11. November 2015

Carnevale 2016


Ja, dieses Foto zeigt den Campo SS. Giovanni e Paolo, aber nein, es zeigt nicht die venezianischen Rot-Blauen Funken. (Funken = Köln, alaaf zum 11.11.!) Es ist auch nicht heute am 11.11. entstanden, sondern am 18.10., anlässlich der Feier des Sieges der vereinten christlichen Seekräfte über die osmanische Marine in der Seeschlacht von Lepanto 1571. Als geschichtsbewusster und neugieriger Mensch habe ich mir das angekündigte Spektakel angesehen. Was für ein Mist.


Hier marschierten in Karnevalskostümen venezianische 'Separatisten' auf, die bildungsfrei für 'venezianische Kultur' zu kämpfen meinen und einen separaten Staat auf Basis der Serenissima propagieren, die Trennung vom vereinten Italien. Die Gruppen, um die es hier geht, verlinke ich NICHT. Jede/r VenezianerIn, den/die ich kenne, rollt mit den Augen bei dem Thema, den meisten ist es einfach peinlich.

Wem es nicht peinlich ist (und hier sagen VenezianerInnen, die ich kenne: "Was wäre schon peinlich genug, dass es IHM peinlich wäre...?") ist der neue Bürgermeister Luigi Brugnaro. Wie auch, diese Leute gehören zu seinen WählerInnen. Und so nahm er am Sonntagmorgen um 11 Uhr an dieser gruseligen Veranstaltung teil, stieg auf die Bühne, applaudierte den venezianischen Funken und gratulierte ihnen zu ihrem Anteil an der venezianischen Kultur. Tatä.


Um auf den Carnevale zurück zu kommen (nicht ganz mein Ding, wie man weiss): gestern gab es die Präsentation des neuen künstlerischen Leiters des venezianischen Karnevals. Und hier die Programmwebsite für den 23.1.-9.2.2016. 

Siehe auch Label Carnevale

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6 Kommentare:

Andreas Götz hat gesagt…

Ein schwieriges Thema über das man viel schreiben könnte, denn es gibt ja viele Gründe warum die separatistischen Bewegungen im Veneto so stark sind. Übrigens nicht jeder, der mitmarschiert, teilt auch die Parolen der Kommandanten sondern ist eher am Reenactment interessiert. Wobei übrigens das Vorbild für die stärkste Gruppe, das reggimento real, erst lange nach Lepanto gegründet wurde.
Ich verstehe auch nicht warum die Separatisten gerade Lepanto so hoch halten. Ohne die Spanier hätten die Venezianer alleine nichts erreichen können.
Ärgerlich wird es in der Tat durch den aktuellen Bürgermeister, der den Sieg von Lepanto jetzt auch noch durch den von ihm neu eingesetzten künstlerischen Leiter des Carnevale am Wochenende des 23./24. Januar in Cannareggio inszenieren läßt (laut La Nuova Venezia , 10. 11. 2015). Auch das Datum wäre ja kein Grund, dieses historische Ereignis zu thematisieren. Ich bin gespannt, wie viele da wirklich mitmachen.

ebbonn hat gesagt…

Danke für Deinen Kommentar, Andreas.
Wenn Du mehr zum Thema Separatismus im Veneto sagen möchtest - sehr gerne. Ich habe weder angemessene Detailkenntnisse, noch die Entwicklung verfolgt, um mich aufschwingen zu können.
Weshalb Lepanto so hoch gehalten wird, hat, glaube ich, AUCH damit zu tun, dass es der Sieg über den muslimischen Feind war, den man zusätzlich noch für endgültig hielt. Das spezielle Misstrauen gegenüber andersgläubigen Feinden hat ja in allen Religionen Tradition. Historische Fakten werden von entsprechenden Kreisen bis heute durch diesen Filter wahrgenommen und bewertet. Das schließt mühelos an die Gegenwartsxenophobie an, überall.
Die Separatisten verknüpfen Lepanto auch direkt mit der Niederlage bzw. dem Verlust von Zypern an die Osmanen kurz zuvor; am 18.10 wurde parallel zur Lepanto-Schau eine kleine Glasvase mit "Erde aus Famagusta" am Denkmal von Marcantonio Bragadin abgestellt, Priester dabei, Segnung etc., das fand ich schon sehr hokuspokusmäßig daneben.

