellungen. 
Einbezogen sind zum ersten Mal auch die angrenzenden Räume des Ex-Wohnheimes für unverheiratete Frauen aus dem 16. Jahrhundert ( Whitney McVeigh, Hunting Song. Eine unglaubli-
che Kuriositätensammlung, die auch in den "Palazzo encyclo-
pedico" gepasst hätte.)


Sehr beeindruckend der erste Biennaleauftritt der Malediven mit einer ganzen Reihe internationaler UmweltkünstlerInnen. Mir gefielen besonders die Videos von Stefano Cagol und Ursula Biemann

Einer der kleinen Handwerker-Innenhöfe der Stiftung Gervasuti

Diese Biennale zeigt insgesamt offen-
sichtlich, dass Öko-
themen endgültig in der Kunst angekommen sind und. Nach einem beeindruckenden An-
lauf weniger ökologisch orientierter Künstler-
Innen in den 80er Jahren, der ebenso beeindruckend zum Jahrtausendwechsel abbrach (was auch die Fördermittel für Kunst-
projekte in der Umweltbildung in meinem beruflichen Umfeld betraf), ist sie wieder da, die Umwelt in der Kunst, natürlich vor allem in Bedrohungsszenarien.



Auch die Elfenbeinküste stellt in der Venezia minore aus, auch in Castello, wenn auch nicht in derart pittoresker Umgebung. Immerhin im Parterre, Innenhof und Hinterhaus eines normal bewohnten Häuschens gegenüber von S. Martino. Von einem Ausstellungsraum zum nächsten wandert man unter den Wäscheleinen durch und kann, wenn man nicht diskret genug ist, die Unterhaltungen von Fenster zu Fenster mit anhören. Auch Cote d'Ivoire nimmt zum ersten Mal an der Biennale teil, als Nation und mit dem Künstler Frédéric Bruly Bouabré im Rahmen des Palazzo encyclopedico im Arsenale. 

Franck Fanny, Abidjan la nuit 4

Die Fotos von Franck Fanny stehen den Fotos des Gewinners des Goldenen Löwen, Ango-
la (Foto-
graf Edson Chagas), in nichts nach. Und da sie in schlichtester Umgebung präsentiert werden, beeindrucken sie mich persönlich tiefer als die Präsentation Angolas im edlen Ambiente des Palazzo Cini. Wobei die Kombination Palazzo Cini + toskanische Kunst des 14.-15. Jahrhunderts + angolanische Kunst des 21. Jahrhunderts wohl ein wichtiges Motiv der Auszeichnung ist. Naja, Geschmäcker...



Gehört ein ehemaliges Handelshaus, vielleicht nur ein Waren-
lager, zur Venezia minore? Ich weiß nichts Näheres über den Fondaco Marcello, außer dass er seit vielen Jahren Ausstellungen dient und ein Traghetto vor der Tür hat, mit dem man sich über den Canal Grande übersetzen lassen kann.


Dort stellt in diesem Jahr Irland aus, mit einem Videoprojekt, das einem den Boden unter den Füssen wegziehen kann. Nicht für Kinder geeignet. Der Kriegshorror des Kongo, zerstörte Städte und Landschaften, Flüchtlingslager, Leichenhäuser, Kindersoldaten, auf mehreren Projektionswänden, überwältigender Tongestaltung, infrarot gefilmt in rosa-grauen Bildern, die den Schrecken verfremden aber nicht mildern. Ich habe mich schon einige Male nach einem Kunstvideo erleichtert gefreut, vor der Tür Venedig wiederzufinden. Nach diesem tröstet auch Venedig nicht. 

Frédéric Bruly Bouabré



In diesem Zusammenhang empfehle ich sehr die kleine und informative Broschüre "Venice. Venetian domestic architecture" von Egle Trincanato und Renzo Salvadori. 12,50 € in jeder venezianischen Buchhandlung, auch in italienisch und franzözisch (in der französischen Buchhandlung bei Zanipolo). Auf 69 Seiten werden auch Bauten der Venezia minore in den Sechsteln Dorsoduro und Castello vorgestellt.
(Bei Amazon wird eine deutsche Übersetzung zum Preis von 400 € angeboten, ein Kommentar dazu erübrigt sich wohl.)

16. Juli 2013

Es googelt in Venedig

In diesen Wochen wandern, wie man in The Telegraph nach-
lesen kann, Google-Mitarbeiter mit einer 360-Grad-Kamera auf dem Rücken durch venezianische Gassen und fotografieren für Street View. Da in bestimmten Gegenden Venedigs (z. B. im heißen Dreieck Rialto - Markusplatz - Accademia) praktisch jede/r PassantIn eine Kamera in der Hand oder um den Hals hat, dürfte das eine Orgie gegenseitiger Knipserei sein. Aber vielleicht nutzen die Google-Leute ja schlauerweise die schon bzw. noch hellen Hochsommerstunden der leeren Calli und Campi bis Frühstücksende und ab dem Abendessen, um filmend zügig durch die Stadt zu kommen.



