29. Mai 2010

San Michele - Neues vom venezianischen Friedhof

Das eingestürztes Grabmal vom Februar 2008 heute

Mein erster Bericht über den Friedhof San Michele ist schon über zwei Jahre alt, aber trotz einiger Kurzbesuche habe ich erst jetzt den neu geschaffenen Teil im Nordosten der Insel besucht.
Und die restaurierte Klosterkirche, die im November 2009 wieder eröfnet wurde.

Tatsächlich war ich von morgens
kurz nach sieben bis weit nach Mittag auf der Insel, und ich hätte auch den ganzen Tag dort bleiben können. In Stille dort ein paar Stunden zu verbringen, den Ort und seine Gestaltung auf sich wirken zu lassen und seinen eigenen Gedanken zuzuhören ist eine meiner ersten Empfehlungen für Venedigbesucher.

(Die Idee eines lokalen Reisebüros, Touristengruppen auf den Friedhof zu schleppen und sie dort
picknicken zu lassen meine ich damit nicht. Wurde nach einheimischen Entrüstungen auch ganz schnell wieder abgestellt.)
Die Klosterkirche S. Michele hatte ich als sehr düsteren Raum in Erinnerung, nach der Restauration ist sie (für eine venezianische Kirche) überraschend hell und übersichtlich und wirkt größer als zuvor.Auch die schöne sechs-
eckige Cappella Emiliana, aussen links von der Kirche,
kann man jetzt von innen besichtigen (wenn auch nicht betreten). Die Kirche ist jetzt wieder tagsüber geöffnet, allerdings muss man auf Trauerfeiern Rücksicht nehmen, die ja sozusagen geschlossene Gesellschaften sind.

Anlage mit kleinen Urnenkolumbarien


Der neue Friedhofs-
bereich liegt in der Nordost-
ecke der Insel, d. h. von der Vaporetto-
station geht man einfach geradeaus, läßt links das Kloster und rechts die als Halbrund gestalteten
Grabkappellen liegen, dann folgen links Kindergräber und ein großer älterer Kolumbarienbereich, rechts neuere Urnengrabstätten. Man landet immer weiter geradeaus gehend in den Bereichen für Orthodoxe und Prostestanten, an die sich dann die "Vier Evangelisten" anschließen.
Ich erkäre den Weg so kurz, damit man ihn findet, nicht um ihn so kurz zu empfehlen. Tatsächlich ist diese sehr kleine Ecke des Friedhofs viele Schlenker wert zu interessanten Gräbern, Gräberruinen, alten Bäumen, schönen und ungewöhnlichen Fotomotiven.

Zwei Fotos aus der Urnenhalle beim Krematorium
Ich bin bei diesem Besuch zum ersten Mal auf das Krematorium gestoßen und in seiner Nachbarschaft (links) auf eine Halle zur Aufbewahrung (oder vielleicht sogar Ausstel
lung?) von Urnen, von denen manche schlicht, viele aber besonders gestaltet sind und zum Teil Aufschriften tragen, die neugierig machen.
Der Raum ist niedrig, aber hell und luftig, mit bemalter Decke und Oberlicht, rappelvoll und überaus faszinierend. Trotz vieler Besuche auf San Michele ist mir dieses Gebäude bisher entgangen, und wer weiss überhaupt, was sonst noch auf dieser Insel zu entdecken ist...


Mit der Erweiterung des Friedhofs wurde David Chipperfield beauftragt (der in Berlin das Neue Museum auf der Museumsinsel wieder gebaut hat) und bisher ist nur der erste Teil, "Corte dei quattro evangelisti" fertig gestellt und in Funktion, und zwar von beeindruckender Größe.

Der erste Anblick des (bis auf einen Eingang) nach aussen völlig abgeschlossen wirkenden Gebäudes hat mich geschockt, aber das abweisende Äußere steht im Gegensatz zu den grünen, beschützenden vier Innenräumen. Es sind Hallen, deren hohe Wände aus Grabfächern, Kolumbarien, bestehen und deren Innenräume mit (noch jungen) Bäumen und menschenhohen Rosensträuchern bepflanzt sind. Die begrünten Hallen sind hell und frisch, da ihre Decken sozusagen ausgeschnitten sind: Licht, Wetter und die Rufe der Möwen fallen in die Raummitte, während die Wände zum Schutz der Gräber überdacht sind.