Andreas Götz hat gesagt…

Ein wirklicher Experte für den Separatismus im Veneto bin ich ehrlich gesagt nicht. Ich habe mich nie mit der Geschichte intensiv beschäftigt. Und es gäbe sicher viele inhaltliche und personelle Konstanten in den letzten hundert Jahren, die interessant wären. Ich vermute aber, daß die Lega, die weit von einer Mehrheit entfernt ist, auch deshalb eine nennenswerte Größe hat, weil die Menschen hier das Beispiel Südtirol vor Augen haben. Und nur diesen Aspekt thematisiere ich hier.
In Südtirol gab es nach dem 2. WK eine Unabhängigkeitsbewegung, auch gab es Bomben. Den historisch bedingten Konflikt hat man befriedet, indem man der eigentlich reichsten Region in Italien die meisten Mittel für Infrastruktur etc. gegeben hat. In Südtirol sind die Straßen zu den vielen Bergbauern in besserem Zustand als viele Hauptstraßen der Städte in Calabrien. Bezahlt haben das die Regionen zwischen Genua und Venedig, die also sowohl für den Süden als auch für den Norden bezahlt haben. Dabei mußten sie sich auch noch arrogante Bemerkungen einiger volksdeutscher Südtiroler gefallen lassen. Abgesehen von der Unzufriedenheit hatte man auch über Jahrzehnte vor Augen, daß man Vorteile hat, wenn man Unabhängigkeit fordert. (Auch während der Regierungsbeteiligung der Lega mit Berlusconi gab es keine konkreten Schritte Richtung Autonomie sondern nur finanzielle Vorteile).Und da wundert es mich gar nicht, daß die Lega so erfolgreich ist.

Bei Lepanto und Bragadin führt die Lega die Argumentation der Serenissima einfach fort. Erstens ist das konsequent und zweitens relativ erfolgreich. Einem historisch denkenden Menschen geht das gegen den Strich, aber wenn es erfolgreich ist, ist es in der Politik nicht dumm.
Im Dogenpalast ist nicht in großen Gemälden dargestellt, wie Zypern verloren geht, sondern die Schlacht von Lepanto wird gezeigt, der große Sieg. Das hier „nur“ eine große Schlacht gewonnen wurde, Zypern und das südöstliche Mittelmeer aber für immer verloren gingen wird nicht gezeigt. Andererseits hat der Sieg von Lepanto vermutlich schon dazu beigetragen, daß die Expansion der Osmanen zum Stillstand kam. Die Darstellungen dieser Schlacht sollten vor allem die Stärke Venedigs zeigen, sowohl den eigenen Patriziern als auch den Besuchern aus Spanien, Deutschland, England und Frankreich. Ein Sieg weniger über „die Türken“ als über das Osmanische Reich, die Weltmacht schlechthin, mächtiger als jeder Staat in Europa.
Bragadin ist ein Spezialfall. Der Mann hält mit seinen Soldaten die Festung so lange es geht und hofft auf Entsatz. Die Venezianer denken aber gar nicht daran Entsatz zu schicken. Sie lassen ihn verrecken. Sie evakuieren aber auch nicht rechtzeitig oder lassen ihn später aufgeben um ihn und seine Soldaten dann frei zu kaufen. Diese drei Möglichkeiten wurden ja bei anderen Gelegenheiten genutzt. Statt dessen hält Bragadin die Festung und tausende Osmanen verlieren bei der Belagerung und Erstürmung ihr Leben. Entsprechend ungehalten sind die Osmanen und töten alle. Bragadin wird dann in Venedig zum Held erklärt. Aus kaufmännischer Sicht die günstigste Lösung. Er ist aber eigentlich nicht Held der Serenissima sondern ihr Opfer. Und das sollte man jedem, der heute Bragadin für Glanz und Gloria Venedigs vereinnahmen will, unter die Nase reiben.

(Vielleicht weiß der Newsletter, warum er im Stich gelassen wurde?).

