11. August 2008

500 Jahre Palladio - Leseempfehlung



In diesem Jahr feiert die Welt den 500. Geburtstag Andrea Palladios. Wer nach Venedig kommt, stößt auf Palladio, selbst wenn er nur das touristische Dreieck (auf das man sich allerdings nicht beschränken sollte) Rialto-Piazza San Marco-Accademia besucht.
In der Accademia, dem ehemaligen Kloster della Carità, ist ein Rest Palladio vorhanden: die Sakristei und eine Seite des Kreuzgangs (zur Zeit in Restauration befindlich).
Die Rialtobrücke ist NICHT von Palladio, er hatte sich (mit Michelangelo, Sansovino u. A.) am Wettbewerb im Jahr 1554 mit einem Vorschlag beteiligt, aber nicht gewonnen.
An der Piazza, bzw. am Ufer der Piazzetta stehend, wird man von Palladios Bauten der Kirche und Klosteranlage San Giorgio Maggiore schier überwältigt. Ein Anblick, der seit Jahrhunderten das Stadtbild prägt und den jeder von unzähligen Darstellungen kennt. (oben: ein Flur im ehemaligen Kloster S. Giorgio Maggiore, heute Fondazione Cini)
Die Bücherliste zum Thema Palladio ist lang. Wer was fürs Auge sucht, wird unter Fotobänden leicht fündig, schön und aufwändig hergestellt, teuer und platzraubend im Bücherregal. Ich empfehle deshalb nur einen einzigen kleinen Bildband: Helge Classen, Palladio - Auf den Spuren einer Legende; Harenbergs bibliophile Taschenbücher Nr. 510.
Ich benutze es auch als optische Unterstützung für die Lektüre von Palladio selbst und W. Rybczynski.
Die professionellen Fotos vermitteln sehr gute Eindrücke der erhaltenen Palladio-Werke, in der To
talen und im Detail, ergänzt von Grund- und Aufrissen der Bauten.
Die kurzen Texte geben die wichtigsten Informationen, inkl. Zitaten aus den "Vier Büchern" Palladios.
Das Büchlein ist kleinformatig aber komplett und günstig zu erwerben.
Sehr empfehlenswert! (Womit ich niemanden abhalten will, sich teure Augenweiden und kiloschwere Schinken in den Bücherschrank zu stellen.)


Palladio selbst hat die "Vier Bücher zur Architektur" (I quattro libri dell'architettura) 1570 veröffentlicht, die erste deutsche Gesamtausgabe wurde erst 1983 (!!) von Andreas Beyer und Ulrich Schütte im Verlag für Architektur Artemis herausgegeben.
Das Buch ist eine Schwarte von über 450 Seiten und als Laie hält man zunächst respektvoll Abstand zu einem solchen Werk.
Ganz falsch!
Ich war überrascht, wie gut sich dieses Buch lesen lässt, dank der schlichten Sprache Palladios, der Wert auf Verständlichkeit und Umsetzbarkeit legt und sehr klare Beobachtungen, Beschreibungen, Analysen,
Empfehlungen und Anweisungen formuliert jenseits jeder Geschwätzigkeit.
Alles wird genauestens mit Zeichnungen, Plänen, Grund- und Aufrissen erläutert und ist für den interessierten Nichtfachmann ohne Weiteres nachzuvollziehen.

Im ersten Buch erklärt Palladio die Grundsätze des Bauens - Materialien, klassische Bauordnungen, Proportionen, Maßstäbe und Geometrie.Im zweiten Buch beschäftigt er sich mit dem Bau von Privathäusern von der Antike bis zu seinen eigenen Bauten (inklusive geplanten Bauten, die nicht realisiert wurden).
Das dritte Buch handelt vom Bau der Infrastruktur und von der Raumplanung - Strassen, Brücken, Plätzen.
Das vierte Buch beschreibt die von Palladio studierten antiken Tempel.

