29. Juni 2014

Die Biennale 2014 ist: leer

Architekturbiennale oder Ethno-Museum?
Leer ist nicht nur der erste, sondern der gesamte Eindruck, bevor es differenzierter wird. Das mag daran liegen, dass die Ausstellungsdauer von 3 Monaten (Sept./Okt./Nov.) verdop-
pelt wurde auf 6 Monate (plus Juni/Juli/Aug.). Da verteilen sich die BesucherInnen eben großzügig im Gelände und freuen sich, dass sie weder bei Kassenhäuschen noch Sanitärräumen Schlange stehen müssen und für eine Flasche Wasser oder ein Brötchen umstandslos an den leeren Tresen treten, bedient werden, Platz nehmen. 



Neue Bar-Terrasse hinter dem deutschen Pavillon
Das Angebot an Bars wurde erweitert (die hirnundmagen-
verdrehende Rehberger-Bar leider unverändert, aber jetzt menschenleer, ha): in den Giardini wurden im hinteren Bereich links der Brücke viele Tische und Bänke aufgestellt und anstelle der kleinen Kaffeebude eine reguläre gläserne Bar eingerichtet. 



Eine weitere gläserne Bar steht ganz neu hinter dem deutschen Pavillon und auf mehreren Ebenen wurde im Baum-
schatten eine noch nach frischem Holz duftende große Terrasse bis zum russischen Pavillon angelegt, die eine der spektakulärsten Aussichten Venedigs bietet. Ein neues Highlight, das man nicht verpassen sollte! Das gesamte Panorama von Stadt, Inseln, Bacino, umwerfend! Viele Plätze für viele BesucherInnen! Leider nicht geöffnet mangels BesucherInnen, was mich nicht hindert, frische Kirschen und Müsliriegel auszupacken und sie schwes-
terlich mit 3 Tauben zu teilen, die mit mir am Tisch Platz nehmen. 


Im Arsenale Novissimo wurde ebenfalls eine neue Bar eröffnet, in der Tesa 105, die quasi der Eingangsbereich ist, wenn man von der Haltestelle Bacini kommt. Also im eintrittsfreien Be-
reich des Arsenales, in dem bei Kunstbiennalen viele Aus-
stellungen untergebracht sind und der bisher leider ohne jede Versorgung war. Ein angenehm hoher weißer Raum, kühl und großzügig leer mit Blick aufs schattenlose Arsenalebecken und menschenleere Ausstellungsgelände in der Sonne gegenüber. Ein paar Tische mit großen Sonnenschirmen am Ufer draußen.

Da die geplante Brücke zwischen Torre della porta nuova und Giaggandre immer noch nicht gebaut ist, gibt es eine "Navet-
ta", ein kleines Motorboot, das zu festen Zeiten vom Arsenale ins Arsenale Novissimo übersetzt (wo es nur 2 Ausstellungen gibt), ich vermute, in umgekehrter Richtung gegen Vorlage einer gültigen Eintrittskarte.


Der von mir zu Kunstbiennalen immer wieder empfohlene Eingang durch das geöffnete Fenster in der Arsenalemauer steht nicht zur Verfügung, eben weil es hier "nur" 2 Aus-
stellungen gibt (genau: Tesa 100, Across Chinese Cities - überwältigende Menge an Details, für die man bei Interesse wirklich Zeit aufwenden sollte; und Tesa 92, India The Revealed Mysteries, jenseits der Biennale mit extra Eintritt von 12 € indische Gegenwartskunst, hatte für mich keine Priorität). 


Soviel zu den praktischen Dingen.


Friedrich Mielke erklärt wunderbar
Die Biennale in 3 Teilen unter dem Gesamttitel "Fundamentals" braucht Inhaltsverzeichnisse (die ich erst am Ort annähernd kapiere) - "Elements" im zentralen Pavillon der Giardini, "Mond-
italia
" in der Tana des Arsenale und 66 nationale Auftritte unter dem Titel "Absorbing Modernity"  in den Pavillons in Giardini, Arsenale, Stadt. Die Bedeutung von "absorbing" bleibt zweideutig - wird die Moderne absorbiert oder absorbiert sie? 

"Elements" hätte wohl ein Quilt sein sollen der die Basisteile von Architektur darstellt, ist aber ein Patchwork höchst ver-
schiedener Einzelteile geworden, hergestellt von höchst ver-
schiedenen Leuten/Arbeitsgruppen und ohne inneren Bezug. Da hat der Kurator  R. K. gepennt. Das Ergebnis, das mehr sein sollte als die Summe seiner Einzelteile, strahlt hier einfach nicht aus. Wer Sammlungen von 300 Türklinken sieht, von Toiletten oder kostbaren Häusermodellen aus Indonesion und Papua Neuguinea, sich von beweglichen Trennwänden, Pro-
duktionsprozessen von Fenstern oder Rolltreppen beeindruc-
ken lässt, hat danach genau die Einzelteile im Kopf, aber kein Konzept, weder zur Architektur noch zu ihrer Bewertung.

