25. März 2021

Jubelfeste am 25.3.2021


Iacopo Tintoretto, Verkündigung

Es gibt heute drei Anlässe zu feiern. 

In allen drei Fällen ist der 25.3. ein gesetztes, kein authentisches Datum, öffentlichkeitswirksam auf einen ohnehin bedeutsamen und beliebten Feiertag gepackt: die Verkündigung des Herrn. In allen christlichen Flügeln einer der wichtigsten Tage, wenn auch unterschiedlich gefeiert, und auch für Nichtchrist*nnen ein bekanntes künstlerisches Motiv (Giotto): ein gutgekeideter Engel tritt diplomatisch gemessen in einem gepflegten Haus von links an die Jungfrau heran, die geneigten Hauptes mit niedergeschlagenen Augen die Nachricht ihrer Schwangerschaft akzeptiert. Ein schwängernder Lichtstrahl und eine Taube (hl. Geist) sind oft, aber nicht immer, Teil des dargestellten Akts. 

Tintorettos Darstellung der Verkündigung (siehe oben) in der Scuola di San Rocco in Venedig (Parterre, 1. Bild links) ist origineller: der Engel stürzt sich in Begleitung eines Trupps von Putten in einem düsteren ramponierten Haus auf die (nach heutigen Maßstäben) minderjährige, entsetzt zurückweichende Maria und haut ihr die Verkündigung um die Ohren. So wirds gemacht, Widerstand zwecklos, der Verlobte arbeitet vor der Tür und ahnt nichts vom Drama, das sich abspielt. Und auch das Kunstwerk macht einen überwältigenden Eindruck.

Nun der Reihe nach die heutigen Feste:

 

Arbeitszimmer des Reeders Lazaros Kountouriotis auf Hydra.
Einer der Protagonisten des griechischen Unabhängigkeitskampfes 



200 Jahre griechischer Unabhängigkeitskampf

In Griechenland ist der 25.3. der landesweit überzeugt gefeierte Nationalfeiertag und erinnert an den Beginn des Aufstandes im Frühjahr 1821 gegen die seit 400 Jahren dauernde türkische Herrschaft, der an verschiedenen Tagen und Orten Mitte März 1821 einsetzte. Es gab mehrere Wurzeln des Aufstandes: eine politische Geheimorganisation, die von Griechen vor allem im Ausland vorbereitet wurde, Familien- und Gruppenclans vor allem auf der Peloponnes, und Reedern auf 3 Inseln (Hydra, Spetses, Psara) mit wirtschaftlichen Interessen gegen die osmanische Besetzung.
Ziel des Aufstandes war die nationale Unabhängigkeit, die Realität während 6 Jahren des Kampfes allerdings interne Auseinandersetzungen der griechischen Gruppen, genaue genommen mehrere Bürgerkriege, weil über den Weg zur Unabhängigkeit keine Einigkeit herrschte, die Finanzierung ein endloses Drama war und beides alle Beteiligten in zeitweise unkontrollierbare Konflikte stürzte. Trotz personeller, politischer und finanzieller ausländischer Unterstützung gelang der endgültige Befreiungsschlag nur quasi versehentlich, indem die osmanische Seemacht 1927 von vereinten britischen, russischen und französichen Flottenverbänden in der Bucht von Navarino (heute Pylos) versenkt wurde.
Die orthodoxe Kirche und ihr Klerus spielten widersprüchliche Rollen im Innern war aber in der internationalen Außendarstellung als christlich-muslimischer Glaubenskrieg wirksam. Bis heute entspricht die Darstellung des Aufstandes in Schulbüchern nicht durchgängig historischen Erkenntnissen und belegten Fakten und dient mehr der nationalen Beeinflussung und Selbstdarstellung und dem 
historischen Selbstbild der Griech*innen.
Griechenland ist eine junge Nation, und nach 200 Jahren Kriegen und Bürgerkriegen, Flüchtlingskatastrophen und Politiker*innendynastien bis auf den heutigen Tag, also schwieriger Politik Griechenlands, bleibt ihre Leistung 
die erste Gründung eines europäischen Nationalstaates in Europa (in der Folge der Französischen Revolution und der Gründung der USA), der alle weiteren Schritte europäischen Emanzipation folgen sollten. Griechenland war ein hochmoderner und in gewissem Sinne vorbildlicher Staat zu Zeiten seiner Gründung.

