14. Januar 2020

Massen und Maßnahmen

Karte der Sensoren des neuen Personenzählsystems
(und Darstellung der 'Massentrampelpfade"!)

Es ist soweit! Oder ist es nur mal wieder soweit?

Die Massen sollen gezählt, geleitet, verteilt werden - und demnächst sogar besteuert. Keine neuen Sachen, denn die Stadt Venedig experimentiert seit Jahren an Carnevale, Redentore, Regata Storica, Silvester etc. wie die Menschenflüsse  gezählt und bei Bedarf umgeleitet werden können. Oder zumindest ist dauernd die Rede davon.

2018 z. B. sollte die Zählung mit Lasertechnik, Sensoren und Software von Hitachi stattfinden. Die zusätzliche Idee der Drehkreuze am Piazzale Roma, beim Bahnhof und am Eingang zur Piazza, großer Aufreger vor allem für die Einheimischen, waren ein Schuss in den Ofen und wurden in diesem Jahr (zunächst) wieder abgeschafft. Die veröffentlichten Zählergebnisse blieben rund, in der Regel täglich 100.000 Tagesgäste. Kann also auch mit der Zählerei nicht so gut geklappt haben.

Nun soll Karneval ein neues Zählsystem in die "Generalprobe" gehen mit 34 Sensoren (Personenzählsensoren und Sensoren zu Erfassung von Strömungen), die derzeit in den inneren Stadtbereichen, auch an einigen stark frequentieren Vaporettoanlegern, installiert werden. Die erfassten Daten werden vom städtischen IT-Unternehmen Venis in die Daten der Mobilfunknetze integriert, um eine verlässliche Schätzung der sich in der Stadt bewegenden Touristenmassen in Echtzeit zu erhalten.

Leider scheint es mit dem Lesen und Auswerten der Dateien laut Auskunft der Tourismusreferentin Mar noch zu hapern, die Software und die Datenübertragung an das neu eingerichtete Auswertungswertungszentrum auf dem Tronchetto sind noch in der Testphase. 4 Wochen vor Karneval, zu dem das System an den Start gehen soll. Dafür soll es diesmal ein wunderbar schnelles Zählsystem sein mit Aufnahmen, die laut 2 verschiedenen Lokalzeitungen alle 5 Sekunden bzw. alle 25 Hundertstelsekunden stattfinden sollen (verstehe ich nicht...). 

Die Steuerung von Menschenströmen, immer wieder erfolglos angekündigt, soll nun endlich möglich werden, weil "dank der Geschwindigkeit der Datenkommunikation" erkennbar ist, wie schnell und wie dicht sich z. B. eine Menschengruppe bewegt und von A nach B kommt, wodurch Staus verhindert und alternative Routen vorgegeben werden könnten. (Laut Frau Mar könnte sich das System theoretisch auch für Hochwasserwarnungen einsetzen lassen.) Das Personenzählsystem schließe Gesichtserkennung und Übergriffe auf Mobiltelefone aus (im Gegensatz zu bisherigen Versuchen), aber natürlich gibt es in Venedig die üblichen Kameras zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit
Alles wie gehabt: das System verspricht frühzeitige Erkennung von Personenansammlungen und ihre zeitnahe Umleitung. Wie die Praxis genau funktioniert, bleibt auch diesmal vorsichtshalber ein Geheimnis - falls es wieder nicht klappt?

Allerdings ist das Sensorenprojekt eingebunden in das Maßnahmenpaket, das mit der UNESCO zu Minderung des Tourismusdrucks vereinbart wurde, erhält entsprechende Förderung und ist mit anderen Maßnahmen Voraussetzung für den Welterbestatus Venedigs. Deshalb auch großer Medienauftrieb - man zeigt Aktivität, wenn auch im x. Anlauf und bisher ohne Gewissheit, dass die Sache funktioniert. Wir werden sehen, ob es nur wieder mal Zeit für einen venezianischen Presseautritt war.




Tronchetto: Parkhäuser, Busparkplätze, Anleger, Kontrollzentrum. (Die Großrestaurants für chinesische Reisegruppen wurden ausgegliedert.)



