25. Juni 2015

Venedigs zentrale Baustelle - der Rialto


Nach einer schlaflosen Nacht Anfang Mai war ich morgens um 7 Uhr am Rialto, Baustellen gucken, solange dort noch Ruhe herrscht. Die versammelten Einrüstungen von Brücke, Fondaco dei Tedeschi und Palazzo dei Camerlenghi müssen einen selt-
samen Eindruck machen auf  Menschen, die zum ersten Mal hier vorbeikommen. Eine riesige Christo-Aktion vielleicht?!




Zwischen all den Gerüsten und Hüllen kam ich mir vor wie in den Kulissen einer Bühne: im doppelten Sinne aus dem Raum ge-
rückt. Hier geht es um Sponsoring: die Restaurierung der Brücke wird mit Vertrag vom Dezember 2012, Baustart März 2015, vom Modelabel Diesel finanziert, Kosten 5 Mio €. Ebenso die Restau-
rierung der Fassaden und des Daches des Palazzo dei Camerlenghi während der nächsten 2 Jahre, Kosten 2 Mio €. Diesel gehört zur OTB-Holding von Renzo Rosso, wie auch das Modelabel Marni, das eine interessante Nebenausstellung "Becoming Marni" der Biennale im ehemaligen Kloster S. Grego-
rio sponsort, für die an der Baustelle Rialtobrücke ein großes Banner wirbt. 




Auf der anderen Kanalseite geht es ums Geld verdienen und hier ist die Sache schon etwas weiter gediehen. Siehe Label 'Fondaco dei Tedeschi'. Vorgestern gab es eine Pressemitteilung, die die Eröffnung des Kaufhauses für Mitte 2016 ankündigt.  

Man muss nicht diesen ganzen Text lesen, der in Begriffen mit "...Luxus..." schwelgt und "Weltreisende" als Zielgruppe defi-
niert, die in top-end-hotels absteigend als künftige high-spen-
ding-visitors erwartet werden. Interessant finde ich die für mich neue Information, dass der Fondaco dei Tedeschi dem Konzern LVMH gehört, dem Branchenführer Luxusgüter weltweit, und nicht etwa "Bennetton", das in den Medien schon mal harmlos als "Familienbetrieb" rüberkommt, haha. Und innerhalb des Konzerns LVMH ist er Teil der asiatischen Luxuseinzelhandels-
kette DFS Galleria, die mit dem Fondaco dei Tedeschi in den europäischen Markt einsteigt. Überlegungen, in Europa mit London, Paris oder Mailand zu starten seien verworfen worden, denn "Venice is a melting pot of visiting nationalities, from Europeans to Americans to Asians  and Middle East visitors. This is dedicated to travellers of the world, and all of them are interesting for us. We have the entire planet here."

AfrikanerInnen sind in dieser Liste nicht enthalten, sie haben in Venedig bekanntlich andere Funktionen als high-spending-visitors.

















Es gibt noch keine Details zur Neugestaltung, vor allem keine aktuellen Fotos, und der Schrecken der zwei Rolltreppen im Innenhof, ursprünglich in der Planung für den Umbau enthalten, droht immer noch bis zum Beweis des Gegenteils. Mitgeteilt wird, dass es mehrere Eingänge von der Seite des Canal Grande geben wird, im Erdgeschoss Geschäfte mit Produkten (Geschen-
ken) italienischer Herstellung und ein Café, im 1. Obergeschoss Damenmoden und -accessoires, im 2. Obergeschoss Herrenmo-
de, Uhren und Schmuck, im 3. Obergeschoss Luxusschuhe, Düf-
te und Kosmetik: ein Geschäft, wie es bisher in der Stadt nicht vorhanden ist. Liebe Güte. Als gäbe es keinen Luxus in dieser Stadt - aber die Läden sind wahrscheinlich bisher zu popelig für die Weltreisenden. Das 4. Obergeschoss soll als "öffentlicher Raum" mit regelmäßigen Veranstaltungen zur Verfügung stehen, was immer genau das heißen wird, und Raum für eine Aussichts-
terrasse haben.




Selbstverständlich ist die Rede von der einmaligen Chance, die-
ses Gebäude wertschätzend wieder dem Handel zuzuführen, Strukturen zu erhalten etc., nach den Kämpfen von Denkmal-
schutz und Bürgerinitiativen im Vorfeld wird sich herausstellen, wie viel davon tatsächlich gemeint ist und realisiert wird. In einem Jahr werden wir sehen. Und in zwei haben wir den Rialto hoffentlich wieder hüllenfrei.



Siehe auch Eintrag vom 7.3.2015 Hüllen und Enthüllen




Siehe auch Eintrag vom 21.8.2016 



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24. Juni 2015

Wieder geöffnet: Garten Soranzo Capello


Große Freude. 
Der Garten des Palazzo Soranzo Capello, nur ein paar Ecken vom Bahnhof entfernt, war anlässlich der Biennale 2011 im Sommer und Frühherbst dem Publikum zugänglich. Danach kaum noch, obwohl man vermutlich auf rechtzeitige Anfrage eine Zugangsmöglichkeit durch das Gebäude, in dem die Denkmalschutzbehörde für Venedig, Belluno, Padua und Treviso sitzt, bekommen könnte. Zuviel Aufwand. Umso schöner ist es, dass der Garten jetzt wieder geöffnet ist, und zwar bis zum 15.10.2015



