24. April 2010

Mazzorbo


Mazzorbo gehörte mit Torcello zu den ersten Inseln, die in der Lagune als Fluchtort besiedelt wurden, lange bevor es Venedig gab.
Und sie war wie Torcello
sehr dicht besiedelt und wohlhabend durch ihren großen Hafen, der fast den gesamten Handel nach Norden (die Route Alemagna) zollmäßig abwickelte.
Vor allem war sie auc
h kirchlich gut aufgestellt mit diversen Pfarrgemeinden (S. Pietro, S. Bartolomeo, S. Angelo, S. Stefano, SS. Cosma e Damiano,) und Klöstern (S. Eufemie, S. M. Valverde, S. Maffio, S. M. delle Grazie, s. Michele Arcangelo und S. Caterina).
Auf alten Karten sticht das heute unscheinbare Mazzorbo durch Größe und Bebauung vor Torcello (siehe mehrere Einträge zu Torcello unter dem Label 'Insel') und Burano hervor.


Ein Haus mit besonderem Geschmack - eher buranisch als mazzorbisch

Burano war dagegen 'nur' die Insel der Fischer und dabei blieb es; dort drängeln sich heute die Tagesausflügler zwischen freundlichen Buranelli.
Während die Leute von Mazzorbo und Torcello schon a
b dem 11. Jahrhundert ihre Häuser abbauten und mitsamt ihrem Baumaterial weiter nach Süden zogen, zum neuen Magneten Rivoalto, dem künftigen Venedig.
Hinterlassenschaften zieren als einzelne Marmorspolien die
Inselhäuser, und werden immer noch dank archäologischer Bemühungen oder Zufallsfunden der Bewohner entdeckt.

Eingang ehemaliges Kloster S. Caterina


Der Kanal zwischen Mazzorbo und Maz-
zorbetto, durch den heute das Vaporetto fährt, war als Canal Grande gesäumt von stattlichen Palazzi, bevor es
den venezianischen Canal Grande gab, man sieht hier und dort noch ein gotisches Fenster, z. B. in der schönen kleinen Casa S. Caterina auf Mazzorbetto. Aber was nicht beim Exodus der Jahrhunderte mitgenommen wurde, hatte wiederum Jahrhunderte Zeit, zu verrotten und Platz zu machen für die heutigen Gemüsegärten, gesäumt von schlichter ländlicher Architektur.

S. Caterina - Kirche
nheizung! Vergitterte Nonnenempore!

In allen Büchern wird der Exodus mit Malaria begründet, aber ich frage mich, ob Burano kein Malariaproblem hatte, während Torcello und Mazzorbo geräumt wurden? Oder konnten sich nur die Wohlhabenden, die Geschäftsleute, Patrizier, InsassInnen reicher Klöster, nicht aber die Fischer, diesen Umzug leistern? Oder war die Malaria nicht die wesentliche Ursache, sondern das Kapital, das umzog, und der Handel, der ein aktiveres Zentrum installiert hatte?
Innenhof S. Caterina

Ich habe
eine Website auf italienisch gefunden, auf der man auch ohne Sprachkenntnisse einen Eindruck vom ehemaligen großen Mazzorbo gewinnen kann ohne seine Vorstellungskraft zu sehr strapazieren zu müssen. Beeindruckend, finde ich!


Die alte Baukunst ist hinüber, wer sich für zeitgenössisches Bauen interessiert, findet auf Mazzorbo eine in Fachkreisen ziemlich bekannte Anlage von Sozialwohnungen des Architekten und Planers Giancarlo De Carlo,
die sich an die Bauweise der Häuser auf Burano anlehnt und auch deren Farbigkeit, ein bisschen zaghaft, andeutet. Es gibt sogar einen kleinen Kanal, aber die Anlage hat trotzdem ihren sehr eigenen Charakter und ist auf keinen Fall "wie Burano", nicht im Draufschauen und nicht im Durchgehen.


Sozialwohnungsanlage auf Mazzorbo







Auf Mazzorbo findet man nicht die heitere Urlaubskuschlichkeit, die die Buranelli ihren Gästen für ein paar Stunden vorzaubern, und schon gar nicht das kostbare veneto-byzantinische Erbe Torcellos, aber als Teil des Mosaiks der nördlichen Laguneninseln und mit sehr freundlichen Bewohnern ist Mazzorbo unbedingt einen Besuch wert.

