18. Juni 2020

Quarantäne und venezianische Lazzaretti



ehem venezianisches Lazzaretto Monembasía (Malvasia)

Seit ca. 2 Monaten werden die Einträge zu den Lazzaretti in der Lagune verstärkt aufgerufen. Das mögen alles Googlesuchen nach "Quarantäne" sein, die auf diesem Blog landen und nicht nur mich, sondern auch die Suchenden überraschen. Kaum ein Artikel zum Thema Quarantäne verzichtet auf die Information, dass sie von den Venezianern erfunden wurde. Aber selbst wer über sein Suchergebnis staunt, findet das Thema interessant, warum also nicht?

Hier die Links zu allen Lazzarett-Einträgen:

17.02.19 Lazzaretti in der venezianischen Lagune
11.10.16 Die venezianischen Lazzarette - Saisonende 2016
21.10.15 Saisonende auf den venezianischen Lazzarettinseln
23.03.12 Lazzaretto Nuovo ab 1. April
28.03.10 Lazzaretto Nuovo

ehem. Lazzaretto Monemvasía (Malvasia)

Dass der für die Lazzaretti verantwortliche Archeoclub in diesem Jahr noch Besuche anbietet, halte ich für unwahrscheinlich, da die Führungen durch Ehrenamtler*innen und auf Spendenbasis erfolgen. Die hektischen (und aus meiner Sicht: leichtsinnnigen) allgemeinen Öffnungen in Venedig haben ja rein wirtschaftliche Gründe, die im Falle der Führungen nicht gegeben sind. Auch das jährlich stattfindende archäologische Sommercamp auf einer der Inseln wurde abgesagt.

Die Nutzung des Lazzaretto Vecchio durch das Biennale Filmfestival wie in den letzten Jahren als Aufführungsort von Virtual Reality-Produktionen (siehe Venice Virtual Reality 2018  Venice Virtual Reality 2019) ist 2020 nicht vorgesehen.

Neuigkeiten, und zwar erfreuliche, gibt es dennoch: das seit 2 Jahrzehnten von venezianischen Archäologieenthusiast*innen geplante Archäologiemuseum der Lagune bekommt durch neue Mittel, die das Franceschini-Ministerium über die verarmte italienische Kultur rieseln lässt, 11 Mio. für den Ausbau des Lazzaretto Vecchio als Museum (Museum der Stadt und der Lagune). An Artefakten zur Dauerausstellung mangelt es nicht, temporäre Ausstellungen sollen geboten und ein Teil der riesigen Räumlichkeiten regelmäßig von der Biennale genutzt werden. Auch die Kunstbiennale war bereits auf dem Lazzaretto Vecchio lmit dem Außenprojekt der niederländischen Ausstellung 2015. Bei meinen bisher 3 Besuchen bzw. Führungen hatte ich im Rahmen meiner Möglichkeiten immer ordentlich gespendet, beeindruckt von der Hartnäckigkeit, mit der sich die Leute vom Archeoclub in ihr Archeologiemuseumprojekt verbissen haben, aber eigentlich nicht an die Zukunft dieses Projekts geglaubt. Irrtum, wie schön.

Noch im Herbst 2019 war ein Dach eingestürzt über den Räumen, die für Nutzung durch die Biennale renoviert wurden. Zum Glück nach den Filmfestspielen, ein Gerüst wurde sofort aufgestellt und die Renovierung kurzfristig begonnen. Der Stadtrat hatte daraufhin 120.000 € beschlossen für den Aufbau des Stegs, der vom nahen Ufer ins Lazzaretto Nuovo führen und die bisherigen Bootsüberfahrten überflüssig machen soll.
Man kann also hoffen, dass die vorhandenen 11 Mio. kurzfristig und zielführend ausgegeben werden und mit dem Geld ein guter Teil der geplanten Renovierungen verwirklicht werden kann. Vielleicht kommt unter den Umständen auch der Spendenfluss kräftig Gang, dank wohlhabender Appassionati der venezianischen Geschichte? Mithilfe internationaler Stiftungen? 


ehem. venezianisches Lazzaretto auf Zákynthos (hellblauer Pfeil)

Die britische Stiftung Venice in Peril beteiligte sich bereits 2007 an den Kosten der Restaurierung der Graffiti im Teson Grande, dem großen Warenlagerhaus, auf Lazzaretto Nuovo (siehe auch Bücherhinweise unten). 
Am 23.6. bietet Venice in Peril über Zoom einen Online-Vortrag der Historikerin Jane Stevens Crawshaw an, Autorin von "Plague Hospitals. Public Health for the City in Early Modern Venice". Der Vortrag: "If walls could talk; the Lazzaretti of Venice, plage and quarantine" findet um 18:30 BST, 17:30 MEZ statt und ist kostenlos; eine Spende wird erbeten, siehe Link unten, wie auch der Link zur Anmeldung zur Zoom-Sitzung (die installierte Software vorausgesetzt), eine Bestätigung erfolgt kurzfristig, die Freischaltung am 23.6. erfolgt erfahrungsgemäß zum angekündigten Zeitpunkt.

