20. Dezember 2015

Getestet: die Schätze des Dogen

Der alte Doge Francesco Foscari und der Markuslöwe
Porta della carta zwischen San Marco und dem Dogenpalast
Bitte vorab lesen: Eintrag vom 3.4.2015 Die verborgenen Schätze des Dogen, die weiterführenden Links sind hier bereits enthalten.

Erst im Herbst habe ich Zeit für diese neue Führung gefunden. Und die Teilnahme lohnt sich wirklich. 
Da ich im Eintrag über die Führung der "Geheimwege" die Attitüde der Führerin beklage, muss zunächst erwähnt werden, dass es sich dieses  Mal bei der englischsprachigen Führung um eine Kunsthistorikerin mit exzellent verständlichem Englisch handelt, die entspannt, kompetent und ohne jede Showambition allgemeine wie auch sehr detaillierte Informationen fließen liess. Zum Dogenpalast und seiner Baugeschichte, zum Bauensemble der Piazza und der Piazzetta, zu den Zusammenhängen Dogenpalast und Basilika San Marco; zu Details der Geschichte der Dogen, ihrer Funktion, ihrem Leben im Dogenappartment des Palastes; zum Dogenpalast als politischem Zentrum der Serenissima und als Arbeitsplatz verschiedenster Personengruppen; zur künstlerischen Ausstattung und Ausgestaltung der Dogenräume. Es war eine Freude, ihr zuzuhören und aus der kleinen Gruppe von nur 7 Personen kamen entsprechend interessierte Fragen. So geht eine gute Führung.


Ein neuer Blick auf die Scala dei giganti
Man startet im Innenhof, geht über die Loggia des Foscaribaus an der Piazzetta über den Arco Foscari zwischen Porta di carta und Scala dei giganti (wo man hinter der Uhrenfassade unvermittelt vor dem riesigen runden Fenster des südlichen Querbaus von San Marco steht - wow!). Man blickt vom Balkon des Arco Foscari hinunter auf die Scala dei giganti und über den ganzen Innenhof, nochmal wow!, steigt über eine enge Treppe, bei der Stufenteile der Scala dei giganti mit verbaut wurden (kann man an ihrer Verzierung sehen) hinauf zur "hängenden Terrasse" der Dogen. Der einzige Ort im Freien, an dem Dogen sich ohne Begleitung aufhalten durften, neben der Apsis von San Marco und mit dem Blick auf die byzantinische Ostwand seines südlichen Querhauses, völlig frei von Zierrat, eine schöne griechische Fensterwand aus Backsteinen. Der schlichte Ort in der winzigen Ecke zwischen Palast und Basilika, im Zentrum dieser geballten Pracht und Macht, nur geschmückt mit einigen Zitrusbäumen in Töpfen, hat mich sehr berührt.


Die 'hängende Terrasse' der Dogen,
byzantinische Ostwand des südlichen Querhauses von S. Marco
Es folgen der ehemalige Archivraum für die Dokumente der Klösterüberwachung (den der Archivar ursprünglich nur über eine erstaunliche Hühnerleiter erreichen konnte) und über weitere extrem enge und geknickte Aufstiege die "Schatzkammer" mit massivst vergitterten Fensterchen und offenen Tresoren. Deren ehemalige Inhalte sind bis heute unbekannt, da - knapp vor der Ankunft der napoleonischen Armee 1797 - ihre Retter sich aufs Wegschaffen konzentrierten und sich Inventarlisten für die Nachwelt sparten. Zu sehen sind in den Tresoren schöne 'Auslagen', nicht der Originalinhalt.


Eine der Tresortüren der 'Schatzkammer'
Weiter treppauf-treppab und auf dem Weg des Dogen in seine kleine Kapelle vorbei an einem großartigen S. Cristoforo von Tizian, den er für den Dogen Andrea Gritti (1532-1538) ins enge Treppenhaus malte, zum Höhepunkt der Tour, die Chiesetta. Ein Juwel. (Details dazu über Links im Eintrag vom 3.4.2015, siehe Zeile ganz oben!) 
Gestaltung der Wände und der Decke (auch der Antichiesetta im Nebenraum) von Iacopo Guarana, Altar von Vincenzo Scamozzi, Skulptur (Madonna, Jesus und Johannes) von Iacopo Sansovino signiert, aber zumindest unterstützend Tommaso Lombardo zugeschrieben. Seitliches Tageslicht durch ein kleines Fenster neben dem Altar. Staunend steht man und lauscht den Erklärungen der Führerin zur wunderbaren Gestaltung beider Räume.  Durch die nächste Tür landet man im allgemeinen Rundgang, nämlich in der Sala del Senato. Ende der Führung. 