Die Denkmalschutzbehörde nutzt den Garten praktisch nicht, an Mitteln für die Pflege wurde offensichtlich gespart, weshalb in den letzten Jahren der Garten "in Ruhe gelassen" wurde. Zur Gartensaison 2015 wurde er in Schuss gebracht, heißt, die Kronen der hohen alten Bäume im hinteren Teil deutlich ausge-
dünnt und dadurch ein Zustand hergestellt, der weniger als früher den Eindruck von "Wald" erweckt - nämlich hohes dichtes Blätterdach, Dunkelheit, allenfalls kleine Sonnenflecken hier und da. Jetzt ist es hell und sonnig, neue Bodendecker wurden ange-
pflanzt. Das ist gewöhnungsbedürftig, aber das bringt Baum-
pflege mit sich. Auch im hinteren Bereich wurden viele Bänke aufgestellt und zusätzliche große Pflanzgefäße, es ist ein möb-
lierter Garten, der zum Verweilen einlädt. Im vorderen Teil ist bis auf einen breiten Pfad, der auf der Wiese gemäht wurde, alles beim Alten.




Die diesjährige Ausstellung zeigt Skulpturen des chilenischen Künstlers Roberto Sebastian Matta. Zum Teil passen sie gut in diese Umgebung, zum Teil ist mir der Gegensatz von Garten-
umwelt mit all ihren sinnlichen Eindrücken und Mattas schwerem grobem Metall ein bisschen zu hart. Wenn mein Blick die Wahl hat zwischen kunstvollen Stahlkloben und von Mauern herab-
duftenden Rosenkaskaden haben die Stahlkloben keine echte Chance. Die Wirkung der Gegensätzlichkeiten ist aber nachhal-
tig. Unbedingt empfehlenswert.


Der Garten wurde mittlerweile aufgenommenn in den Internet-
auftritt der Italian Botanical Heritage.


Haltestelle Ferrovia, über die Scalzi-Brücke, zu Fuss zum Rio Marin.



Ich begleite und führe zu Ausstellungen in interessanten Gebäuden in der Stadt. Auch themen- oder personenorientierte Begleitungen können auf Anfrage abgestimmt werden über einen Klick ganz oben rechts in der dunkelgrünen Spalte.

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21. Juni 2015

Zum ersten Mal: Palazzo Fontana (Schottland)

Treppenhaus Palazzo Fontana
Zwei Häuser von der Ca' d'Oro entfernt, an der Ecke Canal Grande/Canale di Noale steht der Palazzo Fontana, über den sich nicht viel an Information finden lässt. Ein bisschen erzählt das italienische Wikipedia, bei Tassini (siehe Sachbücherliste) steht, dass die Fontana, Kaufleute aus Piacenza, 1549 nach Venedig einwanderten. Einer ihrer Söhne, Giovanni, baute auf der damaligen Nummer 3829 einen Palast im Stil Sansovinos "mit Aussicht auf den Canal Grande". Der Blick ist tatsächlich großartig, vom Balkon sieht man vom Fondaco dei Tedeschi bis zum Palazzo Vendramin Calergi und auf der gegenüberliegenden Seite Pescheria, Ca'Corner della Regina, Ca'Pesaro.

Das Haus scheint gut erhalten mit einem großen Androne ohne Dekoration bis auf die typischen Holzbänke, deren großflächige flache 'Lehnen' Teile der Ziegelwände abdecken. Die steile Innentreppe führt durch den Mezzanin in den Portego, und auf der anderen Seite des Raumes direkt weiter in den 2. Piano nobile, die oberen Etagen scheinen bewohnt. 



Der Piano nobile ist leer geräumt, der Portego unterteilt, es gibt noch schöne Decken, Stuck, chiaroscuro Malerei, Murano-
leuchten. Die Biennaleausstellung von Schottland zeigt aus-
schließlich Werke von Graham Fagen, die sehr beindruckend sind, in kleiner Zahl und überzeugend zusammen gestellt. 


Vor allem ein Musikvideo, dessen Melancholie durch alle Räume trägt, bleibt in Erinnerung. Das Gedicht "The Slave's Lament" von Robert Burns, gesetzt von Sally Beamish, interpretiert von Scottish Ensemble und Reggaesänger Ghetto Priest auf jeweils einzelnen Bildschirmen ist ein bewegendes Erlebnis. Graham Fagen  und Ghetto Priest arbeiten seit 10 Jahren zusammen, das Ergebnis ist überzeugend. Leider keine Stühle, aber man kann sich auf den Boden setzen um entspannt zu hören.   

Die Ausstellung wird ausgerichtet von Hospitalfield, das im Laufe der 7 Monate Biennale 21 PraktikantInnen im Rahmen eines Studienprogramms nach Venedig schickt. Eine sehr schöne, nachahmenswerte Idee.


Balkon Palazzo Fontana
Haltestelle Ca' d'Oro, auf der Strada Nova links und in die nächste Gasse links (derzeit innerhalb eines Baugerüsts). http://scotlandandvenice.com/visit/


Ich begleite und führe zu Ausstellungen in interessanten Gebäuden in der Stadt. Auch themen- oder personenorientierte Begleitungen können auf Anfrage abgestimmt werden über einen Klick ganz oben rechts in der dunkelgrünen Spalte.
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20. Juni 2015

Hyperaktives Wochenende in Venedig


Genau genommen: schon wieder. Schon im Mai musste man sich Mühe geben, dem Angebot zu folgen. 