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Restmauer des ehem. Lazzaretto auf Zákynthos

Venezianische Lazzaretti gab es auch jenseits der Lagune: im Herrschaftsgebiet oltre mare, in dem gerade die Hafenstädte für die Versorung der Dominante und die Kaufmanns-, Pilger*innen- und Militärreisen eine wichtige Rolle spielten. In den Häfen eintreffende Schiffe mussten bis zum Reiseziel komplette Belege der angefahreren Etappen vorlegen - beim Verdacht auf mögliche Ansteckung erfolgte die Überweisung von Mann, Maus und Cargo ins Lazzaretto.

Seit einigen Jahrzehnten klettere und krabbele ich urlaubsmäßig in (nicht nur) venezianischen Festungsanlagen entlang der Adria und der Ägäis herum, die zum Teil gut erhalten und geschützt sind. Schwere Befestigungsstrukturen wie Türme, Kurtinen, Großzisternen können gut konserviert sein, während die einfacheren Bauwerke der Lazzaretti den Weg ins Recycling von Baumaterial fanden. Zu den vernichteten Lazzaretti existieren zum Glück Dokumentationen in den Archiven. 2015 fand in Venedig eine Konferenz "Lazzaretti veneziani in Grecia" statt. Ein Plan der venezianischen Lazzaretti zeigt, wenn man auf die jeweiligen Orte klickt, Archivdokumente zum jeweiligen Lazzarett. Die Ruinen selbst können sehr verschieden sein, hier 2 Beispiele:

Auf Zante (dem heutigen Zákynthos) ist neben schönen erhaltenen venezianischen Kirchen und einem gut studierbaren Kastell eine einzige Mauer des Lazzaretts, außerhalb der Stadt direkt am Meeresufer, übrig geblieben.

Aber in Malvasia (dem heutigen Monemvasía) blieb das Lazarett am Fuß des Felsen, an der Brücke zum Festland, entfernt von der ummauerten Unterstadt und von der Oberstadt sowieso, gut erhalten. Denn Malvasia wurde quasi aufgegeben und am Festlandufer eine neue Ortschaft gebaut - das ehemalige Lazzarett wird jetzt als ein originelles, ja pittoreskes, Hotel "Lazareto" genutzt.


Einer der ehem. Krankensääle auf Lazzaratto Vecchio, Venedig, renoviert

Hier gibt es noch weitere Links und Hinweise zur Vertiefung dieses spannenden Themas:
"Peste e Lazzaretti" ein kurzer Youtube-Film des Archivio di Stato Venezia

"Venezia nel 1576 privilegi`gli interessi economici alle misurie sanitarie ... e fu pandemia!" aktueller Artikel der venezianischen Gesundheitshistorikerin Nelli Elena Varzan Marchini
"Il Modello Sanitario della Serenissima ai tempi della peste" Vortrag/Powerpoint von Nelli Elena Varzan Marchini
Venipedia "La peste, le epidemie del passato a Venezian e i lazzaretti come efficiente soluzione di prevenzione"
Atlas Obsura "The Black Death in Venice and the Dawn of Quaratine"
"Il Lazzaretto Nuovo di Venezia - Le scritture parietali" von Francesca Malagnini. Wissenschaftliche Studie des Lazzaretto Nuovo, besonders der erhaltenen Graffitti.
"Isola del Lazzaretto Nuovo" Hrsg Gerolamo Fazzini, Archeovenezia 2004

Ufer der Insel Lazzaretto Vecchio

Neuere YouTube Filme zu den Lazzaretti:
Interview Eric Bertherat über Quarantäne auf Lazzaretto Nuovo
Lara Meneghini - eine der ehrenamtlichen Führer*innen auf Lazzaretto Nuovo
Marco Paladini - einer der ehrenamtlichen Führer*innen auf Lazzaretto Nuovo
Alice Doro - eine der ehrenamtlichen Führer*innen auf Lazzaretto Nuovo
Gerolamo Fazzini - eine der ehrenamtlichen Führer*innen auf Lazzaretto Nuovo

Ergänzung 3.11.
Vortrag der venezianischen Gesundheitshistorikerin Nelly-Elena Vanzian-Marchini im Ateneo Veneto am 26.10.2020: S. Rocco e l'informazione sanitaria di masse.



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