Mehr als Kindergruppen und Barcodes
kundigen Kommen-
taren. Zum letzten Eintrag erhielt ich ein langes Mail von ihm mit (auch) kritischen Anmerkun-
gen und Beobach-
tungen, die ich nicht nur deshalb schätze, weil er "vom Fach", Architektur, ist. Er schreibt vorweg, "dass alles, was ich schreibe tendenziös ist. Ich schreibe hier keinen wissenschaftlichen Aufsatz.". Aber einen persönlichen, informativen und spannenden Standpunkt, deshalb (mit seiner ausdrücklichen Erlaubnis) hier zu lesen.
Erst mal zu den Schülern: Ich war vom 11. bis 15. November in Venedig, war einen Nachmittag in den Giardini, einen Nachmittag im Arsenale und noch zwei Stunden im Palazzo Bembo und ganz kurz an drei-vier anderen Orten. Die Giardini waren auch bei meiner Anwesenheit voll mit Schülern. Da wird zumindest in Norditalien sehr viel gemacht. Und die Biennale, die eine Gelddruckmaschine ist, die keinen Gewinn ausschütten kann, sponsert nicht nur Musikevents und Ausstellungen in Venedig, sondern auch die Schulpädagogik, sofern sie in Projekte eingebunden sind. Die wiederum sind oft von der Provinz Venezia organisiert.
Z.B. war ich im März zum Karneval in Venedig und war begeistert vom "Karneval der Kinder". Im Zentralpavillion der Giardini waren unterschiedliche Stationen vorbereitet und die Schulklassen wurden von speziell geschulten Pädagogen von einer Station zur nächsten gebracht. Es gab Geschichten, Historisches, Installationen und Möglichkeiten Masken oder Kostüme zu basteln. So durchdacht und mit so vielen Kindern habe ich noch nie vorher eine Veranstaltung gesehen.
Modell der Elbphilharmonie |
Zu den Kommunikationsmitteln: Ich habe in drei Pavillons Tablets von Samsung bekommen. Samsung scheint da also als so eine Art Sponsor aufgetreten zu sein. Einige meinten das durchaus ernst, aber den russische Pavillion fand ich im nachhinein durchaus subversiv. Die gesamten Wände und Decken waren ja lückenlos mit QR-Codes tapeziert. Wenn man die gescannt hat, kamen Informationen über ein Projekt. Diese Infos waren dann ziemlich konventionell. Außerdem habe ich in jedem Raum nicht mehr als 3 unterschiedliche Projekte gefunden.
Das Entscheidende war aber, dass gleichzeitig im gesamten Untergeschoss "verbotene Städte" gezeigt wurden. Städte der Rüstungsindustrie und der Forschung, die vor 1989 geheim waren. Bilder dieser Städte waren in den dunklen Räumen nur durch Löcher in der Wand zu sehen. Die QR-Codes im Obergeschoß waren, wenn man es positiv interpretiert, wie die Löcher in den Wänden des Untergeschosses, die den Blick auf bisher Verborgenes boten. Die reale Erfahrung war indes die, daß es ein ziemlicher Scheiß ist, wenn man ausschließlich auf die Informationen angewiesen ist, die die Codes vermitteln, wenn man keine andere Wahl hat, sich anders zu informieren. Und das haben auch die Schüler, die mit mir im Raum waren, sehr schnell erkannt.
Zum Thema der Biennale: Ich habe eben das Interview von Chipperfield angesehen und war erstaunt, daß er offensichtlich das eigene Thema, wie es im Katalog präsentiert und von etlichen der Kuratoren aufgenommen wurde, nicht verstanden hat. Sein Statement, er wolle Ideen präsentieren und nicht Architekten ist nicht deckungsgleich mit common ground, verstanden als öffentlicher Raum (der von Architekten mitgestaltet wird). Auch sein Rumstottern, daß eine Architektin, die erfolgreich ist, trotzdem weiblich sei, ließ mich hoffen, daß niemand nachfragt.
Das Thema einer Biennale ist nur für den Hauptkurator, also für den Hauptpavillon der Giardini und für die Corderie im Arsenal verbindlich. Viele der nationalen Pavillons greifen das Thema aber auf oder dekorieren ihr eigenes Thema so um, daß es anscheinend in das offizielle Thema paßt. Es kann also bei der Vielzahl der Objekte und Projekte durchaus hilfreich sein, vieles an diesem Thema zu messen. So hat man zumindest schon mal eine Fragestellung, mit der man sich den Dingen nähern kann. Dass man dann vielleicht noch Anderes findet, ist ja nicht ausgeschlossen.
Common Ground - öffentlicher Raum - ist nicht nur eins meiner Lieblingsthemen, sondern auch ein heißumkämpftes Thema in der Stadt Venedig. Der Stadtumbau ist allgegenwärtig und da in der gesamten Werbung der Titel Common Ground im Stil der venezianischen Straßenschilder, der nisioeti (auch nizioeti, selten sing. nisioeto = kleines Laken) erfolgte, war ich sehr gespannt. Und wurde sehr enttäuscht.
