14. April 2017

Tipps für Biennale-Debütant*innen

2011, Pavillon Italien

In den letzten Tagen habe ich die VORSCHAU-Einträge für die Kunstbiennale weiter ergänzt, in 4 Wochen startet die Bescherung. Fast täglich gibt es noch Ergänzungen beim 4. Eintrag, vermutlich auch weiterhin. Viel Vergnügen ab dem 13 Mai allerseits!

13.1. Erster Blick zur Biennale 2017 - Giardini
15.1. Erster Blick zur Biennale 2017 - Arsenale
24.2. Biennale 2017 - Nationalpavillons in der Stadt
10.3. Biennale 2017 - Nebenausstellungen in der Stadt


Hier will ich noch die inhaltlichen und lokalen Unterschiede dieser Ausstellungen sortieren. Für Erstbesucher*innen sind sie verwirrend und für Einmalbesucher*innen bleiben sie vermutlich ein Rätsel. Für den Kunstgenuss muss man das nicht durchblicken, aber ein bisschen Strukturverständnis gibt ein bisschen Orientierung. 


2015, vor der Zentralausstellung " World's Futures", Giardini

Zentrale Ausstellungsorte sind Giardini und Arsenale. Das ist der kostenpflichtige Bereich. Die normale 25 €-Karte gilt für 2 Tage, je einen Eintritt in die beiden Gelände. Die beiden Besuche müssen nicht an aufeinander folgenden Tagen stattfinden. In jeweils 8 Stunden schafft man es ganz gut einen Überblick zu gewinnen. Man kann die Karten online kaufen, aber es gibt vor beiden Bereichen genügend Boxoffices. Die Laufzeit des Tickets beginnt nicht beim Kauf, sondern beim ersten Einchecken in einen der beiden Ausstellungsbereiche. 



Aussschnitt aus "Dove vai in vacanza?" von Alberto Sordi 

Inhaltlich ist die Ausstellung in beiden Bereichen geteilt in die Präsentationen der Nationen, Pavillons (padiglioni) genannt, und die zentrale Ausstellung "Viva Arte Viva" der Biennalekurator*in, in diesem Jahr Christine Macel
Die nationalen Ausstellungen werden inhaltlich unabhängig von der Biennaledirektion von den Ländern verantwortet und kuratiert. Die Länder stellen ihr jeweiliges Konzept formal der Biennaledirektion vor; die Länderkurator*innen orientieren sich am Biennalethema nur dann, wenn sie das wünschen. 

In den Giardini sind die 29 Pavillons beachtenswerte architektonische und auch architekturhistorisch bedeutende Selbstdarstellungen der jeweiligen Länder, erbaut zwischen 1907 und 1995. Im Arsenale sind die Nationalpräsentationen untergebracht in der zunehmenden Zahl von alten Gebäuden der Staatswerft, die in den letzten 30 Jahren langsam restauriert/renoviert wurden: den Artiglerie, verschiedenen Tese, im Isolotto, in den Sale d'Armi und den Giaggandre, sowie im Giardino delle Vergini
Plan des Arsenale: dunkelgrau markiert ist der kostenpflichtige Biennale-Bereich, Eingang ganz oben rechts. In der unteren Hälfte restaurierte Gebäude des Arsenale Novissimo, in dessen Tese (numeriert) Nebenausstellungen stattfinden (können), ebenso im Giardino Thetis.
Die Hauptausstellung in den Giardini ist immer platziert im Zentralpavillon (und in diesem Jahr entsprechend dem Konzept Christine Macels auch in Trans-Pavillons, siehe Link oben). 
Der Teil der Hauptausstellung im Arsenale befindet sich in den Cordiglerie, auch Tana genannt, der ehemaligen Reeperbahn der Riesenschiffswerft der Republik Venedig. Funktionsgemäß ein endlos langer Schlauch, der unterteilt ist in die Bereiche der eingeladenen Ausstellenden. 


