3. März 2014

Scuola di Sant' Orsola


Die ehemalige kleine Scuola di Sant' Orsola, die Vittore Carpaccio mit dem Bilderzyklus der Hl. Ursula (heute in der Accademia, Saal 21) ausstattete, wird in Kunstreiseführern als "nicht erhaltener Anbau an SS. Giovanni e Paolo" aufgeführt. Wenn überhaupt!

Im Oktober 2013 habe ich ein bisschen zu Carpaccio recherchiert, die Neugier führte von einem Buch zum näch-
sten, mehr Informationen werfen mehr Fragen auf, ich werde ungeplant schlauer und bekomme Antworten auf Fragen, die ich ursprünglich gar nicht stellte. Das Gebäude der Scuola di Sant' Orsola erweist sich für mich überraschend als erhalten.


Viele Gebäude in Venedig sind in über 1000 Jahren entstanden, haben sich verändert oder sind verschwunden. Aber vor allem sind viele Gebäude erhalten aus dieser langen Zeit, in unter-
schiedlichen Qualitäten und in über die Jahrhunderte wech-
selnden Verwendungen. Gerade im letzten Jahrhundert fand ja ein umfangreicher Wechsel in der Nutzung von großen Strukturen statt, der sich fortsetzt und verstärken wird. Paläste werden einerseits erhalten als Museen (z. B. Grimani) oder Ausstellungsräume (z. B. Corner della Regina), oder als Hotels überall in der Stadt, auch ehemalige Industrieanlagen (z. B. Molino Stucky), Inselklöster (z. B. S. Clemente),  aber andererseits eben ungeniert verkauft an italienische Konzerne, international vernetzt, denen der Sinn nicht nach Denkmal-
pflege, sondern Gewinn steht, siehe z. B. der Fondaco dei Tedeschi).


Da ist die Hütte, angebaut an SS. Giovanni e Paolo, zum Glück außen vor und nicht in Gefahr, ein Spekulationsobjekt zu wer-
den! Und obwohl nicht viel zu sehen ist, und sowieso nur von der Rückseite, denn die Vorderseite am Campo SS. Giovanni e Paolo hat mittlerweilde einen querstehenden Anbau, ist sie interessant füt einen Blogeintrag. 


Gegründet wurde diese "Bruderschaft zur Verehrung der Hl. Ursula" am 15.7.1300 und unter den Schutz der Heiligen Dominik, Petrus Märtyrer und Ursula gestellt. Ihr Zweck war weder die Vereinigung einer Berufsgruppe, noch die einer ethnischen Minderheit (Carpaccio gestaltete ja auch die Bruderschaftshäuser der Dalmatiner und der Albaner), noch die einer speziellen Caritas, sie diente einfach nur der nachbar-
schaftlich-sozialen und religiösen Zusammengehörigkeit. Die erste Mariegola, also das Statut der Bruderschaft, erlaubt die Mitgliedschaft von Bürgern und Adeligen, Männern und Frauen auf der Basis, dass es laut der Hl Schrift  "gut und freundlich ist zusammen zu leben und demütig in der Liebe Gottes". 



Zunächst nutzten die Mitglieder wohl SS. Giovanni e Paolo, die Kirche, die die Dominikaner neben ihrem bereits existierenden Kloster ab Mitte des 13. Jahrhunderts bauten (siehe erster Link oben). Nach sieben Jahren errichteten sie auf dem dama-
ligen Friedhof der Dominikaner, der von einer Kirchhofsmauer entlang der heutigen Salizzada SS. Giovanni e Paolo geschützt war, ihren Anbau an die Kirche, quasi als externe Fortsetzung der fünf Apsisräume, sozusagen Nummer sechs. 


Es gab "Pacht"vereinbarungen mit den Dominikanern, die häu-
figer zu Differenzen führten und z. T. das Eingreifen der Sig-
noria und der apostolischen Nuntiatur erforderlich machten, weshalb ab 1488 auch ein Kontingent von 10 Mönchen Mitglie-
der der Scuola werden durften. In diesem Jahr, die Scuola existierte immerhin schon fast 200 Jahre, erlaubte die Bruderschaftskasse eine Investition in die Verschönerung und Vittore Carpaccio erhielt den Auftrag, auf 9 Leinwänden Leben und Tod der Hl. Ursula darzustellen. 


Die erste Lieferung, "Die Ankunft in Köln", ist das erste signierte und datierte (1490) Werk Carpaccios überhaupt. 1490 war Carpaccio vielleicht noch relativ preiswert, allerdings keineswegs mehr jung oder unerfahren. Man kann auch nicht annehmen, dass die Brüder und Schwestern einen unbekann-
ten Künstler für die langfristige Dekoration ihrer Scuola auswählten. 

