16. November 2014

Ein Juwel! Archäologisches Museum Patras



Grabdenkmal des Gladiators Trypheros, schwer bewaffnet als Secutor (Verfolger). Zu seiner Rechten steht sein Sohn Alexandros, der das Monument für seinen Vater errichten ließ. Er hält eine Palme in seiner linken Hand und einen Kranz in der rechten. Links repräsentieren 11 Kränze die Siege des Gladiators.
Patras, 2.-3. JH u. Zeitrechnung

Ich schiebe diesen Eintrag ein, der natürlich mit Venedig überhaupt nichts zu tun hat. Aber der Mensch reist erstens nicht nur nach Venedig, und zweitens: wenn man schon blogt und so begeistert ist wie in diesem Fall, darf man den Hinweis auf dieses ziemlich neue hervorragende Museum niemandem vorenthalten.


Eingangsbereich, Aufhängung des Laufstegs
Denn leider liegt es nicht zentral, sondern buchstäblich jwd - janz weit draußen. An der Nationalstraße Patras-Athen (Νεα Εθνικη οδος) 38-40Also ungefähr auf halber Strecke zwischen dem Stadtzentrum und der Rio-Antirio-Brücke in einer Art Ge-
werbegebiet, wo man kein Museum erwartet, wo es beim Vorbei-
fahren in Richtung Patras auf der linken Seite trotz spektakulärer Architektur kaum ins Auge fällt. Werbung gibt es praktisch nicht, die Website des mittlerweile 5 Jahre alten Museums existiert immer noch nur als Beta-Version und nur in griechischer Spra-
che, und auch die Seite des K
ulturministeriums geht äußerst sparsam um mit Informationen. Ohne dringende Empfehlung von kompetenter Seite in Korinth wäre mir dieses Juwel eines Museums entgangen. 


Luxuriöses Bad eines Wohnhauses wohlhabender Römer (Maizonos Str.) aus gebrannten Lehmziegeln, verkleidet mit mehrfahrbigem Marmor. Das Wasser floss über einen Treppenwasserfall in die Wanne.
In Patras existieren neben den öffentlichen Bädern auch Privatbäder wie das hier ausgestellte.
Gebaut von Theofanis Bobotis ohne rechte Winkel im Grundriss, wenn ich das richtig sehe. 3 große Ausstellungssääle ohne Tageslicht mit einer wunderbaren Lichtgestaltung - je einem Thema gewidmet: Privatleben, öffentliches Leben, Sepulkral-
kultur. Übersichtlicher gehts nicht. 

Der Rundbau enthält im Parterre die Rezeption, Sanitär- und Sitzungsräume, im 1. Stock einen Studien- und Arbeitsraum mit im großen Kreis angeordneten Rechnern. Quer durch das ganze Gebäude führt im 1. Stock ein Laufsteg über die Ausstellungs-
räume hin, der neben dem Gesamteindruck der Architektur vor allem eine zusätzliche Perspektive auf die außergewöhnlichen Mosaike erlaubt. Eine herausragende Idee! 



Haushaltswerkzeuge verschiedener Epochen:
1. Steinaxt mit Loch für den Holzgriff. Prähistorisch, helladisch, 3. Jtsd. v. u. Z.