Gefeiert wird jährlich mit Schul- und Korpsparaden (Schüler*innen uniform gekleidet, Feuerwehr, Rettungsdienste, Veteranenverbände, Trachtenvereine etc.) in allen griechischen Städten und Gemeinden. Mancherorts marschieren selbst Kindergärten. In größeren Städten wird das Militär in allen Formen vorgeführt: Land (mit Fahrzeugen), See (mit Froschmännern zu Fuß und Schlauchbooten),  Luft (mit Fluggerät), teilweise mit Reenactment wie hier in Aeroupolis/Mani und natürlich die Jungs mit den schwingenden Röcken und den Wollstrumpfhosen. In Anwesenheit von Spitzenvertretern von Politik, Kirche und Militär und beipflichtender aber im letzten Jahrzehnt der Krise auch schimpfender Bevölkerung.
In 40 Jahren habe ich auf der Peloponnes, in Attika, Westgriechenland, auf Kreta und vielen kleineren Inseln eine erstaunliche Anzahl von Variationen lokaler Feiern gesehen, bis hin zu dem Dorf, in dem es ein einziges Geschwisterpaar gab, das alleine durchs Dorf marschierte, beklatscht von den wenigen Nachbarn. Das kleine Mädchen sagte danach "So, das war das letzte Mal. Mein Bruder geht nächstes Jahr aufs Gymnasium (in die Stadt) und allein mach ich keine Parade!"

Seit Beginn der Pandemie findet landesweit nur noch 1 Parade, von Medien übertragen, statt: am 25.3. in Athen, am 8.11., dem 2. Nationalfeiertag, in Thessaloniki. Die Sache dauert anderthalb Stunden, wird am 25.3. übertragen von ERT1 ab kurz vor 10 Uhr (11 Uhr Ortszeit Athen). Die Tribünen am Syntagmaplatz sind besetzt mit der griechischen Elite, das Volk ist seit einem Jahr nicht mehr dabei, sondern sitzt vor der Glotze. Den letzten 25.3. mit Publikumsbeteiligung gab es 2019
Nach der Parade geht die Feier traditionell weiter mit dem gemeinsamen Essen von Kabeljau, einem venezianischen Erbe) und Skordaliá. 

Für das 200-er Jahr wurde schon Ende 2019 (!) ein hochoffizielles Organisationskomitee installiert, das unter Leitung von Gianna Angelopoulos-Daskalaki, der ehemaligen Präsidentin des Organisationskomitees der Olympiade 2004, ein Jahres- und Informationsprogramm auf die Beine stellt. Es gibt massenhaft Revolutionskitsch und, schlimmer, nationalistischen primitiven Mist, vor allem in den social media. Aber überall im Land gibt es auch beflügeltes Engagement. In Athen gibt vom neuen digitalen Archiv 1821 des Benaki Museums, das auch eine große Sonderausstellung "Vorher und nachher" vom 3.3.-7.11. eingerichtet hat, viele weitere Kulturangebote bis zu Nationaloper, die das wichtigste historische Ereignis der modernen griechischen Geschichte auch virtuell vermitteln und feiern.

Museum Benakis Athen, Außenstelle Pireos 138 
Megaro Mousikis Athen live streaming 25.3., 19:30 Uhr
Hymne an die Freiheit - MEIZON male vocal ensemble
(kostenlos online bis 25.4.)


Dante-Mausoleum in Ravenna, Besucherinnen


700 Jahre Dante Alighieri

Der nationale Feiertag Dantedì wurde 2020 im Hinblick auf Dante 700  neu gegründet und zum ersten Mal gefeiert. Eine Initiative, die mich begeistert und die Italiener*innen kulturell schon beim ersten Dantedi aktiviert hat. Ich habe dazu einen Blog geschrieben "Dantedì 25.März 2020", zu dem es eigentlich nichts zu ergänzen gibt, nach nur einem Jahr.

