12. November 2018

Aurora Terza Colonna

Piazetta September 2018

Nach dem letzten Eintrag zur Archäologie der Baustellen an der Piazza und den Giardini Reali bleiben wir noch einen Moment bei der Archäologie. Denn der schöne Titel dieses Textes bezieht sich auf ein weiteres archäologisches Projekt am Ufer des Bacino. Die dritte Säule, la terza colonna. Die man gerne ans Licht der Morgenröte heben würde... wenn man sie denn findet.

Die beiden Säulen am Ufer der Piazzetta gehören unverzichtbar zum Gesamtpanorama des Bacino S. Marco und den Wahrzeichen der Stadt Venedig. Sie tragen die beiden Heiligen Venedigs. Rechts auf rotem Granit der erste Stadtheilige San Theódoros (venezianisch Tòdaro), ein orthodoxer Soldatenheiliger aus den byzantinischen Anfängen Venedigs, der auf dem besiegten Drachen steht, siehe auch Eintrag vom 11.11.16 "Neue Restaurierungs-Cam: der Tòdaro". Links auf grauem Granit der Patron der Serenissima Repubblica und jetzt der Stadt Venedig, San Marco, bzw. sein Symbol, der Markuslöwe

Die beiden Granitmonolithe landeten im 12. JH in Venedig, vermutlich in der Amtszeit des Dogen Domenico Michiel. Es gibt keine Dokumente über die Ankunft dieser Säulen und deshalb ist bis heute strittig, woher sie kamen - aus Konstantinopel oder aus dem sog. Heiligen Land, das zu diesem Zeitpunkt bereits von zwei Kreuzzügen überfallen und geplündert worden war. Venedig war an diesen Kreuzzügen nur auf privatwirtschaftlicher Ebene beteiligt, vor allem in der maritimen Versorgungstechnik mit Materialien, die vor und nach den Eroberungen gebraucht wurden, z. B. Holz für Belagerungen und als Baumaterial. Konstantinopel und sein Umfeld wurde erst mit dem 4. Kreuzzug 1204 ausgeraubt, an dem die Venezianer allerdings führend teilnahmen. In Konstantinopel hätte man im 12. JH für die Säulen bezahlen müssen - in Palästina konnte man sie "nehmen", weshalb ich diese Vermutung für wahrscheinlicher halte. 
Umso mehr, als es sich um DREI Säulen gehandelt haben soll, wie Francesco Sansovino ca. 350 Jahre später diese Überlieferung zum ersten Mal schriftlich dokumentiert. Für den Transport seien drei Schiffe eingesetzt worden, und eine der drei Säulen sei beim Versuch, sie an Land zu schaffen, ins Wasser gefallen. Es gab keine Möglichkeit, den schweren Granit dieses Formats wieder rauszufischen, ebenso wenig war es technisch möglich, die beiden anderen Riesendinger an Land hinzustellen, weshalb sie zunächst einige Jahrzehnte am Ufer liegen blieben. 

Erst der Doge Sebastiono Ziani, der das Gelände westlich und südlich von San Marco, damals ungepflastert und teils Gemüsegarten der Nonnen von S. Zaccaria, teils  Befestigung des Dogenpalastes und Hafenanlage, als Piazza und Piazzetta stadtplanerisch gestalten liess, fand im Architekten Nicolò Barattiero den fähigen Mann, der die beiden Säulen an der heutigen Stelle aufrichten konnte. (Ich habe einen italienischen Text gelesen, der das Verfahren beschreibt, aber ihn nicht wirklich kapiert. Beteiligt waren lange dicke Seile (aus dem Arsenale) und viel Wasser, um Reibungstemperaturen niedrig zu halten.) Die Sockel wurden dekoriert mit heute kaum noch erkennbaren Darstellungen venezianischer Handwerker. Als Lohn für seine Arbeit erhielt Barattiero auf seinen Wunsch die Genehmigung, Glücksspiele auf den Sockelstufen der Säulen zu betreiben (und bis hin zu Canaletto und Guardi sieht man die Darstellung von Spielern unter den Säulen). 
Erst zu Beginn des 14. JH wurden die beiden Heiligen auf den Säulen installiert (und damit sind alle Fotomontagen, auf denen die im 12. JH  'verlorene' 3. Säule mit einer Statue auf ihrem Kapitell zu sehen ist, Quark per se).



Von Glücksspielen abgesehen unterlag der Bereich zwischen den Säulen bald einem Tabu unter der Bevölkerung, denn die finalen öffentlichen Exekutionen von Kapitalstrafen, die zuvor an anderen Uferstellen stattfanden (vor S. Giorgio Maggiore und bei S. Giovanni in Bragora) wurden ans Ufer der Piazzetta zwischen die Säulen verlegt. Kapitalstrafen waren in Venedig (wie anderswo im Mittelalter) eine ritualisierte zeitaufwändige Prozedur, die in der Regel am Tatort des Verbrechens begann mit Abtrennen der rechten Hand und anschließender Präsentation des Delinquenten, mit der Hand um den Hals gehängt, per Boot und mit einem Ausrufer durch die gesamte Länge des Canal Grande bis zum 'Palco', dem Gerüst, das für jede Hinrichtung zwischen den beiden Säulen aufgebaut wurde.  (Auf dem de' Barbari Stadtplan von 1500 ist die Stelle zwischen den Säulen, ohne Gerüst, gut sichtbar markiert.) Venezianer*innen vermeiden bis heute, zwischen den Säulen durchzugehen. Auch bei der Führung im Ateneo Veneto bzw. der Scuola Grande di San Fantin fand der Abschlussvortrag des Rundgangs nicht etwa zwischen den Säulen, sondern mit einer schnellen Handbewegung "...bleiben wir doch hier stehen..." links der San-Marco-Säule statt. 
Trotzdem ist der Bereich zwischen den Säulen wie um die Säulen herum immer rappelvoll, dafür sorgen dankenswerterweise wir Tourist*innen, denn wir übertreffen die Zahl der Einheimischen ja bei weitem und wissen in der Regel wenig von historischen Details. 