Dieses Wochenende 20./21.6 also Isole in Rete und ArtNight am 20.6. 18-24 Uhr. Stehen seit geraumer Zeit im Kalender, aber für alle Fälle sei eigens darauf hingewiesen. 

Programm Isole in Rete 
Programm ArtNight (am Vormittag des 20.6. ist die Site leider zusammengebrochen, steht hoffentlich bald wieder zur Verfü-
gung). Auf Papier gibt es das Programm bei der Eröffnung der ArtNight um 18:00 Uhr im Innenhof der Universität Ca'Fosari.

Twitter ArtNight

Hinweise zum ÖPNV (La Nuova)
Sonderfahrplan S. Giuliano-Murano-Sant'Erasmo-Lido 

Mazzorbo

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Nachtrag 22.6.
Wiedervorlage für die nächste ArtNight 2016:

Eine Schlange dieser Länge (bei Guggenheim) kann man sich aus meiner Sicht schenken, statt dessen jederzeit eine Entrittskarte kaufen und die Kunst ansehen. ArtNight = Schlange stehen und quatschen statt Kunstgenuss? Bitte nicht.

Nicht nur die Website http://www.artnightvenezia.it/ fiel komplett aus (und steht bis heute nicht wieder online), sondern auch der ÖPNV, spricht ACTV, war nicht auf das erhöhte Verkehrsaufkommen nach Mitternacht vorbereitet. Vor allem der Busverkehr Richtung Festland scheint Stress pur gewesen zu sein. Die Zeitungen verwenden die Begriffe "Albtraum" und Katastrophe". 
Siehe La Nuova 21.6.2015 und Il Gazzettino 22.6.2015. Sehr unprofessionell, sehr ärgerlich und keine Empfehlung für die Zukunft.


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19. Juni 2015

Sant' Antonin Gesamtkunstwerk


Sant' Antonin, auf dem Weg vom Campo della Bragora zur Scuola dei Schiavoni gelegen, wurde 1982 geschlossen. Mittlerweile 20 Jahre lang restauriert, steht die Kirche gelegent-
lich für Ausstellungen zur Verfügung. 


Zur Biennale 2013 konnte ich anläßlich der dort installierten Ge-
fängnisboxen von Ai Wei Wei zum bis jetzt einzigen Mal die Kir-
che sehen. Die großen Boxen dominierten natürlich den Gesamt-
eindruck, weshalb der neue Besuch doch ziemlich überraschend war. Und zwar wieder vor allem wegen der dort installierten Aus-
stellung CONVERSION der Recycle Group,  Andrei Blokhin und Georgij Kuznetsov. Die beiden stellen mit jeweils verschiedenen Materialien verblüffend verschiedene Werke her, weshalb es sich lohnt, in Ruhe den Film anzusehen, der in einer Seitenkapelle (bzw. vermutlich ist es die ehemalige Sakristei) gezeigt wird. Großer Bildschirm, venedigtypische Klappstühle, hochinteres-
sante Dokumentation von geschätzt 20 Min. Dauer, kleiner Ausschnitt hier:



Recycle Group. Conversion. teaser from Konstantin Bobovik on Vimeo.

In diesem Raum befindet sich außerdem ein sehenswerter Sar-
kopharg und es wird vor allem die Restaurierung der Kirche in einer Ausstellung dokumentiert, die auf keinen Fall übersehen sollte, wer sich für dieses Thema interessiert. Vielleicht gab es diese Ausstellung bereits 2013, dann hätte ich sie jedenfalls übersehen, aber diesmal glücklicherweise nicht.  



Sarkopharg in der Sakristei, Schmalseite
Die Kirche hat sehr schöne Altäre und Details, für die man sich Zeit nehmen sollte. Die riesigen Apostelreliefs aus Gittermaterial der 'Conversion'-Ausstellung erinnern ein bisschen an den Mädchenkopf von Jaume Plensa der derzeit in San Giorgio Ma-
ggiore zu sehen ist. Volumen, das von Transparenz zusammen gehalten wird. Im Gegensatz dazu Holz und Kunststoffe, Materi-
alien fassbarer kompakter Werke. 

Eine rundum spannende Sache - Kirche, Restaurierungsdoku-
mentation, Kunst plus Film, wenn man mal von dem dämlichen 
f absieht.   

Ist auch während der ArtNight am 20.6. geöffnet.
Haltestelle S. Zaccaria und dann venezianisch "geradeaus": rechts-links-rechts.





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16. Juni 2015

Rio di San Girolamo

Ein bisschen Musik zwischen all den Biennaleberichten...






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15. Juni 2015

Blicke senken im Flughafen Marco Polo


Wer in Venedig ankommt, hat ein Ziel: die schönste Stadt. Der Flughafen ist nur ein Teil des Transits. Derzeit aber schon ein bisschen mehr: einer von zwei Teilen der Biennale-Ausstellung von Neuseeland. Im einigen Bereichen von Ankunft und Abflug liegt die ungeheuer prächtige Decke der Biblioteca Nazionale Marciana auf dem Fußboden. Als Faksimilie in Originalgröße.

