25. März 2021

Jubelfeste am 25.3.2021


Iacopo Tintoretto, Verkündigung

Es gibt heute drei Anlässe zu feiern. 

In allen drei Fällen ist der 25.3. ein gesetztes, kein authentisches Datum, öffentlichkeitswirksam auf einen ohnehin bedeutsamen und beliebten Feiertag gepackt: die Verkündigung des Herrn. In allen christlichen Flügeln einer der wichtigsten Tage, wenn auch unterschiedlich gefeiert, und auch für Nichtchrist*nnen ein bekanntes künstlerisches Motiv (Giotto): ein gutgekeideter Engel tritt diplomatisch gemessen in einem gepflegten Haus von links an die Jungfrau heran, die geneigten Hauptes mit niedergeschlagenen Augen die Nachricht ihrer Schwangerschaft akzeptiert. Ein schwängernder Lichtstrahl und eine Taube (hl. Geist) sind oft, aber nicht immer, Teil des dargestellten Akts. 

Tintorettos Darstellung der Verkündigung (siehe oben) in der Scuola di San Rocco in Venedig (Parterre, 1. Bild links) ist origineller: der Engel stürzt sich in Begleitung eines Trupps von Putten in einem düsteren ramponierten Haus auf die (nach heutigen Maßstäben) minderjährige, entsetzt zurückweichende Maria und haut ihr die Verkündigung um die Ohren. So wirds gemacht, Widerstand zwecklos, der Verlobte arbeitet vor der Tür und ahnt nichts vom Drama, das sich abspielt. Und auch das Kunstwerk macht einen überwältigenden Eindruck.

Nun der Reihe nach die heutigen Feste:

 

Arbeitszimmer des Reeders Lazaros Kountouriotis auf Hydra.
Einer der Protagonisten des griechischen Unabhängigkeitskampfes 



200 Jahre griechischer Unabhängigkeitskampf

In Griechenland ist der 25.3. der landesweit überzeugt gefeierte Nationalfeiertag und erinnert an den Beginn des Aufstandes im Frühjahr 1821 gegen die seit 400 Jahren dauernde türkische Herrschaft, der an verschiedenen Tagen und Orten Mitte März 1821 einsetzte. Es gab mehrere Wurzeln des Aufstandes: eine politische Geheimorganisation, die von Griechen vor allem im Ausland vorbereitet wurde, Familien- und Gruppenclans vor allem auf der Peloponnes, und Reedern auf 3 Inseln (Hydra, Spetses, Psara) mit wirtschaftlichen Interessen gegen die osmanische Besetzung.
Ziel des Aufstandes war die nationale Unabhängigkeit, die Realität während 6 Jahren des Kampfes allerdings interne Auseinandersetzungen der griechischen Gruppen, genaue genommen mehrere Bürgerkriege, weil über den Weg zur Unabhängigkeit keine Einigkeit herrschte, die Finanzierung ein endloses Drama war und beides alle Beteiligten in zeitweise unkontrollierbare Konflikte stürzte. Trotz personeller, politischer und finanzieller ausländischer Unterstützung gelang der endgültige Befreiungsschlag nur quasi versehentlich, indem die osmanische Seemacht 1927 von vereinten britischen, russischen und französichen Flottenverbänden in der Bucht von Navarino (heute Pylos) versenkt wurde.
Die orthodoxe Kirche und ihr Klerus spielten widersprüchliche Rollen im Innern war aber in der internationalen Außendarstellung als christlich-muslimischer Glaubenskrieg wirksam. Bis heute entspricht die Darstellung des Aufstandes in Schulbüchern nicht durchgängig historischen Erkenntnissen und belegten Fakten und dient mehr der nationalen Beeinflussung und Selbstdarstellung und dem 
historischen Selbstbild der Griech*innen.
Griechenland ist eine junge Nation, und nach 200 Jahren Kriegen und Bürgerkriegen, Flüchtlingskatastrophen und Politiker*innendynastien bis auf den heutigen Tag, also schwieriger Politik Griechenlands, bleibt ihre Leistung 
die erste Gründung eines europäischen Nationalstaates in Europa (in der Folge der Französischen Revolution und der Gründung der USA), der alle weiteren Schritte europäischen Emanzipation folgen sollten. Griechenland war ein hochmoderner und in gewissem Sinne vorbildlicher Staat zu Zeiten seiner Gründung.

