8. Oktober 2013

Carpaccios Löwe


Heute habe ich mir nach 10 Jahren Neugier die Zeit genommen, dem Rätel von Carpaccios Löwen nachzuforschen, bzw. der Drachenwurz, die Vittore Carpaccio prominent im Bildvordergrund links fast neben den Löwen gesetzt hat. Ich habe ja mehr als nur ein paar Urlaubstage!

Wer schon im Dogenpalast war, kennt das Bild, das zusammen mit anderen Markuslöwen in den ehemaligen Dogenräumen hängt. Es symbolisiert, 1516 gemalt, die Herrschaft der Serenissima über Meer (die Kolonien in Adria und Ägäis blühen noch, bis auf Negroponte/Evia-Euböa, das schon 1470 osmanisch wurde) und Land (wo die Liga von Cambrai in der Schlacht von Agnadello Venedig 1509 schrecklich besiegt hatte). Mit den Hinterfüssen steht der Löwe im Wasser, mit den Vorderfüßen auf Land, er zeigt das Buch mit dem Friedenssatz "Friede Dir, Markus mein Evangelist" aber auch schon mal vorsichtshalber die Zähne, denn die Dinge ändern sich gerade. Was hätte Carpaccio davon ahnen können?


Dieses Plakat hängt seit über 10 Jahren in meinem Flur. Abgeschnitten sind das Wäldchen auf der linken und die Gebäude (S. Giorgio Maggiore, Dogana) auf der rechten Seite
Im Hindergrund ist links das Ufer an der Piazzetta perfekt dargestellt mit Dogenpalast, den Säulen, Kuppeln von San Marco, und dem damals nagelneuen Uhrenturm, Mauro Codussi hatte ihn 1499 fertiggestellt. Rechts das Arsenale, das Markusbecken mit einigen aufgetakelten Segelschiffen,und räumlich eher frei angelegt, S. Giorgio Maggiore und die Dogana.
Im Vordergrund links einige Kräuter, vielleicht Salbei?, dahinter Gebüsch oder ein kleines Wäldchen, dazwischen aber eine der spektakulärsten Blüten, die ich wildwachsend kenne: eine Drachenwurz! Die Frage lautet seit 10 Jahren: warum?

Die Drachenwurz ist nicht in der Lagune heimisch, aber in den damaligen venezianischen Kolonien, vor allem auf Kreta, wo sie im Winter während der Regenfälle und im Frühjahr mit der Schneeschmelze entlang von Flußbetten austreibt und im Mai blüht. Die großen Blätter bestehen aus wunderschön im Kreis angeordneten 9 "Fingern". Die Blüte (Spatha, griech. "Schwert") ist enorm, 0,5 m hoch, schimmernd wie guter Samt, der Blütenstand ist eine noch enormere phallische Sache, glatt und etwas genarbt wie altes Leder. Und alles in einer leuchtenden Farbe, die man Bordeaux nennen kann oder Ochsenblut, ein sehr dunkles Rot. Der Anblick ist umwerfend, und der Aasgeruch der Pflanze auch. Wie alle Aronstäbe ist sie giftig, wobei die Reaktion von Mensch zu Mensch unterschiedlich ist. Es kann im Einzelfall zu heftigem Erbrechen führen, wenn man ein Blatt anfasst und danach mit ungewaschenen Händen isst. 

Ich war mehr als gespannt auf der Suche nach dem, was KunsthistorikerInnen dazu einfällt. In der Bibliothek, in der ich zur Zeit arbeiten darf, habe ich mir 4 Monografien zu Carpaccio gesucht, Standardwerke, dicke Schwarten, und wurde leider schwer enttäuscht. Drei Autoren erwähnen die Drachenwurz nicht. Nur im Katalog der Carpaccio-Ausstellung im Dogenpalast von 1963 steht: "...auf der Linken einige exotische Pflanzen und ein gedrängter Wald, die die Funktion eines farblichen Kontrapunktes zur phantastischen Erscheinung der Stadt übernehmen, die zum großen Teil hinter der Gestalt des Löwen verschwindet."



Na. Jetzt aber. 
Carpaccio setzt eine Pflanze in sein Bild, die
  • nur in den Kolonien in Griechenland, ggfs. Istrien, Dalmatien, Albanien, existiert
  • aus einem riesigen Schwert und noch riesigerem Phallus besteht
  • heftigen Aasgeruch verbreitet
  • hochgiftig ist
Und niemand möchte wissen, was er uns damit sagen will?

Wahrscheinlich haben 3 Dutzend KunsthistorikerInnen fleißige Aufsätze darüber geschrieben, die Symbolik hin und her interpretierend... und keinen Verlag dafür gefunden. Oder in einer Fachzeitschrift veröffentlicht, wo die viele Arbeit gut und für immer begraben ist. 

Und ich muss mir jetzt alleine ausdenken, dass Carpaccio vielleicht durch die Blume andeuten wollte, wo der Hammer bald nicht mehr hängt? Wo es stinkt und giftig wird, bei aller Großartigkeit? Das war zur Zeit des Dogen Leonardo Loredan. Während seines Dogats ging Venedigs Glanz zu Ende. 