Corte dei quattro evangelisti

Eine Frau stand allein in einer dieser Hallen exponiert ganz oben auf einer Leiter und weinte, das Gesicht an ein Grabfach gelehnt.
Deshalb kein Foto der Innenräume der 4 Evangelisten.


Das chipperfieldsche Konzept sieht eine neue, per Brücke angehängte Insel vor, die ohne Mauer auskommen und den Blick auf Venedig und die Lagune erlauben soll. Ich finde das Thema sehr spannend und füge deshalb hier weiterführende Links an:

http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/aktuell/auf_der_insel_der_toten_1.2150448.html
http://www.nextroom.at/building.php?id=32033
http://online.wsj.com/article/SB10001424052748703792304574503763695817996.html
http://www.significantcemeteries.org/it/node/516

Sandpumpe in abendlicher Aktivität

Ich frage mich, ob die Arbeiten zwischen der Insel San Michele und dem Canale delle Fondamente Nove, die mir schon im letzten Jahr auffielen, mit der Friedhofserweiterung zu tun haben. Dort wurde eine Art Barena abgesteckt, in die in diesem Jahr jeden Abend in hohem Bogen Sand gepumpt wurde. Bei Ebbe konnte ich mit meinem Operngucker schon Möwen beobachten, die auf dieser entstehenden Insel herumpickten.


Man
darf gespannt sein auf die neuen Friedhofserweiterungen. Und die alte Friedhofsinsel bleibt ein faszinierendes Ziel in Venedig, als Ganzheit mit der napoleonischen Mauer und mit den verschieden gestalteten Teilbereichen bis zu immer wieder überraschenden Entdeckungen, die man hier machen kann. (Z. B. hat das Grab des Literatur-Nobelpreisträgers Joseph Brodsky neuerdings einen Briefkasten. Wofür? Es stecken Briefe drin. Sorry, das musste geprüft werden! Zu welchen Händen? Warum? Keine Ahnung.)
.


7 Kommentare:

emilia hat gesagt…

the last one is perfect! That one with the tomb of J.Brodsky also.

emilia hat gesagt…

By the way, the mail box on the tomb of J.Brodsky is something new.

B. Eckert hat gesagt…

emilia,

thanks for your comments! I don't know if you got my answering mails - if not: just help yourself with the pic. I don't have another email adress.

Paula hat gesagt…

Ich habe hier gelesen: http://www.italien-guide.com/venedig.html dass Veneig eine eigene Sprache hat, stimmt das?

Angela hat gesagt…

Hallo Brigitte,

nach 2008 werde ich morgen zum ersten Mal wieder für ein paar tage in meine Lieblingsstadt fahren dürfen und möchte mich sehr herzlich für den Hinweis zu San Michele bedanken!

Im friedhof war ich schon einige Jahre nicht mehr und die Kirche hat auf mich auch immer einen eher düsteren, abweisenden Eindruck gemacht.
Umso scchöner, dass sie restauriert wurde, ich werde sicher dort vorbeischauen!

Vielen Dank an dieser Stelle auch noch einmal für alle Deine hervorragenden Beiträge, ich lese hier regelmäsig mit!

Liebe Grüße

Angela

B. Eckert hat gesagt…

Paula,
Deine Information ist richtig. Schau mal unter Wikipedia http://de.wikipedia.org/wiki/Venetische_Sprache_%28Romanisch%29
Ich habe nicht alle Links von Wikipedia angesehen, aber hier findest Du eine ausführliche Darstellung der Sprache, falls Du tiefer einsteigen willst (allerdings auf englisch):
http://www.orbilat.com/Languages/Venetan/index.html

Am 14.5. auf der Mare Maggio Veranstaltung im Arsenale sprach das Diskussionspodium normal verständliches italienisch, während die Zuhörer zwischen denen ich sass venezianisch sprachen (nicht den venezianischen Dialekt des Italienischen, sondern die venezianische Sprache): ich habe kein Wort verstanden ausser si und no. Das war sehr beeindruckend!


Angela,
ich wünsche Dir phantastische Tage in Venedig!

Anonym hat gesagt…

viel gelernt