Gefeiert wird jährlich mit Schul- und Korpsparaden (Schüler*innen uniform gekleidet, Feuerwehr, Rettungsdienste, Veteranenverbände, Trachtenvereine etc.) in allen griechischen Städten und Gemeinden. Mancherorts marschieren selbst Kindergärten. In größeren Städten wird das Militär in allen Formen vorgeführt: Land (mit Fahrzeugen), See (mit Froschmännern zu Fuß und Schlauchbooten),  Luft (mit Fluggerät), teilweise mit Reenactment wie hier in Aeroupolis/Mani und natürlich die Jungs mit den schwingenden Röcken und den Wollstrumpfhosen. In Anwesenheit von Spitzenvertretern von Politik, Kirche und Militär und beipflichtender aber im letzten Jahrzehnt der Krise auch schimpfender Bevölkerung.
In 40 Jahren habe ich auf der Peloponnes, in Attika, Westgriechenland, auf Kreta und vielen kleineren Inseln eine erstaunliche Anzahl von Variationen lokaler Feiern gesehen, bis hin zu dem Dorf, in dem es ein einziges Geschwisterpaar gab, das alleine durchs Dorf marschierte, beklatscht von den wenigen Nachbarn. Das kleine Mädchen sagte danach "So, das war das letzte Mal. Mein Bruder geht nächstes Jahr aufs Gymnasium (in die Stadt) und allein mach ich keine Parade!"

Seit Beginn der Pandemie findet landesweit nur noch 1 Parade, von Medien übertragen, statt: am 25.3. in Athen, am 8.11., dem 2. Nationalfeiertag, in Thessaloniki. Die Sache dauert anderthalb Stunden, wird am 25.3. übertragen von ERT1 ab kurz vor 10 Uhr (11 Uhr Ortszeit Athen). Die Tribünen am Syntagmaplatz sind besetzt mit der griechischen Elite, das Volk ist seit einem Jahr nicht mehr dabei, sondern sitzt vor der Glotze. Den letzten 25.3. mit Publikumsbeteiligung gab es 2019
Nach der Parade geht die Feier traditionell weiter mit dem gemeinsamen Essen von Kabeljau, einem venezianischen Erbe) und Skordaliá. 

Für das 200-er Jahr wurde schon Ende 2019 (!) ein hochoffizielles Organisationskomitee installiert, das unter Leitung von Gianna Angelopoulos-Daskalaki, der ehemaligen Präsidentin des Organisationskomitees der Olympiade 2004, ein Jahres- und Informationsprogramm auf die Beine stellt. Es gibt massenhaft Revolutionskitsch und, schlimmer, nationalistischen primitiven Mist, vor allem in den social media. Aber überall im Land gibt es auch beflügeltes Engagement. In Athen gibt vom neuen digitalen Archiv 1821 des Benaki Museums, das auch eine große Sonderausstellung "Vorher und nachher" vom 3.3.-7.11. eingerichtet hat, viele weitere Kulturangebote bis zu Nationaloper, die das wichtigste historische Ereignis der modernen griechischen Geschichte auch virtuell vermitteln und feiern.

Museum Benakis Athen, Außenstelle Pireos 138 
Megaro Mousikis Athen live streaming 25.3., 19:30 Uhr
Hymne an die Freiheit - MEIZON male vocal ensemble
(kostenlos online bis 25.4.)


Dante-Mausoleum in Ravenna, Besucherinnen


700 Jahre Dante Alighieri

Der nationale Feiertag Dantedì wurde 2020 im Hinblick auf Dante 700  neu gegründet und zum ersten Mal gefeiert. Eine Initiative, die mich begeistert und die Italiener*innen kulturell schon beim ersten Dantedi aktiviert hat. Ich habe dazu einen Blog geschrieben "Dantedì 25.März 2020", zu dem es eigentlich nichts zu ergänzen gibt, nach nur einem Jahr.

Auch der Dantetag 2021 findet weitgehend virtuell statt, schade, aber trotzdem gut ist im Sinne breiter Beteiligungsmöglichkeiten. Allein auf den Webseiten des Kulturministeriums Dantedì und Viva Dante sind atemberaubende Mengen kultureller Angebote für den Lauf des Dantejahres angekündigt. Hier ist allein die Veranstaltungsliste für den 25.3.: ist das nicht unglaublich?!
In Venedig veranstaltet die Universität Ca'Foscari heute ab 9 Uhr einen Dante-Marathon.
"Dante 700 Jahre" auf deutsch zu googlen produziert einen Schwall von Links. Wer also schon immer selbst einen Kurs zum Thema Dante, Kosmologie etc. zusammengestellen wollte, trifft in diesem Jahr den passendsten Zeitpunkt. 

FAZ       Ausstellungen? Dante lesen!
ref.ch    Seit 700 Jahren unsterblich - Italien lässt Dante hochleben
3sat      Dante Alighieri zum 700. Todestag
Youtube Hörbuch Dante Alighieri Die Göttliche Kommödie



1600 Jahre Venedig

Der venezianische 23.5., mystifiziert seit Jahrhunderten, aber im Jahr 2021 so bescheiden gefeiert!

