Scuola Grande della Misericordia in neuem Glanz
Fresco der Veronese Schule oberer Saal |
Die Restaurierung der Scuola Grande della Misericordia ist abgeschlossen. Es gibt eine neue Website und seit Ende April steht das Gebäude der Öffentlichkeit zur Verfügung. Ich habe nach 3 Besuchen von Ausstellungen in den Jahren 2009 und 2011 nun Ende Mai das Vorher mit dem Nachher verglichen: begeistert. Wenn auch nicht ganz restlos.
Ziegelboden linkes Seitenschiff, 2011 |
Nordwestecke: alter Boden, darüber neuer Bodenbelag 2016 |
Ich hatte durch die Medienberichte eine Vorstellung, was auf mich zukommt:
Il Gazzettino (erstaunlicherweise datiert 12.6.2015, was eigentlich nicht sein kann): Scuola Misericordia, conclusi i lavori: "Connubio tra tecnologia e restauro"
La Nuova (10.3.): Riapre la Misericordia deomenica i primi visitatori
Venezia Today (10.3.): Conclusi il restauro, riapre la Scuola Grande della Misericordia a Venezia
Venezia Radio TV (22.4.): La Misericordia rinasce dalle sue ceneri, sabato l'apertura
La Nuova (25.4.): La Misericordia apre nel segno del basket
La Nuova (30.4.): La Misericordia: le foto di oggi e quelli di ieri, la festa per il "Più bello palazzetto del mondo"
und ein kleiner Trailer des Films "La palestra più bella del mondo" von Carlo D'Alpaos, der öfters erwähnt wird...
Parterrehalle 2011 |
Parterrehalle 2016 |
...war aber dann doch wirklich angedonnert, mitten in der Pracht zu stehen, vor allem im Glanz des Fußbodens, dessen Material ich nicht auf Anhieb einordnen konnte. Es scheint sich um Metallplatten (!) zu handeln, ca. 2 mm dick. (Angefasst, gekratzt, geklopft, mit den Materialproben der Ausstellung verglichen. Metall. Wie ist das mit dem Gewicht? Wie reagiert das auf Erdbeben?)
Ich finde den geradezu magischen Schimmer des Materials im Obergeschoss und im Treppenhaus (beides vorher Beton) großartig. Im Parterre allerdings, wo noch der schöne Ziegelboden lag, hätte das aus meiner Sicht nicht sein müssen, sollen, genau genommen nicht sein dürfen. An der Südwestecke meine ich zu erkennen, dass die Metallplatten auf die Ziegel gelegt wurden und hoffe also, dass der alte Zustand wieder herstellbar wäre. Wenn man vielleicht eines Tages den eleganten und pflegeleichten Metallboden satt hat.
Graffitto Joss Weber 2011 |
Graffitto Joss Weber 2016 |
Die Säulen der unteren Halle wurden schön restauriert, auch die 'privaten' Graffitti des 19. JH an den Ost- und Nordwänden wurden erhalten. Zerstörte Stuckteile an der Decke wurden nicht ersetzt, sondern als Fehlendes in die Restaurierung einbezogen. Der enorme Riss in der Nordwand ist gemäß state of the art des Restaurationshandwerks sehr schön geschlossen. In der Westwand sind Details zu sehen, die ich vorher nicht kannte: ein kleines Innenfenster zum Beispiel.
ABER: an der Stelle des früheren Altars an der Nordwand der Parterrehalle wurde ohne Not ein Durchbruch für eine Glastür mit Windfang gemacht. Die Tür sieht vom Eingang her winzig klein aus, und wenn man davor steht, erlaubt sie einen schönen Blick auf den Campo, die alte Misericordia und die Kirche S. M. Valverde. Aber braucht man das? Nein, also warum macht man das? Auf der Website wird die Tür als "der neue Eingang" bezeichnet, also buchstäblich 'hintenrum'. Unsinnig, wenn es vornerum eine ordentliche funktionierende Eingangstür gibt.
Riss in der Nordwand 2011 |
Riss in der Nordwand 2016 |
Riss in der Nordwand 2016 |
Auf der Westseite des Gebäudes wurde ein Servicebereich mit allem Zipp und Zapp integriert: Sanitärräume ganz in Marmor auf beiden Etagen; ein kleiner Fahrstuhl zum eigentlichen großen Fahrstuhl zur oberen Etage (dessen langsame Bewegung nicht spürbar ist); anscheinend eine Bar, auf jeden Fall Bewirtungs- und Technikinfrastruktur.
