Litauens Biennale-Strand und das Blaue Jahrhundert
9:45 Uhr: Ensemble singt sich für den Start der Performance ein |
Wegen der vielen Biennale-Pilger*innen auf der sonst wenig frequentierten Strecke zwischen der Riva beim Arsenale und der Celestia (die kürzeste Verbindung zwischen Süd und Nord in Venedig) ist noch mal Aufmerksamkeit geboten für den Pavillon von Litauen, Goldener Löwe 2019, siehe Eintrag vom 16.6.19 "Sun + Sea + Marina + Litauen".
Um auf 2 Besonderheiten hinzuweisen, damit niemand enttäuscht vor verschlossener Arsenalemauer an der Celestia steht:
- Der Pavillon spielt nicht die ganze Biennalelaufzeit, 24.11., sondern schließt bereits am 31.10.! Es wird einfach zu kalt für das künstlerische Strandleben im ungeheizten Pavillon. Schon im Juni gab es ein paar ausgesprochen kühle Tage, an denen Ensemble und Freiwillige im Sand vor Kälte schnatterten und notgedrungen Tshirts überziehen mussten.
- Zusätzlich wird der Pavillon in der nächsten Woche vom 15.-18.10. geschlossen, weil eine Marine-Tagung im Arsenale stattfindet. In den 4 Tagen ist 1 Performancetag enthalten, Mittwoch 16.10.
Natürlich will man wissen, was Wichtiges in diesen Tagen passiert und findet im www:
12. Regional Seapower Symposium 2019 - Navies for the Blue Century.
Begriffe wie "Blue Century" und "Seablindness" werden benutzt als seien sie Allgemeingut, mir sind sie aber neu. Ich suche und finde:
- Pronto per il "Blue Century"? (Website von MARè - Museo del Mare per Ravenna)
- Rose George: "Inside the secret shipping industry" - ein TED Vortrag (2013)
- "Seeblind - der wahre Preis der Frachtschifffahrt" - ein Dokufilm von SWR und NDR von 2016, der aber leider nicht mehr in der Mediathek der ARD zur Verfügung steht
- Seablind - The price of shipping our stuff - Website zu einem Dokufilm der niederländischen Journalistin Berenice Notenboom (2016)
Das Problem der Folgen von Warentransport und -umschlag auf dem internationalen Seeweg steht, wie man an den Daten sehen kann, seit Jahren an, ist aber leider an mir vorbeimarschiert. Ein beispielhafter Fall von Seeblindheit!
Seit Jahren allerdings registriere ich die Entwicklung der BRI - Belt and Road Initiative, die erst vor wenigen Monaten eindeutig als "Neue Seidenstraße" in unseren TV-Nachrichten angekommen ist.
Wer regelmäßig in Venedig ist, erlebt mit Staunen die Übernahme diverser Wirtschaftsbereiche der Stadt durch 'Chinesen' einerseits und die wachsende Menge chinesischer Tourist*innen andererseits.
Aber das scheinen Kinkerlitzchen zu sein verglichen mit der chinesischen Übernahme von griechischen Häfen und ihrem massiven Ausbau schon vor, aber vor allem in Folge der 'Krise'. Der Hafen von Piräus wird seit Jahren betrieben von der chinesischen Firma COSCO. Wenn das mir als normaler Touristin auf Reisen in Griechenland und Italien auffällt, muss die wirtschaftliche Verflechtung Chinas mit Europa weit vorgeschritten sein, und das natürlich auf dem Seeweg.
Einige informative Artikel dazu:
- Piräus - auf der Drehscheibe der neuen Seidenstraße (Deutschlandfunk 16.4.2018)
- Warum der Hafen von Piräus für China das Tor nach Europa werden soll (Handelsblatt 21.10.2018)
- China hat große Pläne mit dem Hafen von Piräus (Handelsblatt 23.3.2019)
- Greek Regulator Approves most of COSCO's Plans for Port of Piraeus (The Maritime Executive 10.10.2019)
Golf von Piräus 2018, Hafeneinfahrt im Hintergrund (von 'meiner' geliehenen Terrasse) |
Wegen des Seapower Symposiums können 2 Schiffe im Bacino besichtigt werden: das Schulschiff Amerigo Vespucci am Donnerstag 17.10. 9:30-12:30 Uhr und am Freitag 18.10. 9:30-12:30 und 15:30-20:30 Uhr; und das Amphibienfahrzeug San Giorgio am Freitag 18.10 10-12 und 15-18 Uhr, am Samstag 19.10. und Sonntag 20.10. 10-12 und 15-19 Uhr. (Siehe auch PressMare vom 11.10.19)Viel Interesse bei Venezianer*innen wie Tourist*innen - man muss sich auf lange Warteschlangen einrichten, keine Voranmeldung.
