Kein Freizeitpark, keine Kreuzfahrtriesen
Der Sommer ist da, mit ihm auch wieder die großen Kreuzfahrtschiffe. Der Protest der schrumpfenden venezianischen Bevölkerung, der während des Winters mit ihnen pausiert, ist wieder angesagt.
(Mehr dazu:
- Wenn die Tagesschau entwarnt...
- Der Protest geht weiter
- Gegen große Schiffe
- Heute, 4.10.2015
- Zwischen Giardini und Arsenale...
- Große Schiffe raus)
Allerdings begann der Protest in diesem Frühling schon an Ostern, als die Stadtverwaltung zur Steuerung der erwarteten übermäßigen Touristenzahlen Drehkreuze installieren ließ, die bei Bedarf den Zugang zu den Sestieri links des Canal Grande (also Cannaregio und San Marco) schliessen. Für Anreisende (meist Tagesgäste) vom Piazzale Roma kann so der Zugang zur Calatravabrücke abgeriegelt werden, vom Bahnhof der Zugang zur Lista di Spagna. In beiden Fällen werden die Ankömmlinge gezwungen, über die Sestieri rechts des Canal Grande (also Santa Croce und San Polo) die Rialtobrücke und die Accademiabrücke zu erreichen, um erst dort den Weg zur Piazza San Marco, wo ja letztlich ALLE hinwollen, zu nehmen.
Die extremen Massen in der Lista di Spagna, Strada Nova und um den Rialto herum sollten so besser verteilt werden, natürlich auch die Gewinne des Souvenirschrott- und Verpflegungswesens, das ja auf der rechten Canale Grandeseite gerne jammert.
Nach den Experimenten, 'Touristenflüsse' in und um die Piazza San Marco zu leiten - im letzten Sommer und bei weiteren Massenveranstaltungen wie Silvester und Carnevale - kommen seit Ostern bis Anfang September die 'Tornelli' vor allem an den langen Feiertags- und Brückenwochenenden zum Einsatz.
Sie bringen die Einheimischen auf die Palme, da sie genau die Vorstellung, Venedig sei ein Freizeitpark mit Eingangskontrollen und (wie demnächst geplant) Eintrittskarten im Onlinevorverkauf, symbolisieren und gleichzeitig verkörpern.
Anstelle von Kreuzfahrtschiffen illustrieren die Tornelli die neuen Plakate der venezianischen Bürgerinitiativen. Sie sind ein weiterer sinnfälliger Beleg für die Venezianer*innen, dass ihre Stadt dem Ausverkauf preisgegeben ist. Womit sie ja recht haben. Aber da dieser Ausverkauf von 'oben' gewollt und seit Jahren gewinnbringend im Gange ist, wird der Protest der Wenigen, die NICHT davon profitieren, auf lange Sicht keine Änderung bewirken können.
Über die Komplizenschaft der Bürger*innen bei der Ausbeutung der Stadt siehe "Mordi e fuggi, il turismo chi divora Venezia" vom 30.5.2018.
Die Bürger*innen, und damit Demonstrant*innen und vor allem Wähler*innen in Venedig und der Lagune werden jährlich weniger. Es ist einfach nur eine Frage der Zeit, wann der Weg frei ist, ohne Bürgerbeteiligung und ohne Widerstand das kleine Centro Storico als Parzelle der 'Metropolregion Venedig' einer perfekt dem Rein-Raus-Tourismus angepassten Infrastruktur zu überlassen. Seit 200 Jahren beuten die Besitzenden der Stadt mit allen Mitteln das Erbe ihrer Ahnen aus und werden das auch weiterhin bedenkenlos so halten - mit MOSE, Generali und globalen Luxuskonzernen an ihrer Seite.
Es ist ein schmerzliches Drama zu sehen, wie das geschieht und offensichtlich nicht zu verhindern ist - und doch nur als eines der vielen (und viel schlimmeren) Dramen, die wir dank globalisierter Medien kennen und nicht verhindern.
Die nicht Besitzenden, die Bürgerinitiativen, Gruppen und Parteien rufen am Sonntag, 10.6. wieder zum Widerstand auf, und uns, dieses Drama und unser aller Beteiligung daran zur Kenntnis zu nehmen. Der "Marsch für die Würde Venedigs" macht sich um 14 Uhr am Piazzale Roma auf den Weg.
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