12. August 2012

Tram Mestre-Venezia

Finale Ergänzung des Themas:
Heute, 16.9. wurde die Tram in Betrieb genommen. Jahre der Verspätung und vielseitige Kostensteigerungen sind bekannte Themen bei derartigen Projekten, warum nicht auch in Venedig... :-) ... im Vergleich zu M.O.S.E. alles Peanuts.
Siehe auch Fahrpläne 2015.

Ergänzung 12.1.14 zur Inbetriebnahme der Linie siehe unten am Ende des Eintrags.

Es geht voran mit der venezianischen Verkehrsplanung und es ist (noch) nicht die (gefürchtete) Flughafen-UBahn (siehe Eintrag vom 18.5.2010). Aber auch die wird kommen. 



Vorläufig ist es die Tram des Translohr-Systems, die schon seit Dezember die 14 km-Strecke Favaro-Mestre fährt und (nach 2015) von Favaro zum Flughafen Marco Polo verlängert werden wird. Die 6 km-Strecke zwischen Mestre und Marghera ist auch schon fertig. Zur Zeit wird seit Anfang Juni an der Verlängerung in Richtung  Venedig gearbeitet, also die beiden Schienen auf der Ponte della Libertà gelegt, teils in Nacht-
schichten, teils aber auch mit Staufolgen tagsüber. 

Im Sommer 2013 soll die Strecke über die Brücke fertig sein, naja, man wird sehen. Im 5-Minuten-Takt werden bis zu 170 Leute transportiert werden (32-48 Sitzplätze, viel Platz für Gepäck). Venedig-Besucher und "Kreuzfahrer" können sinnvoll und günstig in Mestre parken, erstere fahren mit dem Vapo-
retto weiter entweder ab S. Giuliano mit der Linie 25 zu den Fondamente Nove (und per Umsteigen weiter) oder ab Pia-
zzale Roma mit allen anderen Linien; letztere haben direkten Anschluss zum People Mover, der sie zu den Schiffen der Stazione Marittima bringt. 

Quelle: Twitter Comune Venezia
Blau eingezeichnete Spur: Verkehr zum Piazzale Roma
Grün eingezeichnete Spur: People Mover
Gelb eingezeichnete Spur: Tram nach S. Basilio; Endhalte gelbgrün
 
Anfang Juli beschloss der Stadtrat die Verlängerung der Tram über den Piazzale Roma hinaus (auch die Mittel in Höhe von 14 Mio.) bis San Basilio. Eröffnung im Sommer 2015. In Schönrede soll damit die Verbindung Land-Venedig-Meer gefestigt werden, ein zweites Tor in die Stadt geschaffen und das erste, der Piazzale Roma, entlastet werden. 


S. Marta auf dem De'
Barbari Stadtplan von 1500. Das arme Fischerviertel steht auf sichtbaren Pfählen, die heutige Beabau-
ung und das Hafenviertel sind noch Lagune

Aber eigentlich geht es wohl um die Kreuzfahrtindustrie, näm-
lich die Einbindung der beiden älteren, kleineren Anlegestellen S. Marta und S. Basilio. Die Riesenschiffe werden sehr effizient an der großen Stazione Marittima abgewickelt. Kleinere "Kreuzfahrer", Katamarane und sehr große Segler, sprich die exklusivere Sparte, mussten bisher auf eine Anbindung vergleichbar dem People Mover verzichten.

Profitieren könnten von diesem Anschluss auch die Studieren-
den der Universität IUAV, die sich mit den Fakultäten Architek-
tur, Stadtplanung, Kunst & Design und dem Großteil ihrer Gebäude in der Südwestecke Venedigs angesiedelt hat. Könnte aber auch dazu führen, dass mehr Studierende dadurch auf das teure Wohnen in Venedig verzichten und nach Mestre ziehen. Kontraproduktiv für die sinkenden Einwohnerzahlen, schlecht für Altersstatistik Venedigs, förderlich dem weiteren Ausbau der Gästebetten, sei es als Hotels oder 'Ferienwohnungen'. 

Nächtliches Kirchweihfest S. Marta, 17. JH

Entlastet vom extremen Tagestourismus wird sicher auch der Trampelpfad Piazzale Roma-Bahnhof-Rialtobrücke-Markusplatz. TouristInnen können vom Festland kommend in S. Basilio auf die Linie 2 umsteigen und nach ein par Minuten direkt vor dem Dogenpalast landen oder völlig ungebremst auf dem Lido. Die 3 Stadtteile rechts des Canal Grande die sich gerne besucher- und verdienstmäßig benachteiligt fühlen (abgesehen vom Zentrum um den Rialto) bekommen einen Verkehrsknotenpunkt wie Canareggio an den Fondamente Nove. 

Und die Ecke zwischen S. Marta und S. Basilio bekommt vielleicht mehr BesucherInnenaufmerksamkeit. Dies war einmal eine extrem arme Gegend Venedigs, ganz früher bewohnt von Fischern (jeder Reiseführer erwähnt die Feindschaft zwischen Nicolotti, die hier wohnten, und Castellani (von S. Pietro di Castello), die für venezianische Verhältnisse in zwei Welten lebten und sich jährlich auf dem Ponte dei Pugni verprügel-
ten), später von den Arbeiterfamilien der dort angesiedelten Fabriken. Heute befindet sich hier neben den Hafenanlagen mit einem großen Parkplatz u. a. die Hafenverwaltung, aber auch das Männergefängnis im ehemaligen Kloster S. Maria Maggiore.

