28. Juli 2012

Ospedale al mare - Teatro Marinoni

Es gibt kommerzielle Websites, die das Ospedale al Mare auf dem Lido immer noch unter der Rubrik "Krankenhäuser " führen, mit Notalltelefonnummer. Aber das ist noch der geringste Aufreger in diesem Fall.
Seit einem Jahr ist das Ex-Krankenhaus über die lokale Wahrnehmung hinaus auch ins Bewußtsein von Touristinnen getreten, die schon mal die Plakatierungen in der Stadt studieren und auf das Teatro Marinoni aufmerksam werden. 

Damit wir wissen, wovon die Rede ist, kurz die Geschichte. 

1868 wurde in Venedig beschlossen, für die Gesundheit der Armen etwas zu tun in Form von (kostengünstiger) Thalasso- und Iliotherapie, in einem Heim am Meer. 1869 gab es Fund-
raising durch Wohltätigkeitsveranstaltungen der Wohlhabende-
ren in den königlichen Gärten vor dem Markusplatz, erfolgreich, und 1870 wurde das erste noch bescheidene Gebäude des "Ospizio Marino" auf einem Grundstück des Unternehmers Giovanni Busetto Fisola auf dem Lido gebaut. Es bot Platz für 450 päppelungsbedürftige Kinder, die an  Armenkrankheiten litten wie Unterernährung, Rachitis, vermutlich auch TBC. 



Dann setzte Anfang des 20. Jahrhunderts mit dem Bau der Nobelhotes Des Bains und Excelsior der mit armen kranken Kindern nicht so gut kompatible Edeltourismus ein, und das Armeleuteheim wurde 1921-22 durch Sponsoring der Sparkasse Venedig erheblich und eindrucksvoll erweitert.

Zwischen 1925 und 1933 entstand durch Zusatzbauten ein enormer medizinischer Komplex (mit diversen Fachbereichen, im www zu finden sind Pädiatrie, Gynäkologie, Kardiologie, Chirurgie, Stoffwechselkrankheiten), der weit über medizinische Sozialhilfe hinausging und der am 30.11.1933 als "Ospedale al mare" neu gegründet wurde. Königs und Mussolini kamen zu den Feierlichkeiten und an dieser Stelle setzt heute üblicherweise die Geschichte des Krankenhauses ein. 

Am 24.5.1939 erhielt die Anstalt das Zertifikat "Ospedale 1ma categoria", also erster Klasse. Gut 30 Jahre arbeitete das Ospedale mit Erfolg und expandierte bis hin zur Gesamtzahl von 1500 Menschen, also Patientinnen, medizinisches und technisches Personal. Es gab modernste diagnostische und therapeutische Einrichtungen, ein prächtiges Theater wurde integriert und mit Fresken von Giuseppe Cherubini geschmückt, der auch die kleine Kirche S. M. Nascente auf dem Gelände mit Fresken ausmalte.



In den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts beginnt der Abstieg. Ich finde keine genauen Erklärungen dafür, die Rede ist einfach von "Verfall". Ich stelle mir deshalb vor: es gab politische zentralistische Bewegungen in dieser Zeit. Und es wurde das psychiatrische System Italiens reformiert, die "Irrenanstalten" auf S. Servolo und S. Clemente wurden geschlossen. Peu à peu wurden Sozialausgaben gekürzt. Die Haus- und Medizintechnik der 30er Jahre war mit Sicherheit veraltet. Die Infrastuktur des Lido insgesamt änderte sich. Und sicher weitere Ursachen des "Verfalls" der dazu führt, dass im ehemaligen Krankenhaus erster Klasse ab 1999 nur Rehabili-
tationsmaßnahmen angeboten werden, 2001 nur noch mit 125 Betten. Bei aller Phantasie: wie kann das passieren? In so kurzer Zeit?! 