Auch der Dantetag 2021 findet weitgehend virtuell statt, schade, aber trotzdem gut ist im Sinne breiter Beteiligungsmöglichkeiten. Allein auf den Webseiten des Kulturministeriums Dantedì und Viva Dante sind atemberaubende Mengen kultureller Angebote für den Lauf des Dantejahres angekündigt. Hier ist allein die Veranstaltungsliste für den 25.3.: ist das nicht unglaublich?!
In Venedig veranstaltet die Universität Ca'Foscari heute ab 9 Uhr einen Dante-Marathon.
"Dante 700 Jahre" auf deutsch zu googlen produziert einen Schwall von Links. Wer also schon immer selbst einen Kurs zum Thema Dante, Kosmologie etc. zusammengestellen wollte, trifft in diesem Jahr den passendsten Zeitpunkt. 

FAZ       Ausstellungen? Dante lesen!
ref.ch    Seit 700 Jahren unsterblich - Italien lässt Dante hochleben
3sat      Dante Alighieri zum 700. Todestag
Youtube Hörbuch Dante Alighieri Die Göttliche Kommödie



1600 Jahre Venedig

Der venezianische 23.5., mystifiziert seit Jahrhunderten, aber im Jahr 2021 so bescheiden gefeiert!

Natürlich wurde 421 keine Stadt gegründet. In dieser Zeit begannen die Bewohner*innen der nördlichen Adriaküste zwischen Aquileia und Ravenna, in ihren Lagunen Zuflucht zu suchen vor Ostgoten, Langobarden und Franken. Die Veneter*innen gehörten zum Kaiserreich Ostrom, kannten sich in den Lagunen aus und verlagerten ihren Lebensraum in deren sichere nasse Landschaften. Ihre Dörfer und festen Städte wurden von den Einwanderern besiedelt, das byzantinische Ravenna wurde die Stadt Theoderichs
Erst der Raub der "Reliquien" von San Marco im 9. JH (800 Jahre nach seinem Tod!) und der Bau seiner Kirche begründete das künftig fast beispiellose Gemeinschafts- und Selbstbewusstsein der Inselbewohner*innen, der Venezianer*innen der nächsten 1000 Jahre. Das heute gefeierte Gründungsdatum ist nicht der Beginn der Stadt, sondern die Basis der Dauerhaftigkeit der Philosophie "Venedig" und ihres anderthalbtausendjärigen Erfolgs.

Nicht nur die Philosophie, sondern auch der physische Fortbestand der Lagunenstadt und ihr ideeller Erhalt sind heute gefährdet. Durch den Anstieg des weltweiten Wasserspiegels und ungeeigneten und misslingenden Schutzmaßnahmen. Durch demokratisch gewählte aber unqualifizierte Verantwortliche, die ohne historisches Bewusstsein der Stadt ihr Gewinnstreben und Ausbeutung aufzwingen. Durch einen beispiellosen Bevölkerungsaustausch 1600 Jahre nach der Besiedelung der Lagune - Venezianer*innen raus, Immobilien- und Tourismusindustrie rein. 

Wie feiert Venedig heute seinen mystischen Jahrestag im Lockdown? 
Eine (bisher leer gebliebene) Website Venezia 1600 wurde Anfang des Jahres eingerichtet.
Am 3.3. veröffentlichte die Stadt Venedig auf ihrer Website einen anspruchsvollen Call für Vorschläge (gerne international, daher gibt es den Text sogar auf englisch), zu Projekten historischen und kulturellen Inhalts, mit denen Venedig das ganze Jahr 2021 gefeiert werden soll. Zu finanzierung sind die Feierprojekte selbstverständlich von den Antragsteller*innen. 235 Projekte wurden von 135 Antragsteller*innen eingereicht, die Auswahl steht noch aus.

Heute gibt es um 11 Uhr ein Gottesdienst mit dem Patriarchen Moravia in der Basilika San Marco, ohne Gemeinde, übertragen durch Antenna 3. (Steht nicht in der Jahresagenda von San Marco.) Um 16 Uhr das feierliche gemeinsame Läuten aller venezianischen Glocken. Das würde ich schon gerne hören...! (Nachtrag 28.3.: hier sind sie...!) Um 18:30 eine Sendung auf RAI 2 per Live stream  und auch auf dem Stream des Teatro la Fenice mit einem feierlichen Programm.


