5. Juli 2015

Wildes und Trauriges aus Griechenland - Agrimika

Dimitris Siógos in seinem Geschäft in Volos.
Quelle: ΤΟ ΒΗΜΑ 3.5.2015
Nein, es geht nicht um die Tagespolitik in der dramatischen ersten Juliwoche 2015. Oder doch, auch, - die Künstlerin Maria Papadimitriou kommentiert in ihrem Werk und als Unterrichtende auch politische Themen, z. B.  der Integration und Exklusion, weshalb man ihre Installation "Agrimiká" auch auf die politische Zuspitzung in Griechenland beziehen darf. Ein Interview mit Maria Papadimitriou

In meinem Eintrag vom 2.2.2015 steht:
Griechenland* hält seinen Biennale-Auftritt im www unübersetzt. Naja. Im griechischen Pavillon in den Giardini stellt die Künstlerin Maria Papadimitriou aus, deren Seite bei Teverine Fine Art (ihrer Agentur?) bei dieser Gelegenheit mal aktualisiert werden sollte. Von 2013 ist ihre Beteiligung an der Biennale Thessaloniki und von 2005 sind Blogeinträge ihres Projekts T.A.M.A. 'Temporary Autonomous Museum for All'. Ich habe noch einen weiteren interessanten Blog Maria Papadimitrious gefunden. Der Titel ihrer Installation in Venedig übersetzt als "Why look at animals?" heißt auf griechisch Αγριμικα, "Häute", es handelt sich um die Darstellung einer Tierhäute/Leder/Pelzwerkstatt mit Häuten von Wildschweinen, Wölfen, Bären und Mardern, dazu gehörigen Werkzeugen; um die Auseinandersetzung mit der Jagd und dem Töten von Tieren und den fragwürdigen und ambivalenten Beziehungen zwischen Tier und Mensch und umgekehrt. gehörigen Werkzeugen; um die Auseinandersetzung mit der Jagd und dem Töten von Tieren und den fragwürdigen und ambivalenten Beziehungen zwischen Tier und Mensch und umgekehrt. 
*Die Seite unter diesem Link wurde inzwischen ausgetauscht.
(Ähem, jede/r schreibt, was er/sie versteht und blamiert sich so gut er/sie kann.)



Mittlerweile hat das Projekt Agrimiká eine Website und es gibt einen netten Blogeintrag auf Skopelosnews, der das Geschäft "Dérmata Malliá Agrimiká" in Volos im Original zeigt, das jetzt komplett im griechischen Pavillon aufgebaut ist, und ein weiteres Foto plus Lagebeschreibung.
Dérmata - Häute, Malliá - Felle, Agrimiká - ist eigentlich kein korrektes griechisches Wort. Das Agrími ist auf Kreta die Be-
zeichnung der ausschließlich dort vorkommenden Wildziege, die von Nikos Xilouris als 'Agrimia agrimakia mou' besungen wurde/wird. 


Αγρίμια κι αγριμάκια μου,
λάφια μου μερωμένα,
πέστε μου πού'ναι οι τόποι σας,
πού'ναι τα χειμαδιά σας;

Γκρεμνά 'ναι εμάς οι τόποι μας,
λέσκες τα χειμαδιά μας,
τα σπηλιαράκια του βουνού
είναι τα γονικά μας.- 



Ihr meine Wildziegen und Lämmer,
meine gezähmten Hirsche
sagt mir wo eure Plätze sind,
wo eure Winterquartiere sind.

Unsere Plätze wurden uns niedergerissen,
Unsere Winterquartiere sind Schluchten,
die Höhlen in den Bergen 
sind unser Elternhaus.

Im restlichen Griechenland wird "Agrimi" als unspezifischer Sam-
melbegriff benutzt für Wildtiere, allenfalls noch für einen unbe-
herrschten Menschen oder ein wildes Kind. Die griechische Sprache lässt eine Menge Kreativität zu und 'Agrimiká', also so-
zusagen "Wildes" verwendet der über 80jährige Dimitris Siógos für die Tiere, die der Fellverwertung "zufielen", Tiere, die nie-
mandem "gehören" und keinem "Nutzen dienen" wie domesti-
zierte Tiere. 


Dimitris Siógos hat diesen Beruf nicht gewählt, auch er "fiel ihm zu" als jungem Mann nach dem 2. Weltkrieg und dem darauf folgenden Bürgerkrieg, er nahm die Stelle 1947 an und führte das Geschäft nach dem Tod des Inhabers weiter. Was mit heutigen Augen betrachtet arm, aber exotisch wirken könnte, war Mitte des letzten Jahrhunderts ein ordentliches Geschäft mit einem anständigen Büro. Wer meint, ein bizarres Kunstwerk zu sehen, irrt, hier ist ein langes Arbeitsleben ausgestellt, das in seinen Details die griechische Geschichte dieser langen Zeit reflektiert. Was wir nicht sehen, nicht erkennen, oder mangels Sprachkenntnissen nicht erfahren können, erzählt Dimitris Siógos, wenn er seine Arbeit beschreibt, die kurzlebigen Pelz-
moden, seine Freizeitvergnügen - und den Niedergang des Pelzgeschäfts lange vor der "Krise" und die "Krise" selbst. Er erzählt gelassen und ohne Larmoyanz, die Geschichte wird für die ZuhörerInnen immer trauriger, mir kommen die Tränen, aber er scheint zu ruhen in der stillen Heiterkeit seiner fortgeschritte-
nen Tage. Wenn ich in diesen Tagen die Ruhe der GriechInnen sehe, ihre Unaufgeregtheit angesichts ungewisser Zukunft, sehe ich Dimitris Siógos in seinem alten Laden als Leidensgenossen und Vorbild.

Teile der Erzählung von Dimitris Siógos kann man hier nachlesen (auf griechisch)

Zum Thema Kunst in den Zeiten der Krise verlinke ich hier zu einem Artikel der TAZ "Respekt ist nicht das richtige Wort", ein Interview mit der griechischen Kuratorin der Biennale Thessalo-
niki, Katerina Gregos (die auch den belgischen Pavillon der Biennale in Venedig kuratiert), der Aktualität halber. (Artikel vom 1.7.2015)



Zur heutigen Volksabstimmung gratuliere ich den GriechInnen zum


 Συγχαρητηρια!





 
17.10.2015
Nachträgliches


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