Es gibt Menschen, die das für den Gipfel der Banausierung und Disneysierung Venedigs halten, aber mir gefällt das gut. Jede/r, der/die in Venedig nie die wunderbare Bibliothek betreten würde, hat hier die Chance, einen staunenden Blick auf den Fußboden zu werfen und sich zu fragen... *?!!*?. 
Und wer oft oder sogar regelmäßig die Marciana besucht, muss sich nicht wie sonst den Hals verrenken und braucht auch kein Opernguckerchen um Details zu sehen, sondern hat die Decke des Prachtsaales in der Entfernung seiner/ihrer eigenen Körperlänge direkt vor Augen.


Wenn schon nicht bei der Ankunft, sollte man sich zumindest beim Abflug die Zeit nehmen, einen intensiven Blick nach unten zu werfen. Und sich von Details überraschen zu lassen, auch wenn überall Leute auf der Decke herumsitzen und -stehen.  

Unter dem Link http://www.nzatvenice.com/ (siehe auch oben) finden sich die Lagepläne der Deckenausschnitte und jede Men-
ge Detailfotos, bitte nicht übersehen.

Teil 2 der Ausstellung Neuseeland findet in der Biblioteca Marciana selber statt, unter dem Titel "Secret Power", siehe Link oben. Eingang von der Piazzetta. 



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13. Juni 2015

Venedig - am "Rand des Chaos"?

Eingang am Campo della Carità
Der "Rand des Chaos" ist ein Begriff aus der Komplexitätsforschung, von der ich keine Ahnung habe. Außerdem ein Computerspiel, von dem ich keine Ahnung habe.  Was meinen 4 KünstlerInnen, die unter diesem Titel "Edge of Chaos" sehr verschiedene Werke gemeinsam ausstellen? Keine Ahnung. Zu sehen sind: 2 sozialkritische Videos (LaToya Ruby Frazier), 1 feministisches Video (Egle Rake), 1 Raum voller ela-
borierter Werke aus feinem Kupferblech und -draht, hergestellt in Schweißtechnik (Gianluca Malgeri), 1 Raum voller elektroni-
scher Fotos (Audra Vau). Interessant zu sehen und sich dazu in Beziehung zu setzen, aber wieso "Edge of Chaos"? 


Portego, Wandbemalung (!), Werk von Gianluca Malgeri

Wirklich spannend allerdings ist das Haus, in dem man auf den Rand des Chaos trifft. Im Werbematerial für die Ausstellung wird das Haus "Casa Donati" genannt (so heißen die Besitzer), es handelt sich aber um den Palazzo Querini alla Carità , auch ge-
nannt
Querini Vianello. Neben der Accademia und der Bar an der Ecke am Canal Grande, erbaut im 18. JH. auf einem ursprünglich gotischen Vorgängerbau, der kleine Seitenanbau im Garten stammt aus dem 19. JH.


Treppenhaus auf Höhe des Mezzanin.
2 Büsten, 2 trompe l'oeil Büsten, 1 trompe l'oeil Fenster
Es hat alles, was ein Haus am Canal Grande normalerweise hat: zwei (geschlossene) Wassertore, einen Androne mit Mezzanin, ein herausragend gestaltetes Treppenhaus, einen Portego und Nebenräume. Aber alles in ungewohnt kleinem Format, als sei das Haus zurechtgestutzt worden. Trotzdem sehr elegant mit trompe l'oeil Fresken im Treppenhaus, die den Vergleich mit dem Treppenhaus des Palazzo Papadopoli (Foto 5 der picture tour) nicht scheuen müssen (vielleicht vom gleichen Maler?); einem komp-
lett mit Landschaftsveduten ausgemalten Portego, mit Stuck und Deckenfresken. Natürlich mit alten Muranolüstern und schönen Kaminen. Alles wunderbar erhalten und gepflegt, vermutlich durch die frühere Nutzung als Konsulatsgebäude Großbritanni-
ens. Eine große Terrasse sitzt auf dem Nebengebäude mit Blick auf Accademia, Canal Grande, Brücke.



Treppenhaus, Höhe des Portego.
Trompe l'oeil Wandmalerei
Beim Betreten des Androne trifft mich sofort der Anblick von Zorzi Benzon Anno 1660 ins Herz. Gerahmt in ca. 2 x 1,5 m, er trägt einen Spitzenschal, blauschwarzen Harnisch, beigen Glockenrock, tolle rot-schwarze Schuhe und steht auf der messi-
nischen Küste der Peloponnes, venezianisch Regno Morea, direkt neben der Festung von Koroni. An seiner linken Seite gibt es ein Papier mit einem Plan der Festung Candia (heute Iraklion, Kreta) und dem Text "FU NOBILE IN CANDIA ALLA SUA DIFESA und dem Plan einer Insel (die ich nicht erkenne) mit dem Text FU PROVEDITO STRAORDINARIO ALLA SALIARA, darunter 3 Galeeren mit Unterschriften FU GOVERNATOR... GALLEAZZE... (daran arbeite ich noch!).



Zorzi Benzon Anno 1660
Darunter, auf dem dunklen Untergrund der Landschaft, werden seine Verdienste aufgelistet:
FU NOBILE IN ARMATA. / FU VICE GOVER. DE CONDEMNATI. / FU PROVEDITOR IN CAMPU SOTTO / CORON NELLA BATTAGLIA E VITTORIA / CONTRO TURCHI E SUPRESA A FORZA / D'ARME. / FU IL PRIMO PROVEDITOR ESTRAORDI- / NARIO IN CORON. FU ELETTO CONSIGLIER. / FU PROVEDITOR IN CAMPO SOTTO / PATRASSO NELLA BATTAGLIA E VITTO- / RIA CONTRO TURCHI ET ABANDONO DI / PATRASSO E LI CASTELLI LEPANTO E / CORINTO. / FU PROVEDITOR IN CAMPO SOTTO / ATTENE ALLA SUA RESA. / FU PROVEDITOR ESTRAORDINARIO NEL / REGNO DI MOREA L'ANNO 1660. / FU CONSIGLIER APRESSO SU. SERE: FRANCECO / MOROSINI NEL ULTIMA SUA SPEDITIONE / 
... der Rest des Textes verschwindet leider im Rahmen. 


