5. März 2010

San Servolo

Im Park von S. Servolo

Das ist die Insel, von der ich jahrelang glaubte, sie sei irgendwie nicht interessant genug für einen Besuch oder zumindest keine Priorität, obwohl es dort meistens Kunst zu sehen und oft zu hören gibt.
Ein Irrtum, siehe Eintrag vom
17.10.2009, Biennale auf den Laguneninseln.

Ausserdem ist hier die ganztägige Öffnungszeit touristenfreundlicher als z.
B. auf der benachbarten Insel San Lazzaro degli Armeni, wo es täglich nur zwei Führungen am Nachmittag gibt.
(Beide Inseln mit dem Vaporetto Linie 20 ab S. Zaccaria alle 20 Minuten.)

Mensagebäude der Internationalen Universität

Die Insel San Servolo gehört der Provinz Venedig und ist damit nicht ein komplett privater Raum wie z. B. die Klosterinseln S. Lazzaro und S. Francesco, die Hotelinsel S. Clemente, die 'Archäologieinsel' Lazaretto Novo und andere. Man kann sich in den Aussenbereichen frei bewegen und z. B. die Cafeteria nutzen, während die große überdachte Grillanlage und der Tennisplatz wohl eher den Studierenden und Übernachtungsgästen vorbehalten sind.

Die Studierenden und WissenschaftlerInnen, die vorübergehend auf der Insel leben/arbeiten, gehören zur Venice International University, zum Archiv der Basaglia-Stiftung und zur Stiftung San Servolo. Ausserdem finden regelmäßig Tagungen/Konferenzen statt, die z. T. sogar öffentlich sind.

Madonnenkapelle im Park von S. Servolo

Im 7. Jahrhundert wurde die erste Kirche erbaut, ab dem 8. Jahrhundert existierte für ca. 500 Jahre ein Benediktinerkloster (Mönche) auf der Insel. Im Zuge der Evakuierung der venezianischen Kolonie Candia (Kreta) vor der endgültigen Eroberung durch die Osmanen Mitte des 17. Jahrhunderts fanden die venezianisch-kretischen Nonnen verschiedener (!) katholischer Orden hier eine gemeinsame Bleibe. Was auf die Dauer keine gute Idee war, und es blieb im Wesentlichen bei der Altersversorgung der geretteten Nonnen.

Eindrücke aus dem Museo del Manicomio










Anfang des 18. Jahrhunderts wurde das erste Hospital eingerichtet, das auch bereits psychisch Kranke (des
venezianischen Adels) aufnahm. Im Jahr 1797 wurde es mit der Ankunft der Franzosen in Venedig zu einer ausschließlichen "Irrenanstalt" (für Männer, kranke Frauen wurden auf S. Clemente behandelt und interniert), die bis 1978, als die Versorgung psychisch Kranker in Italien reformiert wurde, als solche genutzt wurde.
Ausführlicheres zu Geschichte auf der Website der Stiftung San Servolo ('The Island').

Die zentrale Aufgabe der Stiftung San Servolo ist die Pflege des Archivs der ehemaligen Anstalt für psychisch Kranke (Manicomio) vor allem für wissenschaftliche Zwecke, und das Museo del Manicomio. Der Besuch muss angemeldet werden, unter der Telefonnummer (0039)041-2765001402 erreicht man die sehr freundliche mehrsprachige Rezeption und bekommt einen Termin für eine Führung in der gewünschten Sprache.
(Achtung: es gibt 'eigentlich' keine Einzelführungen. Ich hatte eine, weil die angemeldete englische Kleingruppe, der ich mich als Einzelperson anschließen wollte, nicht erschien. Als Einzelperson sollte man sich deshalb von der Rezeption an eine Gruppe vermitteln lassen.)


Der Besuch ist sehr beeindruckend
und, wenn man sich in die Angst und den Horror der hier ausgelieferten Patienten einfühlt, erschütternd. Die junge Frau, die mich durch das Museum führte, war sehr kompetent nicht nur das Museum betreffend, sondern auch in medizinhistorischen und psychiatriehistorischen Fragen.
Ihre Führung war so interessant, dass ich mir in der Folge die kleine Veröffentlichung über den 'berühmtesten Patienten' der Insel, Matteo Lovat, besorgt habe. Der venezianische Arzt D. Cesar Ruggieri berichtet 1805 seinem Freund, dem Lippeschen Hofrat, Leibarzt, Medizinalrat... D. J. C. F. Scherf über den Fall und gibt einen spannenden Einblick in psychiatrische und medizinische Behandlung jener Zeit.

Rückseite der Kirche San Servolo

Zur Führung gehört ausserdem die Kirche (wenn sie denn fertig renoviert ist), die historische Apotheke der Klinik (vergleichbar, aber größer als die historische Apotheke "All'Ercole d'Oro" bei S. Fosca in Cannaregio) und die Anatomie, in der verstorbene Patienten seziert wurden.
Die Führung ist aus meiner Sicht für Kinder NICHT geeignet, solange sie nicht eindeutig verstehen, dass hier die Behandlung psychisch kranker Menschen der Vergangenheit, nicht der Gegenwart, dokumentiert ist.

San Servolo ist neben diesem interessanten Museum eine grüne Oase der Ruhe mit solitären Kunstwerken, aber auch großartigen Ausstellungen, mit beeindruckender Fauna (Beschilderung der Bäume wie in botanischen Gärten), wunderschönen Ausblicken auf die Lagune und Gras unter den Füssen. Welch ein Genuss nach dem venezianischen Pflaster.

Die Nachbarinseln S. Lazzaro d. Armeni (links) und S. Clemente (rechts)








Unbedingt einen Besuch wert!

Auf der Website der Insel finden sich alle Informationen.

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2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

sehr interessant. ich hab grad einen pharmaziehistoriker in belluno besucht, der die apotheke auf san servolo als sehr wichtig für venedig vorstellt.
ich kann dir seinen essay (italienisch) kopieren.
er erzählte mir auch, dass die "irren" früher auf einem schiff vorm markusplatz "untergebracht" waren.
georg

ebbonn hat gesagt…

Genau.
Das war die "Fusta", die mit rot-weiß gestreiftem Sonnensegel auf einigen Bildern Canalettos zu sehen ist. Eine kleine Rudergaleere mit Segelmast, auf der zum Strafrudern verurteilte Landratten von der Terra ferma trainiert wurden, im San Marco Becken. Sie lebten während der Einarbeitung auf der Fusta, die vor dem Dogenpalast vertäut lag. Für manche psychisch Kranken hielten die Ärzte sowohl das Training als auch das Zusammenleben unter verschärften Bedingungen für therapeutisch angemessen. Naja. So kam es, dass unter den Sträflingen auch Kranke auf der Fusta lebten und arbeiteten.