Unterwegs nach Mazzorbo - verfallenes Inselkloster Madonna del Monte. Im Hintergrund links Mazzorbo, rechts mit schiefem Campanile Burano

Am besten mit einem frühen Vaporetto (der Linie N z. B. um 8 Uhr ab Fondamen-
te Nove, Haltestelle auf Hö
he der Gesuiti-Kirche), um am Morgen/Vormittag in Ruhe einmal um die Inseln zu wandern. Ab Haltestelle Mazzorbo nach rechts (Süden), immer den Kanal entlang, bis zur einzig übrig gebliebenen Kirche, der des Klosters S. Caterina (ab ca.9 Uhr geöffnet). Im letzten Herbst waren am Seitenkanal Brückenarbeiten im Gange. Die Kirche ist schlicht, aber mit einer Heizung (!) ausgestattet, sieh an! Sie hat eine sehr schöne Schiffskiel-Kassettendecke, eine der früher üblichen Nonnenemporen im restaurierten Zustand und einem stimmungsvollen kleinen Innenhof (kein Kreuzgang).

S. Michele Arcangelo -
zeitgenössische Friedhofskirche im byzanti-
nischen Stil auf Mazzorbo

An der Ostseite der Insel geht man am Fr
iedhof für die Bürger von Mazzorbo, Burano und Torcello vorbei wieder Richtung Norden. Auf dem Friedhof herrscht das blühende Leben, in der heftig bunten Blumenpracht, den Grabfotos und vor allem in den munteren Sozialkontakten der grabpflegenden Bevölkerung. Hier wünscht man sich, die venezianische Sprache zu beherrschen, mehr als in einer Bar in Venedig. Die neu erbaute kleine Friedhofskirche im byzantischen Stil ist nach der ehemaligen Kirche S. Michele Arcangelo benannt und erinnert ein bißchen an peloponnesische Feld- und Wiesenkirchen.

Campanile des alten S. Michele Arcangelo aus dem 11. Jahrhundert

Von der ehemaligen S. Michele Arcangelo-Kirche ist nur ein auffall-
ender Campanile mitten im Weinfeld nebenan erhalten.

Blick von oben auf Mazzorbo (auf Luftbild/Vogelperspektive klicken)

Zur Krönung des Mazzorbo-Ausflugs empfehle ich NICHT, über die Brücke nach Burano zu wandern, sondern an den Sozialbauten vorbei links herum an die Vaporettohaltestelle zurückzukehren und ein gepflegtes Mittagessen Alla Maddalena einzunehmen.

Trattoria Alla Maddalena am Vapo-
retto-Stop Mazzorbo


Diese ländliche Familien-
trattoria ist nur mittags geöffnet und hat Tische im Garten und zum Kanal. Es gibt normalerweise zwei einfache gute Menüs zur Auswahl, tendeziell meeresfruchtig, zu normalen Preisen. Zur Jagdsaison gibt es wohl auch selbst geschossenes Lagunengeflügel. Allgemein geben die Inselbewohner hier im Nor
den gerne mit ihren herbstlichen Jagdgästen an, vom früheren Hemingway bis zum heutigen König Juan Carlos, der jährlich zum Entenschießen kommt, wie man hört. Aber vielleicht wird es auch nur erzählt, weil es die Touristen hören wollen? Jedenfalls essen auch Einheimische hier, sonntags ist der Laden von Venezianern ausgebucht.
Die Ruhe hier am Kanal mit ab und zu vorbei tuckernden Vaporetti und Inselbooten ist einfach wunderbar, nicht zu vergleichen mit dem Rummel auf Burano.


Es gibt auf Mazzorbo kein Hotel, wie auch nicht auf Burano, aber seit letztem Jahr soll es eine Jugendherberge mit ca. 25 Betten geben, die ich allerdings selbst noch nicht gesehen habe. Bei meinem nächsten Besuch prüfe ich die Information.


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20. April 2010

People Mover in Betrieb

Gestern wurde der People Mover für Fahrgäste in Betrieb genommen. Ich hatte über den Probelauf im Dezember berichtet.

Die Eröffnung hat sich ein bisschen verspätet, aber es ist bei den angekündigten moderaten Preisen von 1 € für die Einzelfahrt und 15 € für die Monatskarte geblieben.