Größere Kartenansicht

Nicht, dass es das nicht schon gäbe. Venedig bzw. Venice Connected ist in dieser Sache schneller als Google. Und ich auch, im August 2010 mit dem Eintrag  Virtuell durch venezianische Kanäle. Das Programm ist ein bisschen fummelig (Street View ist nicht viel besser), bietet aber tolle virtuelle Besichtigungen der Stadt zu Wasser. 

Google Maps (und auch Bing Maps) dagegen gewährt den Blick über die Mauern, in Innenhöfe, Gärten und still gelegte Kreuz-
gänge, in Zusammenhänge von Gebäudeensembles, die man weder von der Gasse, dem Campo oder dem Kanal aus ahnen, geschweige denn sehen kann. Wo sich dann bei mir Staunen und Erkenntnisgewinn mischt mit dem peinlichen Gefühl von Indiskretion. Man guckt nicht in anderer Leute Privatbereiche, auch nicht in einer Stadt, die mittlerweile nicht nur die Ein-
wohnerInnen immer mehr als 'Disneyworld' empfinden.


Spannend finde ich, auf diesen Karten Ungewöhnliches zu finden, oder temporär Zuzuordnendes, wie z. B. bestimmte Gebäude im eingerüsteten Zustand oder der Zustand des Vergini-Gartens im Arsenale, in dem man Ausstellungen er-
kennen kann.


In der vorletzten Version von Google Maps gab es eine dicke knallrote L-Form mitten in der Stadt. Die stellte sich beim Zoomen heraus als der rote Baldachin, der jährlich errichtet wird vom Eingang der Kirche S. Rocco zum Eingang der Scuola Grande di San Rocco anläßlich des Festes von S. Rocco am 16. August. Leider habe ich einen rechtzeitigen Screenshot verpasst bevor diese Version ersetzt wurde.

Baldachin während der Festa di San Rocco von Tür zu Tür
In der aktuellen Version gibt es eine rätselhafte große An-
sammlung von Transportbooten  an der Südseite der Dogana (siehe Maps-Detail oben) - Anlass, den Experten für knifflige Venedigfragen, Andreas Götz, zu konsultieren.Der prompt eine interessante Antwort produzierte.

Das müßte der Protest der Transporteure gewesen sein, die südlich der Dogana "a lai" gegangen sind:



In den letzten Jahren hat es immer wieder Protest-
aktionen von Berufsverbänden gegen Verordnungen der Comune gegeben. Vor allem die Capparozzoli-Fischer haben immer wieder gegen die Fangbeschränkungen protestiert. Dabei haben sie mehrfach den Verkehr auf dem Canal Grande zum Erliegen gebracht. Die Comune hat darauf mit heftigen und flächendeckenden Buß-
geldern (multe) reagiert. Die Protestaktion wurde videiert und die Boote anhand der Kennungen identifiziert. Und dann haben alle eine multa bekommen. Seither enden Protestaktionen meistens an der Dogana. Die kleineren nördlich (solange eine ausreichende Fahrrinne frei bleibt), die größeren südlich.

Vor diesem Hintergrund ist auch klar, daß die multe für die Teilnehmer der zum Teil nicht genehmigten No-
Grande-Navi-Demos keine besondere Härte waren, son-
dern konsequent und gerecht. Denn gleiches Recht für alle finde ich ein wichtiges Prinzip. Bedenklicher war schon, daß die Comune die Stände der Verkäufer vor San Marco genau nachgemessen hat und mit 1000-Euro-
multe sanktioniert hat. Einen Tag, nachdem die Ver-
käufer die Comune mit einer anderen Protestaktion geärgert hatten ... Ein Schelm, der Arges dabei denkt ...


"a lai" ist irgendwie ein schöner Begriff, den ich in seiner Konstruktion nie ganz verstanden habe. Ich muß mich da mal informieren. "lai" ist irgendwie die Seite des Bootes. Wenn ich bei jemand anlegen will, um über dessen Boot an Land zu gehen, frage ich: "posso andare a lai?" Mit "lai" wird aber auch der Unterschied in der Länge der beiden Seiten der Gondel bezeichnet, wodurch diese asymmetrich wird. Fragen über Fragen ...

Ein lokalpolitisches Ereignis vom 16.11.2012, dokumentiert auf einem virtuellen Stadtplan.


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13. Juli 2013

MOSE - wen wundert das noch?