2002 wird die Schließung des Ospedale al mare beschlossen, medizinversorgungstechnisch kein Problem, in Mestre wurde gerade ein großes Regionalkrankenhaus gebaut. Es bildet sich eine kleine bürgerliche Rettungskampagne, die nichts bewirkt und deren letzte 15 Aktivisten am 2.10.2003 von Polizei und Feuerwehr aus den besetzten Räumen geschleppt werden. Aber auch das ist noch nicht der letzte Aufreger in diesem Fall.

Das Krankenhaus zieht aus mit allem was weiter verwendet werden kann. Es bleiben aber zurück: jede Menge Mobiliar, Technik jeder Art, medizinische und sonstige Utensilien und Materialien, und vor allem datenschutzbedürftige Dokumente wie Patientenkarten, Autopsieergebnisse, Totenscheine, medizinische Gutachen für juristische Verfahren etc.. In unverschlossenen Schränken, hinter offenen Türen, in der ungesicherten Anlage des Ex-Ospedale. Ab 2008 zeigen Blogger die Zustände auf  Fotos, Fernsehanstalten senden Berichte, die ernsthafte Aufreger sind.

Der große Komplex des Ospedale al mare wurde verkauft an Est Capital, das ungenutzte historische Gebäude aufkauft (auf dem Lido auch das Hotel Des Bains), aber dann werden die Informationen unübersichtlich. 2006 gibt es einen Plan, die Anlage als Hotel mit Palazzo del Cinema (für die Filmfestspiele) umzubauen, er wird nicht ausgeführt. 2009 findet sich auf der Website der Stadt Venedig eine Ausschreibung für die Gesamtanlage. 2010 kauft die Stadt die Anlage angeblich selber, für 27 Millionen. Noch ziemlich frisch (22.6.2012) gibt einen einen Artikel in La Nuova  über eine geplatzte Kooperation zur Förderung des Elitetourismus zwischen Stadt und Est Capital bzw. deren Tochter Real Venice 2. Alles für mich rätselhaft und bzgl. Kapitalistenintrigen einen Aufreger wert.

Aber, und deshalb ist das Thema überhaupt in den TouristInnenfokus getreten, seit September 2011 ist das Teatro Marinoni besetzt und aktiv als BürgerInnen- und KünstlerInneninitiative  "Ricreatorio Marinoni" . Diese informative Website wird momentan nicht regelmäßig bearbeitet, aber Informationen werden plakatiert bzw. mittlerweile auch auf der Website der Stadt und verschiedenen kommerziellen Seiten angekündigt. Blogger berichten seit Anfang 2012 (hier ein Beispiel). 

'Hinten raus' - fast am Strand


Seit dem Frühling gab es fast an jedem Wochenende Veranstaltungen von einfach nur Party über Workshops bis zu ungepluggter Musik und Theatervorstellungen, Kooperations-
veranstaltungen mit besuchenden KünstlerInnen/Theater-
gruppen oder anderen alternativen KulturinitiatorInnen, sogar aus dem Ausland. Ich vermute, derzeit gibt es eine Juli-August-Sommerpause und im September wieder Termine an den Wochenende. Man findet sie am besten auf den wild plakatierten DIN A 4 Einladungen überall in der Stadt. 

Gemischtes Publikum - meine Schlabber-
hose
neben Wahnsinns-
heels






Ich habe das Ex-Ospedale an einem Samstag im Mai besucht und hatte ein überwältigendes Deja-vu. Gleiche Stimmung, gleiches Chaos, gleiche leicht überdrehte Kreativität wie sie in selbstverwalteten/ initiativen Gruppen herrschte, an denen ich in jungen Jahren beteiligt war. 
Hier allerdings mischen zusätzlich viele alte Zausel mit, die ihre Erfahrungen der 70er Jahre an die Jüngeren weitergeben. Naja. Ich gehöre zu den alten Zauseln, aber ich beschränke mich weise auf den bittersüß-schmerzlichen Genuss des Deja-vus und hoffe, dass die Entschlossenheit und das Engagement der jungen VenezianerInnen Früchte trägt und sie ein großartiges langlebiges Kreativitäts-/Rekreationszentrum aufbauen können. 
Im Moment dürften das viele Arbeiten sein, die wenig Spaß machen und keine wirklichen Erfolgserlebnisse bringen. Aufräumen, Putzen, Renovieren ist nicht das, was sich jeder unter Kreativität vorstellt. 
Auch TouristInnen müssen da nicht unbedingt hin und wenn, sollten sie nicht die tolle Urlaubsshow erwarten, sondern eher anspruchslos entspannt sein und, wenn es sich ergeben sollte, auch einen Besen anfassen. Oder Ähnliches.

