Venezianisch-byzantinische Importe in Glienicke
Byzantinischer Kaiser am Campiello Angaran, Zwilling des Kaisers aus dem Klosterhof, dessen Original sich in Washington, Dumbarton Oaks befindet |
Ausstellung 'Acqua e Cibo', Dogenpalast 26.9.15-14.2.16 Ansicht der Insel Certosa 17. JH In der Mitte der zentrale (kleinere) Kreuzgang unterhalb der Kirche |
Zu Beginn meiner Recherchen war kein venezianischer Kreuzgang in Berlin zu finden, dafür aber ein Mosaik in Potsdam, das vom Bruder Prinz Carls, Kronprinz Friechrich Wilhelm IV. auf Murano gekauft worden war. Dann traf ich im www auf den Kunsthistoriker Gerd-H. Zuchold und seine penible, präzise, perfekte Forschungsarbeit, was zu allen weiteren Schritten führte. (Siehe Buchhinweise am Ende des Eintrags.)
Angeleitet von Heinrich Menu von Minutoli, seinem Erzieher seit dem 9. Lebensjahr, entwickelte Prinz Carl (1801-1883) leidenschaftliches Interesse für Geschichte, Archäologie und alte Kunst. Und sich selbst, neben seiner pflichtschuldigen Militärkarriere als Preussenprinz, seit seiner ersten Italienreise im Alter von 21 Jahren zum Sammler. Laut G.-H. Zuchold zum qualifizierten Sammler, denn "da er auch als Kind nie bedeutende Ansätze einer eigenschöpferischen künstlerischen Veranlagung zeigte, ... verlegte er sich auf das Sammeln von Kunst, und hier gelang ihm in der Tat eine Leistung, deren Bedeutung erst langsam ins Bewußtsein gerufen wird: er legte nämlich die erste Sammlung byzantinischer Kunstwerke im modernen Europa dort an, wo byzantinische Kunst nicht heimisch ist, deren Sammeln also mehr als beispielsweise in Italien einen bewußtseins- und willensmäßigen Akt bedeutete."
Klosterhof von außen mit 2 Bogenhallen, Vorhof, Säule mit 'Markuslöwen', in der Mitte der verschlossene Innenhof |
Zur architektonischen Gestaltung von Carls Museum wurden auf La Certosa im bereits weitgehend abgerissenen Kloster Sant' Andrea noch vorhandene Säulen des zentralen (kleineren) Kreuzgangs akquiriert. Hunold belegt mit Dokumenten des Staatssarchivs Venedig, dass, folgend der napoleonischen Schließung des Klosters "bereits 1807 die besten und kostbarsten Stücke verkauft" waren, und dass in Reiseführern der Jahre 1815 und 1819 Sant' Andrea als "schon abgerissen" bezeichnet wird. (Grabplatten und ähnliche Relikte, die weder verkauft noch von Kirchen oder Museen übernommen wurden, werden heute im Seminario Patriarcale aufbewahrt.)
Vor 1811 schlug der damalige venezianische Bürgermeister Daniele Renier die Umnutzung der Certosa als Friedhof vor (und nicht, wie geplant, als Militärstützpunkt der Österreicher), um die vollständige Zerstörung der Kirche von Sant'Andrea zu verhindern, "eines der besten Werke von Pietro Lombardo, ... voll von ausgezeichneten Kunstwerken, reich an preziösen Marmorarten, versehen mit außerordentlichen Malerein, kurzum eine der Zierden der Stadt". Wie wir wissen, wurde nichts daraus, gerettet wurde S. Michele, eine andere Zierde der Stadt.
