26. Januar 2020

Neues von San Marco




Wie kann es sein, dass sich angesichts des entsetzlichen Brandes des gotischen Herzens von Paris, der Notre Dame de Paris, Menschen weinend versammeln und Medien weltweit geschockt tagelang und mit immer mehr Filmdokumenten über das Desaster berichten?
       Aber die Hochwasserkatastrophe, die San Marco traf, eine der wenigen uns gebliebenen Erinnerungen an das byzantinische Kaiserreich, nicht beweint, sondern als einzigartige Reiseerfahrung ahnungsloser Touristenvölker erlebt wird und von ebenso ahnungslosen Journalist*innen als einer von vielen Katastrophenberichten in wenigen Tagen und ohne tiefer gehende Recherchen abgewickelt wird?

Wie kann es sein, dass sich für die Rettung der Ruine von Notre Dame de Paris umgehend weltweit die bekanntesten Kapazitäten von Kunstgeschichte, Restaurierungswissenschaft, Architektur etc. mit qualifzierten, aber auch abgedrehten Vorschlägen zu Worte melden und die Optionen leidenschaftlich diskutieren?
       Aber zum venezianischen Desaster schlicht die altbekannten Argumente der üblichen Verdächtigen wieder ausgetauscht werden zu den Beschädigungen der Lagune im 20. JH und allen gescheiterten technischen und wissenschaftlichen Rettungsbemühungen über einen Zeitraum von Jahrzehnten - und das alles aus rein wirtschaftlichen Gründen, zum Erhalt und zur Maximierung der Gewinne? Während die Tourismusindustrie den wirtschaftlichen Schaden der Katastrophe bejammert und Hotelstornierungen von 50 % die Venedigschlagzeilen in den Medien dominieren, statt des Schadens, den Bevölkerung und Stadt erlitten haben?

Wie kann es sein, dass für den Wiederaufbau der verbrannten Notre Dame de Paris umgehend eine Milliarde Euro zur Verfügung steht? Von potenten Menschen wie den Luxuskonzerninhabern Francois Pinault, der in Venedig zwei große Häuser zur Ausstellung seiner Kunstsammlung unterhält, und Louis Vuitton, zu dessen Konzern LVHM der Fondaco dei Tedeschi gehört und der in seinen Luxusladen in Venedig einen feinen Kulturraum für Gegenwartskunst integriert hat?
       Aber wo sind die großherzigen Millionen zur Rettung einer der kostbarsten Kirchen der Welt, dem Schatten und Schimmer von Byzanz und dem Herzen der Serenissima? Die Restaurierungskosten der aktuellen Hochwasserschäden werden auf 3 Millionen €uro geschätzt. Peanuts für Pinault, Vuitton, die venezianischen Stiftungen, griechischen Stiftungen wie Onassis oder Niarchos, die die Restaurierung von S. Giorgio dei Greci finanziert hat, die Milliardär*innen des gesamten Planeten, die mit Sicherheit alle die Schönheit Venedigs erlebt haben! Taschen zugenäht? Besitz mit ins Grab nehmen? Während die Venezianer*innen mit Putzlappen das Salzwasser von den über 1000 Jahre alten Bodenmosaiken wischen?


In den letzten Tagen gibt es Berichte über Maßnahmen als Reaktion auf die Novemberkatastrophe, die anscheinend in der Planung schon so fortgeschritten sind, dass sie bis zum Ende des Jahres umsetzbar zu sein scheinen. Die das Problem der Bedrohung der Basilica (und ganz Venedigs) nicht lösen, aber belegen, dass sich die Schockstarre löst.

15.000 Besucher*innen täglich (geschätzt, immer noch nicht gezählt!) werden kurzfristig (vor dem Sommer?) elektronisch organisiert, wofür man noch nach einem geeigneten IT-Partner sucht. 
Touristische Besichtigung wird nur noch nach online-Anmeldung möglich sein. Und zwar wahlweise kostenpflichtig mit Vergabe eines exakten und direkten Besuchstermins jederzeit im Voraus (für Besuchergruppen oder Einzelpersonen) oder per kostenloser online-Anmeldung am geplanten Besuchstag mit der Vergabe einer Nummer, mit deren Hilfe an außerhalb von San Marco aufgestellten Automaten Eintrittkarten gezogen werden können. Die führen ans Ende einer möglichen Schlange inkl. Wartezeit. Ohne Onlinebeleg betritt jedenfalls niemand mehr San Marco. Auf diese Weise erwartet man die elektronische Zählung der Besucher*innen und weniger Schlangen durch die kostenpflichtige Voranmeldung.
Diese Einnahmen wandern in die Finanzierung der Restaurationen, reichen natürlich bei Weitem nicht aus. (Quelle)


Das zweite Projekt geht derzeit durch Presse und social media, der Antrag liegt der Verwaltung und der Wasserbehörde vor; geplant ist eine Ummantelung der Kirche mit Glasplatten von 1,20 m Höhe, die Schutz bis 2 m Hochwasser bieten (die Piazza liegt auf 0,85 m Höhe). Kosten ca 3,5 Mio Euro. 
Der Glasschutz würde auch das Ufer hinter der Basilica einbeziehen, da über den Rio della canonica Hochwasser in die Kirche dringt. Die Kirchenportale sollen von Glasmodulen versiegelt werden, die nur im Notfall eingesetzt werden. Ich vermute, dass unter dieser Voraussetzung die vor einigen Jahren installierten Pumpen den Kryptabereich wieder vor Hochwasser schützen könnten, die am 12.11.völlig  überbelastet versagten. Die Glaswände würden die derzeitigen Abgrenzungen aus Eisen ersetzen, die derzeit die Kirche umgeben.
Siehe dazu in deutscher Sprache:
FAZ 22.2. Markusdom in Venedig soll von Glaswall umgeben werden
SZ 24.1. Venedig rüstet sich gegen die Flut


Etwas detaillierter sind die Berichte der 
Nuova vom 21.1. und der 
Repubblica vom 21.1. 
(ich empfehle bei ungenügenden Sprachkenntnissen wie immer die Dienste des Google Übersetzers, auch wenn es da manchmal Formulierungen on the woodway gibt).

Die Glaswände sollen nach der Genehmigung möglichst schnell im Laufe des Jahres installiert werden und vor dem nächsten Novembervollmondhochwasser (Sonntag, 15.11.!) schützen. Kurzfristig für venezianische Verhältnisse, und auch nur von kurzfristiger Wirkung. Dass die Lagune in diesem Jahrhundert geflutet wird, steht außer Frage, langfristige Lösungen müssen her, aber das ist das Thema eines der nächsten Einträge.





Ich weise wiederholt Menschen mit Sponsor- und Retter*innenabsichten auf das italianische Artbonus Fördersystem hin, mit erheblichen Steuervorteilen, falls man über eine italienische Steuernummer verfügt. (Ein gutes Werk ohne materielle Vorteile schenkt immerhin erhebende Gefühle.)
Aktuelles zum Artbonus.


Zum Thema von Interesse:
Süddeutsche Zeitung, 9.2.20 Schäden in Venedig


Ergänzung 14.03.20
Die Fondazione di Venezia veröffentlicht heute die Liste der Institutionen, die Mittel aus dem Fonds Acqua Alta erhalten.

Ergänzung 9.4.
In der Folge der COVID 19-Schließungen wurden auch die Restaurierungsarbeiten in San Marco eingestellt. (Keine entsprechende Meldung in venezianischen Tageszeitungen gefunden.)



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