13. Januar 2019

Neue Museumspläne für den Fischmarkt am Rialto




Vor 5 Jahren gab es eine kleine kontroverse Medienwelle für und gegen ein Museum der islamischen Kultur in Venedig. Der Vorschlag war, es im Obergeschoss der zwei Gebäude des Fischmarkts am Rialto einzurichten, das seit dem Umzug von Justizbehörden leer steht. Zur Finanzierung des Projekts standen mehrere Golfstaaten an - Kuweit, Qatar, Vereinigte arabische Emirate - die Sache hätte quasi nichts gekostet, trotzdem kam es nicht einmal zum politischen Konsens. 
Der damalige Bürgermeister Giorgio Orsoni (nicht mehr im Amt wegen Korruptionsanklage beim M.O.S.E.-Projekt), war im Hinblick auf die langen historischen Verbindungen Venedigs mit islamischen Ländern, in Krieg und Frieden, in kulturellem Austausch und vor allem im gegenseitigem wirtschaftlichen Nutzen für das Projekt, während der Regionspräsident Luca Zai (Lega) ein Islammuseum "nutzlos" fand. Andererseits - die Finanzierung des Museums islamischer Kultur durch Golfstaaten hätte vermutlich ihren Preis gehabt, wie die Erfahrung lehrt. Wer zahlt, bestimmt die Musik...
Im August 2015 lehnte das italienische Kulturministerium MIBACT auf Basis von Beratungen durch die eingesetzte Kommission, der auch die Direktorin der Stiftung städtischer Museen Venedig, Gabriella Belli, angehörte, die Genehmigung des Projekts ab. Begründungen waren u. a. die Präsenz islamischer Kunst in Venedig (vor allem in der Ca' Pesaro, aber auch nachzulesen in einer Veröffentlichung des Archeoclub Venezia nachzulesen) und in anderen größeren europäischen Museen (z. B. Louvre, Victoria und Albert).

Das Thema verschwand von der Bildfläche und tauchte im Frühling 2016 wieder auf, diesmal allerdings als Museumsprojekt zur Geschichte der Stadt Venedig, der Serenissima, und vorgeschlagen von Gabriella Belli, siehe auch oben, Direktorin der Stiftung städtischer Museen Venedig. Ein Museum, präsentiert als quasi thematisch unverzichtbare Einstiegsausstellung für Venedigbesucher*innen, an herausragender Position am Canal Grande, inkl. eines Vortragsraumes und einer Terrasse am Wasser, und als 13. der bisherigen 12 städtischen Museen Palazzo Ducale, Museo Correr, Palazzo Fortuny, Torre dell'orologio, Cà Rezzonico, Cà Pesaro, Cà Mocenigo, Casa Goldoni, Museo del Vetro Murano, Museo del Merletto Burano, Museo di Storia Naturale. Eine schöne Erweiterung der venezianischen Museumsperlen!

In der ersten Januarwoche 2019 hat Bürgermeister Brugnaro nun einer modifizierten Version des Projekts zugestimmt. Geplant ist ein "Museo del mercato e del commercio veneziano". 
4000 Unterschriften wurden vom Komitee 'Cittadini Campo Rialto Novo' gesammelt und im Rathaus präsentiert von der Vorsitzenden Gabriella Giaretta (auch Gruppo 25 Aprile), zusammen mit dem Projektentwurf von Donatella Calabi, Luca Molà und (dem Autor u. a. einer aus meiner Sicht empfehlenswerten Venedigeinführung für Beginner*innen) Paolo Morachiello.
Die Markthändler*innen und Fischverkäufer wurden vertreten durch den Architekten Luciano Claut; als einer der möglichen Sponsoren war der Stockfischimporteur Ermanno Tagliapetra dabei, und als Projektbeteiligter der pädagogische Leiter der Hotelfachhochschule Barbarigo Rachele


Die Projektbeteiligung ist geplant als Schulungs- bzw. Trainingsunternehmen für die Studierenden der Hotelfachhochschule. Diese gastronomische Einrichtung soll als Teil des Museums funktionieren (das im Übrigen weitgehend 'virtuell' sein wird, also vermutlich eine der von mir nicht geliebten Multimediashows) unter Kooperation mit den organisierten Händler*innen des Rialto- und Fischmarktes auf non-Profit-Basis. 
Non-Profit-Basis ist natürlich interessant für die Zielgruppe, UNS Tourist*innen mit Muße in Venedig, wenn es bedeutet, dass wir hier in außerordentlicher Umgebung marktfrisch und preisgünstig (!) speisen werden. Mahlzeiten, die von von engagierten und inspirierten jungen Menschen produziert und serviert werden, die man ohne übertriebene Kosten sozusagen beim Sammeln von beruflichen Erfahrungen unterstützen darf. (Man erinnert sich an das non-Profit-Restaurant 'Alla Basilica', das mit gutem Essen und sehr freundlichen Mitarbeiterinnen leider nur sehr kurzlebig war, warum auch immer!)

Die Kostenplanung sieht 7 Mio. € vor, neben der Ausstattung für die neue Nutzung sind Renovierungen am Gebäude, vor allem der langen schmalen Treppe ins Obergeschoss, erforderlich. Die Finanzierung wird mit (noch zu akquirierenden) Sponsor*innen und städtischen (und sonstigen?) Fördermitteln geplant. Bürgermeister Brugnaro bzw. sein Rat ist bereit, Mittel zur Verfügung zu stellen, da es sich um eine "Initiative von unten handelt, in die Wege geleitet wird von Bürger*innen, die nicht jammern, sondern einen konkreten Vorschlag machen". 
Er hofft natürlich auch auf einen Aufschwung des seit Jahren schrumpfenden Fischmarktes - immer weniger einheimische Kunden, die dafür von immer mehr fotografierend kreativen Tourist*innen genervt sind - "der Fischmarkt könnte im nächsten Jahr schließen, wenn es so weiter geht" (sagt der Bürgermeister).
Er fordert deshalb, dass Museum und vor allem Restauration nicht den Marktzeiten (also vormittags) angepasst sein sollen, sondern die ganztägige Öffnung. Das entspricht, sagt er, den Bedürfnissen des Tourismus, bietet aber auch die Möglichkeit privater Feiern an diesem Ort einzigartiger Lokalität, analog den "Märkten von Barcelona, Hamburg, Padova und Tokyo" (da hängt die Latte ein bisschen hoch, abgesehen von Padua, aber warum nicht). 

Die Direktorin der Stiftung städtischer Museen, Frau Belli, war bei diesem Termin nicht anwesend (vermerkt die Lokalpresse ausdrücklich). Und da ihr nach der Ablehnung des Museums islamischer Kultur, an der sie beteiligt war, vor ca. 3 Jahren sozusagen der "Palazzetto delle Pescherie" in den Schoß fiel und trotz ihrer Idee eines stadthistorischen Museums seitdem weiter leer steht, ist die Frage, ob diese Pläne denn in absehbarer Zeit - oder überhaupt - realisiert werden?

Es bleibt wie immer spannend in Venedig.

Ergänzung 25.12.20
Heute erst gefunden: Progetto Rialto





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1 Kommentar:

Clipping Path hat gesagt…

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