 
Detail der Nationalausstellung Neuseeland (Palazzo Pisani, calle delle erbe)

Jede/r findet die Details, die ihm/ihr gefallen, mich hat sehr tief beeindruckt und belehrt der Film über Friedrich Mielke und dessen Vortrag; auch der erstaunliche Film über die Tunnels von Welbeck Abbey
Aber der (hier unterstellte!) Sinn der Recherche und Ausstel-
lung von "Elements", falls es nicht die Chance für 100 oder mehr Koolhaas-StudentInnen ist, in ihr CV "Mitarbeit an der 14. Architekturbiennale" zu schreiben, ist mir wohl eher ver-
borgen geblieben.



Perspektiven im Pavillon Griechenland
Dagegen hat mir "Monditalia" in Übereinstimmung mit anderen BesucherInnen gut gefallen, der derzeit am besten besuchte Teil der Biennale. Was auch an den Anteilen von Tanzbiennale (Mitte Juni bis Mitte Juli) und quasi Filmbiennale liegen mag, die hier munter mit eingebaut werden. In der Tana/den Corde-
rie finden den ganzen Tag auf verschiedenen Bühnen Proben statt (die Aufführungen laufen abends ohne mich als Zuschau-
erin). 

82 Filmfragmente vor allem italienischer Regisseure des letzten Jahrhunderts, aber auch von den verehrten Angelopoulos, Godard, Straub, Tarkowskij etc. werden in Dauerschleifen gezeigt. Das ist nett, an Clips sind wir einerseits gewöhnt, und eine einzelne Szene, mehrfach hintereinander gesehen, ist andererseits ein ungewohntes Seherlebnis eines längst bekannten Films.

Die "Monditalia" besteht neben diesem Entertainment aber vor allem aus italienischen Problemprojekten - Sachen, die gründ-
lich schief oder aus dem Ruder liefen, die sich nicht retten ließen, Naturkatastrophen, Fehlplanungen. Zum Teil geht es auch um Architektur, aber eigentlich um das gesellschaftliche Chaos Italiens, das auf seine Weise so deprimierend ist wie das Griechenlands, das mir vertrauter ist. 


Um wieder zwei Beispiele zu nennen, die mich besonders be-
eindruckt haben: Assisi Laboratory über die Folgen des Erd-
bebens 2012 und die Probleme des Tourismus in dieser kleinen Stadt; und La Maddelana, die Insel, auf der 2009 der G 8-Gipfel stattfinden sollte, der kurzfristig von Berlusconi in das Erdbebengebiet von L'Aquila verlegt wurde. Die Perspektiv-
losigkeit der kostenorientierten "Restaurierung" in Assisi und der verschwendeten Mittel auf La Maddalena sind (mir) uner-
träglich, die Trauer der gezeigten Menschen und die Vergeblichkeit ihrer Arbeit brechen einem (mir) schier das Herz. 


Auf YouTube gibt es viele interessante Videos aus "Monditalia", die einen Blick wert sind. 


Ungarische Sitzbänke

Von den nationalen Präsentationen bleiben wie immer 

Rätsel (z. B. Ägypten, Groß Britannien, Schweiz (der Pavillon in den Giardini) überfordern mich); 

Ärger (z. B. Griechenland - müssen in dieser an sich sehr be-
eindruckenden Ausstellung die Erklärungen zu Modellen auf 1,20 m Höhe sein, in winziger Schrift und mich zu einer idio-
tischen, unbequemen Leseposition zwingen? Israel - was haben diese Sandzeichner mit dem politischen Aspekt der Siedlungspolitik der letzten 50 Jahre zu tun, der mich inte-
ressiert? Marocco - alle paar Jahre wiederholt sich die Idee, einen Pavillon 1/2 m hoch mit Sand einzustreuen, diesmal also Marocco. Ich mag keinen Sand in den Schuhen!); 


Beeindruckende Erfahrungen (z. B. USA - ein Büro mit Spiegelwand, was für ein Alptraum! Polen - politische Ge-
schichte anhand eines einzelnen Monumentes. Neuseeland und Süd Afrika - koloniale und postkoloniale Architekturgeschich-
te. Ungarn - eine sympathische Ausstellung, Modelle und Fotos, die die Laiin nicht überfordern und auch die ungarische Möblierung im hinteren Teil des Biennalegeländes mit schönen Sitzgelegenheiten gefällt mir);


Überzeugende Präsentationen (z. B. Dänemark - ein ästhe-
tisches, inspirierendes Erlebnis. Canada - Nunavut, ein fremder Kosmos, kreativ und informativ dargestellt. Nordischer Pavillon mit Tanzania, Kenia und Zambia - "Entwicklungs-" und Koope-
rationsprojekte ohne postkoloniale Ausbeutung).



Ich stoppe befehlsgemäß vor dem Grabmonument im polnischen Pavillon
Die Frage nach der Absorbierung der/durch die Moderne liegt außerhalb meiner Kompetenz. In den Jubel um Rem Koolhaas konnte ich noch nie einstimmen, und es gibt in meiner Sammlung von Berichten und Besprechungen genügend kriti-
sche und würdigende Stimmen von Fachmenschen zu Rem Koolhaas, seinem Konzept, seiner fachlichen Leistung als Di-
rektor der Biennale und seinem Anspruch als globalem Archi-
tektur-Platzhirsch. Der Mann ist bekanntrmaßen ursprünglich Journalist und Bedeutungen von Menschen, Dingen und Bewertungen ändern sich. Die Biennale dauert noch weitere volle 5 Monate, zu früh, Bilanzen zu ziehen.  



Hier wird "echt" gebaut: neuer australischer Pavillon

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