Oben: Palladio-Fassade San Francesco della Vigna
Die drei palladianischen Grundsätze, dass ein Gebäude unabdingbar nützlich, dauerhaft und schön sein müsse, lassen sich spannend und überzeugend in Texten und Abbildungen nachvollziehen. Die Lektüre Palladios ist einfach eine sehr angenehme und gleichzeitig lehrreiche Beschäftigung von nachhaltiger Wirkung. Ich jedenfalls kann seitdem kein Gebäude mehr ansehen, ohne seine Proportionen an palladianischen Ansprüchen zu messen und wundere mich über die Mengen unzweckmäßiger und unharmonischer Architektur, die mir begegnet.





Nicht jeder hat das Glück, eine private Einladung in eine Palladio-Villa zu erhalten (siehe Eintrag vom 23.10.2007). Und schon gar nicht jeder macht eine Rundreise zu den erhaltenen Werken Palladios. Aber man kann es sehr schön nachlesen
im Buch Witold R
ybczynskis "Das vollkommene Haus - Eine Reise mit dem italienischen Renaissance-Baumeister Andrea Palladio", Berliner Taschenbuch Verlag 2006.
Gartenseite der Palladio-Villa Cornaro in Piombino Dese
Rybczysnki ist Fach-
mann, aber er schreibt für den Laienleser, und be-
schreibt aus professi-
oneller Sicht und auch sehr persönlich seine Besichtigungen vor allem der erhaltenen Landvillen und die Erfahrungen, die er dabei macht. Sein Fachwissen als Architekturwissenschaftler fliesst entspannt und verständlich ein, er zitiert "Die vier Bücher", wo es dem besseren Verständnis dient, ebenso fügt er Grundrisse, Zeichnungen und einige Fotos an.
Er berichtet über Palladios professionelle Entwicklung, erzählt von seinen Auftra
ggebern, von der Geschichte der Häuser und von der Beziehung zwischen Bauherrn, Architekt und dem Haus, das sich daraus entwickelt.
Aber vor allem lässt er Palladios Gebäude auf sich wirken und beschreibt diese Erlebnisse. Das Buch dieses Palladio-Bewunderers hat mein Wissen deutlich erweitert und mir einen zusätzlichen Zugang zu Palladio eröffnet, fachlich fundiert aber auch begeisternd. Sehr zu empfehlen, am besten mit Unterstützung eines Bildbandes (s. o.)!


Mein erstes Palladio-Buch allerdings war "Palladian Days. Finding a New Life in a Venetian Country House" von Sally und Carl Gable, bei First Anchor 2006. Ich stieß zufällig bei einer Internetrecherche darauf, lud mir eine Leseprobe herunter und bestellte sofort das Buch. Ich habe es schon im o. g. Eintrag kurz besprochen. Das Buch wurde der Türöffner für die weiteren und künftigen Bücher zum Thema Palladio, weil es mir zeigte, dass ich mich als Laie ganz ungeniert einem komplexen Themenbereich nähern und davon profitieren kann. Ganz davon abgesehen, dass es sehr unterhaltsam ist, vor allem, da ich ungern meine Zeit mit fiktiven Geschichten vertue. Und nachdem ich die Gables in ihrer Villa besucht hatte, was ich jedem empfehlen möchte, habe ich es umso lieber noch einmal gelesen. (Das Buch gleichen Inhalts gibt es mit zwei verschiedenen Umschlaggestaltungen.)


In Venedig gibt es keinerlei Geburtstagsfeierlichkeiten. Schande. Aber in Vicenza, der Heimatstadt Palladios ist ab September eine große Ausstellung zu sehen, die anschließend auf Tour geht. Ausserdem wurden Besichtigungspfade entwickelt, die in Form von "Wochenendwanderungen" angeboten werden. Das ist sicher hilfreich, wenn denn die Gruppen nicht allzu groß sind und die die Führung qualifiziert. Aber zunächst kann man, und sicher nicht nur ersatzweise, auf die spannende Lektüre zurückgreifen.

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