Das Ding als "neue Attraktion" Venedigs zu bezeichnen, (N-TV), geht hart an die Grenze des von Einheimischen so beklagten "Disneylands". Als sei Venedig ein Vergnügungspark mit Fahrgeschäften wie Gondeln, Vaporetti und People Movern. Und demnächst, mit Rückenwind durch den neuen Bürgermeister Giorgio Orsoni, mit der Sublagunare vom Flughafen in die Stadt und auf die Inseln Murano und Lido.
Aber vielleicht ist das ja die Geheimidee. Alle Tagestouristen auf die Transportmittel als "Attraktionen" verfrachten, herumfahren lassen und wieder nach Hause schicken?


Der People Mover ist gut für die Kreuzfahrtreisenden, die mal schnell Venedig "sehen" wollen, auf jeden Fall praktisch für Reisende, die ohne Fahrzeug die Fähren nach Griechenland nehmen (wer je zu Fuss mit Gepäck zum Anek-/Minoan-Terminal gelatscht ist, wird ihn zu schätzen wissen), und auf jeden Fall schneller vom Piazzale Roma zum Tronchetto als das Vaporetto. Das betrifft dann vor allem die Nutzer der Parkhäuser.

Und eine "Attraktion" ist er dann vielleicht doch, weil er neue Perspektiven auf einige Gebäude eröffnen könnte, wie die Kirchen an der Zirada, dem Knick des Canal Grande.

Fotos folgen im Mai.

ORF
Vorarlberg online
Südtirol online

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17. April 2010

Kein Flieger in Venedig...

Fliegerfreier venezianischer Himmel über S. Elena, Richtung Nordwesten
(Foto von der Biennale 2009)



... und ich frage mich hier, wie ist das in Venedig zur Zeit?



Normalerweise landet alle paar Minuten eine Maschine, was man an den Fondamente Nove und in der Laguna Nord ja gut beobachten kann.
Was macht diese Stadt ohne Nachschub der ungeliebten, aber dringend benötigten Touristen?

Wird es fühlbar leerer in den Gassen?
Freuen sich die Einheimischen, die nicht vom Tourismus leben, über eine kleine Frühlingspause?


Die Comune Venezia teilt auf Facebook mit:

Vulcano Eyjafjallajokull: situazione seguita dalla Prot. civile del Comune. Se necessario sarà attrezzata un'area pernotto in aerop. Tessera

Übernachtungsmöglichkeiten sollen auf dem Flughafen eingerichtet werden.

Der Flughafen Marco Polo teilt auf seiner Website mit:

ERUZIONE VULCANICA IN ISLANDA

VOLI CANCELLATI SUGLI AEROPORTI DEL NORD ITALIA DALLE H. 08.00 DI SABATO 17 APRILE, ALLE H.08.00 DI LUNEDI 19 APRILE.

FLIGHTS ARE CANCELLED ON THE AIRPORTS OF THE NORTH OF ITALY FROM 08.00 AM APRIL,17TH TO 08.00 AM, APRIL 19TH.

A causa dell'eruzione vulcanica in Islanda, si raccomanda ai passeggeri di contattare la loro compagnia aerea prima di avviarsi verso l'aeroporto.

Si consiglia di considerare mezzi di trasporto alternativi.

( Es. http://www.ferroviedellostato.it/ )

Ci scusiamo per i disagi.

Due to Icelandic volcano eruption, passengers are strongly recommended to contact airlines for further information before travelling to the airport.

We suggest to consider alternative means of transport.

( Es. http://www.ferroviedellostato.it/homepage_en.html )

We apologize for any inconvenience this will cause.


Ich jedenfalls genieße, in der weiteren Einflugschneise Köln-Bonn lebend, die stille sternklare cargofreie Nacht und heute nachmittag, lesend im Freien, einen blauen Vogelfrühlingshimmel ohne fliegende Technik.


Und hoffe, dass ich im Mai an den Fontamente Nove sein kann...



Morgenverkehr an den Fondamente Nove, S. Michele im Nebel (ebbonn)
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5. April 2010

Palazzo Fortuny


Blick vom Dachboden des Palazzo Fortuny auf San Luca

Mein erster venezianischer Palazzo war vor vielen Jahren der Palazzo Fortuny, per Zufall und eine heftige Enttäuschung. Wie jemand freiwillig in diesem extrem düsteren und melancholischen Verlies wohnen und arbeiten mochte, konnte ich nicht nachvollziehen.

