26. August 2015

Die mittlere Giudecca

Campo S. Cosmo
Links und rechts der Haltestellen Redentore und Palanca und das Stück dazwischen, in voller Tiefe der Giudecca, ist die Gegend, um die es hier geht. Hier wohnen normale Leute, die großen bzw. exklusiven Hotels sitzen an den jeweiligen Enden der Insel. Hier in der Mitte gibt es genug zu sehen und zu tun, gerne auch mit Kindern. Die Linie 2 fährt im 10-Minuten-Takt, die 4.1/4.2. im 20-Minuten Takt, und auch wer innerhalb dieser Linien umstei-
gen will, tut das besser auf der Giudecca als an der Riva degli Schiavoni und spart sich den Kampf durch die Menschenmassen und über Brücken. 

Auf der Guidecca ist es entspannter, direkt an der Haltestelle Redentore gibt es eine ungestylte Normalbar mit Holztischen, in der auch ein einfaches Mittagessen gekocht wird von einem freundlichen Inhaberpaar und sich Nachbarn auf einen Kaffee oder einen Wein sehen. 

Redentore und Palanca sind zeitweise enorm wichtig im Verkehr des Canale della Giudecca: am Fuß der Kirche des Redentore landet am Redentorefestwochenende (3. Samstag im Juli)  die Pontonbrücke, von S. Spirito in Dorsoduro kommend, und Palan-
ca ist die Verbindung, die während der Streiks der ACTV zu den Zattere hinüber aufrechterhalten wird (neben der Verbindung Zitelle-S. Giorgio). 



Helle Redentorefassade zum Canale della Giudecca
Die Kirche des Santissimo Redentore, des Allerheiligsten Erlö-
sers,  ist eine
Palladio-Kirche (also hohe Besichtigungspriorität!) und CHORUS-Kirche und wird in jedem Reiseführer beschrieben. Vormittagsbesuch empfiehlt sich wegen des Sonnenstandes und Lichts in der Kirche, nachmittags ist es ein bisschen düster. Hinter der Kirche ist auf Karten oder online-Plänen eine große Grünfläche zu sehen, der Klostergarten, in dem Obst, Gemüse, Oliven, Wein und Blumen wachsen, Hühner und Möwen picken, und wer gerne auf "Venetian Style" verzichtet und sich mit not-
wendigstem Wohnambiente begnügt, kann in der ehemaligen Manica Lunga (dem langen Zellentrakt) des Klosters eine
Zelle bewohnen, zu denkbar günstigem Preis. Die Nutzung eines se-
paraten schattigen Gartens zur Laguna Sud raus ist inklusive. Die Mönche leben in einem abgeschlossenen Trakt der Kloster-
anlage.



Rote Redentoreapsis und -türme zum Kloster und Garten
Wer nach der Redentorekirche links die erste Gasse, Calle S. Giacomo, von Canaleseite bis zum Ende der Mietshäusergrup-
pe durchquert, landet in einem schönen öffentlichen Garten an der Lagunenseite, mit alten Bäumen, einem Spielplatz für kleine Kinder und Sitzbänken. Und wer sich vorher auch noch im Super-
markt am Redentore oder beim Bäcker und den Wurst-, Käse- und Gemüsegeschäften an der Palanca eingedeckt hat, kann hier ein wunderbares Picknick mit Aussicht halten. Entsorgen der Abfälle inklusive, unaufgeräumte Hinterlassenschaften sind ja einer der berechtigten Aufreger der VenezianerInnen. Von diesem Garten sieht man die Inseln in der Lagune schwimmen: Lido, San Servolo, La Grazia, San Clemente, Sacca Sessola und in der Ferne die Lagunenausfahrt von Malamocco. Und schon rechts Bootsliegeplätze, eine Art kleiner Marina, das ist das nächste Ziel: ein Bootsparkhaus mit 24stündigen Service, plus Reparaturwerkstätten mit allem Zip und Zap.



Laguna Sud vor der mittleren Giudecca, Blick auf Malamocco
Also zurück über die Calle S. Giacomo, am Ufer links und durch den nächsten Sottoportego links, man erkennt den Eingang zum Gelände an einer dort ausgestellten Gondel, die Kinder zu ihrem Glück richtig anfassen können. Der Weg führt wieder Richtung Lagunenufer. Man sollte den Arbeitern nicht im Weg stehen, aber man darf problemlos bei der Arbeit zusehen: Boote werden computer aided aus der Garage geholt und zu Wasser gelassen, aus dem Wasser geholt und in dem tiefen, mehrstöckigen Han-
gar verstaut, alles hochspannend. Es kann auch stressig wer-
den, an Tagen, an denen viele Leute gleichzeitig ihre Boote abholen wollen (Redentore!), und wenn es ruhig ist, kann man mit den Garagenleuten einen Schwatz halten. Es gibt auf dem Gelände auch ein Restaurant mit Blick auf das Geschehen, habe ich nicht ausprobiert. Zurück zur Canaleseite auf dem gleichen Weg, dann wieder links über den Rio del Ponte Longo, ein wun-
derschöner Blick, und direkt wieder die erste Gasse links, 
Calle delle erbe.