2. Schneidewerkzeug aus Stein. Prähisotrisch, helladisch, 3. Jtsd. v. u. Z.

3. Steißstößel zum Mahlen von Getreide, Samen, Nüssen; zwischen den Beinen zu halten. 

Hellenistische oder römische Periode

4. Würfelförmiges Werkzeug zum Zerstoßen und Zermahlen. Römische Periode

5. Stößel in Form eines Fingers zum Mahlen von Pigmenten oder pharmazeutischer Substanzen.
2.-3. JH u. Z.
6. 3 Nadeln, 2 aus Bronze, 1 aus Knochen. Hellenistische oder römische Periode
7. Bronzenadel mit Zacken an beiden Enden. Vermutlich benutzt zum Reparieren von Netzen oder als medizinisches Instrument. Römische Periode
8. Fischhaken, Bronze, römische Periode
9. Spindelhaken, Bronze, wurde auf die Spindelspitze gesetzt, damit sich das Garn nicht abwickeln konnte. Römische Periode  
Die Übersichtlichkeit der Ausstellung ist eine bewundernswerte kuratorische Glanzleistung, die umso mehr schätzt, wer die vielen lokalen griechischen Museen kennt, in denen in Regalen von Glasvitrinen chronologisch sortiert Massen von kleinen Pött-
chen, Tonlämpchen, Becherchen stehen, deren Unterschiede Laien wie ich gar nicht erkennen und wertschätzen können und die das ernsthafte Interesse schnell nivellieren und die Konzent-
ration dahinsinken lassen. Hier gibt es Pöttchen in ihrer Entwick-
lung von mykenisch über hellenistisch etc. bis römisch in vergleichsweise so geringer Zahl, dass man sie sofort als Beispiel begreift. 

Die Exponate sind auf exzellente Weise thematisch so zusam-
mengestellt, dass ein historischer Überblick und die Entwicklung der Region Patras möglich ist. Die Bewegung in den großen (und leider wenig besuchten) Räumen wird nicht eingeschränkt und so auch der Überblick über die teils riesigen, teils kleinen und sehr differenzierten Exponate erlaubt. 



2 wiederhergestellte Arbeitsräume einer Villa Rustica; Anlage zum Treten von Weintrauben und Auffangen des Traubensaftes. Römische Periode.
Im Hintergurnd Statuen und Büsten aus der hellenistischen Periode
Die Begleittexte der Austellung in griechischer und sogar eng-
lischer Sprache (!) erklären, stellen Zusammenhänge her, bieten Details wie z. B. die exakten Fundorte von Exponaten. 
Die Mit-
arbeiterInnen des Museums führen keine lauten Privatgespräche (die Geißel griechischer Provinzmuseen!) sind höflich (im Gegensatz zum überheblichen, autoritären WärterInnenpack im Archäologischen Nationalmuseum in Athen!), eine Rezeptionistin beantwortet Fragen kompetent und mehrsprachig, auch auf deutsch. Man hat definitiv keinen Grund zur Frustration in diesem Museum, es ist wahrlich eine Freude. 



Fußbodenmosaik einer römischen Stadtvilla in Patras. Im Zentrum das Haupt der Gorgo Medusa, die den Blick abwendet, um den Betrachter nicht zur versteinern. 2. JH. u. Z.
Und ist die Präsentation und das Umfeld perfekt, sind die Exponate selbst überwältigend. Der Reichtum und der Zustand der Funde, die ja quasi aus der untersten Schicht der ganzen reichen Geschichte der Stadt Patras stammen, ist einzigartig. Über dem, was hier an archäologischer Arbeit gezeigt wird, spielte sich ja noch die ganze mittelalterliche und neuzeitliche Geschichte der Stadt ab, mit Erdbeben, Bränden, Kriegszer-
störungen, zuletzt während des griechischen Befreiungskrieges gegen die Osmanen 1821-27. Danach war Patras auf seinen Hügeln am Meer praktisch völlig vernichtet. Unter den Schichten der Jahrhunderte fand und findet man bis heute die ältesten Zeugnisse der multikulturellen patraischen Kultur, von denen hier die prähistorischen bis römischen zu bewundern sind. 



Installation eines Mosaiks, die man vom Laufsteg aus gut besichtigen kann. Dahinter Teile einer Villa Urban bzw. der Mosaikfußböden, ins Museum transferiert.
Wer mit dem Bus unterwegs ist, sollte sich nicht die Mühe des lokalen ÖPNV machen, sondern kurzerhand ein Taxi nehmen (ab KTEL-Busbahnhof ca. 5 €) und für den Rückweg die freundlichen Damen am Empfang des Museums bitten, eines zu bestellen (5 Minuten Wartezeit). Die typisch griechischen Öffnungszeiten von 8-15 Uhr gelten natürlich auch hier, ein Trauerspiel, und Montag geschlossen. Kein Museumscafé, für den Hungerfall kann man einen Müsliriegel einpacken, Trinkwasser gibt es kostenlos mit Pappbechern aus einer Anlage vor dem Sanitärbereich. 