Der Bürgermeister Brugnaro wird sich den ganzen Tag trikolorenbeschleift vor jede Kamera stellen. Er wird wieder wie in bisherigen Pressemitteilungen darauf hinweisen, dass die Architekturbiennale und die Leistungsausstellung der Schiffbauindustrie Salone Nautico aus seiner Sicht Teile der Feiern zu Venezia 1600 seien.
Luca Zaia, Präsident der Region Venetien, nutzte bereits den Anlass, um erneut die Lega-Forderung zur Autonomie des Veneto vorzutragen. 

Der Dogenpalast plant vom 11.9.-27.3.22. eine Sonderausstellung "Venetia 1600. Nascite e rinascite" (steht noch nicht auf der Website, und die eigentlich für diesen Zeitraum geplante Carpaccio-Ausstellung ist anscheinend aus dem Programm.)

War's das? 

Es gibt zum Glück unter den Bürgerinitiativen Venedigs Venessia.com, deren Vorsitzender Matteo Secchi zum Gedächtnis an den am 3.5.2020 verstorbenen Gründer Stefano Soffiato ein Video aus dessen hinterlassenen Arbeiten zusammengestellt hat, das heute auf der Website von Venessia.com veröffentlicht wird. Geplant war zu diesem Anlass ein großes "Geburtstagsfest" für die Bürger*innen, gemeinsames Essen und Feiern. Geht im Lockdown leider nicht. Aber online gibt eine gefühlvolle, wehmütige aber auch optimistische und ermutigende Geburtstagrede für die Bürger*innen Venedigs.

Compleanno di Venezia * 1600 anni


Danke für die Erlaubnis, das Video hier einzustellen und herzliche Glückwünsche allen Venezianer*innen!



Ergänzung 1.4.: Siehe auch den Vortrag Prof. Werner Sollors auf dem YouTube-Kanal des Deutschen Studienzentrums Venedig: "Blick auf Mariä Verkündigung zum 16.00-sten Geburtstag Venedigs".

15. März 2021

No Grandi Navi - man darf sich einmischen




Haste mal'n Euro? Oder 10? Oder 20.000?

Die venezianischen Aktionstage im September 2017 folgten einem bürgerlichen Referendum gegen die Durchfahrt der Riesenkreuzfahrtschiffe mitten durch das historische Zentrum Venedig, gegen die Luftverpestung durch ihre Brennstoffe in 9 Monaten des Jahres, gegen die Erosion des Lagunenbetts und der Fundamente der historischen Gebäude durch die Druckwellen der Riesenschiffe. Die Beteiligung der Venzerianer*innen war beeindruckend. Ganz Venedig war auf den Beinen - auf den Fondamente entlang der Zattere und auf dem Wasser, wie im Video von No Grandi Navi zu sehen. 

Am 4.3.21 wurde die Rechnung präsentiert: 20.000 €, zu zahlen innerhalb eines Monats. Das Komitee No Grandi Navi bittet um Unterstützung und hat ein Crowdfunding gestartet (Link erscheint nochmal am Fuss des Blogeintrags). Wer dank ungenutzter Reisekasse ein paar Euro übrig hat, sollte sich nicht lumpen lassen und den Kampf dieser Bürgerinitiative unterstützen.

Der Text des Aufrufs ist italienisch, gefolgt von der englischen Version. Wer keine Zeit hat, das zu lesen, nimmt vielleicht gerne mit der deutschen Google-Übersetzung vorlieb (habe gerade keine Zeit für eine ordentliche Übersetzung und die schrägen Computerformulierungen haben ja auch was): 

WER WIR SIND

Das No Big Ship Committee ist ein seit langem etabliertes Komitee mit Sitz in Venedig. Seit 2012, als das Kreuzfahrtschiff „Costa Concordia“ vor der Insel Giglio abstürzte und 32 Menschen starben, kämpft das Komitee dafür, dass Kreuzfahrtschiffe die Stadt vollständig auslöschen. Das Hauptziel des Ausschusses ist der Schutz des Ökosystems der Lagune und die Erhaltung seiner Bewohner: Kreuzfahrtschiffe stellen eine enorme Umweltbelastung für die Stadt dar, verschmutzen die Luft und verpfuschen das hydrodynamische System der Lagune.