Der Auftrag Ursula war 1496 abgeschlossen. (Nicht alle 9 Bilder sind datiert, könnten also auch danach noch fertig gestellt worden sein, wie auch der Ursula-Zyklus nicht der einzige Auftrag war, an dem Carpaccio in diesem Zeitraum arbeitete.) 

100 Jahre später, 1592, erhielten die Brüder und Schwestern ein Geschenk aus Köln - zwei der (angeblich) 11.000 Jung-
frauen aus Ursulas Gefolge, die dort ermordet und seit (angeblich) 1000 Jahren bewahrt wurden, kamen als Reliquien-
stiftung, bzw. ihre Schädel. Ein solcher Schatz verstärkte mittelfristig den Verehrungs- und Pilgerverkehr, das Gebäude der Scuola sollte schon knapp 50 Jahre später restauriert und vergrößert werden. 


Rekonstruktion Scuola Sant't Orsola, Südseite, vor der Erweiterung


Die Scuola des 14. Jahrhundert war klein mit einer überdach-
ten Vorhalle, wie sie heute noch an S. Giacometto di Rialto zu sehen ist. Davon abgesehen, dass sie auf dem Kirchhof der Dominikaner lag, gab es in der Vorhalle und im kapellenartigen Raum der Scuola Grablegen bedeutender Mitglieder, vor allem der Familie Loredan, die über Jahrhunderte die Scuola förderte. 

An der äußeren Längsseite (Südseite) befestigt war zu dama-
liger Zeit auch der Sarkopharg, in dem Giovanni Bellini bestat-
tet war. (Der Sarkopharg gehörte ursprünglich der florentiner Familie Abbati, die das Medici-Wappen führte: sechs Bälle im Silberfeld. Die Abbati lebten im 14. Jahrhhundert in Venedig. Fra Giotto Abbati stiftete laut Sansovino die Kirche Sant' Antonio di Castello.) Bellinis Sarkopharg trug das Medici-Abbati-Wappen.     


Für die Baumaßnahme wurden die Carpaccio-Leinwände zwischen 1637 und 1647 ausgelagert, die Scuola verbreitert,  fünf Fenster eingelassen, eine Apsis für einen Altar angebaut, das Dach erhöht. Das ist das Ergebnis, aber genau genommen wurde das Originalgebäude völlig durch die neue Struktur ersetzt. 

Es gab verschiedene Bemühungen im 20. Jahrhundert (vor allem Molmenti/Ludwig) den Innenraum der Scuola zu diesem Zeitpunkt zu rekonsturieren. Sehr beeindruckt bin ich von den Ergebnisse der Universität Heidelberg.
Felix Thürlemann: Der Ursula-Zyklus von Vittore Carpaccio  (die weiteren Menüpunkte an der rechten Seite bitte nicht übersehen!
 
Weitere 100 Jahre später, 1752, wurden die Leinwände neu aufgezogen, restauriert und versiegelt und auf beiden Seiten der Apsis Türen eingebaut, um den Pilgerverkehr in dem kleinen Raum besser zu leiten. Man kann die vermauerten Rundbogen dieser Türen auf den Fotos sehen, die ich im Oktober 2013 gemacht habe. 
Knapp 50 Jahre später, 1797, folgte das Ende der Serenissima, weitere 10 Jahre später, am 16.5.1806, das Ende der Scuola di Sant' Orsola, im Rahmen der napoleonischen Säkularisierungen. Die Leinwände Carpaccios wurden von SS. Giovanni e Paolo aufbewahrt und 1812-1828 in die Accademia überführt, die Schäden wurden nach und nach repariert und die Bilder zum ersten Mal ausgestellt. 1921-23 erfolgte erneut eine Reinigung und endgültige Platzierung im Saal 21.

Heute ist von der ehemaligen Scuola di Sant' Orsola vor allem noch die Apsis zu sehen, weil rechts und links Kirche und Nachbarhaus angrenzen. Man hat den Eindruck eines ärmli-
chen aber bewohnten Hauses in renovierungsbedürftigem Zustand. Im Gegensatz zu der original erhaltenen Scuola degli Schiavoni (der Dalmatiner, Link siehe oben), ist dies keinesfalls ein Ort, der je wieder ein Carpacciowerk aufnehmen kann. Aber ein respektwürdiges Gebäude, das zu seiner Zeit seinen Anteil der venezianischen Kultur trug. 






2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ich liebe solche Schnitzeljagden durch die Jahrhunderte. Danke für das Finden und die Weitergabe dieser Geschichte!

Anonym hat gesagt…

Thanks for the information, I appreciate your research and taking the time to share.