Bestattungsschmuck eines kleinen Mädchens. Aus Ton geformte Blüten, Gold.
Hellenistische Periode
Das Archäologische Museum in Patras verdient es, so gezielt besucht zu werden wie das Akropolismuseum in Athen (mit dem ein ganz anderer Werbeaufwand getrieben wird). Wer wäre nicht von den herausragenden römischen Mosaiken überwältigt? Selbst wer nur auf der Durchfahrt zur Fähre in Kyllini ist, sollte mindestens eine 2-Stunden-Pause einplanen, links rüber auf den riesigen Parkplatz ziehen und sich in die wunderbare Arbeit der patraischen ArchäologInnen und die spannende Geschichte der Region fallen lassen.
  
Laufsteg über den Ausstellungsräumen, Tageslichtquelle im Eingangsbereich

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5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Liebe Frau Eckert,
seit etwa 1 1/2 Jahr lese ich mit außerordentlichem Vergnügen (und immer auch natürlich Erkenntnisgewinn!) Ihren tollen Blog, und dass Sie jetzt mal was anderes vorgestellt haben, finde ich auch sehr interessant (zufällig bin ich auch archäologisch interessiert und kann mich bis heute nicht zwischen griechischer und römischer Antike entscheiden - also nehme ich halt beides! ;)

Nur hat sich in den Artikel hier ein kleiner Fehler eingeschlichen: der Knabe hält den Palmzweig in der rechten und den Ring in der linken Hand (schlussfolgere ich jetzt mal ganz keck, da man den Knaben ja unbestreitbar von vorn sieht, oder?)

Schmälert aber keineswegs meine Freude an Ihren Artikeln und die Ungeduld auf den nächsten.

Beste Grüße
Evelyn Bartolmai

ebbonn hat gesagt…

Liebe Frau Bartolmai,

danke für Ihren Kommentar. Ich habe sehr gelacht. So genau muss man erst mal hinsehen! Ich jedenfalls habe das nicht gemerkt, sondern schlicht übersetzt. Auf griechisch und auf englisch hält der Knabe links die Palme und rechts den Kranz.

Ich habe übrigens schon im Museum über die unfreiwillige Komik dieses Denkmals gelacht, denn die 'Kränze' sehen aus wie die griechischen Koulouria (rundes Gebäck mit Sesamkörnern, dass man bei mobilen Händlern z. B. auf den Straßen Athens kaufen kann). Schlagzeile: "Nach Diebstahl eines Koulouris auf offener Straße erstochen!"

Ich kann hier kein Foto einfügen, deshalb siehe Beleg oben im Blog.

Herzliche Grüße!

Irmgard hat gesagt…

Kalimera,

aber doch hat Patras ein bisschen mit Venedig zu tun, wo es doch zeitweise den Venezianern gehörte...
Wunderschöner Beitrag!

Irmgard

Anonym hat gesagt…

Auch im Mai 2019 ist dem nichts hinzuzufügen. Nur das Obergeschoss wird nicht mehr so gerne geöffnet.
Wer gut zu Fuß ist kann sich für den Rückweg bis zum Meer durchschlagen und dann weitgehend am Wasser entlang promenieren.
Und zu Patras: auch das Kastro lohnt den Aufstieg, allein schon wegen der Aussicht auf die großartige Landschaft.

B. Eckert hat gesagt…

Hallo Anonym,
danke für Dein Feedback (wie schön, dass Du meine Begeisterung teilst!) und den ergänzenden Hinweis.
Die eingeschränkte Öffnung des Obergeschosses ist vielleicht eine Folge der Sparzwänge, die auch die Kulturstätten Griechenlands gnadenlos treffen. Überall in Museen und archäologischen Stätten, besonders den dezentralen, traf man in den letzten Jahren auf Mitarbeiter*innen, deren Arbeitsplätze gekürzt (Schließungen) oder gekündigt wurden oder die in großer Angst vor Kündigung lebten. Auf Nachfrage kamen zum Teil Berichte unter Tränen. Da ist als Sparmaßnahme die Schließung einer Etage ein großer Verlust für Besucher*innen, aber wenn damit die Arbeitsplätze erhalten werden können, bis die Zeiten wieder besser werden, soll es mir persönlich recht sein...