28. Juni 2009

Palazzo Grimani bei S. Maria Formosa

Palazzo Grimani

(Quelle Bing Maps) Oben rechts der Campo S. Maria Formosa.
Der Raum der Tribuna ist zu erkennen am Glastürmchen im linken Gebäudeteil. Der Bildausschnitt ist beweglich.
Ich habe am 23.12.08 über die Eröffnung des neuen Museums Palazzo Grimani berichtet.

Eingang Landseite, alles was vom Palazzo von der Landseite zu sehen ist.

Ich habe den Palazzo jetzt besucht: schon der erste Eindruck beim Betreten des Innenhofes ist überwältigend, weil von der Landseite nur die
bescheidene Breite des Eingangstores zu sehen ist und um die Wasserseite zu sehen, muss man wissen, wo man zu suchen hat. Stadtplan!

Der riesige Kasten wurde nach dem Erlöschen der Familie Grimani 1865 völlig gefleddert und leergeramscht, alles, was nicht niet- und nagelfest war, verkauft, inklusive des Pozzo (Brunnenkopfes) an dessen Stelle der Boden mit einer Metallplatte versiegelt ist.
Etwas verklemmter Blick auf die Wasserseite des Palazzo Grimani, von der Brücke über den Rio di San Servero/Calle dell'Ospedale
Die wertvolle Sammlung antiker Marmorstatuen des Kardinals Dom
enico Grimani, bei seinem Tod 1523 der Republik Venedig vermacht, wurde zunächst in 28 Holzkisten im Dogenpalast aufbewahrt, aber bei einer Überprüfung 1586 waren es nur noch 16. (Fledder also auch hier.) Die Marmorstatuen wurden dann bis auf Weiteres in der "Stanza delle Teste" aufgestellt und Künstlern zugänglich gemacht.
Portal mit "Museumsschild"

Der Neffe des Kardinals, der Patriarch Giovanni Grimani, war Besitzer einer noch größeren Sammlung und ließ vor allem für die Präsentation seiner Antiken den Palazzo umbauen und ausschmücken, ein Lebensprojekt. Auch er bot 1587 der Republik seine Schätze als Schenkung an, unter der Bedingung, dass sie in einem würdigen Rahmen der Öffentlichkeit zur Verfügung stünden. Der Vorsaal der Bibliothek von San Marco wurde als Skulpturengalerie umgebaut und die Antiken komplett ab 1596 im Statuario Publico der Serenissima, die zum Archäologischen Nationalmuseum wurde, ausgestellt.
Der Palast stand nach seiner völligen Plünderung leer und moderte entsprechend vor sich hin, die Restaurierungsarbeiten dauerten 27 Jahre und sind bisher nicht abgeschlossen. Zu besichtigen ist bisher "nur" das erste Stockwerk, das zweite ist in Arbeit.

Die Renovierung läßt mich sprachlos bewundern: Fresken und Stuck der Treppe und einzelnen Räume nach Themen der griechischen Mythologie sind von überwältigender Frische und Schönheit. Bereiche, die völlig zerstört waren, wurden nicht ergänzt. Es gibt einen Raum mit einer Voher-Nachher-Präsentation, die ansatzweise die Leistung der Restauratoren nachvollziehen lässt.

Ecke des Innenhofes

Ich hatte gehofft, dass die Tribuna, ähnlich wie in der Ausstellung "Venezia!" in Bonn 2002 mit den Originalexponaten aus dem Archäologischen Nationalmuseum ausgestattet sein würde, ist aber leider nicht der Fall. Nur die Statue des Ganymed, der von einem Adler geraubt wird (Duplikat in der Accademia) hängt wie ursprünglich an einem Drahtseil in der Kuppel der wunderbaren sonnenhellen Tribuna, dass einem der Atem stockt. Aber die Nischen, in denen (nach Inventarlisten des 16. Jahrhunderts) einst 126 Skulpturen (!!) ausgestellt waren, sind leer.
In einigen Räumen sind einzelne Skulpturen aufgestellt, an denen während der Führung die Restaurierungen und Ergänzungen die im 16. Jahrhundert oder später vorgenommen wurden (Kopf passt nicht, Ersatzarm hat eine zur Statue nicht passende Haltung etc.) schön erläutert werden.