Überhaupt, die Lichttechnik, vom Feinsten. Die hätte Herr Donnersmarck vielleicht gerne gehabt, als er hier im Parterreraum die Ballszene seines "Tourist" drehte. In die Handläufe des überraschend prächtigen, säulen- und skulpturengeschmückten Treppenhauses (ich kannte es praktisch nur als Baustellentreppenhaus - Beton, Weichholzgeländer, Verschalung) sind Leuchtröhren integriert, die vom Metallbelag der Stufen reflektiert werden - ahhh!
Treppe rauf 2009 |
Treppe rauf 2016 |
Treppe runter 2009 |
Treppe runter 2016 |
Auf der oberen Etage angekommen, wird man vom Anblick des riesigen hellen Raums (ohne Säulen) mit den Fresken der Veronesewerkstatt oder -schule überwältigt. Und nachträglich immer wieder von der Vorstellung, dass dies eine Sporthalle war, SpielerInnen, Fans, alles. Und von der Bewunderung für die Leistung Sansovinos - sein Bibliotheksdach der Marciana kam zwar runter, aber dieses extrembelastete Gebäude steht!
Fresco im oberen Saal 2011 |
dasselbe Fresco im oberen Saal 2016 |
Die neue Treppe, die außerhalb des Gebäudes auf der Nordwestecke angefügt wurde, ist neben ihrer Funktionalität ein Kunstwerk für sich. Eine Skulptur aus rotrostigem Metall, ich weiss leider nicht, wer sie entworfen hat.
Terrasse Nordwest 2009, auf der 2015 die neue Außentreppe landen wird |
Obere Hälfte der Außentreppe, Eingang zum Obergeschoss 2016 |
Zur Zeit bis 27.6. wird in der unteren Halle eine sehr interessante Ausstellung "Designing the Complexity" zur Renovierung-Restaurierung des Gebäudes gezeigt. Materialien etc., unbedingt interessant für LaiInnen, für Fachleute sicher ein detaillierter Blick. Eintritt frei.
Künftig sollen hier regelmäßig Ausstellungen und andere Veranstaltungen stattfinden. Informationen dazu finden sich unter News auf der Website, aber auch im Kulturkalender auf diesem Blog. Auch ohne Ausstellung im Gebäude ist es ab dem 1.7. Frei-Sa-So von 10-18 Uhr für das Publikum geöffnet und in aller seiner Pracht zu besichtigen. (Über Eintrittskosten ist mir bisher nichts bekannt.)
Säulen und Skulpturen am Treppenabsatz oben |
Die Restaurierung des Gebäudes wurde finanziert, wie man in den italienischen Medienberichten oben lesen kann, mit Privatmitteln von ca. 10 Mio € des Unternehmers Luigi Brugnaro, derzeitiger Bürgermeister Venedigs, Inhaber der Zeitarbeitsfirma Humana und Inhaber/Vorsitzender des Sportvereins Reyer, des ehemaligen Nutzers der Palestra Misericordia. Für die nächsten 40 Jahren hat er, Brugnaro, die Konzession für den Betrieb der Scuola Grande della Misericordia.
Bisherige Einträge mit Bezug zur Misericordia bei 'Unterwegs in Venedig':
27.07.2009 Scuola Grande della Misericordia
25.09.2011 Mehr eintrittsfreie Biennale
16.10.2011 Biennale und mehr im Oktober
29.02.2012 Ein Palladio! Scuola dei Mercanti
07.03.2015 Hüllen und enthüllen
Außentreppe Nordwest Mai 2015 |
Nachtrag 24.12.:
Ein Korrespondent führt per Mail diesen Eintrag weiter, ich danke herzlich, auch für die Erlaubnis, seinen Text zu veröffentlichen:
Die wenigstens zeitweilige Zugänglichkeit der Scuola Grande della Misericordia offenbart das Genie Sansovinos: endlich versteht man die merkwürdigen Versprünge im Backsteinmauerwerk an den Außenwänden. Das Erdgeschoss ist innen architektonisch nämlich geradeso instrumentiert wie das Äußere in beiden Geschossen hätte sein sollen, Innen und Außen korrespondieren miteinander, der Geist der Hochrenaissance scheint hier auf und es wird einem bewusst, wie wichtig der Einfluss Roms auf die Baukunst Venedigs ist, trotz der behanrrenden Tendenzen in der Lagune.
Dem zugewanderten Sansovino gelingt hier eine eigenständige Interpretation der ja etwas nüchternen Bauaufgabe "Scuola", einer venezianischen Sonderform, die sonst - d. h. um 1500 und noch später - ganz auf den Glanz oder den künstlerischen Reichtum der Ausstattung und nach Außen auf eine Schaufassade setzt.
(GF)
Nachtrag 12.5.2020
Fund im www: "Die schönste Sporthalle der Welt"
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