Am 14., 16. und 17.10. ist auch der Padiglione delle Navi geschlossen (Eingang neben der hölzernen Arsenalebrücke). Den Eintritt ins Museo Storico Navale, zu dem der Schiffspavillon gehört, ist in diesen Tagen ermäßigt.Ergänzung 16.10.:
Il secolo blue, la sicurezza dei mari per garantire il progresso (La Stampa).
Soweit die Links zu "Blue Century" und den ökonomischen Aspekten der Seefahrt (die ökologischen Folgen scheinen nicht ausdrücklich auf der Agenda des Seapower Symposiums zu stehen), dem Thema, das ungestört im Arsenale am 15.-18.10. besprochen wird und deshalb der Pavillon von Litauen pausieren muss.
Ergänzend zum Eintrag vom 16.6.19 "Sun + Sea + Marina + Litauen" kann ich noch berichten, dass ich im September meinen litauischen Strandtag absolviert habe. Morgens wie bestellt um 9:30 Uhr an der Warteschlange vorbei marschiert, in einer winzigen Umkleide gleichzeitig mit ca. 15 Ensemblemitgliedern in meinen Badeanzug gestiegen (umgeben von ca. 30.000 Paaren Flipflops aller Größen, die sich dort seit Mai rundum stapeln), und einen zugewiesenen Platz am Strand eingenommen (die freiwilligen "Beachgoer" liegen rund um das singende Ensemble eher unter der Galerie herum). Ich war zu Beginn die einzige Freiwillige und erlebte das Einsingen von Chor (Studierende des Conservatorio Benedetto Marcello) und Solist*innen, danach noch eine kurze Probe mit Chorleiterin (die Vorstellungen laufen komplett ohne Dirigat), dann wurden 5 Minuten heruntergezählt und Punkt 10 Uhr startete die Performance und das Publikum erschien auf der Empore.
Eine Performance dauert 70 Minuten und läuft durchgehend als Schleife weiter, das Ensemble singt (abwechselnd und auch gemeinsam der Chor und die Solist*innen) 8 Stunden durch, eine bewundernswerte Leistung, und spielt zwischendurch auch mal Badminton oder Boule. Die Kinder (teils zum Emsemble, teils zu den Freiwilligen gehörig) machen, was sie wollen, das wechselnde Hundchen wird an der Leine herum- (damit man es sieht), und hinausgeführt, wenn es an einzelnen Arienstellen anfängt, mitzusingen. Oder wenn es mal Gassi muss (für Menschen gibt es eine Chemietoilette).
Freiwillige werden vorher per Mail gebeten, Getränke und Essen mitzubringen, nicht laut zu rufen oder während einer Arie den Strand zu verlassen, nicht ins Publikum zu blicken oder winken. Woran sich das sonnige Krabbelkind des Paars neben mir, das mich auf meiner Decke besuchte und zu einem Keks eingeladen wurde, nicht hielt - es zeigte den Keks fröhlich einladend hoch ins Publikum, bevor es reinbiss.
Es war ein warmer Septembertag, ich lag direkt neben einem geöffneten Fenster, durch das eine milde Brise angenehm in den Pavillon wehte - wie man das am Strand erwarten sollte. Ich habe 5 x die ganze schöne melancholische Oper gehört und außerden gelesen, Rätsel gelöst, gegessen und ein Nickerchen gemacht und hätte eigentlich ganz gerne manchmal mitgesungen...
Die Musik kann man im Pavillon und in den beiden Biennale-Bookshops kaufen, leider nur als Schallplatte. Mehrfach nachgefragt: eine CD ist auch weiterhin leider nicht geplant. Schade. Einen Plattenspieler kaufe ich mir deshalb dann doch nicht, aber SCHADE.
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