27. Dezember 2019

Brunetti - ist dann auch mal gut jetzt

Alle Bilder:  Dreharbeiten Campo della Confraternità
Mai 2015

Ich kann beim Thema Leon-Bücher nur beschränkt mitreden. Das Buch des ersten Falls von Commisario Brunetti (ermordeter Dirigent) las und entsorgte ich vor vielen Jahren und damit war Brunetti für mich zunächst erledigt. Wer konnte schon ahnen, dass daraus ein TV-Werk von 26 Filmen werden würde!

Um die man uns, das deutschsprachige Pubklikum, im Ausland beneidet!

Ich habe alle Folgen gesehen und sehe sie immer wieder, je ältersie sind, desto öfter habe ich sie gesehen. Die Gesichter der Schauspieler*innen und Charaktere der Rollen lernte ich schnell kennen. Aber an die schlichten Plots konnte ich mich nach dem ersten Sehen nie erinnern, erst nach ca. dem dritten Mal Details widergeben. Bis heute kann ich die Titel den Filmen nicht zuordnen und vermische Handlungsstränge, die nicht zusammengehören. Weil ich die banalen Geschichten nicht sehe.




Denn: diese Filme sind der wahre Location Porn! Pornographie ist das Zeigen von Explizitem zwecks Gewinn, (möglichem) Lust- wie (entschieden erwartetem) materiellem Gewinn. Das Explizite sind nicht die Geschichten, sondern die Location Venedig.

Das Genre ist nicht neu. All die beliebten Filme, die in Umbrien, der Toscana, der Provence, in Südengland, in Rom-Paris-London - und die Bollywoodfilme, die in der Schweiz (um in Europa zu bleiben) spielen, leben auch von ihren Locations, die sich für die Kalkulation von Filmen natürlich rechnen. 

Aber die Brunetti-Filme treiben das Prinzip auf die Spitze. Die Geschichten sind völlig wurscht, was zählt, sind 1,5 Stunden Venedig sehen und ... schwelgen. Immer scheint die Sonne, die Touristenmassen sind immer überschaubar und der Wasserverkehr nicht wirklich ernst zu nehmen. Ich kann mich auch nicht erinnern, in 26 Filmen ein Kreuzfahrtschiff gesehen zu haben. Ausgeblendet sind schlechtes Wetter, Jahreszeiten, Massengeschiebe, unsäglicher Stress und Hektik an den sogenannten "Hot Spots" und in den öffentlichen Verkehrsmitteln.

Das Ende der Filmserie kommt vielleicht gerade rechtzeitig, denn nicht nur sind die Schauspieler*innen in 20 Jahren gealtert, sondern auch unsere venezianischen Träume und Illusionen einer normal funktionierenden Stadt sind immer weniger künstlich herstellbar. 
Vor 20 Jahren war an 17 Tage Hochwasserfluten nach dem Novembervollmond und 10 Tage um den Dezembervollmond herum, wie in diesem Jahr, nicht zu denken. Ebensowenig an asiatische Reisegruppen mit 50-100 Teilnehmer*innen, die Brücken und Gassen entlang der Riva ganztags verstopfen. Es gab zwar eine Reihe hauptberuflicher Touristenführer*innen, aber keine Heerscharen von Profis und Nichtprofis, die sich auf unzähligen Webseiten (Best Venice Guides als 1 Beispiel von vielen) vermarkten und mit immer größeren Gruppen in immer entlegenere Ecken und Gassen der Stadt ziehen, wo sich angeblich das "ursprüngliche" Venedig versteckt. Sogar mit 20-Personen-Gruppen in den Pavillons der Biennale stehen und ohne die Verwendung von Ohrhörern lautstark ihr persönliches "Kunstverständnis" verbreiten. Wo man sich umdreht in der Stadt, steht heutzutage eine Reisegruppe um eine*n Guide herum.




Wie soll man beim Gewimmel zu Lande und zu Wasser noch einen netten deutschen Krimi drehen? Die kurzzeitige, locker gehandhabte Sperrung des Campo della Confraternità mit der "Questura" ist kein Thema, aber Dreharbeiten an zentraleren Stellen der Stadt werden immer aufwändiger und damit teurer. 
Man muss mit den Aufnahmen immer mehr ausweichen, ohne die allseits bekannten Triggerbilder - Piazza San Marco, Basilika, Dogenpalast, Rialto, Bacino, Canal Grande - zu vernachlässigen. Denn die haben die Funktion, die angeblich unbeliebten Tagesgäste in die Stadt zu lotsen, damit auch deren Kleingeld in venezianischen Kassen landet und sie nach ein paar Stunden mit der Feststellung abreisen können, dass Venedig aussieht wie im Fernsehen. Alle Klischees voll bestätigt.

Die Filmarbeiten quer durch alle Sestieri und Nachbarschaften (mit Ausnahme von Santa Marta und San'Elena) sind eher das Futter für sportliche Zuschauer*innen wie mich, die nach jedem Film erklären können (möchten), wo genau gedreht wurde (und die deshalb die Krimihandlung trotz ihrer Schlichtheit nicht richtig mitbekommen) und falls nicht, Wiederholungen so oft gucken, bis sie alle Szenen lokalisieren können. 
Das Prinzip der wilden Aneinanderreihung von Aufnahmeorten, die real ohne jeden Zusammenhang sind, und die Verbindung von Außen- und Innenaufnahmen wie Fassaden und Piani nobili, die nichts miteinander zu tun haben, finde ich hanebüchen. Scheint aber ein gängiges Verfahren des Kintopps zu sein, zu sehen z. B. auch im James Bondschen Venedig, dem 'Italian Job'  oder dem Donnersmarckschen 'Tourist', in denen freihändig absurde Ortsverbindungen, Gebäude und Räumlichkeiten zusammengetackert werden, als kenne niemand die Stadt. Als wären wir nicht alle dagewesen! Locationscouts und Filmemacher, die das kleine aber weltbekannte Venedig glauben neu sortieren zu können, beteiligen sich aus meiner Sicht mit diesem wenig beachteten Aspekt an der "Disneyfizierung" Venedigs.

Für Location Porn-Sportler*innen sind das natürlich Herausforderungen die zu lösen sind, aber für Venedigfreund*innen ist es völliger und respektloser Schwachsinn. Weshalb ich Brunettifilme eigentlich furchbar finde, aber sie trotzdem hemmungslos immer wieder sehe. Ach! Ich gebe das mit Schamesröte zu und bin ziemlich froh, dass es mit dem Nachschub jetzt vorbei ist. 





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