16. Oktober 2011

Biennale und mehr im Oktober

Fortsetzung des Eintrags vom 6.10.2011: Die Ausstellung in der Scuola Grande della Misericordia von Pierre Casè "Misteri del Sotoportego" läuft nicht bis zum 10.10., sondern bis zum 30.10. und ist aus meiner Sicht eine der Interessantesten dieses Sommers.



Der Künstler, geb. 1944, war nach einem Schlaganfall, noch kämpfend mit den körperlichen Folgen, 2007 drei Mon
ate lang Gast der Stiftung Castelforte-Forberg in Venedig. Er beschäftigte sich in dieser Zeit mit den Sottoporteghi, den Gassenführungen zwecks Wegabkürzungen durch Häuser hindurch und den dazugehörigen Beschreibungen von Guiseppe Tassini 'Curiosità Veneziane' aus dem 19. Jahrhundert.

Beispiel Triptychon und Text: 'Sotoportego del Pistor'

Er zeichnete 240 Hausunterführungen auf und schuf 20 enorm kraftvolle Werke, jeweils als Triptychon von 2 m x 3,10 m. Zu 10 davon gestaltete der venezianische Autor Alberto Toso Fei die tassinischen Beschreibungen als Begleittext.
Es gibt ein Begleitvideo, das man sich unbedingt ansehen sollte, wenn man die Zeit dazu hat. Die Arbeit von Pierre Casè zu beobachten ist aufschlussreich, und er spricht sehr langsam und gut verständlich italienisch (er sitzt außerdem am Empfangstisch und geht sehr freundlich und interessiert auf die BesucherInnen seiner Ausstellung ein).

Alberto Toso Fei liest seine Geschichten, begleitet von Bildern der originalen Hausunterführungen.

Das Oberschoß der Misericordia ist immer noch innen eingerüstet wie schon zur Biennale 2009, aber jetzt sind die Lappen weg, man kann durch die Gerüste die beeindruckenden Wandbemalungen dieses überwältigend riesigen Raumes sehen, obwohl ich ja immer ein bisschen fürchte, der ganze Kasten könnte in einer Staubwolke in sich zusammensinken...

Insgesamt empfehle ich den Besuch unbedingt, mit entspannter Zeitplanung.

Pierre Casè am Empfangstisch in der Misericordia


Ein weiteres Angebot, bei dem man ungeplant länger hängen bleibt, ist der überraschende Länderpavillon Neuseeland im Palazzo Loredan dell'Ambasciatore am Canal Grande, aber trotzdem etwas ab vom Schuss. In der engen Gasse Calle dei Cerchieri hört man schon von weitem Klavierspiel.

Die Ausstellung besteht aus Wer-
ken von Michael Pare-
kowhai, hier vor allem drei Flügel, zwei bestückt mit Stieren in Originalgröße im Wassereingang zum Canal Grande und im Garten des Palazzo sowie einem, der im Androne pausenlos gespielt wird, von sich abwech
selnden richtig guten PianistInnen. Das Repertoire ist klassisch (in der guten Stunde, die ich mich aufhielt) und man kann einfach nicht anders, als im Androne oder Garten sitzend dem Klavierspiel zuzuhören und sich dem Augenblick hinzugeben.

Gartenseite Palazzo Loredan
dell' Ambasciadore

Hingehen, Pause machen, genießen, Zeit vergessen... das Haus ist ansonsten normal bewohnt, zwischendurch rennen schon mal Kinder mit Schulranzen die (abgesperrte) Treppe hinauf, vom Wassertor aus hat man einen schönen Blick auf den Palazzo Malipiero und seinen Garten gegenüber.

Vaporettohaltestellen Ca' Rezzonico und San Tomà (oder auch per Traghetto von San Samuele), ab da jeweils gut ausgeschildert.



Das 'Collateral Event' auf der Insel Certosa wurde erst im September installiert, ich vermute im Zusammenhang mit der Filmbiennale.
Aber auch jetzt ist (mir) nicht so ganz klar, was es mit der Veranstaltung "Rebel" auf sich hat, es gibt hinter dem kleinen Hotel der Insel drei große Portraitfotos von Fischern (im Außenbereich), an den kleinen Steinhütten am Ostufer der Insel farbige Stoffbespannungen, und ein Video ohne Angaben und Sitzgelegenheiten in einer großen dunklen Scheune.

Ich bin trotzdem 90 Minuten hängen geblieben, und zwar beim Film "Sal" von James Franco über den Schau-
spieler
Sal Mineo. Wird gezeigt im ehemaligen Pulverlager links vor den Werkstätten der Insel.
Sal Mineo wurde bekannt als Nebendarsteller in "Denn sie wissen nicht, was sie tun" von Nicholas Ray, und abwechselnd (aber nicht an dem Tag, an dem ich auf La Certosa war) wird ein weiterer Film von Nicholas Ray, 'We don't go home again' eine überarbeitete Version, gezeigt.
Beide in englisch mit italienischen Untertiteln.

Im Obergeschoss des Pulverlagers gibt es ein weiteres Videoangebot 'Brad Renfro for ever' und insgesamt scheint die eher homoerotische Sache von Gucci gesponsered zu sein.


(Mehr über die Entwicklung auf La Certosa in einem späteren, biennalefreien Eintrag...)
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3 Kommentare:

Georg Karlstetter hat gesagt…

Das ist ja der Hammer! Ein so schöner und informativer Blog zu unserer Lieblingsstadt. Wir hätten uns ja beinahe anläßlich der Ausstellung meiner Frau am Campo SS. Giovanni e Paolo begegnen können (mehr dazu auf unserem vergleichsweise sehr bescheidenen Blog: freudensammler.blogspot.com
Habe mich direkt als Leser eingetragen und den Tip auf unseren Blog genommen. Es wäre ja mal super, uns auf einen Kaffee zu einem Venedig-Austausch zu treffen, Oberdollendorf ist ja nur übers Wasser ... herzliche Grüße von der anderen Rheinseite

Heidi Klahold hat gesagt…

Ganz herzlichen Dank für Ihre tollen Tips! Ihr Blog hat mir schon bei der Vorbereitung unheimlich viel Spaß gemacht, und in Venedig erst recht.Wir würden außerdem die Abbazia di San Gregorio (vor Salute)empfehlen. Dort sahen wir ein beeindruckendes Video von Miao..(?!)zur Missa Solemnis von Beethoven, neben viel quietschbunter Kunst. Aber das Video haben wir uns zum Abschied von Venedig nochmal angeschaut.

ebbonn hat gesagt…

Georg,
Grüße zurück auf die andere Rheinseite! Da habe ich Pech gehabt, ich habe in der ersten Oktoberwoche eigens nachgesehen, ob es in der Sala Tommaso eine Ausstellung gibt, aber da war die Ausstellung Deiner Frau leider schon vorbei.

Weiterer Mailaustausch gerne unter ebbonn@googlemail.com.

Heidi,
vielen Dank! Die Eröffnung der Abazia San Gregorio nach vielen Jahren Renovierung hat mich auch begeistert, aber nicht die aktuelle Ausstellung. Gestört hat mich nicht die quietschbunte Kunst, sondern dass das Gebäude so gnadenlos vollgestopft wurde. Vom kleinen Kreuzgang über die teilweise winzigen Räume... ich glaube, dieses Video war der einzige Fall, dass in einem Raum nur ein solitäres Exponat gezeigt wurde - und mehr ginge auch nicht, angesichts großer Leinwand und fehlender Beleuchtung :-)
Siehe Eintrag "Dreimal Ärger am Canal Grande".