Arbeitsteilung


Ergänzung 19.06.2018
Der Komplex des ehemaligen Ospedale al Mare wurde soeben an den Club Med
und die Hotelkette TH verkauft, die mit 350 (Club Med) und 180 Betten (TH) jeweils zwei Luxusresorts errichten werden.


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21. Juli 2012

Architekturbiennale 2012

Bürgerinitiative zur bequemeren Gestaltung des
campo della confraternitá, S. Francesco della vigna


In gut fünf Wochen startet die 13. Architekturbiennale, Laufzeit drei Monate vom 29.8. - 25.11., unter dem Titel 'Common Ground' verantwortet vom britischen Architekten David Chipperfield.

Er ist dem deutschen Publikum bekannt durch seine Arbeiten auf der Museumsinsel in Berlin, wohl vor allem durch den bewundernswerten Wiederaufbau des Neuen Museums

Hat aber auch in Venedig gearbeitet: die Friedhofserweiterung auf San Michele liegt in seiner Verantwortung. Seit meinem letzten Eintrag über die Friedhofsinsel bzw. 5 Jahre nach Fertigstellung des ersten Planteils  hat sich dort nichts getan was für mich erkennbar wäre. Auch die neue Barena, die Salzwiese nördlich des Arsenale und östlich der Friedhofsinsel, dient wohl nur der Pflege der Lagune und der Verkehrsregelung entlang des Canale delle fondamente nove. Bei aller Wertschätzung - da wurde wohl ein Preis gewonnen, ein Teil des Plans umgesetzt und Ende. Ich frage mich, wer da wen abgespeist hat mit Nichtvollzug und wer da was verdient und was eingespart hat?
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Gesamtplan der Erweite-
rung der Friedshofs-
insel S. Michele. Leider bis auf die 1. Bauphase nix geworden.





Die Sache scheint kein Thema zu sein, es werden zumindest öffentlich auch keine peinlichen Fragen gestellt, man geht zur Tagesordnung über, sprich Biennale.


Neben den beiden Biennale-Ausstellungsgeländen Giardini und Arsenale zu den üblichen Preisen und Bedingungen gibt es auch 18 "Collateral Events",  16 in der Stadt, 2 auf dem Festland. Die in der Regel nicht mit Eintrittskosten verbunden sind bzw. sein sollten. Einige befinden sich allerdings innerhalb eines kostenpflichtigen Museums (z. B. in der Fondazione Querini Stampalia), andere folgen möglicherweise dem Trend der Kunstbiennale, ihr eigenes finanzielles Ding zu machen, aber als "Collateral Event" vom roten Biennale-Logo vor der Tür zu profitieren. (Ich habe da im Verdacht z. B. die Ausstellungen in der Casa Tre Oci und im Palazzo Bembo, aber möglicherweise noch mehr). Und Achtung: sehr unterschiedliche Termine, nicht alle entsprechen der Biennale-Dauer!