Das gilt auch für den Stadtratsbeschluss vom 23.12.19, die Summe von 10.000.000 € für die Verbesserung des Tourismusmanagements auszugeben. Zu vestehen ist darunter aus meiner Sicht die Erleichterung der Massenanreisemöglichkeiten nach Venedig. 
Wesentliche Inhalte sind:
  • eine elektronisches Infotafel-Leitsystem auf dem Tronchetto, 
  • ein "beleuchteter Boulevard" zwischen Marghera und Mestre
  • eine neue Verkehrsausschilderung zwischen Mestre und Venedig
  • die Verbesserung der Infrastruktur des Tronchetto: Anlegeplätze, Toiletten, Busparkplätze
  • die Neugestaltung des informationsbüros für Tourist*innen
  • weitere Investitionen in die Radwege um Venedig
  • eine App zur Verkehrsleitung der Besucher*innen
  • die Einführung des Eintrittsgeldes ab 2020. 
Das alles dauert natürlich seine Zeit, aber gerade die Strukturverbesserungen des Tronchetto dienen dem Tagestourismus, über dessen negative Auswirkungen neben den kurzzeitigen Aufenthalten der Kreuzfahrtschiffe in Venedig eigentlich am meisten gejammert wird. Der Rein-Raus-Tourismus. Mordi e fuggi.


Womit wir bei den Maßnahmen bezüglich der Massen nun beim Thema des "Contributo di accesso" sind, das ist jetzt die offizielle Bezeichnung, ZUTRITTSBEITRAG. 
Schneller als im Eintrag "Ein vorhersehbarer Flop" vom 27.7.19 erwartet, wurde mittlerweile der wirklich und wahrhaftige Einführungstermin des Zutrittsbeitrags zum 1.7.2020 festgelegt. (Ich sage schon mal: warten wir es ab.)

Im Stadtratsprotokoll vom 9.10.19 lobt der Haushaltsreferent Michele Zuin zunächst die "monatelange unentwegte und akribische Arbeit der Verwaltung, des Wirtschafts- und Finanzministeriums und Trägern der Personenbeförderung, die nun die volle Betriebsfähigkeit des innovativen Systems des Zutrittsbeitrags für Venedig ermöglichen wird." Nicht, wie ursprünglich geplant, externe Verkehrsträger sollen das Geld einsammeln, sondern es "wurden Entscheidungen getroffen, die eine Reihe von Änderungen der o. g. Regelung möglich machen. Zentral ist die Erweiterung der Einzugsberechtigten des Zutrittsbeitrags und der korrekten Erfüllung ihrer Aufgaben gegenüber den einzelnen Reisenden und von Seiten der Stadt Venedig." Wer also genau? 
Ein "angemessener Zeitraum für die Entwicklung eines funktionalen Zugangssystems, besonders auch im Hinblick auf Ausnahmefälle wie Bewohner der Altstadt und regelmäßige nicht-touristische Besucher" wurde nach vielen Arbeitstreffen mit Fachmenschen, besonders IT-Leuten und Administrativen, festgelegt, also bis zum 1.7.2020.

Aufgaben bis zu diesem Termin:

  • IT-Programm/System für Gutscheine, die von der Zahlung des Zutrittsbeitrags befreien;
  • IT-Programm/System für die online-Zahlung - Kreditkarten, Paypal, Banküberweisung;
  • adäquates Vertriebsnetz in der Metropolregion Venedig und den angrenzenden Provinzen;
  • Entwicklung und Aufbau des Vertriebsnetzwerks von Verkaufstechnologie;
  • Kommunikationskampagne für Benutzer*innen;
  • Informationssysteme an Zugangapunkten (Flughafen, Bahnhöfe);
  • Freigabesystem für Betreiber von Hotelreservierungen und zur Information ihrer Nutzer*innen;
  • Informationssystem zur Stadt Venedig und ihres nachhaltigen Tourismus;
  • Versuchsperiode aller Entwicklungen.


Das Ziel einer vollelektronischen Buchung soll im Jahr 2022 erreicht sein. 2020 wird zunächst eine niedrige Preisstaffelung und fortgesetzte Überprüfung der Systeme gelten.

Am 24.10. beschloss und veröffentlichte der Stadtrat die Vorlage zum Zutrittsbeitrag, seitdem mach die Information ihre übliche internationale Medienrunde.

Spiegel: Venedig kassiert ab Juli Eintritt.


Ergänzung 24.3.2020
Der Start des "Zutrittsbeitrags" wird um 1 Jahr verschoben. Bürgermeister Brugnaro sagt, da der Tourismus durch den Coronavirus-Notfall beseitigt wurde, "haben wir ihn ein Jahr verschoben - sagte er - weil er anachronistisch werden würde".






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