Mails aus Venedig 13.-17.11.2019
Foto: Danilo Reato |
Der venezianische Autor Danilo Reato ("Die Masken der Serenissima", "Künstler im Cafè"), der auf dem Lido von Venedig lebt, schrieb in den letzten Tagen an seinen Bonner Verleger Arnold E. Maurer (Bonner Verlags-Comptoir) einige Mails über die Zustände in Venedig.
Anlegestelle S. M. Elisabetta, Lido Foto: Danilo Reato |
12. November 2019
In dieser Nacht hätte das Schlimmst passieren können. Seit der Zeit der Aufzeichnung (1923) hat uns zum zweiten Mal eine außergewöhnliche Flut mit 187 cm über Meeresniveau erreicht. Nach der von 1966 mit einer Höhe von 194 cm war es die zweite, die mit einer Bora mit Windgeschwindigkeiten von 100 km einherging. Im Moment fließt das Wasser wieder ab. Wie Du siehst, gehört auch das zu Venedig, das früher oder später ganz in den Fluten untergehen wird. Also: wenn Du Venedig noch sehen willst, dann mach Dich bald auf den Weg, es ist nicht klar, ob es ein Morgen geben wird.
Campiello del Piovan bei San Tomà Foto: Danilo Reato |
13. November 2019
The day after.
Das ist wirklich eine Katastrophe: auf dem Lido sind am Gran Viale (der Hauptflanierstraße) zwei Geschäfte komplett zerstört worden, die Konditorei C. und ein Geschäft für Reinigungsmittel, in dem ein Feuer ausbrach. Der Supermarkt C. ist geschlossen, er ist voll Wasser gelaufen. Und auch die nächste Flut mit einer Höhe von 160 cm hat alle an der Haupteinkaufsstraße auf eine harte Probe gestellt.
In Venedig stehen Gondeln im Trockenen vor den Hotels, auf der Piazza San Marco stand das Wasser in den historischen Cafès mehr als 1 m hoch. Das gilt auch für die Basilika von San Marco, die gerade restauriert wurde. Im Arsenal ist ein Boot fast bis zum Ende einer Gasse getrieben worden, andere sind gesunken. Bei einem Schiff ist das Ankerseil gerissen, es musste von der Hafenbehörde geborgen werden. Das ist wirklich das Ende dieser Stadt.
Helfer*innen entsorgen Hochwasserschäden Calle dei Nomboli Foto: Danilo Reato |
15. November 2019
Venedig ist am Boden: ein Hochwasser folgt auf das vorherige. Auch heute waren es fast 160 cm. Es ist sogar schwierig geworden Brot einzukaufen, weil fast alle Backstuben unter Wasser stehen, Supermärkte sind überflutet. Auch hier auf dem Lido gibt es an der Haupteinkaufsstraße nur ein Lebensmittelgeschäft, das zum Glück ein paar Stufen höher liegt als die anderen und sich so gerettet hat.
Der Gran Viale (die Haupteinkauftsstraße auf dem Lido von Venedig) war heute ein einziger Fluss, vom Anleger bis zum Meer. Auch die Vaporetto-Anlegestelle wurde verlegt. Am Dienstag fuhren die Schiffe nur von San Niccolò aus, und das nach einem improvisierten Fahrplan.
G. (ein gemeinsamer Freund) pendelt, zwischen seinen drei Geschäften in denen gewaltige Schäden angerichtet wurden, und leider sinkt der Wasserspiegel nicht. Es gibt mehr oder weniger zwei Hochwasser pro Tag. Er hat mich heute angerufen. Sein Handy war ins Wasser gefallen und er hat so sein Adressverzeichnis verloren. Er wollte mir mitteilen, dass ein gemeinsamer Freund gestorben ist (...). Morgen werden D. und ich versuchen, die Kirche San Silvestro zu erreichen, wo die Beerdigungsfeierlichkeiten stattfinden, aber das wird ein Angang werden.