Andreas Götz hat gesagt…

Luigi Brugnaro, der Bürgermeister von Venedig, ist auch von den Wählern der Lega gewählt worden, aber erst im zweiten Wahlgang, im ersten hatten sie 12%. Die Lega ist also Brugnaros wichtigster Koalitionspartner. Er hat ihnen zwei von zehn Sitzen in der Giunta gegeben, was ihnen eigentlich zu wenig ist. Dann hat er noch einige „consigliere delegato“ ernannt, unter anderem ist dies Gianni Giusto von der Lega, der Herr in der schwarzen Jacke hinter Brugnaro auf deinem Foto. Brugnaro ist zu allererst Unternehmer und er hält die Lega so klein wie es geht. Dafür besucht er aber ihre Veranstaltungen und wertet sie damit auf. Politik kennt keine Moral. Die in Venedig wegen Brugnaro mit den Augen rollen sind zuallererst die, die ihn nicht gewählt haben. Und es betrifft vor allem die von ihm vorgeschlagene Route für die Kreuzfahrtschiffe und seine Eingriffe in die Museen der Stadt. Aber das ist ein anderes Thema.

Was mich bei der Lepanto-Geschichte wirklich stört, ist die Ankündigung im Programm des Carnevale, die Schlacht am ersten Wochenende zu thematisieren. Vor SS. Giovanni e Paolo hatten sie kaum Publikum und so versuchen sie, ihr Thema auch den Menschen aufzudrängen, die damit nichts zu tun haben wollen. Und ausgerechnet im Karneval, in dem ja das Volk die Themen bestimmen darf und nicht die Regierung. Das ist wirklich böse.

Cordiali saluti, Andreas

Andreas Götz hat gesagt…

Ich hatte wieder zu viel geschrieben und evtl. ist der zweite Teil meines Textes nicht angekommen. Daher hier ein zweiter Versuch:


Luigi Brugnaro, der Bürgermeister von Venedig, ist auch von den Wählern der Lega gewählt worden, aber erst im zweiten Wahlgang, im ersten hatten sie 12%. Die Lega ist also Brugnaros wichtigster Koalitionspartner. Er hat ihnen zwei von zehn Sitzen in der Giunta gegeben, was ihnen eigentlich zu wenig ist. Dann hat er noch einige „consigliere delegato“ ernannt, unter anderem ist dies Gianni Giusto von der Lega, der Herr in der schwarzen Jacke hinter Brugnaro auf deinem Foto. Brugnaro ist zu allererst Unternehmer und er hält die Lega so klein wie es geht. Dafür besucht er aber ihre Veranstaltungen und wertet sie damit auf. Politik kennt keine Moral. Die in Venedig wegen Brugnaro mit den Augen rollen sind zuallererst die, die ihn nicht gewählt haben. Und es betrifft vor allem die von ihm vorgeschlagene Route für die Kreuzfahrtschiffe und seine Eingriffe in die Museen der Stadt. Aber das ist ein anderes Thema.

Was mich bei der Lepanto-Geschichte wirklich stört, ist die Ankündigung im Programm des Carnevale, die Schlacht am ersten Wochenende zu thematisieren. Vor SS. Giovanni e Paolo hatten sie kaum Publikum und so versuchen sie, ihr Thema auch den Menschen aufzudrängen, die damit nichts zu tun haben wollen. Und ausgerechnet im Karneval, in dem ja das Volk die Themen bestimmen darf und nicht die Regierung. Das ist wirklich böse.

Cordiali saluti, Andreas

ebbonn hat gesagt…

Herzlichen Dank für die beiden Einträge, Andreas, und Deine Zeit und Mühe.
Das sind Zusammenhänge, die mir bisher SO nicht klar sind, Südtirol z. B., obwohl ich sogar kindliche Erinnerungen an Nachrichten über die Bombenzeit dort habe.

Der stetige Verlust von venezianisch kolonisierten Inseln - Negroponte, Kykladen, Zypern, Kreta - an das osmanische Reich über einen Zeitraum von 200 Jahren klang schon in einigen meiner Einträge an. Da Du das Thema Zypern und Marcantonio Bragadin hier ausführlicher erwähnst, will ich bald mal einen ergänzenden Eintrag dazu schreiben und, mit Deiner Erlaubnis, dabei auf Deinen Text zurück greifen. Unter dem Karnevalstitel hier hat er vielleicht nicht die verdiente Aufmerksamkeit.

Deinen Ärger über die Platzierung des Lega-Themas Lepanto im Karneval kann ich gut nachvollziehen, aber pragmatisch wird das genauso wenig werden wie im Oktober. Wer geht im Februar eine "Seeschlacht" gucken? Die VenezianerInnnen nicht, die KarnelvalstouristInnen auch nicht.