5. Januar 2010

Venedigs Hauptpost zieht um


Im September 2008 waren die Verträge zum Verkauf des Fondaco dei Tedeschi, bis jetzt noch die Hauptpost Venedigs, perfekt. Benetton, italienischer Hersteller von 'casual' Bekleidung und einst umstritten wegen seines Marketings, mit eigener Kulturstiftung, ist der Käufer für 53 Mio. € (gegen die Mitbieter H&M, Schweden, und Zara, Spanien) und will einen "Mega Store" einrichten.

Nach dem ersten Schock denke ich positiv: vielleicht ist ja nur das Wort blöd und es wird eine historisch besser angepasste Nutzung als die der Post werden: ein Handelshaus mit vielen verschiedenen Geschäften, in einem verkauft Benetton seine Fummel und Accessoires, die anderen bieten eine Vielfalt regionaler/ nationaler Herstellung und in Maßen Import. Kleidung, Haushalt, Kunst und -handwerk, Bücher, Secondhand und Antiquitäten, Technik, Information. Könnte man sich doch vorstellen!


In dem großen Gebäude, erstmals erwähnt 1225, nach einem Brand 1505 neu aufgebaut mit 160 Räumen auf 4 Etagen könnte man viele Einzelläden unterbringen. Während seiner Funktion als Handelshaus der Deutschen (was weitgehend deutschSPRACHIG meint, also damals auch Polen, Tschechen, Ungarn, Österreicher, Schweizer...) befanden sich im Parterre die Geschäftsräume und auf der Kanalseite der Zoll. In den oberen Etagen die Büros und die Wohnquartiere, also Wohn- und Schlafräume, Speiseräume etc.. Üblicherweise lebten ca. 100-120 Kaufleute (Männer, keine Frau
en) hier, dazu kamen Diener, Köche und anderes Hilfspersonal, insgesamt ca. 200 Personen.