1845 wurde das größte Klostergebäude als Kaserne erneuert (heute der letzte Ruinenhaufen auf der Insel), und alle anderen Gebäude unwiederbringlich vernichtet. Hunold vermutet, dass Prinz Carl gerade noch rechtzeitig ein eher kleines Kontingent der wenigen Überreste für seinen Klosterhof ergattern (lassen) konnte. Sein kleines kostbares Museum im Wald oberhalb der Havel, übers Wasser 'verbunden' mit den Sakralbauprojekten seines Bruders, der Friedenskirche in Potsdam und der Heilandskirche in Sacrow, wurde also durch gezielt gekaufte Relikte der Kartause in der Lagune aufgebaut. In seine Mauern wurden planvoll Spolien aus der Sammlung integriert, und die Sammlung byzantinischer Kunst fest eingebaut. (Sie enthielt natürlich auch 'nicht-venezianische' Kostbarkeiten wie den Goslarer Kaiserstuhl, die ich hier nicht berücksichtige.)
Die letzte Ruinenhaufen auf La Certosa, ehemaliges Kloster- dann Kasernengebäude. Stand November 2015 |
Trotz seiner Kompetenz kann er aber häufig nur vermuten, dass ein Stück "wohl aus dem Andreas-Kloster auf der Insel Certosa" sei. Denn die große Plünderung Konstantinopels 1204 und folgend die jahrundertelange 'Verlegung' massenweiser Kunst- und Kirchenschätze, Heiligenreliquien und ganzer Heiliger überschwemmte die Lagune mit allem, was der Verschönerung und dem Ruhm Venedigs diente. Alles, was nicht eindeutig einheimischen Künstlern zuzuordnen ist, kann also Werk eines Künstlers aus dem byzantinischen Reich sein. Das trifft vor allem auf die vielen dekorativen Patere, Formelle, Säulenteile etc. zu, die einen weiten Weg durch Zeit und Raum hinter sich haben können.
Stiftungstafel der Scuola S. Giovanni Battista di Murano. Text transkiribiert und übersetzt bei Hunold:
"Am 30. Oktober des Jahres 1374, als der edle und gelehrte Herr Gabriele Zaccharis Bürgermeister von Murano war, wurde dieses Gebäude errichtet. Oberer war währenddessen Herr Gabriele Buxelo und seine Brüder Vorsteher der Suola der Flagellanten von S. Giovanni Battista in Murano. Herr Iacomelo Damolin, Herr Olivier Darpo, Herr Matteo Roso, Herr Nicholeto von Greguol, Herr Giovanni Capo di Vetro, Herr Paris Sartor, Herr Nicholo del Soler, der Kaufmann Herr Alvise, Herr Meneghelo aus Stra, Herr Anthonio Zio, der Brotbäcker Herr Benvenuto, Herr Marcho Santo".
Große Teile der Klosterhof-Installation Prinz Carls sind überhaupt inzwischen, wie Hunold belegt, weitergewandert. Als erster nutzte sein Enkel Friedrich Leopold (1865-1931) den materiellen Wert und das ging weiter so bis zur historischen Zäsur des 2. Weltkriegs - 1937 z. B. wurden das 'Kaiserrelief' und eine marmorne Marienikone (Agiosoritissa) an amerikanische Sammler verkauft und befinden sich heute in Sicherheit im Museum Dumbarton Oaks in Washington. Im Klosterhof sieht man Repliken beider Werke aus Beton.
Campiello Angaran bei S. Pantaleon |
Giuseppe Tassini schreibt in seinen "'Curiosità Veneziane" unter den Text zum Stichwort "Angaran detto Zen, Campiello, a S. Pantaleone" einen kleinen Nachsatz: "Am Campiello Angaran ist in eine Hauswand eingelassen ein Medaillon aus griechischem Marmor, in das ein orientalischer Kaiser in seiner Tracht eingemeißelt ist, eine Arbeit des IX. Jahrhunderts (wahrscheinlich ein Bildnis des Kaisers Leon VI.). Irrtümlicherweise meinte Zanotto, Lorenzo Tiepolo hätte den Marmor aus den Marmorbrüchen von Mongioja nach Venedig schaffen lassen." Auch kein Konsens zum Thema also.