Zorzi Benzon Anno 1660, Detail
Allerhand. Zorzi Benzon hatte also eine koloniale Karriere als venezianischer Statthalter in den Städten Koroni, Patras, Athen (nach ihrer Kapitulation) und dem Regno Morea; wurde in den Adel aufgenommen während der 25jährigen Belagerung von Candia, und er war weiter als Berater beteiligt an einigen Kämp-
fen gegen die Ottomanen und an der "letzten Kampagne
Francesco Morosinis".
Die weit verzweigte Familie Querini war auch verwandt mit der Familie Benzon. Der Palazzo Benzon bei S. Angelo hat derzeit die gleichen Besitzer wie der Palazzo Querini Vianello. Über Zorzi habe ich bisher nicht mehr gefunden, ist aber auch nicht eilig.

Die Ausstellung und das Haus sind noch bis 30.6. zu besichtigen. Was ich sehr empfehle, und auch, sich Zeit zu nehmen. Es gibt genug zu bewundern und sich bei genauem Hinsehen über-
raschen zu lassen.



Zorzi Benzon Anno 1660, Detail
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11. Juni 2015

... und auch Angola im Hause Pisani

(Anschluss an "Der Musikturm? Palazzo Pisani!)


Angola bekam bei der Biennale 2103 den Goldenen Löwen für den besten Länderpavillon und beeindruckt mich mit seiner diesjährigen Ausstellung "On Ways of Travelling" eigentlich mehr. 

Ausdrucksstarke, kraftvolle Werke, die unter Muranoglas, Stuck, Fresken und Blattgold an den Wänden des Palazzo Pisani ihr eigenes konträres Leben entfalten. Wenn auch wieder keine Künstlerin ausstellen darf, gibt es doch immerhin eine als Kura-
torin, RitaGT, im Team - das wird schon noch. 


Durch den Haupteingang des Conservatorio Marcello Benedetto eintreten, Androne mit Flügel und Schiffslaternen bewundern, ebenso die Gelegenheit nutzen, die beiden Innenhöfe zu besichtigen - vor allem die Übergänge von einer langen Seite des Palazzo zur anderen auf insgesamt 4 Ebenen. Die 4. Ebene ohne Überdachung ist am besten zu sehen vom Turm des Treppen-hauses (siehe vorhergehender Eintrag).
Dann über Treppe im Androne hinauf durch ein Mezzanin in den Portego, wo die Ausstellung Angola aufgebaut ist. 





Ich begleite und führe zu Ausstellungen in interessanten Gebäuden in der Stadt. Auch themen- oder personenorientierte Begleitungen können auf Anfrage abgestimmt werden über einen Klick ganz oben rechts in der dunkelgrünen Spalte.

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10. Juni 2015

Der Musikturm? Palazzo Pisani!

Conservatorio Benedetto Marcello, Nebeneingang,
hinten Treppenhausturm
Ein Trüppchen junger männlicher Touristen fragte mich auf dem Campo Santo Stefano, ob ich wüsste, wo der Musikturm hier in der Nähe sei? Kann man so nennen.
Die Nebenausstellung "The Sound of Creation" von Brian Eno und Beezy Bailey ist im Treppenhaus des Palazzo Pisani instal-
liert, das wie ein Turm an der Südwestecke das Conservatorio Marcello Benedetto überragt.


Den Titel finde ich ziemlich pompös, den Untertitel "Sound-
paintings" schon bescheidener 
und er sagt, worum es geht: 6 Treppen, auf jedem Absatz warten Bilder und Kopfhörer. Die Verbindung zwischen dem, was zu sehen ist und dem, was man auf die Ohren kriegt, ist für mich nicht erkennbar, aber ich muss nicht alles verstehen. 

Es ist immer schön, eine venezianische Treppe des (ungefähren) palladianischen Maßes auf- oder abzusteigen, deren Stufen flacher und tiefer sind als wir sie gewöhnt sind. Sie sind dem menschlichen Körpermaß angepasster und deshalb laut Palladio "bequem". Man hebt die Beine in einem anderen Winkel, geht entspannt sehr aufgerichtet und knickt nicht mit dem Oberkörper nach vorne. Man findet dieses Treppenmaß nicht nur in Venedig, sondern auch in den Kolonien, z. B. bei der Treppe, die zur venezianischen Festung Akronauplia (Argolis, Peloponnes) führt.



Und diese Treppe führt also bequem immer höher, ein Bild, ein Musikstück, immer wieder lange Blicke aus den Fenstern. Die Aussicht wird immer prächtiger, am Ende landet man in einem kleinen Zimmerchen mit (fast) Rundumblick, raus auf die Altana darf man nicht, abgesperrt. Der Versuch von hier zu fliegen hätte lethale Folgen.

