4. Juli 2021

Venedig im 18. Jahrhundert - für Sehnsüchtige


 
Ein (mir) unbekannter Autor, ein sachlicher Titel - Buch auf:
ein venezianischer Funkenflug!


Philippe Monnier: Venedig im achtzehnten Jahrhundert

Erschienen im April, setzte der Perlentaucher dieses grandiose Buch auf die Liste "Sachbuch des "Monats" im Juni.

Zwei detaillierte Rezensionen habe ich gefunden.
Wolfgang Matz schreibt in der FAZ vom 2.7. "Wo die Lust zu leben so beseeligend gewesen sein muss" sachkundig und hingerissen eine Hymne; Hanns-Josef Ortheil nimmt am 7.5. in seinem Blog sogar in Anspruch, für "Das schönste Venedig-Buch" die Wiederauflage des Buches durch Die andere Bibliothek mit initiiert zu haben. Der Autor des 32seitigen Nachworts ist er außerdem, rundet die Lektüre ab und ergänzt versiert.
Léon Giogoli schreibt einen guten Beitrag zu seiner Arbeit an der Gestaltung des Buches.


In diesen d3 Texten sind eigentlich alle Informationen zu diesem Buch bereits enthalten und befriedigend formuliert. Soll ich ergänzen, dass es mehr ist als eine literarische Zeitreise eines überaus belesenen Autors, der 
seinen Leser*innen Vollstoff seine grenzenlosen Kenntnisse venezianischer Musik, Malerei, Theaterkunst, Traditionen, Moden, Feste, des Einhaltens und Übertretens gesellschaftlicher Regeln, der Klassen der Venezianer*innen im 18. JH ausbreitet?

Mithilfe eines unglaublich inspirierten Wortschatzes (Übersetzung: Rudolf Engel), einer kreativen Sprache und einer atemberaubenden Sinnlichkeit der Formulierungen? Fast durchgängig im Präsens, der Gerüche mitriechen, Geräusche mithören, Geschmäcker mitschmecken, Musik mitgeniessen, Farben mitbewundern, Gespräche miterleben, Düfte mitempfinden lässt - unweigerlich,  beim Lesen? 

Mitreissende Beschreibungen, unerwartete Details, Dinge, die man schon immer wissen wollte über Venedig oder bisher noch nie so Konkret und/oder spannend lesen konnte (z. B. Cicisbeo: dass Lord Byron genervt war, als offizieller Cicisbeo (und inoffizieller Geliebter) Teresa Guicciolis "Schal zu falten" wissen wir ja, aber Monnier erklärt das Spezialsystem der venezianischen Ehe!). Sein 500-Seiten-Werk zu lesen ist unverzichtbar vor allem in diesen Zeiten der unerfüllten venezianischen Reisesehnsüchte. Ich versichere aus frischer Erfahrung: neben seinen vielen weiteren Qualitäten ist dieses Buch ein Trost.

(Geschenkeplanung! Nicht nur für Venedigliebhaber*innen, sondern auch für Menschen, die Bücher der "Andere Bibliothek"-Qualität schätzen.)

Nach Venedig zu reisen ist schon lange eine bürgerliche Flucht in eine 'glücklichere Zeit', die mithilfe von Kunst, Architektur, Geschichte befristet vor der Banalität des Alltags rettet. Ich weiss nicht, ob das 18. JH mit dem spür- und sichtbaren Niedergang Venedigs tatsächlich die "glücklichste" Zeit der Serenissima war. Aber Monnier zeigt nicht nur mit seinen Kenntnissen, sondern auch mit leidenschaftlicher Bewunderung, wie der Niedergang "der Heitersten" zelebriert wurde. Kein anderes Buch (das ich kenne) beschreibt diese Zeit besser, detaillierter und mit mehr Hingabe ans Thema. 

Ein erneuter Niedergang Venedigs findet gerade statt, unweigerlich trotz aller Bemühungen, dem Lauf der Dinge in den Arm zu fallen. Wir wissen (zum Glück?) nicht, wie Venedig in 100 Jahren leben wird (falls überhaupt, bei schon jetzt unkontrolliertem Anstieg des Meeresspiegels). Aber es bleiben über die Jahrhunderte hinweg einige Bücher, die uns die Lebensezeit Venedigs erhalten. Gut, dass dieses neu aufgelegt wurde und dazu gehört.
 

Nachtrag 6.7.
Siehe Details in den Kommentaren unten.
Auf Nachfrage eines Korrespondenten (danke nochmal, Aldebaran!) erfuhr ich vom Verlag 'Die andere Bibliothek', dass die Auflage von 3333 Ausgaben fast vergriffen ist und ein Extradruck in einer nicht ganz so üppigen Ausstattung aufgelegt wird. Er erscheint im August 2021.

"...das ist wohl ein Datenübertragungsfehler, das Buch hat natürlich in beiden Ausgaben knapp 500 Seiten.
Die neue Ausgabe für 24€ ist unser Extradruck in einer nicht ganz so üppigen Ausstattung, denn die Originalausgabe ist ja limitiert und inzwischen fast vergriffen."



Venedig 1764


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