Besonders spannend unter diesen Nebenveranstaltungen scheinen diese zu sein, aber das ist natürlich eine Frage des persönlichen Interesses: 

Archipelago Cinema by Ole Scheeren
Arsenale, Darsena Grande
August 27th and 28th
Archipelago Cinema, a floating auditorium designed by architect Ole Scheeren, hosts a floating round-table discussion and the world première of the film Against All Rules by filmmaker Horst Brandenburg, presenting a profound insight into the work and philosophy of Ole Scheeren.
Organization: KT Wong Foundation
(ZEIT-Interview mit Ole Scheeren 23.11.2011)

Finding Country Exhibition
Spiazzi 1, Arsenale, Castello, 3865 (Calle del Pestrin)
From August 29th to September 29th
The Finding Country Exhibition is aboriginal in origin and trajectory. It seeks a contest between the traditions of aboriginal space (country), and European space (property). The central exhibit is an 8x3m drawing of the city of Brisbane consisting of approximately 50 submissions emptying individual grids by half to reveal something lost. The challenge is to negotiate decline and find country.
Organizzation: Venti di Cultura

Links zu deutschsprachigen Medienbeiträgen:

ZEIT-Interview mit David Chipperfield 02.03.2012
Architekturclip: David Chipperfield, Ausblick auf die Biennale
Deutscher Pavillon:Muck Petzet
Neue aufgeschüttete Salzwiese östlich des Friedhofs,
nördlich des Arsenale
Ergänzungen:

Green City Italia 07.08.2012
LI Latvia 08.08.2012
The Korea Times 14.08.2012
Homeless 20.08.2012
La Biennale Newsletter 22.08.2012
DesignWeek 22.08.2012
DaringToDo 23.08.2012
Video vom 25.08.2012 'Making of'
Video vom 25.08.2012 'Crimson Architectural Historians'
Collateral event in der Casa Tre Oci 'The Way of Enthusiasts' 26.08.2012 
Kuwait News Agency 26.08.2012
ArtDaily 27.08.2012
Palais Lumière 27.08.2012
Blouin Artinfo 27.08.2012
ArtDaily 28.08.2012
Gigon Guyer Architekten 28.08.2012 
Biennale Apps 28.08.2012
BIG Possible Greenland 28.08.2012
Pressemitteilung Schweiz 28.08.2012
ArtDaily 29.08.2012
ArchDaily 28.08.2012





Fortsetzung mit Links zu Kommentaren und Berichten zur 13. Architekturbiennale




13. Juli 2012

Die Pracht eines Nutzgartens auf Mazzorbo...

... muss man gesehen haben, egal ob GärtnerIn aus Profession oder aus Passion. Es geht einem das Herz auf. Ich habe diesen Garten schon einmal erwähnt (am 29.1.2011, anklicken empfiehlt sich wegen der Vergleichsfotos), nicht ahnend, wie er sich weiter entwickeln würde. Allein um zu sehen wie dieser Garten weiterkommt werde ich künftig jede Gelegenheit nutzen in die Laguna Nord zu fahren.

Scarpa-Volo, Weg durch den Weingarten

Es geht um das Landgut Scarpa-Volo auf den 30.000 m2 eines Klosterweingartens aus dem 15. Jahrhundert innerhalb einer ebenso alten Ummauerung, die 1727 erneuert wurde. Das Herrenhaus, mit regionalen und EU-Mitteln renoviert, stammt mit seinen Weinkellern aus dem 16. Jahrhundert. Es beherbergt das Ostello (Jugendherberge) Mazzorbetto als Teil der gesamten Anlage "Venissa". 

Der ummauerte Garten lag viele Jahre brach und war verschlossen. Die Stadt Venedig als Eigentümerin schrieb 2006 die Neubewirtschaftung des Geländes aus und Vento di Venezia, Betreiber der Wiederbelebung der Insel Certosa, übernahm Scarpa-Volo, unterstützt von vielen lokalen und regionalen Organisationen und Betrieben. Siehe "Das Projekt Venissa".

Fischteich, Restaurant Venissa (links mit Sonnenschirmen),
Ostello Venissa (rechts mit Vordach)

Der Garten ist im größten Teil der Fläche wieder Weingarten, im kleineren Teil jedoch ein Nutzgarten, der für mich überwältigend vollständig ist. Sowohl in der Anpflanzung  von Obstgehölzen die noch jung sind und also durch ihr Wachstum in der Zukunft den Gesamteindruck verändern werden, als auch von einjährigen Gemüsen und mehrjärigen Kräutern. 