Ein Kerl und ein Baby
Tizian, S. Cristoforo (und das hübscheste Jesulein in ganz Venedig)
Die Tour ist eine beeindruckende Ergänzung und sehr zu empfehlen, wenn man den Dogenpalast schon ein bisschen kennt und vielleicht auch schon die "Geheimwege" begangen hat. Für Venedigappassionati oder 'Fachleute' egal welcher Fachrichtung ist sie unverzichtbar, da diese Nordostecke des Dogenpalastes ansonsten nicht zugänglich ist.

Geeignet für Kinder; nicht geeignet für Menschen mit Rollstühlen; teilweise können Menschen mit Gehhilfen nicht alle Aufgänge nutzen (aber weglassen, da es sich um Schlenker der Tour handelt und die Gruppe auf gleichem Weg zurück kommt); aus meiner Sicht geignet für Menschen mit Höhen- oder Tiefenangst.
Fotografieren ist ausdrücklich erlaubt.


Altarskulptur der Dogenkapelle Chiesetta

Website Dogenpalast: Beschreibung der Tour englisch; Informationen und Buchungsmöglichkeit englisch
Website Dogenpalast: Beschreibung der Dogenräume (im allgemeinen Rundgang) italienisch; Beschreibung der Dogenräume (im allgemeinen Rundgang) englisch


Tourweg: Arco Foscari; Rundfenster des südlichen Querhauses (groß)
und der Apsis von S. Marco (kleiner); 'hängende Terrasse' der Dogen (Zitruspflanzen); rechts die Fassade des Dogenappartments,
in der oberen Etage die Chiesetta

Für einen normalen Besuch des Dogenpalastes sind bessere Reiseführerbücher durchaus geeignet. Wer mehr Interesse am Gebäude, seiner Geschichte und künstlerischen Ausstattung hat und öfters in Venedig ist, braucht eher ein Fachbuch. Nach meiner Meinung ist man am besten bedient mit dem Buch von Wolfgang Wolters "Der Dogenpalast in Venedig. Ein Rundgang durch Kunst und Geschichte", das über die Beschreibung des allgemeinen Rundgangs hinausgeht. Zum Studium des Gebäudes sehr übersichtlich aufgebaut, knapp und trotzdem ausführlich genug, reich bebildert, preiswert, taschentransportabel und bequem handzuhaben. Auch die Räume dieser neuen Tour werden von Wolters im Extra-Kapitel "Chiesetta und Antichiesetta" ausführlich beschrieben. 



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5 Kommentare:

Yvonne hat gesagt…

Thank you for this! I must see if I can get on a tour.

Buon Natale.

ebbonn hat gesagt…

Grazie Yvonne, buon Natale.

Brigitte

Anonym hat gesagt…

Liebe Brigitte, wie immer ein hervorragender, gut recherchierter Artikel. Ich bin im Januar in Venedig und werde versuchen, eine Führung zu bekommen. Vor allem die Chiesetta interessiert mich, auch schon als ich Deinen früheren Eintrag gelesen hatte. Es gibt ja - jeder weiß es - Neues, auf das man gestoßen werden muss.
Ein frohes Weihnachtsfest 2015, verbunden mit der Bitte um immerwährende Weiterführung Deines Blogs.
Aldebaran

ebbonn hat gesagt…

Danke, auch Dir frohe Feiertage! Das alte Venedig ist so reich an Schätzen, dass es für uns nie aufhören wird, immer wieder neu zu sein. Wir können also weiter entdecken...

Herzliche Grüße
Brigitte

marie hat gesagt…

Liebe Brigitte,

herzlichen Dank für die tolle Rezension. Ich war Deine Fuehrerin! Was mich fast am meisten freut ist, dass Du anscheinend meinen deutschen Akzent nicht bemerkt hast.

Toller Blog. Da hab sogar ich noch das ein oder andere dazulernen können. Weiter so!

Herzliche Gruesse,
Marie- Therese Knopp