In Kleinglienicke war ich im April 2015. Nachdem ich rechtzeitig vorher per Mail die Parkverwaltung und das Bezirksamt Zehlendorf kontaktiert hatte, wurde für mich (danke nochmal für diese unklomplizierte Bürgerfreundlichkeit!) sogar der schon seit den Zeiten Prinz Carls immer verschlossene innere Bereich des Klosterhofs aufgeschlossen, inklusive eines hochinteressanten Gesprächs mit den beiden angetretenen Fachfrauen.
Der Klosterhof ist ein wunderbarer ästhetischer Raum im Wald über der Havel. Eine Komposition alter und sehr sehr alter Gebäudeteile und Kunstobjekte, eine helle Offenheit des Raums und ein Schweben in der Zeit an einem sonnigen Frühlingstag. Eine Erfahrung, für die ich sehr dankbar bin. Die Perfektion des sinnlichen Erlebens wird für mich vor allem bestimmt durch die Balance der Architektur und die Symmetrie der eingepassten Kunstwerke - ein Wechsel zwischen Einzelwerken und Paarinstallationen (von denen mehrfach ein altes Exemplar durch eine Nachbildung des 19. JH ergänzt wurde, um eben diese Symmetrie künstlich herzustellen), sowie die ästhetisch sehr kluge und sensible Kombination von Werken, die ursprünglich überhaupt nicht zu einander gehörten.
Das kann ja sehr schief gehen, wie z. B. beim "Markuslöwen" auf einer Säule im Vorhof, der offensichtlich aus lauter Spolien zusammengesetzt wurde und aussieht wie eine hinkende Katze mit Teddybärengesicht und angeschnallten Flügeln.
Aber der Fuss der Säule! Er besteht (wissenschaftlich durch Luigi Beschi 1972 nachgewiesen) aus einer Säulentrommel des Poseidontempels vom Cap Sounion in Attika, zwei weitere dieser Trommeln liegen als Dekoration weiter unten im Park beim Schloss, weitere stehen, zu einer Säule aufgerichtet, im Garten der Palazzina Briati (Universitätsgebäude) in Venedig. Es gibt diese Säulentrommeln im Park des Fürsten von Pückler (der mit Peter Josef Lenné den Kleinglienicker Park gestaltete) in Muskau, aber anscheinend ist deren Provinienz noch nicht überprüft und deshalb nicht belegt. Es scheint aber naheliegend, dass sie gleichen Ursprungs sind wie die Säulenteile in Kleinglienicke und Venedig. Zwei Säulen aus Sounion wurden 1825/26 (also mitten im Aufstand der Griechen gegen die osmanische Herrschaft) von österreichischen Flottenkommandanten nach Venedig gebracht. Noch eine spannende Geschichte...
Säulentrommeln vom Poseidon- Tempel auf Cap Sounion gestalten auch den Schlosspark (vergrößern bitte jeweils anklicken) |
Säulentrommeln vom Poseidon- Tempel auf Cap Sounion Garten der Palazzina Briati |
(Selbstverständlich haben Preussens den Brunnenkopf nicht als SPRINGbrunnen verwendet, wie im Wikipediaeintrag zum Klosterhof steht. Was hätte mitten im Wald springen sollen? Der Springbrunnen befindet sich im inneren Garten des Schlosses, dessen Wände übrigens von römischen, griechischen, karthagischen... Spolien bedeckt sind. Überwältigend.)
Brunnenkopf im Innenhof des Palazzo Vendramin Calergi (Kasino) mit 4 freistehenden Säulen ähnlich dem Klosterhof-Brunnenkopf, der aber älter ist. |
Dringend restaurierungsbedürftig ist der Mosaikboden des Kreuzgangs, der ebenfalls original aus der Lagune stammt. Seit der Nachkriegsrenovierung hat das Mosaik teilweise keinen festen Kontakt mehr zum darunterliegenden Boden und kann bei jedem Schritt Schaden nehmen. Und natürlich ist prinzipiell Instandhaltung nötig, wofür die Mittel fehlen. Trotz des Statussymbols "Weltkulturerbe" verlottert der Park Kleinglienicke, sagt Anett Kirchner am 6.3.2014 im Tagesspiegel und erklärt auch sehr genau, warum. Am 10.1.2015 wiederholt sie ihre Klage anlässlich der 200-Jahre-Peter-Josef-Lenné-Feier, ich finde, ihre Kritik sollte dringend gehört werden.