Wobei wir bei der Führung wären. Ich war die einzige Besucherin dieser Führung (Sonntagmorgen 9:30 Uhr). Eine junge Kunsthistorikerin hat mir also eine über einstündige Privatführung geboten. Zwar auf italienisch (keine weitere Sprache), aber da ich vorbereitet war, schätze ich, dass ich immerhin gut die Hälfte verstanden habe. So gesehen war es auch noch eine Italienischlektion in qualifiziertem Vokabular.

Aber trotz (obligatorischer) Internetanmeldung wurde mir die Tür erst geöffnet
, als ich nach einigem Warten entschlossen eine popelige Türklingel gedrückt habe, die ganz versteckt an der Seite des Eingangsportals angefrickelt war. Vier weitere Interessenten, die sich meiner Warterei spontan (ohne Internet-Anmeldung) angeschlossen hatten, wurden abgewiesen. Nirgends in der Stadt wird für den Besuch des Museums geworben, auf der Website der Comune Venezia habe ich bisher keinen Hinweis gefunden.

Ich habe den leisen Verdacht, dass man an "Normal"-
Besuchern nicht wirklich interessiert ist. Vielleicht an "Fach"-Publikum wie Kunsthistorikern, Restauratoren, Architekten, Archäologen, Fachhandwerkern, und -innen, und Studierenden aus diesen Bereichen? Hat das Projekt nur offiziell den Titel "Museum", um damit einen bestimmten Status herzustellen, der Mittel sichern und im Wesentlichen den Fortgang der Restaurierung garantieren soll?
Denn die Einnahmen der Eintrittsgelder können sich nicht rechnen, nach meiner Privatführung geschätzt. Ich weiss es nicht!
Ecke des Innenhofes mit Aufgang zum Museums-Rundgang, Stuckverzierung (Obstkörbe!) oberhalb der Säulen
Besuchens- und sehenswert ist der Palast unbedingt, auch wenn er nicht so "bewohnt" und kuschlig bürgerlich wirkt wie z. B. der Palazzo Querini-Stampalia direkt um die Ecke. Das Haus ist völlig unmöbliert, es gibt auch nur wenige zurückgekehrte Gemälde (herausragend das Bosch-Triptychon, irritierend und faszinierend). Man kann hier auch nicht, wie dort, unbehelligt herumschlendern, sondern ist auf den Rahmen einer anspruchsvollen und hochinterssanten Führung angewiesen.

Schlussfolgerung: hingehen und falls nötig gleich am Eingang sagen, dass man nicht gut italienisch kann (wie ich). Mit der Nachfrage das Angebot fördern. Und vor allem mit der Nachfrage das Interesse an schön und wissenschaftlich restaurierten Palästen beweisen, im Gegensatz zur profitorientierten Restaurierung zu Hotelzwecken!

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2 Kommentare:

Beatrice hat gesagt…

Ich war vor ein paar Tagen dort, erstens wegen Ihres Artikels und dann, weil rein zufällig eine Freundin vor einer Woche dort bei Konzerten eines Münchner Barockensembles mitgewirkt hat. Die Türsteher haben sie wiedererkannt und erlaubt, dass wir ganz allein so lang wir wollten in den atemberaubenden Sälen herumwandern, staunen und fotografieren konnten. Unglaublich, aber angenehm, dass sich dort keine Reisegruppen drängen..
Ich finde Ihren blog hochinteressant, danke für viele Anregungen! Ich hoffe ganz leise, dass ich irgendwann einmal unter Ihrer Führung noch ein paar Orte entdecken werde. Dann aber nicht im Sommer- ich fahre immer anfang Januar hin und vl hab ich ja auch ein, zwei Ecken, die Sie noch nicht kennen. Waren Sie zB schon im zauberhaften Garten des Casino degli spiriti..?
Beate

ebbonn hat gesagt…

Liebe Beatrice,
danke für den freundlichen Kommentar und nein, das Vergnügen des Casino degli spiriti hatte ich leider noch nicht, aber den Garten hinter der Mauer, den der Casa Cardinal Piazza, kenne ich.

Der Palazzo Grimani ist meistens leer, bei der Größe verlaufen sich die wenigen Besucher*innen einfach. Und, wie Sie sagen, keine Gruppen! Nur wenn die akademischen Mitarbeiterinnen des Museums Voträge anbieten, qualifziert und mit Herzblut, versammeln sich 20-40 ältere Vetreter*innen des venezianischen Bildungsbürgertums und ein paar Tourist*innen... wie schön, dass es 2 neue Bewunderinnen dieses tollen Museums gibt!

Herzliche Grüße!