Über MOSE fehlte hier bisher ein Eintrag, obwohl der angebliche Hochwasserschutz im Bau ist, seit ich regelmäßig Venedig besuche, und eines der meist diskutierten Themen der Stadt. Und vermutlich das umstrittenste Thema. International bekannt nicht nur bei Fachleuten, sondern durch Medien-
berichte, Zeitungen, TV-Dokumentationen etc., allen, die Interesse an Venedig haben.


Das Consorzio Venezia Nuova, zuständig für MOSE, hatte jahrelang am Campo S. Stefano ein Informationsbüro, wo sich auch jede/r TouristIn mit einem perfekt gemachten Werbefilm und massenhaftem Hochglanzprint über das Projekt informieren konnte. (Jetzt gibt es in diesen Räumen die Biennale-National-
ausstellung Azerbaidjan.)


UmweltschützerInnen aller Fachrichtungen von Biologie bis Physik informieren ab dem Planungsstadium ebenfalls detailliert über ihre Befürchtungen, Berechnungen,  Hochrechnungen, Versuche. Die Bürgerinitiative NoMose (mittlerweile NoGrandiNavi) ist aktiv.

Die Baustellen kann man an den drei Lagunenausgängen zur Adria sehen. Im Sommer 2012 wurden geladene Journalist-
Innen und andere Multiplikatoren über die Baustellen geführt. Bei Mare Maggio im Arsenale wurde ebenfalls geworben mit einem großen Infostand, Printmaterial, Hütchen, Schlüssel-
bändern, Give-aways aller Arten, Podiumsdiskussionen (ohne Beteiligung des Publikums). Mehr Marketing kann ein Projekt kaum erfahren. 


Mir fehlt der Glaube. Also habe ich meine Klappe gehalten bzw. nichts dazu geschrieben. Man kann nur mit einer Meinung mitdiskutieren, nicht mit dem Zweifel, dass das Projekt je ordentlich vollendet wird.

Der bisherige Präsident von Consorzio Venezia Nuova, Giovanni Mazzacurati, und 13 weitere Personen wurden gestern unter Betrugsverdacht verhaftet.  Mazzacurati hat sich erst vor ein paar Wochen aus seiner Verantwortung für das Projekt verabschiedet. Er wußte wohl, warum...

Handelsblatt
Donaukurier
Il Gazzettino
TGCOM24
La Nuova
L'Unità
The Telegraph
Ergänzung 16. Juli: The Art Newspaper
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7. Juli 2013

Pavillon Venezuela: Urban Art


Graffiti sind die erste und oft einzige künstlerische Äußerung, die junge Menschen in armen Vierteln urbaner Zentren schon aus dem Kinderwagen heraus wahrnehmen. Und sie ein paar Jahre später zur Sprühdose greifen lassen um selbst an der Gestaltung ihrer Umwelt teilzunehmen, teilweise in durchaus subversiver Absicht. 

Großartig, dass Venezuela seinen ganzen Biennale Pavillon dieser Kunst widmet, mit verschiedenen Graffiti, einem mitreißenden Dokufilm über die Urban Art Szene in Caracas (unter Beteiligung von CMS, GSC, Via Oeste, PC, Simbiosis Perfecta, 346, Silenciadores, 58C, 3BC, S/N, AAA, SDN, ROS, Pacos Gratis, IMP, PSC, EMC, Slim, Chuo, Ker, Comando Creativo, Colectivo Cultural Toromayma, 360º, La Kaza para la Raza und KünstlerInnen aus anderen Regionen Venezuelas), und mit einem tag des Künstlers Shock (oder Künstlerin? keine Ahnung).

Der tag ist in Grautönen an eine Wand des Pavillons gesprüht (siehe Foto oben) und wird durch die Projektion eines Filmes ganz erheblich dynamisch. Unten ist ein kleiner Ausschnitt, den ich gefilmt habe mit meinem kleinen Fotomaschinchen. Die Musik gehört zum Urban Art Dokufilm und ich weiß nicht, ob so etwas wie eine Synchronisation beabsichtigt ist, passt aber unbedingt zusammen. (Beim Ansehen bitte Vollbildmodus verwenden.)

Der Pavillon wurde 1956 gebaut von Carlo Scarpa und war damals sicher die herausragende Architektur in den Giardini. Er hat Wände und Dach, aber weder abgeschlossene Räume noch ist er ein geschlossenes Gebäude, sondern licht-und-luft-offen, ein tatsächlicher Pavillon, wenn auch nicht aus Gewebe, sondern aus Beton. (Deshalb auch die multiple Einsetzbarkeit von Musik.)

2. Gebäude rechte Seite direkt beim Eingang der Giardini, nicht verpassen.

Pressemitteilung


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