19. September 2019

Die Bäume in der Lagune

Küchenfensterblick auf die abgebaute Haltestelle Celestia

Aktuelle Information aus dem Eintrag "Venedig Fahrpläne 2019 - Stadt und Lagune":

16.-24.9.
Haltestelle Celestia außer Betrieb. Der schwimmende Teil des Anlegers wurde komplett abgebaut und das Wartehäuschen aus Glas und Metall abtransportiert. Alternativen sind die Haltestellen Ospedale oder Bacini oder der ein wenig längere Fußweg durch die 'dünnste' Nord-Süd Stelle von Venedig zur Haltestelle Arsenale. Dies betrifft auch die Besucher*innen des Litauen-Pavillons, die Mittwoch und Samstag in Scharen durch Castello pilgern!

Per Zufall hatte ich am 18.9. ein Gespräch mit dem Kommunalbeamten, der für diese Art von Arbeiten zuständig ist und erfuhr, dass entgegen meiner Vorstellung keineswegs die Haltestelle repariert werden muss, sondern es hier um den Ersatz der Holzpfähle geht, die wie ein kleiner Wald rechts und links des Haltestellenpontons die Funktion von "Parkplätzen" für die Anwohner*innen der Nachbarschaft haben. Der große Teil der 12 m langen Pfähle, die 6 m tief im Schlamm stecken und aus Wäldern nahe der Dolomiten stammen und traditionsgemäß der Stadt Venedig gehören, ist so morsch, dass sie ausgetauscht werden müssen. 
Während ihrer Lebensdauer werden die Pfähle auch häufig umgesetzt, weil sich Größe und Stellung von Bootsparkplätzen ändern. Auch das trägt zum Verschleiß der Baumstämme bei.
Also wenn, dann alle, und es rechnet sich anscheinend, dafür die Haltestelle aufzuheben und der gesamten Anwohnerschaft viel weitere Fußwege und Brücken zuzumuten.



Jeder neue Stamm kostet 6000 € und die Arbeit selber - Pfosten mit Bagger aus dem Schlamm ziehen, danach neuer Pfahl mit Spezialgerät wieder in den Schlamm rammen - ist langwierig, lärmintensiv und vor allem nicht nachhaltig. Jeder neue teure Stamm muss irgendwann ersetzt werden und wieder steckt ein Stück Fichtenwald in der Lagune. Die Lagune ist voll mit morschen Baumstämmen, die oft sogar brechen, bevor sie ersetzt wurden und dann als Gefährdung des Bootsverkehrs im Wasser treiben.

Es gibt überall in Venedig bereits solche langen Pfosten, die aus Plastik hergestellt, also gegossen, sind. Sie werden als unästhetisch empfunden und nicht der Tradition des Welterbes Venedig und der Lagune entsprechend. Denn die Stadt ruht auf unendlich großen Wäldern, die im Laufe von 1000 Jahren die Lagune so stabilisiert haben und noch stabilisieren, dass dieser einzigartige städtische Lebensraum entstehen konnte. 
Ich bin bei den ersten, die die Werte und Aufgaben des Denkmalschutzes wertschätzen und verteidigen. Aber ich finde, man könnte mal damit aufhören, Bäume in den Himmel wachsen zu lassen, um sie dann ich den Schlamm zu hauen, wenn es dafür, im Gegensatz zu den letzten 1000 Jahren, Alternativen gibt. In Zeiten des Klimawandels bzw. der anstehenden Klimakatastrophe sind unästhetische Plastikpfosten die nachhaltige und angemessenere Lösung. Oder?






Ergänzung 23.9.19

Nachdem Christoph bereits einen informativen Kommentar zur Nutzung von Bäumen hinterlassen hat (klicke unten, Kommentare), danke ich Wolfgang für einen weiteren Kommentar + Fotos per Mail (und für die Erlaubnis, beides hier einzufügen):
"...ich nehme Bezug auf deinen Blog mit den Baumstämmen.
Ich war vor Kurzem bei Freunden in Südtirol und schicke dir 2 Bilder
wie dort der Wald momentan in großen Teilen aussieht.
Schuld war der Sturm im letzten Oktober. Es gibt also Holz in Hülle und Fülle…"

Quelle: Wolfgang

Quelle: Wolfgang

Ergänzung 10.04.2020
Ein Fund auf der Seite der Stadtführerin Luisella Romeo:



.

3 Kommentare:

cristoforo hat gesagt…

Hallo Brigitte,
ich glaube nicht,daß Kunststoffpfähle eine ökologisch sinnvolle Alternative sind.
Durch den ständigen Abrieb durch Wellen und Befestigungsseile entsteht "Mikroplastik" das
biologisch nicht abbaubar ist.
Holz dagegen unterliegt einem natürlichen Kreislauf.
Holz ist Co2-neutral und bei der "Herstellung"enstehen keine giftigen Abfallstoffe.
Zudem haben wir zur Zeit (wegen Wassermangel und Borkenkäferbefall) einen Überschuß an Holz (vor allem Nadelholz)
der geschlagen und genutzt (verkauft)werden muß.
Vielleicht weiterhin doch lieber die "historischen" Baumstämme.
Mit lieben Grüßen
Christoph

ebbonn hat gesagt…

Lieber Christoph,
das ist ein interessanter und ziemlich überzeugender Beitrag. Vielen Dank!
Frage: haben die durch Borkenkäferbefall geschädigten Stämme (quer, nicht längs wie wir wissen) nicht eine noch kürzere Einsatzdauer als die ohnehin schon kurze Dauer von ca. 10 Jahren eines gesunden Stammes?

Schöne Grüße!
Brigitte

cristoforo hat gesagt…

Liebe Brigitte,
wahrscheinlich hast Du recht!
Ich weiß auch nicht,ob solches Holz für Bricole und Pali noch taugt.
Vielleicht wird durch die Noteinschläge gesundes Holz noch teurer.
Trotzdem erscheint mir der Einsatz von Holz in der Lagune für ökologisch sinnvoller.

Freundliche Grüße
Christoph