Fahrradtour, die den Park Kleinglienicke mit dem Klosterhof einbezieht, veröffentlicht vom Tagesspiegel am 28.7.2014.
Anreise mit ÖPNV: Bus 316 von Berlin Wannsee nach Schloss Glienicke in 14 Minuten.
Buchhinweise:
Presse- und Informationsamt des Landes Berlin, 1984
Gerd-H. Zuchold:
Byzanz in Berlin, Der Klosterhof im Schlosspark Glienicke
vergriffen, darf als Teil der Schriftenreihe Berlin Forum "nicht gegen Entgelt weitergegeben werden", ist aber trotzdem antiquarischerhältlich (gegen variables Entgelt) bei Booklooker.
Gute und detaillierte Information auf 84 Kleinbroschürenseiten, s/w Fotos.
Inhalt:
Glienicke - Klassizismus und Romantik zwischen Berlin und Potsdam
Die Geschichte des Klosterhofs
Prinz Carls Intentionen als Kunstsammler
Kunstgeschmack als politisches Phänomen
Lageplan von Glienicke
Anmerkungen, Nachwort, über den Autor.
Hrsg. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz, Landeskonservator: Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin
Gebr. Mann Verlag Berlin 1993
Gerd-H. Zuchold:
Der "Klosterhof" des Prinzen Karl von Preussen im Park von Schloss Glienicke in Berlin
Band 1, Geschichte und Bedeutung eines Bauwerkes und seiner Kunstsammlung
Band 2, Katalgo der von Prinz Karl von Preussen im "Klosterhof" aufbewahrten Kunstwerke
Diese Monographie empfehle ich sehr für LeserInnen, die an einer akribischen, kompetenten wissenschaftlichen Arbeit mit einem entsprechend großen bibliografischen, fotografischen und dokumentarischen Anhang interessiert sind. Geschrieben in erfreulich präziser, aufmerksamkeitsfreundlicher Sprache.
Band 1 enthält die komplette wissenschaftliche Untersuchung des Themas.
Band 2 enthält die detaillierte wissenschaftliche Beschreibung aller Objekte, inkl. Provinienz, Quellen etc.
Bei Booklooker wird größenteils nur Band 1 zu unterschiedlichen Preisen angeboten, also Vorsicht, was man da bestellt und Preise vergleichen.
Ich empfehle die Bestellung der Monographie bei Fröhlich und Kaufmann, beide Bände werden als Pack um 2/3 ermäßigt für 50 € angeboten.
Ein weiterer Brunnenkopf mit frei stehenden Ecksäulen wurde mir heute von einem Korrespondenten freundlicherweise gemeldet. Er ist, finde ich, außerordentlich schön gearbeitet und steht im Innenhof des Fondaco dei Turchi, also dem Naturkundemuseum. In allen Jahren Venedig war ich da nie... herzlichen Dank!
Er schreibt dazu:
"Übrigens rate ich allen, bei einem Venedigbesuch das Naturkundemuseum zu besuchen. Ich finde es ausgesprochen gelungen.
Das erste Mal war ich aus Versehen mit GEOMONDO virtuell dort.
Beim letzten Venedigbesuch waren wir dann mit Freunden life im Museum und waren alle hellauf begeistert. (Alle keine ausgewiesenen Naturkundefans.)"
(C) für beide Bilder: C.H. |
Hier geht es zum Eintrag "Eine Geschichte von Murano und Potsdam"
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2 Kommentare:
Was für ein informativer Text! Danke. Habe laut gelacht bei der Beschreibung des Löwen: "hinkende Katze mit Teddybärengesicht und angeschnallten Flügeln" - ja, so sieht er aus! ;-)
Fahren wir jetzt erst nach Berlin oder erst nach Venedig?! Wirklich informativ, dieser Bericht und sehr appetitanregend, meint Irmgard
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