Auditorium in S. Marta, darunter und
links
und rechts davon die
technische

Konferenzinfratruktur
Die ehemalige Kirche S. Marta an der äußersten Landspitze ist nur öffentlich zugänglich bei Ausstellungen, Konzerten, sonst geschlossene Veranstaltungen. Sie wurde völlig entkernt und im leeren Raum zwischen Boden und Dach eine komplette Tagungsinfrastruktur installiert. Im 'Parterre' sind sanitäre Anlagen, die Versorgungstechnik, Büroräume und ein Fahrstuhl integriert, in der Mitte des Raumes ansteigend das Auditorium, zu dessen oberen Rängen der Fahrstuhl barrierefrei führt. Der Blick geht in allen Bereichen frei in den Dachstuhl, Ausstellungsflächen sind die Innenseiten aller Aussenwände und das komplett holzverkleidete Auditorium. Das Podium befindet sich vor dem gläsernen Seiteneingang, der natürlichen Lichteinfall ins Auditorium erlaubt, alle Fenster bis auf die beiden der Apsis sind vermauert. Mich hat die intelligente und großzügige Nutzung des geleerten Raumes sehr beeindruckt. Man erlebt einerseits durchaus den ehemals großen Kirchenraum und andererseits wirkte der Einbau auf mich als neue funktionale Einheit ohne dass ich ihn als Fremdkörper empfunden hätte. Gehört aber sicher in den Bereich der Geschmacksfragen.

Über die weiteren Kirchen der Nachbarschaft finden sich Beschreibungen in allen guten Reiseführern: die sehr alte wunderschöne Kirche S. Nicolò dei Mendicoli, deren Reno-
vierung der 70er Jahre wir alle aus dem Film "Wenn die Gondeln Trauer tragen" kennen.
Die Veronese-Kirche S. Sebastiano (eine Chorus-Kirche), kürzliche Restaurierung des Deckengemäldes durch Save Venice, interessante Details dazu.
S. Angelo Raffaele
mit wunderschönen Details und der Sakristei, die besucht werden darf. (Hinter der Mauer auf der anderen Seite des Kanals befindet sich die große Anlage der sozialen Gärten für alte VenezianerInnen.)

Links S. Nicolò dei Mendicoli, rechts eines der
IUAV-Universitätsgebäude
Das ehemalige Kloster S. Terese schräg über den Kanal bei S. Nicolò gehört ebenfalls zur IUAV, die Kirche ist geschlossen, der Kreuzgang kann besichtigt werden, ebenso wie der Kreuzgang des Universitätsgebäudes der Tolentini-Kirche, die nicht direkt zu dieser Gegend im Abseits gehören.    

Es gab am 28./29. Juli die erste lokale Sagra am Fest von Santa Marta, ein Nachbarschaftsfest anstelle des traditionellen Kirchweihfestes, die lokalen Blogs berichteten Hochstimmung und ausdrücklich die Tatsache, dass kein/e einzige/r TouristIn aufgekreuzt wäre. (Dem kann man abhelfen, im nächsten Jahr.)
Selbstverständlich traten Ska-j auf mit der Lokalhymne 'Santa Marta' (ich verlinke das Video mal WIEDER, denn ich liebe es!)

S. Basilio. Universitätsgebäude, Großsegler

Ergänzung am 24.08.: Hinweis zu Verkehrsregelungen auf der Brücke Mestre-Venedig während der aktuellen Phase der Bauarbeiten. Siehe unten.
(Hier noch der Link: Tram, obiettivo Venezia)

Außerdem ein Kommentar mit einem kulinarischen Hinweis zur Nachbarschaft S. Basilio.


ERGÄNZUNG 12.1.2014
Kurz vor Weihnachten 2013 wurde die Tram-Linie 19 zum Piazzale Roma in Betrieb genommen.Der nächste Schritt ist die Weiterführung vom Piazzale Roma bis San Basilio über Santa Marta.

Fahrplan Winter 2013/2014

Tram-Netz der ACTV
Informationen der Comune Venezia


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1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Liebe Brigitte,
vielen Dank mal wieder für die hervorragende Recherche bezüglich der Tram, die ich wirklich für eine gute Entwicklung halte, Du hast bereits alles gesagt. Und sehr informativ Deine Aussagen zu den Kirchen in dieser Region, die z.Tl. ja etwas abseits liegen und sich ein bisschen aus der Erinnerung zurückziehenen.
Außerdem käme ich mit der Tram nach San Basilio schneller zu meiner Lieblingspizzeria an den Zattere: Ae Ocche. Riesige Pizzen, sehr lecker, man sitzt draußen direkt am Wasser, guter Service. Zum Nachtisch gibt es auch Sgroppino, alles bestens. Kann ich nur empfehlen. Preiswert auch noch.
Viele Grüße
Aldebaran