Junge Giuggiolo, Feige vorne, Artischocken, Kartoffeln,
Bohnen etc., weitere Bäume und Wein im Hintergrund
Es ist einfach alles da: Äpfel, Birnen, Kirschen, Pfirsiche, Apriko-
sen, Feigen, Mandeln, Granat-
äpfel, Pflaumen, Giuggiole, Salbei, Thymian, Rosmarin, Knoblauch, Zwiebeln, Artischocken, Bohnenarten, Kartoffeln, Tomaten, Paprika, Auberginen, Blattsalatarten...
z. T. im Mai bei meinem Besuch noch im jungen Wachstum, aber bestens gepflegt und versorgt.



Junger Granatapfel, Salbei, Artischicken, Bohnen...

Fische und Frösche im alten und reaktivier-
ten Fisch-
teich, per Kanal an die Lagune angeschlossen, im Garten sonnen sich Eidechsen, an altem (aber leider auch jungem Holz) 'wachsen' reichlich kleine Schnecken, die man im Sommer ernten kann, für die Besucher sind Schilder mit Erläuterungen in 4 Sprachen aufgestellt, es gibt einfache Bänke auf denen man die Pracht genießen und den Gärtner beim Arbeiten beobachten kann, aber man kann auch auf einem Weg und schmalen Pfaden zwischen den Gartenbereichen hergehen (überflüssig zu sagen, dass angepasstes Benehmen = nichts abrupfen, futtern, trampeln etc., außer Frage stehen sollte).


Der Garten wird zwar privat bewirtschaftet und seine Früchte sind nicht öffentlich, trotzdem ist er als Park der Stadt Venedig geöffnet für Besucher, es gibt umweltpädagogische Ideen und Ansätze die sich sicher weiterentwickeln werden. Es gibt zwei Eingänge: an der Vaporettohaltestelle Mazzorbo nach links gehen und einfach durch das Tor treten zwischen dem letzten Haus (in dem sich das Ostello befindet) und der Mauer, die dort beginnt. Der zweite Eingang liegt schrägt gegenüber, schneidet sozusagen diagonal durch die Ecke, die die Insel an dieser Stelle bildet. Der zweite Eingang liegt direkt an der Holzbrücke, die hinüber nach Burano führt. 

Eine der Hinweistafeln zur lagunaren Pflanzenanbau

Es gibt innerhalb des Gartengeländes das Restaurant Venissa, in dem wohl den Großteil der Ernte verspeist wird, das einen hohen Anspruch hat im Sinne von 'Slow Food' und dessen  Preise dem angemessen sind, vermute ich. Nach Einblick in die Speisekarte bat ich den sehr freundlichen Kellner um Verständnis dafür, dass mein Budget leider nicht seinem schönen Angebot standhält und habe, wie immer auf Mazzorbo, bei 'Maddalena' am Vaporettohalt gut gegessen, das Menu zum Preis der Vorspeise im 'Venissa'. Bei Maddalena wurde investiert, bauliche Erweiterung und sehr geräumige ordentliche Toiletten (früher nur ein sehr bescheidenes einzelnes Naja), bei gleich gebliebener familiärer Freundlichkeit der Inhaberin.


Parco Laguna Nord - Scarpa-Volo
Winterliche Fotoserie Scarpa Volo von Lenore Horowitz

Schneckenbrut, für den mediterranen Kochtopf?