Phantastischer Blick über die Dächer und Altane, über Canal Grande, Canale della Guidecca und die Kreuzfahrtriesen im Hafen, zum Greifen nah ist alles, was auf den Campanili von S. Marco und S. Giorgio Maggiore sehr weit weg zu sein scheint. Der Weg nach oben lohnt sich unbedingt, und die Kunst ist eine nette Begleitung dabei.

Haltestelle Accademia oder Giglio, am Palazzo Pisani vorbei gehen, Haupteingang links liegen lassen, Nebeneingang ebenso, dann links abbiegen und durch den hinteren Innenhof ins Treppenhaus eintreten. Sonntags geschlossen. 


Blick über Dorsoduro auf die Giudecca mit dem Junghans-Viertel



Bisherige Einträge Palazzo Pisani


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9. Juni 2015

Verstreute Verse in Venedig

Schon Anfang April sah ich ein Video über Doug Argue und die Ausstellung, die er für einen eigens ausgewählten Raum für die Biennale vorbereitet. Spannend. Seine Ausstellung "Scattered Verses" war folglich die erste, die ich im Mai besuchte.


Artists at Mana: Doug Argue from Mana Contemporary on Vimeo.

Perfekt. Morgens um 10, die Morgensonnne schickt durch das einzige Fenster, überwuchert von wildem Wein, grünes bewegtes Licht und das Zusammenspiel von Kunst und Raum ist magisch. Ziegelsteinwände, neu gelegte Holzdielen, alte dunkle Balken, der Rest eines Kamins. Angrenzend an den Innenhof des Palazzo Contarini dal Zaffo bei der Carità (den Zunamen Polignac gibt es erst seit 100 Jährchen) und nur wenige Schritte von dessen Wassertor am Canal Grande entfernt, wurden hier früher vielleicht ungenutzte Boote oder Ähnliches aufbewahrt. 

Der Künstler hatte wohl einige (edlere) Raumangebote abge-
lehnt und sich dann für diesen Platz entschieden, der ungeöffnet bis unters Dach vollgestopft mit Krempel von Jahrhunderten war und leergeräumt und für die Ausstellung hergerichtet werden musste. Erst nach der Entscheidung für den Raum entstanden die Bilder, die nicht nur sitespezifisch, sondern sehr venedig-
spezifisch sind.




Das erzählten mir die beiden Aufpasserinnen von Save Venice, eine amerikanische Institution die Restaurationen in Venedig finanziert und durchführt. Mit dieser Ausstellung gibt Save Venice zum ersten Mal Gegenwartskunst in Auftrag und hat mit Doug Argue eine wunderbare Wahl getroffen.

Das Bild an der linken Wand, "Calle" ist inspiriert von einer nächtlichen venezianischen Gasse, an der rechten Wand "Cosa Mentale" von einer Ziegelwand. Begleitet von Texten, die "atomisiert" als Buchstaben flirren. An der Rückseite "Mother Tongue", inspiriert von (venezianischer und jeder) Mutter-
sprache und Wasser, beide in Bewegung und bewegend. Gegenüber dem Eingang "Time and time again", dem die "Pietà" Tizians, dessen letztes Werk, unterlegt ist. Ein Palimpsest, eine Übermalung, von der Doug Argue im Video sagt, dass die Untermalung vielleicht nicht jeder sieht.


4 Bilder in einer wunderbar schlichten Präsentation. Überzeugend. Bewegend.

Haltestelle Accademia. Richtung Zattere, auf halber Strecke vor der ersten Querstraße links (Achtung Hinweisschild: Doug Argue - Rime Sparse - Scattered Rhymes)  in die kleine dunkle Gasse einbiegen, die aussieht, als führe sie nur zu ein paar unbenutz-
ten Hintertüren. Hier die 1. Tür links. Nur bis 30. September!







Ich begleite und führe zu Nationenausstellungen und Nebenausstellungen in interessanten Gebäuden in der Stadt. Auch themen- oder personenorientierte Begleitungen können auf Anfrage abgestimmt werden über einen Klick ganz oben rechts in der dunkelgrünen Spalte.



8. Juni 2015

Opera alla veneziana - HALKA/HAITI 18°48’05”N 72°23’01”W


Geh morgens zeitig in die Giardini, damit du Zeit hast für die Kunst in den Pavillons und die freiwillige und unfreiwillige dazwischen. Und wenn dir nach 6 Stunden deine Füsse ordentlich weh tun, du durstig und hungrig bist, genieße im polnischen Pavillon ein Opernerlebnis alla veneziana, bevor um 18 Uhr die Biennale schließt. Du hast Essen und Trinken dabei und vielleicht auch jemanden, den/die du gern küsst - üblich in venezianischen Opern des 17. und 18. JH, als der Opernbesuch zum täglichen Entertainment gehörte und man bei der Musik aß, trank, verhandelte, küsste und Venedig mit vielen guten und schlechten Opernhäusern gesegnet war.

Cazale, der Ort auf Haiti, in dem die Oper gegeben wird, hat kein Opernhaus, gespielt wird auf der Dorfstraße, die BewohnerInnen haben sich an verschiedenen Ecken gruppiert, damit Gäste (also wir) Platz haben und alles gut überblicken. Gesungen wird mitten auf der Straße, das Orchester sitzt rechts, das Keybord für Gesangsbegleitung links, der Dirigent saust über die Straße, wenn er von Gesangsbegleitung zur Orchesterleitung wechseln muss. Die SängerInnen treten kurz zur Seite, wenn ein vorbei fahrendes Moped die Bühne kreuzt, aber nicht, wenn Kinder durchrennen oder Hunde. 

