Unbehindert in Venedig
In Venedig trifft der bekannte Satz, dass Behinderte nicht behindert sind, sondern behindert werden, klar zu. Bei einer mehrheitlich alten Bürgerschaft frage ich mich, wie viele alte Menschen in ihren Häusern festsitzen, weil sie nicht über die nächste Brücke kommen. Wenn ich sehe, wie anstrengend es ist, sich mit Kinderwagen in der Stadt zu bewegen, weiss ich, dass Menschen im Rollstuhl weitgehend ausgegrenzt sind.
Marathon-Rampe an den Zattere 2007
Ich erinnere mich, dass die Stadt vor ein paar Jahren einen Wettbewerb für Brückenrampen ausschrieb, bezogen auf die Brücken entlang der Zattere und der Riva degli Schiavoni. Ich dachte damals, dass diese breiten Brücken als Versuchsobjekte dienen sollen. Es könnte aber auch sein, dass es 'nur' um die Streckenverbesserung des jährlichen Marathons im Oktober ging.
Immerhin wurden die Rampen des Marathons 2007 zum ersten Mal bis in den Januar 2008 belassen, und wurden intensiv genutzt, was mir anlässlich des Salutefestes besonders auffiel. (Siehe Eintrag vom 3.11.: Venedig barrierefrei...)
Ich habe auf der Website der Comune (die ich für ein Musterbeispiel halte an Vielseitigkeit, Information/Service und Blitzaktualität, das muss mal gesagt werden) eine gute Seite gefunden:
Venezia accessibile. Es gibt diverse hilfreiche Downloads für die Vorbereitung einer Venedigreise für Menschen mit körperlichen Einschränkungen. Z. B. eine Gesamtkarte, die Stadtgebiete mit freiem Zugang in verschiedenen Graden dargestellt, Beschreibungen von Anreisewegen, Nutzbarkeit des ÖPNV, eine Liste behindertenfreundlicher Hotels, hygienische Einrichtungen im Stadtgebiet inkl. Hinweisen welche da-
von schwer oder nicht erreichbar sind, Ein-
zelkarten mit dem Zugang zu den wich-
tigsten Sehens-
würdigkei-
ten der Stadt, mit genauer Beschreibung der Anzahl von Stufen u. ä. innerhalb der Gebäude.
Neue Brücke - mühsame Rampe zu Insel San Pietro. Der Zugang von der Vaporettostation ist frei.
Die Texte sind italienisch, aber das sollte nun die geringste Behinderung sein, wenn es darum geht, der gehbehinderten Großmutter einmal im Leben eine Reise nach Venedig zu ermöglichen, oder eine Gruppe junger RollstuhlfahrerInnen diese wunderbare Stadt erleben zu lassen.
Ich werde bei meinen nächsten Besuchen in Venedig verstärkt auf Zugänglichkeit achten um dazu in Zukunft Tipps geben zu können.
3 Kommentare:
Der Post ist schon etwas älter, in Sachen Barrierefreiheit scheint sich aber nicht viel getan zu sein. Haben Sie eine Ahnung woran das liegt? Fehlt das Geld oder der Willen? Oder täuscht mein Eindruck?
Danke für den Kommentar, silencer137.
Ich glaube nicht, dass Ihr Eindruck täuscht. Getan hat sich was auf der Website der Stadt Venedig, die Hinweise für barrierefreie Wege ( http://www.comune.venezia.it/archivio/1381 ) gibt es jetzt auch auf englisch und französisch. Auch sind entlang der Riva und den Zattere die breiten Brücken ganzjährig mit Rampen ausgestattet, wo sich die touristischen Massen an den ÖPNV-Knotenpunkten bewegen.
Geld oder Willen ist ansonsten nicht die Frage. Aus KOMMUNALER Sicht ist das Centro Storico ein 'Stadtteil' der Metropole Venedig (mit Festland), in dem weniger als 50.000 Menschen (Zahl laufend weiter sinkend, absehbar 0) leben, der aber jährlich von über 20 Millionen besucht wird. Und zwar statistisch nur für ein paar Stunden. Abgesehen von den baulichen Schwierigkeiten, wie können Steuermittel für Barrierefreiheit bei diesen Relationen begründet werden? Ohne Beteiligung der Tourismusindustrie einerseits und der berechtigten Furcht der derzeitigen Bürger*innen andererseits vor noch mehr Tourismus und weiterer 'Disneylandisierung' der Stadt? Alles sehr kompliziert.
Immer mehr Anfragen zu meinen Begleitungen in Venedig drehen sich übrigens um Besichtigungen für mobilitätseingeschränkte Menschen. Quasi individuelle Lösungen einer eigentlich gesellschaftlichen Frage, privat finanziert.
Ganz herzlichen Dank für die Antwort! Das erklärt doch einiges. Die Frage nach Barrierefreiheit in Venedig flackerte gerade in einer Diskussion im Bekanntenkreis wieder auf. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schlimm die Stadt Menschen in Ihrer Mobilität beeinträchtigen kann. Bei meinem ersten Besuch in der Stadt bekam ich urplötzlich Probleme mit den Knien, Treppensteigen war nahezu unmöglich und jede kleine Rampe willkommen. Da merkt man plötzlich, wie wichtig solche Dinge sind.
(P.S.: Auch wenn wir uns hier unter einem fast 9 Jahre alten Beitrag befinden: Ich verfolge Ihr Blog auch in der Gegenwart gespannt und darf mich an dieser Stelle ganz herzlich für die vielen Informationen bedanken. Dieses Blog hilft mir immer wieder dabei, Dinge des italienischen und venezianischen Alltags und der Geschichte zu verstehen. Danke!)
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