Wenn Kreuzfahrtschiffe durch den Giudecca-Kanal fahren, bewegen sie den Meeresboden, was die bereits bestehenden Schäden durch Bergbau und Senkung verschlimmert: Jedes Mal, wenn ein Kreuzfahrtschiff nach Venedig einfährt, sinkt die Stadt buchstäblich.

Während dieser neunjährigen Aktion hat das Komitee zusammen mit Tausenden von Menschen Hunderte von Protesten aufgebaut, und sein Kampf wurde in ganz Europa als Beispiel für den Widerstand einer der fragilsten westlichen Städte angeführt. 

DIE FAKTEN 2017 

Im September 2017 organisierte das Komitee nach einem vom No Grandi Navi Committee organisierten Volksentscheid, bei dem 20.000 Menschen in Venedig gegen Kreuzfahrtschiffe stimmten, zwei Tage Kampf und Debatte zusammen mit allen Umweltkomitees aus ganz Italien und Europa.
Am Ende des zweiten Tages nahmen Tausende von Menschen an der vom Ausschuss veranstalteten Demonstration teil. Die ganze Stadt war dort, am Ufer und auf dem Wasser, segelte mit kleinen Booten, forderte die großen Schiffe auf, die Lagune von Venedig für immer zu verlassen, und genoss die Musik und die Kunst, die von einer großen schwimmenden Bühne kamen. Um die Aktivisten aufnehmen zu können, die kein Boot besaßen, mietete das Komitee einige größere Mittel.
Drei Jahre später wurden die Leute, die diese Boote an diesem Tag steuerten, durch einen enormen Zahlungsauftrag erreicht. 

DIE FAKTEN 2021

Am 4. März 2021 teilte der Hafenkapitän von Venedig sieben Aktivisten des Comitato No Grandi Navi sieben Zahlungsaufträge über einen Gesamtbetrag von 14.000 € mit, der innerhalb von 30 Tagen zu zahlen war. Zu dieser Geldsumme müssen 6.000 € für Anwaltskosten hinzugefügt werden.

Was werden den Aktivisten vorgeworfen? Ihre Schuld liegt darin, dass sie während einer Demonstration im Jahr 2017 Boote gesteuert haben. Dies war eine der vielen Aktionen des Komitees, als die "Barchini" (die kleinen privaten Boote) dem Leviathan-Kreuzfahrtschiff gegenüberstanden.

Diese Art von Aktionen kommt immer aus dem Willen, Venedig, seine Lagune, seine Umwelt und sein Leben gegen die Interessen großer multinationaler Kreuzfahrtunternehmen zu retten. An diesem Tag ereignete sich keine Gewalt. Es gab nur eine große Menge von Venezianern, viele Boote und eine schwimmende Bühne, die Musik und Worte der Hoffnung für die Zukunft der Stadt verbreitete. Die große Beteiligung von Menschen und Booten verzögerte die Überfahrt großer Schiffe, die wahrscheinlich zu beschämend waren, um den Hafen zu verlassen und sich dem Zorn Tausender Bürger zu stellen.

Diese hohe Geldstrafe ist ein weiterer Versuch, den Kampf des Komitees zum Schweigen zu bringen, da Klage und Polizei nicht genug zu sein schienen. Schlimmer noch, die Geldstrafe kommt mitten in einem Studium, in einer Zeit, in der es an Arbeit mangelt und die üblichen selbstfinanzierenden Aktivitäten schwer einzurichten sind. Darüber hinaus ist das Ziel der Geldbuße der jüngste Teil des Komitees, der großzügigste und aktivste, aber auch der prekärste und finanziell fragilste.

Dies ist eine echte administrative Rache, die in einem ganz bestimmten Moment stattfindet. Es ist genau die touristische Monokultur, die die Hauptursache für die enormen Auswirkungen von COVID19 auf Venedig ist. Für viele Menschen, die in Venedig leben, ist Pandemie ein Synonym für Wirtschaftskrise, und darüber hinaus ist dies eine Zeit, in der wir unsere traditionellen Selbstfinanzierungsaktivitäten nicht in Gang setzen können.