2011, Arsenale, Tana (Cordiglerie)

Zum ersten Mal gibt es auf der Website der Biennale eine Präsentation der zur Hauptausstellung eingeladenen 120 Künstler*innen, die einen Kurzfilm über sich selbst einzureichen aufgerufen wurden. Zu finden im Mediacenter der Biennale.
Schöne Idee, ohne gezielte Auswahl greife ich ein Beispiel heraus:



Nicht alle Nationen finden Platz in den Giardini und im Arsenale und weichen deshalb in die Stadt und sogar auf Inseln aus. Siehe Blogeintrag dazu

Darüber hinaus gibt es in der Stadt die offiziellen Nebenausstellungen, 'eventi collaterali', 'collateral events'. Sie sind als "offiziell" geadelt per Antrag + Genehmigung durch die Biennaledirektion, stehen auf der kollateralen Liste der Biennale und (wenn rechtzeitig angemeldet) in weiteren Veröffentlichungen und haben das Recht, das Biennalelogo zu führen und groß als Schild vor ihre Tür auf die Straße zu stellen. Das ehrt nicht nur, sondern bringt marketingtechnisch eine Menge für die Veranstalter*innen und Künstler*innen der Nebenausstellungen. Man stellt ja in Venedig aus, weil man von der Kunst lebt. 

Der Eintritt in den Nationalausstellungen und offiziellen Nebenausstellungen außerhalb von Giardini und Arsenale ist grundsätzlich frei. Davon profitiert, wer nur kurz in der Stadt ist und quasi en passant ein paar kleinere Ausstellungen von Gegenwartskunst mitnehmen will, oder wer kein Interesse an ganzen 2 Tagen Gegenwartskunst in Giardini und Arsenal hat, aber trotzdem Lust auf Biennalefeeling. 


2015. Nationalpavillon Luxemburg, Ca' del Duca am Canal Grande

Toll sind diese Ausstellungen auch für Kunstliebhaber*innen, die unwiederholbare Kombinationen von Kunst und Ausstellungsraum genießen, teilsweise mit Werken, die eigens für einen bestimmten Raum eines Palazzo, einer Kirche, eines Kreuzgangs, einer Werft... konzipiert wurden. Und natürlich profitieren die Venedig-Appassionati von der temporären Öffnung dieser Gebäude für das Kunstpublikum. 

Das trifft auch auf die NICHT offiziellen Ausstellungen zu, die ich im Eintrag Nebenausstellungen in der Stadt NICHT von den offiziellen trenne. Im Prinzip und theoretisch kann im Bereich der Nichtoffiziellen jede*r ausstellen -  einen Ausstellungsraum finden und mieten, Exponate transportieren (Wasser!), versichern, instalieren etc., eine*n Studierende*n für 6 Tage/Woche reinsetzen und bezahlen. Das geht in der Praxis jedoch nicht ohne die Unterstützung venezianischer  Agenturen (ein Beispiel), die als Rundum-Dienstleister aktiv sind, auch für Einzelausstellungen. In Venedig vertreten sind auch Sammelaussteller, die Galerien und Künstler*innen die Teilnahme gegen Kostenbeteiligung anbieten. Im Internet kann man die Bemühungen um Fundraising (hier 43.000 $) verfolgen, um der "Einladung" zur Teilnahme folgen zu können. Es gibt gescheiterte, aber auch erfolgreiche Beispiele. Sehr detailliert und gut recherchiert beschreibt das Sarah Hyde in ihrem Artikel vom 8.2.17 der artnet news. Aber auch die Finanzierung der Nationalpavillons ist nicht ganz unprekär, lies Interview mit einer der beiden Ausstellenden des österreichischen Pavillons, Brigitte Kowanz, vom 18.4. 

Und natürlich nehmen die Galerien in der Stadt die Anwesenheit massenhafter internationaler Kunstfreund*innen zum Anlass, Sonderausstellungen einzurichten, wenn sie nicht sowieso schon Gastgeber von Nebenausstellungen sind. Das ist dann legitimes Trittbrettfahren.


