3. Oktober 2015

Giardini - Coronation Park




Im Eingangbereich der Giardini stehen 9 schwarze Postamente, 7 tragen weiße Statuen, die Könige repräsentieren, eine Statue kniet neben dem Postament, ein Postment ist leer. Alle Statuen sind unvollständig. An den Postamenten sind Tondi befestigt, die nicht die Statue identifizieren, sondern jeweils einen Satz tragen wie "In the end he could not stand it any longer and went away."

Die Installation heißt "Coronation Park" und ist ein Werk des Raqs Media Collective (1992 gegründet von Jeebesh Bagchi, Monica Narula, Shuddhabrata Sengupta). 'Raq' bezeichnet auf persisch, arabisch und urdu eine Meditationsphase, hat aber auch die Bedeutung von "rarely asked questions" (analog zu faq - frequently asked questions). 

Den Erläuterungen der Gruppe im Video oben wäre wenig hinzu-
zufügen, von der Hybris der Macht haben wir alle eine Vorstel-
lung und die Furcht vor Machtverlust, der Machterhalt um jeden Preis, erscheint uns oft als die stärkste Antriebskraft der Mächti-
gen. Die verstümmelten Statuen als Repräsentanten befristeter, gebrochener, auswechselbarer Macht sind offensichtlich und passen in den politischen Aspekt von Okwui Enwezors "Alle Zukünfte der Welt". 


Aber: worauf genau bezieht sich "Coronation Park"? Britisch-in-
dische Kolonialgeschichte. Von der ich bisher keine Ahnung habe. 

Ein riesiges Areal in Delhi, auf dem 1877, 1903 und 1911 'Hoftage' zur Krönungsfeierlichkeiten der britischen Kaiser von Indien stattfanden. Der Kaiserin/dem Kaiser zu huldigen (in An- oder Abwesenheit) waren alle indischen Fürsten aufgefordert. Der Aufwand, die Kosten, der Pomp (trotz zweijähriger Hungers-
not während des ersten Hoftages) und die Präsentation kolonia-
ler Macht waren überwältigend und werden im englischen Wiki-
pedia
ausführlicher geschildert. Zum zweiten, 14tägigen Hoftag wurde eine Infrastruktur von Zelten und Wasser- und Abwasser-
versorgung, Elektrizitäts-, Telefon- und Bahnanschluss des Ge-
ländes eingerichtet. Es gab Feuerwerke, Ausstellungen, Musik- und Tanzveranstaltungen, Sonderbriefmarken, tägliche Militär-
paraden, Polowettkämpfe. Es sollen 100.000 Personen teil ge-
nommen haben. 

Beim dritten Hoftag war der vor 50.000 ZuschauerInnen zu pro-
klamierende und feiernde Monarch/Kaiser zum ersten Mal in Per-
son anwesend, Glitter und Pomp wurden ein weiteres Mal gestei-
gert, Delhi zur neuen Hauptstadt ernannt (vorher Kalkutta) und ein Krönungsdenkmal errichtet. 


Coronation Park verfiel nach dem Ende der Kolonialzeit. Ge-
schützt von einem Stahlzaun stehen die Denkmäler der Hoftage in einem öden Gelände, das jährlich mindestens 3 Monate unter Wasser steht. Weitere Denkmäler und Statuen des vergangenen kolonialen Empires wurden hier entsorgt, ein Schrottplatz abge-
wickelter Unterdrückung und Macht. "Coronation Park" in den Giardini ist eine kritische Replik des Coronation Parks in Delhi, der zum indischen Kulturerbe gehört; es gibt eine Website für den touristischen Besuch der Anlage und ohne viel Aufwand ist man seit wenigen Jahren um ihren Erhalt bemüht.   



Bleiben die Texte auf den Tondi, den runden Scheiben auf den Postamenten in den Giardini. Sie sind von George Orwell, der in Indien geboren später als Mitarbeiter der Indian Imperial Police eigene Erfahrungen in der kolonialen Verwaltung sammelte. In seiner Entwicklung zum Antiimperialisten und Sozialisten und seinem Werk finden sich diese Erfahrungen wieder. Die Zitate auf den Tondi stammen aus "Einen Elefanten erschießen". 

Originaltext "Shooting an Elephant" in englischer Sprache.



Krönungshoftag 'Great Coronation Durbar' 1911, Huldigungen der indischen
Fürsten. Eindruck des Coronation Parks in Delhi.


Biennale-Ausstellungen haben manche spannende Hinter-
grundgeschichten.

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