Aus all diesen Gründen haben wir ein Crowdfunding gestartet. Weil Dutzende kleiner Boote die Riesen des Meeres aufhalten können, können uns Tausende kleiner Spenden helfen, auf eine so große Ungerechtigkeit zu antworten. Wir brauchen die Hilfe aller, um weiter für Venedig zu kämpfen und unsere Stadt vor Spekulanten zu retten. Wir wollen, dass Venedig denen gehört, die darin leben, und denen, die sie lieben!

 

Aiutaci a difendere Venezia-
Sostieni il Comitato No Grandi Navi

Hilf uns Venedig zu verteidigen -


Möglichst bald! Bis jetzt wurden 6.240 € gespendet, noch bleiben 31 Tage um sich mit einer Spende in die Sache einzumischen. Wenn wir schon weiterhin auf einen Besuch in der schönsten Stadt verzichten müssen...!


Ergänzung 19.3.
NoGrandiNavi plant eine Auktion zur Finanzierung des Strafbescheids

Ergänzung 21.3.
Das Büro von NoGrandiNavi am Campo S. Maria Formosa ist wieder geöffnet. Es können auch da Spenden abgegeben werden. 

NZZ: Venedigs Umweltaktivisten droht eine Busse von 20.000 Euro

Ergänzung 24.3.
4 neue Strafzettel sind unerwartet eingetroffen: bitte Geldbeutel noch mal aufmachen!

Ergänzung 8.4.
Die Fundraisingkampagne war ein Riesenerfolg. Siehe Tweet unten.

40.631 TIMES THANK YOU! We expected solidarity, but didn't expect magic. We reached an incredible amount, and we will keep what exceeds as treasury for activists' legal defend. Thanks everybody for the solidarity! Read the full statement at facebook.com/67850318558048

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12. März 2021

Darf man nicht machen in Venedig!


Organisierter Wettkampf und hochbezahlte Sportarten sind nicht mein Ding. Das, womit sich junge geübte Menschen sportlich amüsieren, finde ich interessanter. In Venedig allerdings gelten spezifische Einschränkungen für den Individualsport, z. B. nicht von den Brücken springen (man springt auch nicht auf eine belebte Straße), nicht in Kanälen schwimmen (in teils ungklärten Abwässern zu baden ist nicht so lecker), nicht Fahrrad fahren und auch nicht schieben (für Verkehrsmittel stehen nur Wasserflächen zur Verfügung). 

Das wissen eigentlich auch alle Besucher*innen spätestens seit die Stadtverwaltung ihre No-go-Liste veröffentlich hat und auch in internationalen Medien über die eine oder andere beträchtliche "Multa" (= Knolle) zu lesen ist.

Fünf junge sehr sympathische Franzosen, die Wizzy Gang, probierten ihre schöne Sportart Parkour am 24. und 25. Oktober an stillen Fondamenten und Kanälen aus, unbeeindruckt von glitschigen Stufen und Warnungen vorbeigehender Einwohner vor der Polizei und der drohenden Knolle. Sie hatten Spass und erfreuten die Nachbarschaft mit ihrem Spektakel, waren aber leider so unvorsichtig, ihre sehr schönen, ungewöhnlichen Videos jenseits von  Venedigidylle und Venedigelegie ins Internet zu stellen. 

Hier zu besichtigen
180.000 Aufrufe, 11.000 Likes.

Leichter hätte man es der venezianischen Strafverfolgung nicht machen können. Nach der Aufregung in den Lokalblättern (...im Morgengrauen von der heiligen Rialtobrücke gesprungen...!) wurde heute die erhebliche Gesamtknolle von 4.435 € polizeilich verhängt. Und ebenso ein Stadtverbot von 48 Stunden, sollten die jungen Männer noch mal in der Stadt aufkreuzen, die ja zu den wirklich gut elektronisch überwachten Orten der Welt gehört. Na, das ist auszuhalten, 48 Stunden nicht in Venedig. Wir alle sind schon seit einem Jahr (mindestens) nicht in Venedig. 
Danke für diesen außerordentlichen animierten Blick auf die schönste Stadt! 