Natürlich wurde 421 keine Stadt gegründet. In dieser Zeit begannen die Bewohner*innen der nördlichen Adriaküste zwischen Aquileia und Ravenna, in ihren Lagunen Zuflucht zu suchen vor Ostgoten, Langobarden und Franken. Die Veneter*innen gehörten zum Kaiserreich Ostrom, kannten sich in den Lagunen aus und verlagerten ihren Lebensraum in deren sichere nasse Landschaften. Ihre Dörfer und festen Städte wurden von den Einwanderern besiedelt, das byzantinische Ravenna wurde die Stadt Theoderichs
Erst der Raub der "Reliquien" von San Marco im 9. JH (800 Jahre nach seinem Tod!) und der Bau seiner Kirche begründete das künftig fast beispiellose Gemeinschafts- und Selbstbewusstsein der Inselbewohner*innen, der Venezianer*innen der nächsten 1000 Jahre. Das heute gefeierte Gründungsdatum ist nicht der Beginn der Stadt, sondern die Basis der Dauerhaftigkeit der Philosophie "Venedig" und ihres anderthalbtausendjärigen Erfolgs.

Nicht nur die Philosophie, sondern auch der physische Fortbestand der Lagunenstadt und ihr ideeller Erhalt sind heute gefährdet. Durch den Anstieg des weltweiten Wasserspiegels und ungeeigneten und misslingenden Schutzmaßnahmen. Durch demokratisch gewählte aber unqualifizierte Verantwortliche, die ohne historisches Bewusstsein der Stadt ihr Gewinnstreben und Ausbeutung aufzwingen. Durch einen beispiellosen Bevölkerungsaustausch 1600 Jahre nach der Besiedelung der Lagune - Venezianer*innen raus, Immobilien- und Tourismusindustrie rein. 

Wie feiert Venedig heute seinen mystischen Jahrestag im Lockdown? 
Eine (bisher leer gebliebene) Website Venezia 1600 wurde Anfang des Jahres eingerichtet.
Am 3.3. veröffentlichte die Stadt Venedig auf ihrer Website einen anspruchsvollen Call für Vorschläge (gerne international, daher gibt es den Text sogar auf englisch), zu Projekten historischen und kulturellen Inhalts, mit denen Venedig das ganze Jahr 2021 gefeiert werden soll. Zu finanzierung sind die Feierprojekte selbstverständlich von den Antragsteller*innen. 235 Projekte wurden von 135 Antragsteller*innen eingereicht, die Auswahl steht noch aus.

Heute gibt es um 11 Uhr ein Gottesdienst mit dem Patriarchen Moravia in der Basilika San Marco, ohne Gemeinde, übertragen durch Antenna 3. (Steht nicht in der Jahresagenda von San Marco.) Um 16 Uhr das feierliche gemeinsame Läuten aller venezianischen Glocken. Das würde ich schon gerne hören...! (Nachtrag 28.3.: hier sind sie...!) Um 18:30 eine Sendung auf RAI 2 per Live stream  und auch auf dem Stream des Teatro la Fenice mit einem feierlichen Programm.


Der Bürgermeister Brugnaro wird sich den ganzen Tag trikolorenbeschleift vor jede Kamera stellen. Er wird wieder wie in bisherigen Pressemitteilungen darauf hinweisen, dass die Architekturbiennale und die Leistungsausstellung der Schiffbauindustrie Salone Nautico aus seiner Sicht Teile der Feiern zu Venezia 1600 seien.
Luca Zaia, Präsident der Region Venetien, nutzte bereits den Anlass, um erneut die Lega-Forderung zur Autonomie des Veneto vorzutragen. 

Der Dogenpalast plant vom 11.9.-27.3.22. eine Sonderausstellung "Venetia 1600. Nascite e rinascite" (steht noch nicht auf der Website, und die eigentlich für diesen Zeitraum geplante Carpaccio-Ausstellung ist anscheinend aus dem Programm.)

War's das? 

Es gibt zum Glück unter den Bürgerinitiativen Venedigs Venessia.com, deren Vorsitzender Matteo Secchi zum Gedächtnis an den am 3.5.2020 verstorbenen Gründer Stefano Soffiato ein Video aus dessen hinterlassenen Arbeiten zusammengestellt hat, das heute auf der Website von Venessia.com veröffentlicht wird. Geplant war zu diesem Anlass ein großes "Geburtstagsfest" für die Bürger*innen, gemeinsames Essen und Feiern. Geht im Lockdown leider nicht. Aber online gibt eine gefühlvolle, wehmütige aber auch optimistische und ermutigende Geburtstagrede für die Bürger*innen Venedigs.

Compleanno di Venezia * 1600 anni


Danke für die Erlaubnis, das Video hier einzustellen und herzliche Glückwünsche allen Venezianer*innen!



Ergänzung 1.4.: Siehe auch den Vortrag Prof. Werner Sollors auf dem YouTube-Kanal des Deutschen Studienzentrums Venedig: "Blick auf Mariä Verkündigung zum 16.00-sten Geburtstag Venedigs".

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Hallo Brigitte, ich habe zwar auch schon einige Bekannte auf das "Jubelfest" Venedigs hingewiesen, aber Du hast natürlich die vollen Informationen. Und natürlich noch die weiteren Jubiläen. Herzlichen Glückwunsch dafür auch Dir für die jahrelangen Informationen, die kaum ausreichend zu schätzen sind. Die vielen Links werde ich mir gerne die nächsten Abendes "reinziehen".
Gruß
Aldebaran