 
Ergänzung 18.10.2013:
Der Vorschlag von Andreas (siehe 'Kommentare') wurde aufgegriffen, und die hier (auf S. Giorgio M.) vorhandenen Ikonografien überprüft. Erfolglos ein aktuelles italienisches Buch, das wie die Ikonografie bei mir zuhause auf einzelne Blumen eingeht, die in der Malerei als Symbole verwendet wurden (Tulpe, Zyklame, Rose, Lilie etc.), diese aber nicht differenziert. Also keine Unterguppen o. ä., Familien wie 'Aronstabgewächse' schon gar nicht.
Dann ein sehr dickes Buches über Symbole in der Malerei allgemein, half auch wenig, da alphabetisch sortiert und ich den italienischen Namen für Drancunculus vulgaris nicht kenne. Zu aufwändige Sucherei. 
Dann ein Reprint einer Sammlung von Emblemen von Beginn des 16. Jahrhunderts. Hoffnung! Denn es kommen auch viele Zeichnungen, Stiche, Holzschnitte von Pflanzen vor. Aber es stellt sich heraus: Emblem ist nicht gleich Symbol, scheint sehr viel festgelegter zu sein, auch in Zusammenhängen. Keine Aronstäbe, viel italienischer Text, kein Ergebnis.

Stundenlange Recherchen online mit spannenden Funden... die alle nicht konkret zielführend sind, wenn auch meine Bildung erweitern.
Ich bleibe am Thema und verlinke heute zu einer interessanten Seite des Metropolitan Museum of Art zu mittelalterlichen Gärten, Menüpunkt "Plants in Medieval Art"


Ergänzung 30.10.:
Weitere Monografien zu Carpaccio erfolglos geprüft, weitere Ikonografien - darunter eine hochgelehrte deutschsprachige aus den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts, darin etwas zu mittelalterlichen Vorstellungen zur Heil- und Magiekraft der Drachenwurz gefunden. Immerhin!
Letzte Woche eine Kunsthistorikerin kennengelernt, die sich beruflich im letzten Jahr mit Veröffentlichungen über die Bellinis und Carpaccio beschäftigte und also den Überblick hat. Sie versicherte mir, dass es zu meiner Frage keine, gar keine Veröffentlichung gibt.


.

5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ich liebe solche Rätsel. Vielen Dank für das Finden dieses Geheimnisses und viel Glück noch beim weiteren Nachforschen.

Andreas Götz hat gesagt…

Hallo Brigitte,
ich weiß auch nicht, was Carpaccio damit sagen wollte, aber Aronstabgewächse habe ich in Kunstwerken um 1500 schon öfter gesehen. Hast du schon mal einige Pflanzen-Ikonographien durchgesehen?

Nebenbei was ganz anderes: Du weißt, was der "Friedensgruß" bedeutet?

cordiali saluti, Andreas

ebbonn hat gesagt…

Hallo Andreas,
danke für den Hinweis auf die Pflanzen-Ikonographie. Bei diesem regional vorkommenden Aronstab wäre ich gar nicht auf die Idee gekommen, aber vielleicht finde ich ja was. Direkt Montag, ich sitze ja hier quasi mitten in der Bibliothek.

Friedensgruß? Deine Frage klingt, als hättest Du eine Geschichte dazu? (Was ich weiss ist, dass der Satz zu Kriegszeiten nicht verwendet wurde - Buch zugeklappt).

Schöne Grüße
B.

Andreas Götz hat gesagt…

Hallo Brigitte,
daß ein lokal vorkommender Aronstab gezeigt wird, heißt ja nicht grundsätzlich, daß nicht die allgemeine Bedeutung intendiert ist ...
Als ich das Wort "Friedensgruß" laß, dachte ich mir, daß dir die Bedeutung nicht wirklich bekannt ist. Der ganze Satz lautet übrigens: „Pax tibi, Marce, evangelista meus, hic requiescat corpus tuum.“
Kurz: ein Engel ist dem Hl. Markus erschienen und hat ihm eine Stelle gezeigt (Venedig), an der er bestattet sein soll. Markus darf also ausschließlich in Venedig bestattet sein. Was andererseits die herausragende Bedeutung Venedigs für immer festschreibt und die Unabhängigkeit von Rom. Das ganze ist der zentrale Kern des Selbstverständnisses der Republik Venedig bis hin zu Sarpi.
Etwas speziell, aber nicht uninteressant aus neuerer Zeit: http://www.grin.com/de/e-book/205103/aktualisierung-des-mythischen-raums-venedig-in-tiziano-scarpas-venezia

Arbeitest du wirklich gerade in der Bibliothek der Fondzione Cini? che beo! Lieben Gruß an Marianna Zannoni, falls du sie triffst.

cordiali saluti, Andreas

ebbonn hat gesagt…

Danke. Auch für den spannenden Link! (Links werden von Blogger nicht übernommen, man muss sie kopieren.)

Cini: ja, und es ist nicht nur beo, sondern einfach wunderbar. Noch nach einer ganzen Woche setzt morgens mein Herz kurz aus, wenn ich die Tür zur Longhena-Bibliothek öffne und mir - einfach so! - Bücher aus diesen vergitterten Schränken hole.

Gruß wird überbracht.
B.