Bevor die Sonne aufgeht, kippt eine Nachbarin ein paar Eimer Wasser auf die Straße gegen den Staub und bindet ihre Ziege fest, wo später gespielt wird. Langsam trudeln die Akteure ein: BewohnerInnen, Mitglieder der Oper Poznan, das Holy Trinity Philharmonic Orchestra Port-au-Prince, die örtliche Tanzgruppe, das Filmteam. 
Die BewohnerInnen sind Nachkommen der polnischen Soldaten, die 1802 mit napoleonischen Truppen Haiti erreichten, um die Sklavenrevolte niederzumachen, und prompt die Seite wechselten. 
Die Oper Poznan spielt mit lokaler Unterstützung die Oper Halka, mir bisher unbekannt, ich höre gerne, aber nicht häufig Opern. Das Projekt wurde inspiriert durch Werner Herzogs Fitzcarraldo - aus meiner Sicht keine Empfehlung. Fragen wie Kulturkolonia-
lismus und Nationalbewußtsein bzw. nationaler Selbstdarstellung wurden laut dem kleinen Begleitflyer im Projektkonzept und in der laufenden Arbeit nicht ausgeklammert. Ein wichtiger Punkt.


Der Film ist toll. Eine ca. 10 m breite leicht gebogene Leinwand, 4 (oder 5?) fest stehende Kameras, die nie bewegt werden, kein künstliches Licht, sehr guter Ton, das haitianische und das vene-
zianische Publikum in einem Raum. Anfangs kommen Bewohner mit einem Tablet zu einer Kamera, um sie aufzunehmen: man fühlt sich sofort gefilmt. Wir stehen und sitzen uns gegenüber oder liegen auf dem Teppichboden des Pavillons. In der Mitte spielt die Musik. Die ganze wunderbare Aufführung. 

Viel Vergnügen!  



Vor Beginn der Aufführung wird die Geschichte von Halka erzählt - auf polnisch, mit
haitianischem Dolmetsch.



Weitere Ausschnitte des polnisch-haitianschen Opernevents


Polish Legions
Casale
Les Polonais 1
Les Polonais 2
Les Polonais 3
Les Polonais 4

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7. Juni 2015

Sotheby's im Kreuzgang Madonna dell'Orto


Im Kreuzgang neben der Kirche Madonna dell'Orto stellt wäh-
rend der ganzen Laufzeit der Biennale Sotheby's die Künstlerin Emily Young aus. Natürlich ist das eine Verkaufsausstellung, die Preisliste jenseits des durchschnittlichen Budgets ist bei der freundlichen Dame am Eingang erhältlich; für bescheideneres Geld sind Bildbände mit Werken der Künstlerin vorrätig. Falls man überhaupt Geld ausgeben möchte.


Die Problem- und Politiklastigkeit der diesjährigen Biennale wird von der Kritik allgemein festgestellt, teils beklagt, (von mir bestätigt und begrüßt), diese Nebenausstellung öffnet einerseits den normalerweise verschlossenen Raum des Kreuzgangs und erfreut andererseits mit rein ästhetischer Kunst, politik- und problemfrei. Darf und muss auch sein. Die Skulpturen Emily Youngs ('From rock muse to stone sculptor') aus ausgesucht schönen Steinen, deren Struktur in den Entwurf ein- und über-
geht, sind im Entwurf und in der Bearbeitung eine Augenweide. 


In der Einladung zu "Call and Response" kann man die Arbeit gut nachvollziehen, gleichzeitig ist dies der Gesamtkatalog  der Ausstellung, what you see is what you get. Es kommt hinzu die einzigartige Atmosphäre des Kreuzgangs, die Ruhe dieses Raums am Rande der nördlichen Lagune, der Duft der Zitronen-
bäume und die kontemplative Stille, der man sich hier hingeben kann solange man möchte. 


Unbedingt einen Besuch wert!
Haltestelle Madonna dell'Orto 4-er und 5-er Linien.  

Siehe auch Label Madonna dell'Orto



Ich begleite und führe zu Nationenausstellungen und Nebenausstellungen in interessanten Gebäuden in der Stadt. Auch themen- oder personenorientierte Begleitungen können auf Anfrage abgestimmt werden über einen Klick ganz oben rechts in der dunkelgrünen Spalte.

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6. Juni 2015

Palazzo Contarini Corfu und Telluria

Calle Contarini Corfu - Vor der Mauer
Der Palazzo Contarini Corfu steht an der Mündung des Rio di S. Trovaso in den Canal Grande und wird über eine Werbeagentur für Veranstaltungen angeboten, ich hatte jetzt zum ersten Mal die Gelegenheit, ihn zu sehen, und war überrascht: ein torver-
sperrter. separater Weg (Calle Contarini Corfu) entlang des Rio, eine hohe Mauer, darin noch einmal ein sehr großes Tor, ein Turm (zusätzliches Treppenhaus?) an der Südwestecke des Hauses und der kleine krönende Turm über der Dachterasse, den man auch vom Vaporetto aus sieht: eigentlich hat das Haus vom Ende des 15. JHs die Form einer Burg. 