2013, Pavillon Großbritannien
Noch ein paar kleine Tipps für Biennale-Debütant*innen:

  • Für den Besuch in Giardini und Arsenale Lebensmittel einpacken: Obst, fertige Sandwiches, Riegel u.ä., Wasserflasche.
    Die Versorgung innerhalb der Biennale ist teuer und die Schlangen beim Verkauf teilweise richtig lang. Sich für einen Espresso anstellen und ihn auf einer der Terrassen geniessen kann man trotzdem noch.
  • Nicht aus Sparsamkeitsgründen auf die Nutzung von Vaporetti verzichten. Das Latschen in den Ausstellungen und von einem Ausstellungsort zum anderen macht Entlastung erforderlich, wo immer sie angeboten wird.
  • Bequemste Schuhe tragen. Nach einem Biennaletag schmerzen die Füsse und Beine ohnehin - für die Kunst muss gelitten werden. Aber nicht durch falsches Schuhwerk.
  • Nicht vergessen: Fotoapparat, Notizheft/Stift und eine Stoffumhängetasche für das viele Informationsmaterial, das in den Ausstellungen angeboten wird. Und Schießgummis für aufgerollte Posters. 
  • In Venedig immer empfehlenswert: Sonnenhut. Man kann in der Stadt nicht wählen, im Schatten zu gehen, wenn das Kanalufer nun mal in der Sonne liegt. 
  • Ein Blick auf den "Toiletteneintrag" kann nicht schaden. Oder zumindest auf die neueste Ergänzung: "Find the restroom closest to you". Hilfreich!
  • Für alle, aber besonders Biennale-Erstlinge, ist in Fragen der Übersicht die Mai-Ausgabe der Monatszeitschrift VENEWS eine gute Hilfe. Sie enthält zu jeder Biennale die Beilage "THE BAG" mit mehreren Plänen zu den Ausstellungen in der Stadt und auf den Inseln. Abgesehen von Kurzbeschreibungen aller Nationenpavillons, Interviews etc. und natürlich Unmengen Werbung. (Was den Preis für Endverbraucher*innen niedrig hält.) Wenn die Hefte an zentralen Kiosken beizeiten vergriffen sind, bekommt man sie dezentral, z. B. auf der Giudecca, problemlos. 

Und für Unentschlossene:

Durch Kontakte über diesen Blog erfahre ich von Venedigtourist*
innen, die zögern, die Kunstbiennale zu besuchen, weil sie "nichts von Kunst verstehen". Oder klassische Kunst in Museen und Kirchen bewundern, aber von Gegenwartskunst generell irritiert sind. 

Dazu ist zu sagen: Versuch macht kluch. 

Wer glaubt, etwas nicht zu verstehen, muss seinem normalen Menschenverstand eine Chance geben und sich überraschen lassen. Und wo bitte, wenn nicht da, wo die Auswahl am größten ist? Auf der Biennale in Venedig. 
Jede*r erlebt Kunst auf persönliche Weise, nimmt das für sich mit, was sie und ihn berührt. Die Kunst kann dämlich sein und langweilig, sie kann verstören und ärgern, sie kann banal und billig sein, sie kann sehr witzig sein aber auch schockierend, sie kann mitreissen, zum Niederknieen bewegen oder einem dem Atem rauben, sie kann in Einzelfällen auch ohne Foto für immer großartig oder schrecklich im Gedächtnis bleiben. Aber sie ist unverzichtbar. Die Kunstbiennale ist eine gigantische Wundertüte - so etwas lehnt man nicht ab, man probiert es aus. 

Wer nach dieser Erfahrung Lust auf mehr Wissen hat und ein bisschen Zeit investieren kann, findet vielleicht den "Städel Kurs zur Moderne - Kunstgeschichte online" spannend. 

Ergänzung 4.5.: "Inside the Biennale" - so geht Biennale aus der Sicht von Künstler*innen und Kurator*innen. Eine Serie kleiner, schöner Filme in 360°-Aufnahme. Der erste Teil von insgesamt 9.


2013, Pavillon USA

Ich biete BEGLEITUNGEN in Venedig zu den National- und Nebenausstellungen in der Stadt an. Nach Wunsch und Absprache. Kurze Kontaktaufnahme bitte per Klick auf "Begleitung in Venedig", Ecke rechts ganz oben.


.

3 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

Vielen Dank für deinen Einblick in die Biennale. Es macht Freude, deine Einträge zu lesen und man sieht ihnen die Mühe an, die du dir gegeben hast.
LG
Frank

Unknown hat gesagt…

Vielen Dank für deinen Einblick in die Biennale. Toll gemacht!
Fran

Schantalle hat gesagt…

Danke.
Ich muss dahin!