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7. Juli 2012

Eine wunderschöne Gondel...



liegt im Canale di Cannaregio, linke Seite, wenn man stadtauswärts fährt, rechte Seite, wenn man stadteinwärts fährt, sie ist offensichtlich neu und fiel mir beim ersten Blick auf, schon im April. Die Gondel hat für mein Auge ungewöhnlich harmonische Rundungen, auch des Verdecks, Bug und Heck sind schwungvoll etwa gleich hoch gezogen und mit einer Art silberner Stacheln verziert, sonst gibt es keine Dekorationen und das Schwarz ist matt, nicht glänzend. Elegant!
Im Mai sah ich sie wieder, und diesmal hatte sie sogar ein halbrundes Dach, ein Felze, aus goldgelbem Brokat. Ich war noch tiefer beeindruckt und natürlich neugierig, wer-wie-wo-warum.
Für derartige Fragen ist Andreas Götz seit Jahren ein sachkundiger Ansprechpartner, der mit folgender Antwort spannende und erschöpfende Informationen mailte:
Zu deiner Frage: Es ist eine Rekonstruktion einer Gondola Seicentesca, also des siebzehnten Jahrhunderts. Das Ganze als Teamarbeit des Meisterkurses der Gondelbauer 2011. Beratung durch Gilberto Penzo (wer sonst?) und gebaut auf der Certosa bei Vdv (Alberto Sonnino, wo sonst?).
Der Felze ist, so wie du ihn fotografiert hast, fertig. Er war so im siebzehnten Jh.
Im Dogenpalast habe ich mal ein Bild einer gondola seicentesca gesehen. Leider konnte ich keine Abbildung finden. Fotografieren darf man ja eigentlich nicht und Abbildungen findet man dann nicht; ziemlich doof.

Zeitraffer des Baus der Gondel:
Bericht über den "Stapellauf":

Um die Entwicklung der Gondel skizzenhaft zu vervollständigen:

Im 15. und frühen 16. Jh. ähnelte die Gondel noch stark der Batela. Die Unterschiede haben sich dann erst herausgebildet (Ich sehe die Unterschiede gar nicht, also frag mich nicht). Es gab wohl schon im 15. Jh. ein einfaches Felze. Auf dem Bild aus dem "Kreuzwunder" von Bellini sieht man in den Gondeln runde Bögen liegen, mit denen man bei Bedarf einen Sonnenschutz bauen konnte. Ich habe dir einen Bildausschnitt angelegt.
Detail, Bellini "Kreuzwunder"

Für den Film Casanova wurde eine Gondel des 18. Jh. rekonstruiert. Sehr gerade im Wasser liegend, mit hohem Ferro. Heute ist sie im Besitz des Arzana, dessen Mitglieder auch beim Film mitgewirkt haben. Foto als Anlage.
Gondel des 18. Jahrhunderts, rekonstruiert für den Film 'Casanova'
Im 19. Jh. wurden Bug und Heck immer höher gebaut, wodurch die Gondel sehr viel wendiger wurde. Ich vermute zudem, daß sie dadurch weniger anfällig gegen Wellenschlag wurde. Ein Problem, daß ja erst seit dem 19. Jh. in dieser Form existiert.

Hier noch zwei Links zum Gondelbau:

http://www.youtube.com/watch?v=YGJroKBe4K0

http://www.youtube.com/watch?v=HZKGNa80RJs

Der Kurs war bei Vdv übrigens nur "zu Gast", sicher gegen entsprechende Bezahlung. Eigentlich sind das ganz normale Produktionsstätten.

Cordiali saluti, Andreas

Grazie mille für Deine Erläuterungen und herzliche Grüße zurück.
Ich hoffe, wohlinformierte TouristInnen freuen sich wie ich beim Anblick der Gondel im Canale di Cannaregio.


Nachtrag am 15.7.2012:

Andreas Götz weist mich per Mail darauf hin, dass in der Pfarrrkirche S. Maria Assunta in Malamocco auf einem Altarbild eine Gondel des 17. Jahrhunderts dargestellt sei.  Ob ich vielleicht zufällig ein Foto davon gemacht hätte?

Nein, habe ich leider nicht. Aber das wunderbare www hat. Hier: Dr. Ulrich Alertz, Studien zur Technik des Mittelalters, Die Gondola des Barock