Die Rede ist nicht von der teils zweifelhaften Gastronomie in Venedig, sondern von der Ausstellung im Dogenpalast (englische Website-Version) "Water and Food in Venice"; italienische Website-Version, etwas erweitert) "Acqua e cibo", "Geschichten der Lagune und der Stadt". Bis 14.2.2016 und ich hoffe sehr, dass die Laufzeit weit in den Sommer verlängert wird. Unter all den bisher gesehenen historischen Sonderausstellungen im Dogenpalast ist sie von herausragender Qualität, gleichermaßen lehrreich und spannend. Die Kooperation von WissenschaftlerInnen der Stiftung Städtischer Museen Venedigs, der Universitäten Foscari und IUAV Venedig, Padua und Lausanne, des Staatsarchivs Venedig u. A. zeigt, wie sich über die Jahrhunderte die Lebensmittelversorgung in Venedig und der Lagune entwickelte.
Häuser, Gärten und Leerflächen beim ponte piccolo der Giudecca 1474
Da die Ausstellung unter der Schirmherrschaft der EXPO 2015 firmiert (deren Thema die Welternährung war), hatte ich eher eine Hochglanzveranstaltung erwartet, mehr Marketing als Inhalt, mehr "Show" als Ausstellung. Aber es ist eine wirklich tolle Sammlung von kostbaren alten Landkarten z. B. der Lagune und der Gebirgsflüsse, die hier münden; von Originaldokumenten z. B. zu Fisch- und Fleischmärkten, z. B. Ernährungsplänen in öffentlichen Einrichtungen; von Originaldarstellungen von z. B. Obst- und Gemüsegärten in der Stadt und auf den Inseln, den Transportwegen und -mitteln inkl. Beispielen von Versorgung durch die griechischen Kolonien. Es geht natürlich auch um die Berufe der Lebensmittelproduktion, ihre Selbstdarstellung und Bruderschaften, ausgestellt sind viele der genauen HandwerkerInnenzeichnungen und Aquarelle von Giovanni Grevembroich und natürlich auch eine Originalanleitung für eine venezianische Zisterne und weiterer Wassertechnik wie Mühlen oder Schleusen. Viele Exponate zeigen die Bedeutung der selbstversorgenden Klöster in der Stadt und auf den Inseln, herrliche Klostergärten, von denen auch heute noch die letzten existieren (Redentore, S. Francesco della Vigna etc.).
Kloster, Gärten und Weingärten S. Andrea auf der Insel La Certosa, 17. JH
Die Kunst der KuratorInnen bestand vermutlich darin, aus den Mengen der zur Verfügung stehenden Materialien aus venezianischen Archiven und Museen auszuwählen und WEGZULASSEN. Aber auch, die Höhepunkte zu setzen in Form einer ganzen Reihe der detailfreudigen Gemälde von Gabriel Bella aus der Stiftung Querini Stampalia, wo sie z. T. extrem ungünstig hängen; und durch Werke der Meister Vittore Carpaccio (Zwei venezianische Damen, Doge Leonardo Loredan), Iacopo Tintoretto (Die Erschaffung der Tiere), Francesco Guardi (Sprechzimmer von S. Zaccaria), Pietro Longhi (Die Polenta u. a.) u. v. a., die hier auf Augenhöhe und Nasenlänge hängen, dass man sich kaum von ihnen lösen kann. Einmalige Gelegenheit physischer Nähe und Detailwahrnehmung!
Vittore Carpaccio, Doge Leonardo Loredan
Es gibt Interaktives zum Blättern und Zoomen, es gibt Videos (z. B. traditionelle Kochrezepte) und aus Originaldokumenten entwickelte 'Trickfilme', die komplexere Arbeitsvorgänge aufschlüsseln. Und es gibt z. B. eine Reihe von 3D-Modellen, die mit Licht- und Videounterstützung die Entwicklung der Klosterinsel S. Secondo darstellen, einst wichtig auf der Zollstrecke des Warenaustausches und der Lebensmittelversorgung zwischen Venedig und dem Festland und erst kürzlich für einen Blogeintrag am 11.9.15 von mir recherchiert. Hier fand ich begeistert weitere Details und das Originalgemälde "Ansicht der vereisten Lagune von San Giobbe Richtung der Insel San Secondo und Marghera an der Einmündung des Rio di Cannaregio. Sie blieb vereist vom 27. Dezember 1788 bis 11. Januar." (Detailfoto am Ende des Eintrags.)
Ausschnitt aus dem Beitrag der Universität IUAV Venedig (für die vergrößerte YouTube-Version bitte auf die Überschrift im Bild klicken)
Wer die Ausstellung besucht, sollte sich Zeit nehmen, vor allem, wenn Kinder dabei sind. Auch wenn im Ticket der ganze Dogenpalast enthalten ist: sausen lassen und in Ruhe alle Details dieser wunderbaren Ausstellung mitnehmen! Es lohnt sich auch, den Katalog zu kaufen (29 €), obwohl mir ein Rätsel ist, wieso man ihn nicht (mindestens) zweisprachig (wie die Ausstellung: italienisch/englisch) angelegt hat. Es ist einfach bescheuert, bei 60.000 Einwohnern derartige Veröffentlichungen nicht mehrsprachig herauszugeben, damit die Auflage zu erhöhen und fremdsprachige BesucherInnen auch vom ausgezeichnet edierten Katalog profitieren zu lassen.
Venezianische Salzgewinnung auf S. Maura (heute Lefkada)
Die Ausstellung findet statt in den Räumen des Dogenapartments. Für die Manet-Ausstellung 2013 wurde hier eine gute Ausstellungsinfrastruktur installiert, also Speziallicht, Vorsatzwände, Hängevorrichtungen etc., was einerseits gut ist, andererseits ist dadurch der Wandschmuck in den Dogenräumen nicht mehr zu sehen und das Tageslicht weitgehend ausgeschlossen. Von den Wohnräume der Dogen sieht man jetzt deutlich weniger als früher. Man kann nicht alles haben... ein Trost ist vielleicht, dass das Fotoverbot (außer der Nutzung von Blitzen) aufgehoben wurde und man also ENDLICH im Dogenpalast fotografieren darf, wenn man möchte. Seit kurzem gibt es qualifizierte Führungen für den Rundgang und die Sonderausstellungen des Dogenpalastes (neben den beiden Führungen, die es außerhalb des Rundgangs gibt). Sie dauern jeweils ca. 2 Stunden und kosten 100 € für bis zu 25 Personen. Zusätzlich zur Eintrittskarte.
There is something so different in Venice from any other place in the world, that you leave at once all accustomed habits and everyday sights to enter an echanted garden.
Carlo Fruttero:
Perché nessun' altra città al mondo è immersa come questa non già nell'acqua ma nel tempo. È il tempo che circola nei canali, lambisce i palazzi, scivola tra piccoli ponti, cupole, erosi gradini di pietra; è il tempo che impregna persino gli umili souvenir in vendita per i turisti.
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1 Kommentar:
Schöner Beitrag (wie immer). Das wäre wirklich toll, wenn sie verlängert würde. Ich bin (hoffentlich) frühestens im April oder Mai wieder in Venezia.
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