Corriere dell Sera, 12.3. Venezia, parkour tra ponti e palazzi: multate cinque giovani francesi.
Venezia Today, 12.3. Evoluzioni parkour a Venezia, multe per oltre 4mila euro a cinque giovani francesi
La Voce di Venezia, 14.3. Acrobazie spericolate a Venezia sui video:individuati gli acrobati del parkour



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9. März 2021

Eine Frage der Prioritäten

 

Dante und Vergil vor dem Cimitero von Venedig
siehe auch "Dante und Vergil in der Lagune"


Seit gestern gehört Venezien, und damit Venedig, wieder zu den "orangen Zonen" Italiens, vorläufig bis zum 6. April. Das sind die "orangen" Regeln:




Ausgangssperre ist von 22.00 bis 05.00 Uhr
Reisen zwischen einzelnen Regionen und Städten sind nur erlaubt aus wichtigen Gründen
Bars und Restaurants sind geschlossen
Mitnehmen von Mahlzeiten ist an allen Orten gestattet bis 22 Uhr
Essenlieferung nach Hause ist unbegrenzt
Einzelhandelsgeschäfte an Wochenenden, Feiertagen und Tagen vor Feiertagen geschlossen mit Ausnahme von Apotheken, Drogerien, Supermärkten, Tabak- und Zeitungsläden
Museen, Kinos, Theater und Schwimmbäder bleiben geschlossen
ÖPNV darf nur bis 50 % besetzt werden


Meine Vermieterin mailt, das läge nur an Padua, Treviso und Verona - Venedig müsste es ausbaden. Denn gerade Venedig sei wieder besonders beliebt bei Tourist*innen. Ursachen und Wirkungen dahingestellt, Venedig war in den letzten Wochen und vor allem Wochenenden wieder überlaufen, Parkhäuser ausgebucht, Staus auf der Ponte della Libertà. Während der zuletzt kurzen Zeit der "gelben Zone" hatten Italiener*innen und vor allem Bewohner*innen des Veneto Venedig weitgehend für sich und nutzten die Gelegenheit. Die Verantwortlichen der Museen waren begeistert vom heftigen Kunstbedürfnis und verlängerten spontan Öffnungszeiten. Nun ist wieder alles zurückgeworfen auf die Onlineangebote der Kultureinrichtungen. 

Wer wann Venedig betritt und sich wo wie lange aufhält weiss man dank des Controll Center auf dem Tronchetto ganz genau. Man weiss auch, dass die Zahl ausländischer Besucher*innen wieder zunimmt, insbesondere aus Frankreich, Spanien, Deutschland. Mitte Februar zum Beispiel, genauer am Wochenende 13./14.2., waren es 2.200 "Ausländer", die in den Massen zu Vor-Covid-Zeiten den Venezianer*innen niemals aufgefallen wären, jetzt aber neben der elektronischen Überwachung auch dem nackten Auge, einfach durch ihren touristischen Schlendergang.
Die Lokalmedien wundern sich mit den Einheimischen dass sie den Bewegungs- und Besuchseinschränkungen der diversen Zonen unterliegen, Europäer*innen aber munter grenzüberschreitend reisen dürfen? Obwohl Spassreisen eigentlich von den meisten Ländern nicht vorgesehen sind, derzeit?

Hinweise des Auswärtigen Amtes zu Italienreisen, Stand 9.3. (wird mit aktuellem Datum upgedatet.)