Marina, im Südwesten die Euganeischen Hügel auf dem Fesstland
Von hier aus kann man diese Teilinsel der Giudecca erkunden, die aus Nachbarschaften älterer Wohngebäude besteht, aber auch aus dem Ende der 90er Jahre von Cino Zucchi u. a. neu gestalteten Junghans-Viertel inklusive 2005 erbautem Theater und Schauspielschule. (Siehe meine Buchempfehlung "Architekturführer Venedig" vom 9.6.2014.)
Mir wurde hier empfohlen das "Ristorante Self Service Food & Art" auf dem Campo Junghans 487, Tel. 393.55.97.626, ire_ve_82@yahoo.it als gut, sehr preisgünstig, ambitioniert. Eigentlich ist Food&Art die Kantine für die Arbeiter der Marina und der in der Nähe ansässigen Werften und die Studierenden der Wohnheime auf der Giudecca, aber offen für Gäste - leider auch nicht ausprobiert. Zurück zur Canaleseite durch eine der beiden Calli Ferrando. 


Campo Junghans 2007
Und wieder links, über den Ponte Piccolo und auf die nächste Insel, auf der man eine große Zahl kleiner und großer Campi, Campazzi und Corti findet, um die sich die Wohnnachbarschaften gruppieren. Idyllisch für vorbeigehende BesucherInnen, denen die Intimität solcher Wohngemeinschaften vielleicht weniger gefiele. Bis man schließlich auf einem 'echten' Campo landet, einer der letzten venezianischen grasbewachsenen Campi vor einer Kirche: Campo S. Cosmo vor Kirche und Ex-Kloster SS. Cosmas und Damiano, immer geschmückt mit Fischerutensilien und ausgebreiteten Netzen. So mag das früher in allen Rand-
gebieten Venedigs ausgesehen haben - der Canal Grande ist eine völlig andere Welt.  


Die Kirche ist geschlossen und durch die Nutzung als Fabrik baulich so verändert, dass eine Öffnung nicht zu erwarten ist, aber durch ein unverschlossenes Gittertor tritt man in einen Sottoportego, der zum Kreuzgang führt. Sonnengeflutet, von Katzen bewohnt, ein schöner Brunnenkopf ist erhalten, zwei Ausgänge führen in die umgebende grüne Wildnis, die der Insel-
jugend vorbehalten zu sein scheint. Im Parterre des ehemaligen Klosters hat das Archiv des Komponisten Luigi Nono seinen Sitz und in den letzten Jahren haben sich dort einige Kunsthandwer-
ker mit Ateliers eingerichtet. Man kann auch Ihnen bei der Arbeit zusehen und bei Interesse und Sprachkenntnissen darüber plau-
dern. Die oberen Räume werden von Kulturprojekten genutzt und für Biennaleausstellungen angemietet. Wo man nicht rein soll, ist abgeschlossen, man kann sich also umschauen ohne Sorge, jemandem zu nahe zu treten. 



Vera da pozzo im Kreuzgang SS. Cosmas e Damiano
Auf der Fondamenta del rio di S. Eufemia erreicht man wieder die Canaleseite, und mit Glück (sprich: Gottesdienstzeit, Hochzeit, Taufe, Trauerfeier...) hat man eine Chance, anschließend die Kirche zu betreten. Es dauerte Jahre, bis ich sie zum ersten Mal sehen konnte, aber es dauerte auch lange, bis ich die Guidecca gezielt unter die Füsse nahm - ich vermute, das geht einigen Anderen auch so und ich hoffe, Neugier geweckt zu haben, einen sehr speziellen Teil Venedigs zu erkunden. Auf den beschriebe-
nen Wegen oder anderen.


Dazu bietet sich unbedingt eine aktuelle Gelegenheit, wenn am 11.-13.9.2015 wieder das Guidecca Kunstfestival stattfindet, das von EinwohnerInnen gegründet wurde und gemeinsam ge-
staltet wird, schon 5 mal in Folge mit jeweils gesteigertem Erfolg. Es beteiligen sich die Kulturgruppen der Guidecca - Musik, Thea-
ter, Tanz; die Galerien, Handwerk- und KunsthandwerkerInnen, Restaurants, jeder kann sich an der Gestaltung des Programms beteiligen. Der Termin steht seit Wochen im Kulturkalender, aber ich will noch eigens daran erinnern:


Nicht verpassen!





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