Hinter dem Tor in der Mauer: ein schöner schattiger Innenhof mit einem kleinen Garten (Zitronen-, Mandarinen- und Mispel-
bäume, Gras, Glyzinien an der Mauer), umgeben von bis zu 4 Stockwerken und möbliert mit einer vollständigen Vera da pozzo, Skulpturen und einem riesigen korinthischen Säulenkapitell, ausgehöhlt als Pflanzenbehälter. Reliefs und Spolien an den Wänden, Reste von Fresken des 18. JHs an der Hauswand, zum Teil farbiges Glas im 3teiligen Landeingang zum Androne.



Hinter der Mauer - Teil des Innenhofs (C) mm
Im Moment hat im Piano nobile die fiktive Demokratische Republik Telluria ihren nationalen Pavillon. Eine schräge Sache aus großformatigen Gemälden die weitgehend aus Zitaten bestehen, und einer Art von graphischem Tagebuch (Comic?) auf russisch und deutsch, zusammengesetzt aus sehr vielen kleinformatigen Kacheln, und einem Rieseninsekt. Letzteres hängt blau-schwarz von der Decke eines leer geräumten Raums, der, jetzt leider abgetrennt, früher Teil des Portego (langen Hauptraums zum Canal Grande) war. Alle anderen Räume sind erstaunlich möbliert - von Muranolüstern plus dazugehörigen blinden Riesenspiegeln über chinesische Sekretäre (Chippen-
dale?) Teppichen und Wandteppichen, einer Minibliothek bis zu Polstermöbeln unterschiedlichen Alters ist ziemlich alles da. Portego wie üblich schön leer, Seitenräume eher gut gefüllt. Alte Waffen, Helm und Harnisch, ein Tierfell (Wolf?) auf einem Tisch gehören nicht zum Palazzo, sondern zur Ausstellung Telluria.


Fotos sind leider verboten, auch im schönen gotische Androne. Die Werbeagentur hat eigene Fotos im www, die einen einheitlich gediegenen Eindruck machen und auch die oberen Stockwerke einbeziehen. Es gibt auch einen interessanten Bericht vom März 2015 über eine Sanierung des Gebäudefundaments.

Laut Plakat wird die Ausstellung Telluria gefördert vom Mikhail Prokhorov Fund und vom Generalkonsulat Mailand der Bundesrepublik Deutschland. Kein Hinweis auf der offiziellen Website, also recherchiere ich Vladimir Sorokin, der auf dem Plakat an erster Stelle steht und finde einen Artikel der ZEIT vom November 2014, den ich damals zur Kenntnis genommen, aber nur flüchtig gelesen habe. Es gibt ein Deutschlandfunk-Interview vom Januar und auch der Perlentaucher äußert sich. 
Sieh an. Ich bin keine Leserin von Science Fiction, sei sie noch so genial, und werde Sorokin bei allem Respekt auch nicht lesen bloß wegen der politischen Rolle, die sein Werk zu spielen scheint. Aber darf ich unabhängig von meiner Banausigkeit fragen, wieso das Auswärtige Amt mit Steuermitteln diese Ausstellung (mit)-
finanziert, die eigentlich eine Marketingmaßnahme für das schriftstellerische Werk Vladimir Sorokins ist? Vor dem Hinter-
grund, dass die deutsche Ausgabe von "Telluria", erarbeitet von 8 ÜbersetzerInnen, im August veröffentlicht wird? 

Nachtrag 5.8. 
Heute im Perlentaucher: Telluria.


Ich lese, dass 1838 Girolamo Contarini nicht nur das Haus (an Matilde Berthold) verkaufte, sondern auch die berühmte Kunst-
sammlung des Hauses der Stadt Venedig schenkte, die sich bis heute in der Accademia befindet. Gleichzeitig. 

Ich lese, dass der nächste Eigentümer ein amerikanischer Kunsthändler namens George Peabody Russell gewesen sei, der noch im 19. JH den Palazzo und den angebauten und verbunde-
nen Palazzo Contarini degli Scrigni abreissen und neu bauen lassen wollte. (Henry James soll in einem Brief getratscht haben, dass die Ausführung verhindert werden konnte - ich habe mir seine Briefe als Ebook besorgt und lese derzeit sehr gespannt...)   

Und ich finde die wunderbare Website von Ole Pein über den englischen Kleriker John Davies Mereweather, 1816-1896, der von 1855 bis 1887, also mehr als 30 Jahre, als anglikanischer Pfarrer in Venedig in seiner gemieteten Privatwohnung im obersten Stockwerk des Palazzo Contarini Corfu seine Sonntags-
gottestdienste hielt. (Die anglikanische Kirche St. George am Campo S. Vio wurde erst unter seinem Nachfolger eingerichet.)
Ole Pein hat Leben und Werk von Pfarrer John Davies Mere-
weather hervorragend recherchiert, es ist eine Freude, die Website nicht nur zu durchstöbern, sondern mit Muße zu erfor-
schen. Es findet sich unter anderem im Menü unter Semele die Beschreibung des gleichnamigen Buches von Davies Mereweather, dekoriert mit alten Fotos Venedigs und der Lagune. Unter dem Menüpunkt Venice Map eine vergrößerbare Karte Venedigs vom Ende des 19. JHs, und hinter dem Foto des Palazzo Contarini Corfu Beschreibungen und diverse, auch künstlerische, Darstellungen des Hauses. 

Ein sehr schöner und überraschender Blick auf ein Detail Venedigs der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts.


Haltestellen: Accademia (L. 1), Zattere (L. 2, 5.1, 5.2.)
Palazzo Contarini Corfu mit Telluria-Banner


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