Nachdem ich mittlerweile viele Palazzi von innen gesehen habe, habe ich im September 2009 meine Erinnerung überprüft und meinen ersten Eindruck revidiert. Zu besichtigen waren damals nur Parterre und erste Etage, als Ausstellungsräume der Hinterlassenschaft des spanischen Künstlers Mariano Fortuny. Ein Werk, das verwirrend vielseitig im intimen Halbdunkel seiner privaten Räume präsentiert, herausfordern und irritieren kann.

Blick vom 2. Piano Nobile auf den Canal Grande

(Im Laufe der Jahre gab es eine Sammlung von Fortuny in meiner Stadt Bonn zu sehen, in der vertrauten Bundes-
kunsthalle, als Teil der hier schon mehrfach erwähnten Ausstellung
"Venezia!". Man konnte sich auf die Exponate konzentrieren, was als Zwischenschritt hilfreich war.)


(Foto: Ausschnitt aus der Website der Bundeskunsthalle Bonn, "Venezia")


Mariano Fortuny
Djellaba

1933
Venedig, Museo Fortuny,
Foto Claudio Franzini.

Gewand aus strukturiertem Seidensamt,

mit orientalisierenden Motiven aus dem 17. Jahrhundert
bedruckt. Ähnliche Gewänder verkaufte Fortuny in
eigenen Läden in Venedig, Paris und London.





Seit meinem ersten Besuch wurden die oberen Etagen des Palazzo Fortuny restauriert. Zu meiner Überraschung scheint es nur kleine "Hintertreppen" im Haus zu geben, keines der üblichen aufwändigen Treppenhäuser zumindest zwischen Wassergeschoß und dem 1. und 2. Piano nobile. Aber dafür hat man von den Treppen wunderschöne Ausblicke auf die Dächer und Schornsteine der Nachbarschaft.


Blick vom 2. Piano nobile

Die Ausstellung im letzten Herbst, "In-Finitum", hat mich trotz der enormen Konkurrenz der Biennale begeistert. Die Ausstellung breitete sich auf allen vier Etagen des Hauses aus.
Das völlig fensterlose Parterre wirkte wie ein Burgkeller.
Die Fortuny-Hinterlassenschaft
in den dunklen Wohnräumen der 1. Etage gemeinsam mit den Werken von "In-Finitum" ergab ein erstaunliches Zusammenspiel, angenehm überraschend waren die vielen komfortablen Sitzgelegenheiten, Sofas und orientalischen Matratzen entlang der Wände. Man konnte sich überall niederlassen und aus den unterschiedlichsten Positionen die Ausstellung auf sich wirken lassen.

Dachboden Palazzo Fortuny

Und dann! wurde es licht im 2. Piano nobile und auf dem völlig unerwartet ausgebauten Dachboden. Mein erster venezianischer Dachboden! Mit einem wunderbaren Blick zum Canal Grande, zum Fenice hinüber, zu vielen Altanen und Kirchtürmen. Die Ausstellung hatte hier Raum und Sonne - konnte man in den unteren Etagen in Dunkelheit meditieren, konnte man hier oben ausatmen.

Nach dieser Erfahrung werde ich künftig das Museum Fortuny mit möglichst jeder neuen Ausstellung wieder besuchen und mich überraschen lassen.
Das Museum war über den Winter (zu weiteren Renovierungen?) geschlossen und hat erst vor einigen Tagen wieder eröffnet.




Blick vom Dachboden auf das Bühnenhaus des Fenice








Aktuelle Ausstellungen bis zum Sommer sind:

Im Parterre Ausstellung France
sco Candeloro "Città delle Città" (Video anklicken!)
1. Etage
"Fortuny. La Seta e il Velluto" (Die Seide und der Samt)
2. Etage
"Samurai"

(Die verlinkten Texte erscheinen auf italienisch. Bitte auf der Site links oben auf "english" klicken, dann auf der rechten Spalte ins Menü "Spring in Palazzo Fortuny". Hier sind alle Texte auf englisch zu finden.)


Leider ist auf der Website keine Rede vom Dachgeschoss, ich hoffe, es wird wieder bespielt. Im Herbst war auch der Museumsshop hier oben untergebracht, der laut Plan jetzt wieder tiefer zu liegen scheint.
Ich werde mich überraschen lassen.

Vaporetto 1, 82, S. Angelo, Gasse geradeaus-links-rechts-links-weiter bis zum Campo S. Beneto, ca. 5 Min. zu Fuss.



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