Das Haus diente in erster Linie dem Handel und der Unterbringung, aber auch der Kasernierung der ausländischen Händler und ihrer Kontrolle in Bezug auf Zölle und Steuern sowie Kontakte zwischen ihnen und venezianischen Bürgern. Bei jeder geschäftlichen Transaktion musste ein von der Republik Venedig angestellter Aufpasser anwesend sein, der sog. Sensal (Makler) oder Unterkäuffel (Zwischenhändler), beauftragt als Dolmetscher, Vermittler und Zeuge für die Steuerbehörde.
Die Fassaden waren ursprünglich geschmückt mit Fresken der jungen Künstler Giorgione (1508) und Tizian (1509), aus heutiger Sicht aufwändige "Kunst am Bau", aber damals die billige, nicht nachhaltige Investition. Teurere Fassadendekorationen aus Marmor, geschweige denn Skulpturen kamen nicht infrage. Die schlecht erhaltenen Reste wurden 1928 (Giorgone) und 1967 (Tizian) gerettet und sind zum Teil in der Ca d'Oro zu bewundern, blass, aber original.
"Als Tizian die Art Giorgiones kennenlernte, suchte er sich von der des Gian Bellino frei zu machen, obwohl er sich lange Zeit daran gewöhnt hatte, und näherte sich der ersten. Er ahmte die Arbeiten Giorgiones in kurzer Zeit so gut nach, daß seine Bilder bisweilen irrig für Werke jenes Meisters gehalten wurden. Reifer an Jahren, Übung und Einsicht, führte Tizian eine Menge Bilder in Fresko aus, die man nicht der Reihe nach aufzählen kann, weil sie an verschiedenen Orten verstreut sind. Es genügt, daß viele verständige Leute urteilten, es werde ihm in der Kunst der Malerei Herrliches gelingen, wie es ja dann später auch wirklich geschehen ist.
Im Anfang, als er dem Stil Giorgiones zu folgen begann und erst achtzehn Jahre alt war, malte er das Bildnis eines Edelmannes aus der Familie Barbarigo, seines Freundes, das für sehr schön galt. Denn die Treue der Hautfarbe war eigenartig und natürlich, jedes einzelne Haar war so fein gemalt, daß man sie hätte zählen können, und dasselbe gilt von den Stichen an einer silbernen Atlasjacke auf diesem Bild. Kurz, es war so gut und sorgfältig ausgeführt, daß man es für eine Arbeit Giorgiones gehalten hätte, wenn nicht Tizian seinen Namen auf den dunklen Grund gesetzt haben würde. – Unterdes, als Giorgione die Vorderwand vom Kaufhaus der Deutschen gemalt hatte, übertrug man Tizian auf Verwendung Barbarigos an dieser einige Bilder oberhalb der Merceria.
Im Jahre 1507, als Kaiser Maximilian mit den Venezianern Krieg führte, malte Tizian in der Kirche von San Marziale den Engel Raffael, Tobias und einen Hund, in der Ferne eine Landschaft mit einem Gebüsch, in dem Johannes der Täufer kniet, der betend zum Himmel emporschaut und von einem Glanz aus der Höhe erleuchtet wird. Man glaubt, daß dieses Bild von ihm ausgeführt worden sei, ehe er die Wand beim Kaufhaus der Deutschen begann. Mehrere Edelleute, die nicht wußten, daß Giorgione nicht mehr an jenem Platz arbeitete und daß Tizian, der schon einen Teil seines Werkes aufgedeckt hatte, daselbst beschäftigt sei, begegneten Giorgione und wünschten ihm als Freunde Glück, indem sie sagten, er habe sich bei der Wand nach der Merceria zu besser als bei der über dem Canal grande gezeigt. Darüber empfand Giorgione solchen Verdruß, daß er sich, bis Tizian seine Arbeit ganz vollendet hatte und als deren Maler bekannt war, nicht viel sehen ließ und von da ab nicht mehr wollte, daß dieser ihn besuche oder sein Freund wäre."
(Giorgio Vasari, Künstler der Renaissance) im Projekt Gutenberg

In diesem Juli also wird das Gebäude geräumt, die Zeit sollte für letzte Besuche genutzt werden. Wer weiss, wie lange der Umbau dauert und wie das Ganze danach aussieht oder zugänglich ist. Man kann (unaufdring-
lich) auch nach oben gehen, soweit der Zugang öffentlich ist, z. B. die Kantine der Postler.
Der Umzug geht in die Ca Faccanon hinter San Salvador quasi um die Ecke, die zwischen 1872 und 1898 schon einmal Sitz des Postamtes war, passt also gewissermaßen. Anschließend diente der Palazzo als Druckerei- und Redaktionsgebäude des "Gazzettino", bis dieser aufs Festland verlegt wurde, danach als Sitz der ACTV. Angeblich hat Casanova hier (auch) ge-
wohnt, wenn das nicht eine Werbelüge der Tourismusindustrie ist.
Ich lasse mich überraschen. Immerhin ein weiteres Gebäude, das dauerhaft der Öffentlichkeit zur Verfügung steht und (hoffentlich) nachhaltig geschützt und gepflegt wird.

Links zur Vertiefung (für mich...)

Hausarbeit: Das Fondaco dei Tedeschi in Venedig - zahlreiche Funktionen unter einem Dach
Internet Archive: Henry Simonsfeld, Der Fondaco dei Tedeschi in Venedig und die deutsch-venezianischen Handelsbeziehungen. (638 Seiten, online lesbar, niederländisch)
Rezension: Deutsche in Venedig im späten Mittelalter

.

1 Kommentar:

eichinger georg hat gesagt…

na endlich, hast mich ja lange auf einen neuen text von dir warten lassen. auch dieser über die fondaco-neunutzung ist - wie üblich - gründlich recherchiert und flott geschrieben. complimenti
georg