Im Eingangsbereich der Corderie war ein Pozzo aufgestellt, Sinnbild schlechthin des öffentlichen Raums in Venedig. Jeder hatte das Recht auf Zugang zu Trinkwasser. Die Pozzi wurden nachts abgeschlossen, Verunreinigungen des Wasser schwer betraft, bei Trockenheit waren auch die privaten Zisternen, z.B. in den Klöstern, zugänglich.
Ergänzt wurde das Ganze (im Eingangsbereich) durch einen Pavillon zur kostenlosen Trinkwasser-Versorgung und einer Zeitung, die den common ground thematisierte. Ein Professor der ETH Zürich (sie wissen, sie sind die schönsten, schlauesten und informiertesten) hat darin verschiedenste Untersuchungen zum öffentlichen Raum in Venedig angestellt. Herausgekommen ist aber nichts. Es war eher so ein methodisches Fingerspiel. Einerseits war ein Teil der Fragen nicht geeignet für eine qualitative Befragung, andererseits hatte ich den Eindruck, dass als Interviewpartner vorrangig eher die Menschen gesucht wurden, die einen Platz aufsuchen, als solche, die ihn durchqueren oder an ihm wohnen. Was ja bestimmte Ergebnisse begünstigt. Alles sehr schön designt, aber ohne Egebnisse (nach meiner Meinung).
Im nächsten Eintrag, ich bin dran. Herzlichen Dank für Dein Mail!
Deutscher Pavillon
Der deutsche Pavillon. Auch hier das Thema sehr schön visualisiert: Die Hochwassergestelle und -bretter von Venedig durchqueren den Raum, Sinnbild für die Nutzung de öffentlichen Raumes selbst unter schwierigen Bedingungen. Gleichzeitig tragen Sie die Beschriftungen der großformatigen Bilder. Das eigentliche Thema ist aber Wiederverwendung und Recycling, und so stehen im öffentlichen Raum vor dem Pavillion Mülleimer für getrennte Entsorgung. Innen gibt es stapelweise bedrucktes Recyclingpapier (in deutsch vergriffen, aber im Netz ...). Die gezeigten Projekte brachten weder in Bezug auf die Struktur des öffentlichen Raumes noch in Bezug auf seine Gestaltung neue Ansätze (nach meiner Meinung, allerdings habe ich mir nicht alles, was noch dazu im Netz steht, durchgelesen).
In den Corderien vermittelten die Architekten der Hamburger Elbphilharmonie mit viel Aufwand, dass für die unglaubliche Schönheit des öffentlichen Raumes Elbphilharmonie kein Opfer der öffentlichen Hand zu groß sei. Kaum ein Freund der Architektur, der von den großen Modellen nicht begeistert war.
Den italienischen Pavillion fand ich gar nicht so schlecht. Er ist ja sehr groß. Neben der Pflanzen-Geschichte gab es noch andere Projekte und eine sehr gute Ausstellung über Olivetti, der mit Ivrea einen ganzen Ort als Standort für seine Fabrik gestalten ließ. Aber nicht nur die Gestaltung der Fabrik war sein Anliegen, auch bei der Schule war er aktiv, bei der Stadtplanung und der Planung für die Wohnungen der Arbeiter. Schließlich hat er noch als Politiker kandidiert. Selbst wenn man besten Willen unterstellt, alles in allem ganz schön viel Macht über den öffentlichen Raum und daher auf dieser Biennale goldrichtig. Und ein Grund, mal wieder den Olivetti-Laden an der Piazza zu besuchen (von Carlo Scarpa entworfen).
Pavillon Korea
Von Jean Nouvel gab es einen Entwurf für Stockholm, der mir gut gefiel und im koreanischen neben dem deutschen Pavillon gab es noch ein tolles Video, auf dem eine Kreuzung ohne Gehwege zu sehen war, auf dem Fußgänger, Radfahrer und Autofahrer gleichberechtigt waren und sich alle langsam und rücksichtsvoll bewegten.
Es gab natürlich noch viel mehr Bemerkenswertes. Die Projekte, die besonders konkret Beiträge zum Thema Common Ground leisteten, habe ich vor allem im Palazzo Bembo gesehen (bei Rialto), der sich zu einem guten Ausstellungsort gemausert hat.
Als letztes die von dir erwähnte Kirche San Lorenzo. Jaaaaaaaaaaaaaa, super, seit Jahrzehnten verschlossen. Ort der legendären Aufführung von Cacciari und Nono (+Renzo Piano). Endlich bin ich drin gewesen. Der Raum ist ein Hammer. Der Riesenkubus einfach quer geteilt mit einem riesigen doppelansichtigen Altar, davor die Ausgrabungen der Vorgängerkirche, die so seit den achziger Jahren liegen geblieben sind. Das ist nur etwa 25-30 Jahre nach der Redentore gebaut und so anders. Der Bereich der Mönche so groß wie der, der dem Volk zugänglich ist. Und die Mönche viel näher am Volk. Ich kann es mir gar nicht vorstellen. Hast du Infos darüber?
Alle Fotos dieses Eintrags: Andreas Götz