Der Markusplatz wurde für Besucher gesperrt, nur Feuerwehrleute und Polizei dürfen durch. Die historischen Cafés sind betroffen, sogar das Florian hat Schwierigkeiten, obwohl es unter den Procuratie Nuove einige Stufen höher liegt, weil das Wasser den Holzfußboden, Stühle und Tische ruiniert hat. Ein wahres Unglück. Die Querini-Bibliothek bat um Hilfe, weil ein Teil der Bestände feucht wurde. Und so helfen denn viele Jugendliche, weil schon seit Tagen die Schulen geschlossen sind. Das Szenario ist wirklich apokalyptisch, und schon zittern alle vor einer neuen Flut, die die Stadt am Sonntagmorgen treffen könnte. Von der Biberrepublik, von der Goethe schrieb, scheint sich die Stadt zu einer Stadt der Aquanauten zu entwickeln.
Lido, Santa Maria Elisabetta Foto Danilo Reato |
17. November 2019
Venedig ist in die Kniee gegangen. Zahllose Einrichtungen sind geschlossen. In der Stadt hängt eine schier endlose Zahl von Zetteln an den Geschäften, die auf die Situation reagieren und verdeutlichen, dass unklar ist, wann man wieder öffnen kann. (...)
Das Café Florian hat heute über die Presse verlauten lassen, dass man nicht vor Mittwoch den Betrieb aufnehmen könne. Das ist nicht einmal1966 passiert. Das Cafè Lavena ist seit Tagen in einer Art Belagerungszustand. Der Geschäftsführer kann ebenfalls nicht sagen, wann die Geschäfte wieder laufen können. So betrachtet erlebt Wagner, der dort komponierte, noch einen Walkürenritt.
In den Buchhandlungen haben etwa 15.000 Bände einen Wasserschaden abbekommen, sie werden einfach weggegeben, so sind sie wenigstens in Sicherheit. In der Buchhandlung "Acqua Alta" ('Hochwasser') floss das Wasser sogar in die dort aufgestellten Wannen; und die Gondel, die in der Mitte der Buchhandlung steht, hob sich an. Deshalb titelte der "Corriere del Veneto" heute: "Tränen in einer Buchhandlung für 15.000 papierne Opfer".
Auf den Inseln Pellestrina und Burano hält die Flut nun schon seit 20 Stunden an. Die Situation ist deshalb so dramatisch, weil auf diesen beiden Inseln die Häuser in einer Art Standardbauweise gebaut wurden. Das bedeutet, dass Küche und Esszimmer ebenerdig liegen, die Schlafzimmer oben. So konnte das Hochwasser Küche, Herde, Kühlschränke und Waschmaschinen, zudem die ganze Elektrik ruinieren. Auf Pellestrina hätten enorm leistungsfähige Pumpen arbeiten sollen, aber die Verteilkästen für die Stromzufuhr waren ebenerdig aufgestellt. Und dann kam das Hochwasser und setzte die zentrale Stromzufuhr für die Pumpen außer Funktion. Ein echtes Desaster.
Fischerboote, die sich losgerissen haben, treiben in der Lagune umher oder gehen am nächstbesten Strand auf Grund. In Venedig rutschte an den Zattere ein Zeitungskiosk in den Kanal und man weiss nicht einmal, wo man ihn bergen soll. Am Ponte delle Guglie hat ein Kioskbesitzer über Stunden versucht, seinen Kiosk durch sein Körpergewicht so zu beschweren, dass er nicht langsam in den Kanal gleiten konnte, bis die Feuerwehr kam und die Situation rettete. Das wäre sonst ein wirkliches Desaster geworden, da der Kanal an dieser Stelle sehr flach ist und der Kiosk (...) den Schiffsverkehr behindert hätte.
Die Piazza San Marco ist auch heute gesperrt. Die Polizei sorgt dafür, dass nur denjenigen Personen Durchlass gewährt wird, die dort ein Geschäft besitzen. In all diesem Durcheinander gab es dann auch noch ein paar mediale Trittbrettfahrer. Eine Filmgesellschaft drehte einige Szenen eines bestimmten Films. "Die Show muss weitergehen", meinten die Schauspieler, und sie ernteten damit einen Proteststurm in den Social Media. Die Produktionsfirma entschuldigte sich und stellte das Filmen ein. Verrückte Sache.
Übersetzung: Arnold E. Maurer
Libreria Giunti bei S. Aponal Foto: Danilo Reato |
(Siehe auch Einträge
"Edition BN-VE" 30.4.2018
"Die Masken der Serenissima" 30.1.2019.)
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