Das liegt an der Freizügigkeit innerhalb der EU, die Reisen innerhalb der Mitgliedstaaten nicht verbieten, sondern nur Warnungen (siehe Deutschland) und "Entmutigungen" aussprechen kann (Frankreich: "Aufgrund der aktiven Verbreitung des Covid-19-Virus und all seiner Varianten sind alle Bewegungen von Frankreich ins Ausland völlig und streng nicht empfohlen."). Frankreich formuliert weiter: "Die Einreise nach Italien ist durch Vorlage des negativen Ergebnisses eines molekularen oder antigenen Tests, der in den 48 Stunden vor der Abreise durchgeführt wurde, gestattet". Andernfalls müssen "Reisende eine 14tägige Quarantäne in Italien durchführen". Wegen dieser Quarantäneoption dürfen Fluggesellschaften den Passagieren ohne vorliegendes Testergebnis nicht den Transport verweigern. In diesem Fall sind einreisende Passagiere verpflichtet, sich zur Quarantäne bei der regionalen Gesundheitsbehörde zu melden, die ihrerseits dem Gesundheitsministerium meldepflichtig ist. 
Als Regel für alle EU-Länder gilt dann die "treuhänderische Isolation" unter Überwachung der zuständigen Gesundheitsbehörde und der Vorlage einer "Selbsterklärung" die eine Reise ohne dringende Motivation ermöglicht, unabhängig von den länderinternen Bewegungseinschränkungen der EU-Mitglieder. Wer so aus Berlin oder Paris in Venedig einreist, darf sich innerhalb der Grenzen der Metropole Venedig frei bewegen, ein Paduaner oder eine Veronesin darf in die orange Zone Venedig gar nicht erst rein.

Ich bin seit 16 Monaten zuhause und nicht unterwegs und würde gerne wieder reisen. Aber ich gehöre zu den Privilegierten, die alle Pflichten erledigt haben, ihre eigene Gesellschaft vorziehen und sich ihrer Bibliothek erfreuen, die eine lange interessante Selbstisolation garantiert. Bis es denn irgendwann mit der Impfung klappen sollte. Also ich jammere nicht, ich beneide niemanden.
Und ich habe die derzeitigen Einreiseverfahren in Venedig nicht getestet. Aber wenn an einem Wochenende 2.200 elektronisch gezählte Ausländer*innen in Venedig herumlaufen, kann es mit dem System der negativen Tests, freiwillig angemeldeten und behördlich kontrollierten Quarantänen und den selbsterklärten Reisemotivationen nicht so weit her sein. 

So verbreiten sich Pandemien, oder? Immer wieder von einer Welle zur nächsten. Lockdowns und Grenzen auf und zu, Leute rein und raus. Die Virolog*innen reden sich fusslig, die Regierungen orientieren sich an wirtschaftlichen Interessen, das Volk (Teile davon) sucht Regelungen auszutricksen und Schnippchen zu schlagen. Der nächste komplette Lockdown in Italien grüßt nicht weit entfernt, in Deutschland trifft uns die 3. Welle in Kürze, und zwar hart.
Die Priorität bei der Überwindung einer Pandemie ist doch nicht, sie zu ignorieren und egal zu welchem Preis ein "normales" Leben weiterzuführen, während ringsum Menschen krank sind und sterben. Es geht darum, sie mit allen verfügbaren Mitteln an ihrer Verbreitung zu hindern, indem wir ihr unsere Körper entziehen, die das Virus für seine Vermehrung braucht. Reisen ist ein Luxusproblem, wenn es um viele bedrohte Leben geht. 
Wirtschafts- oder Gesundheitspolitik? Kultur oder Fahrschulen? Schutz der Kinder oder Präsenzunterricht? Reisen oder Leben? Mit den richtigen Prioritäten könnte man aufhören, die Grenzen des Durchhaltevermögens aller Beteiligter auf die Probe zu stellen. 


Ergänzungen

9.3., 3 Stunden später:

Da die Zahl der Infektionen rasant steigt, erfolgt der automatische Eintritt der roten Zone für ganz Italien, sobald 250 Fälle pro 100.000 innerhalb 7 Tagen überschritten werden. Automatisch heisst, die Entscheidung liegt nicht mehr im Ermessen der Regionalregierungen und autonomen Provinzen. 

Veneto wird Rote Zone ab 15.3. bis einschließlich Ostern
Ministerium für Gesundheit: Gültige Regeln für die Roten Zonen
Offizielles Formular der Eigenbescheinigung für notwendige Mobilität in einer roten Zone

12.3. La nuova  Veneto in zona rossa: chiudono le scuole, asili compresi
12.3.The Guardian  Italian government approves strict new Covid measures as cases rise
12.3. Domani Ecco cosa prevede il nuovo decreto: a Pasqua tutta Italia in zona rossa
12.3. Metropolitano.it Pasqua in rosso. Ma con visita ai parenti



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