Piazzetta und Piazza, De' Barbari 1500
Zwischen den Säulen,  De' Barbari 1500

Die dritte Säule, la terza colonna, liegt nach über 800 Jahren Überlieferung im Schlamm, ist bisher eine schöne Legende und verlangt nach Beweisen. Es wurde im trüben Wasser des Bacino getaucht, es wurde mit Satellitenaufnahmen nach Objekten mit spezifischer Dichte gesucht. Seit einiger Zeit werden Suchaktionen mit Spezialkameras und/oder Computertechnik angekündigt:

Laut La Nuova vom 29.6.2016 wird die 3. Säule in 7 m Tiefe vermutet.
Laut La Nuova 20.12.2016 sollen die Untersuchungen im Februar beginnen.
Laut Nuova am 27.7.2017 sollen die Untersuchungen im September beginnen und ein Fernsehbericht vom April 2017 nennt Details wie Kosten von 350 Mio €, die komplett von Sponsoren übernommen werden.
Im Januar 2018 verdichten sich die Medienmeldungen, unter anderem bei Venezia Today 29.1.2018 dank einer Einladung des Ateneo Veneto zur Projektvorstellung Aurora Terza Colonna.

Über Venipedia TV wird die Präsentation des Projekts am 30.1.2018 ins www gestellt und wer italienisch kann und eine Stunde Zeit hat, kann sich trotz der unprofessionellen Filmqualität (Mikro nicht an die Kamera angeschlossen, die projizierten Charts nicht sichtbar) diesen Film ansehen, den ich hier der Vollständigkeit halber verlinke. Der große Saal des Ateneo Veneto war bis auf den letzten Platz besetzt, wie man sehen kann. Auf dem Podium saßen neben Vertreter*innen von Venipedia, des Ateneo Veneto, der oberen Behörde für Archäologie Friaul Venedig auch die Projektmitarbeiter*innen Marco Bortoletto (Archäologe), Barbara Chiozzotto (tomografische Untersuchungen) und die künstlerischen Mitarbeiter Nicola Baratto und Yannis Mouravas. Interessant ist der Beitrag von Marco Bortoletto ab Minute 40, der die bisherigen restaurativen Eingriffe im Bereich der Piazza wie Basis des Campanile, Erhöhung des Ufers, Uhrturm etc. schildert und die archäologischen und historischen Kenntnisse, die daraus gewonnen werden konnten. Und er stellt die dem Auditorium bekannten Überlieferungen, sprich Legenden, dem archäologischen und durch Dokumente gesicherten Wissen über die Geschichte der Piazza und der sie umgebenden Gebäude gegenüber. Leider spricht er ab Minute 50 im Stehen und mit einem Handmikrofon, und damit ist es leider ziemlich vorbei mit der ohnehin schlechten Verständlichkeit. Schade. 

Untersucht werden soll der Bereich des Molo ab der Linie Dogenpalast und über das Ufer hinaus in gleicher Tiefe (also vor allem das Becken, in dem die Gondole stationiert sind), in der Breite von der Biblioteca Marciana bis zum Rio della Canonica, der zwischen Dogenpalast und Gefängnis unter dem Ponte die Paglia und der Seufzerbrücke fließt. Das ist eine große Wasserfläche plus eine heute bebaute bzw. befestigte Fläche (von insgesamt 7.000 m2), die im 12. JH vor den städtebaulichen Maßnahmen des Dogen Sebastiano Ziani zum Teil noch zum Hafenbecken gehörten, was aber mangels Dokumenten bisher nicht zu belegen ist. 
Von den Untersuchungen mit Tomografie und anderen elektronischen Hilfsmitteln erhofft man sich valide archäologische Erkenntnisse über diesen Zeitraum venezianischer Geschichte. Ob man dabei wirklich eine dritte Säule entdeckt, wird sich zeigen. Dass man sie nach der Dokumentation heben würde, möchte ich persönlich nicht hoffen. Der Schlamm ist, falls dem so ist, ihr Platz seit 800 Jahren, wozu sollte sie im Jahr 2018 am Ufer des kulturellen Welterbes Venedig und Lagune dienen? Als Werbepfeiler für eine gigantische Rolex?

Für die Projektfinanzierung stehen die Musso Holding, Save Innovations, und zwei weitere Namen, die ich mit Suchmaschinen nicht finde: Ilcorest und Morgan. 
Im Herbst (Oktober?) soll das Suchprojekt starten, aber Terminankündigungen gab es bisher ja diverse. Die letzten Medienberichte sind immer noch Vorankündigungen, wie der geschwätzige Text von Atlas Obscura vom 7.3.18 und der kurze, aber seriöse Beitrag von ANSA.it am 22.6.18, sowie eine gute Zusammenfassung des aktuellen Stands im Mai von venezia.italiani.it und ein weiterer TV-Bericht vom 17.7.18

Sind wir also gespannt auf die Forschungsergebnisse. Berichte, die irgendwann veröffentlicht werden sollten, werden hier als Nachträge angefügt.


Molo der Piazzetta März 2018



Nachtrag 13.11.
Schneller als gedacht kommt der erste Nachtrag: der Corriere delle Alpi verlinkt ein Video von 2017 mit dem Zusatz "al via le ricerce", auf dem Weg. Könnte bedeuten, dass die Untersuchungen gerade beginnen/begonnen haben. 



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