Venedig in der Zeitenwende
Seit 6 Monaten wendet sich die Zeit. Wir wissen, wovon sie sich abgewendet hat, und wer auf die Straße geht, um "mein Leben zurück" zu verlangen, hat den Schuss nicht gehört: hier gibts nichts mehr zurück. Wer meint, mitten in einer Pandemie nicht auf eine Urlaubsreise verzichten zu können und sich aktiv an der Verteilung der Seuche beteiligt, kann gerne versuchen, die Reise mit Geschichtsschutz, geschlossenen Clubs und ggfs. Quarantäne ordentlich zu genießen - wer weiss, wie sich Reisen künftig gestalten werden.
Denn wir wissen nicht, wohin die Zeit sich wenden wird.
Erfreulich ist, dass für dieses Jahr die Kreuzfahrtschiffe von der großen Unternehmen wie Costa und MSC sowie Royal Carribean Venedig meiden und Triest, Genua und Ravenna beglücken. Jetzt feiern die Bürgerinitiativen ihren vorläufigen Sieg. Denn offen ist, wie das 2021 sein wird, denn natürlich wird hinter den Kulissen geackert, damit der Hafen Venedig wieder im Spiel ist, mit möglichst noch mehr Besucher*innenzahlen.
Erfreulich ist, dass sich im Vorfeld der Regionalwahl am 20.9. erneut venezianische Bürger*innen für einen Wechsel engagieren und eine weitere Wählerintitiative gegründet haben: terra e acqua. (Ab 21.8. mit eigenem Radioprogramm, 4 Wochen vor der Wahl.) Der Bürgermeister krallt sich an seinen Stuhl und behauptet angebliche Erfolge seiner Amtszeit, als ob nicht jeder sähe, dass er nur an der Förderung der Touristindustrie interessiert ist.
14.8. Ytali. Brugnaro. Venezia non può più essere affar suo (1)
14.8. Ytali. Brugnaro. Venezia non può più essere affar suo (2)
Aber werden nicht wieder die Wähler*innen von Marghera in die Suppe spucken, wie letztes Jahr, als es um die Trennung der Wasser- und Landstädte Venedigs ging?
Erfreulich ist, dass in Venedig offensichtlich Hygieneregeln und -protokolle sorgfältig eingehalten werden, aber das klappt wohl nur, solange weiter sehr wenige Touristen ankommen (und z. B. keine asiatischen Großreisegruppen durch die Stadt gescheucht werden), aber wie lange? Wenn schon jetzt wieder als "Geheimtipp" in allen internationalen Medien gehandelt wird: das leere Venedig! Darf man nicht verpasst haben! Endlich keine Massen! Nun denn - Leute kommen mittlerweile wieder, ohne Atemschutz, fühlen sich als "Entdecker des ganz wahren Venedigs" und wirken als "Influencer" bis der Markusplatz wieder voll und die Chance vertan ist, mit genügend Zeit neue Konzepte für den Venedigourismus zu entwickeln.
Die Zeitenwende ist im Gange, und man kann nur hoffen, dass möglichst viele Menschen in allen Bereichen und auf allen Ebenen ihren Teil der Verantwortung erkennen und wahrnehmen.
Piazza San Marco, 17.8.2012 Quelle: Skyline |
Und jetzt haben wir also schon 1/2 Jahr später einen schönen kleinen Band, der uns seine Eindrücke und Bilder des Shut downs vermittelt. Ein bisschen Trost oder eine freundliche Gabe für die, die zur Zeit um ihren Sehnsuchtsort bangen oder ihn nicht besuchen wollen oder können - aus gesundheitlichen, zeitlichen, vernünftigen, oder ehrenwerten Gründen in dieser ungewissen Zeit. Ein Zeugnis der Zeitenwende, deren Ende und Auswirkungen wir derzeit noch nicht ahnen.
Das leere Venedig. Ein Sehnsuchtsort in der Zeitenwende. Danilo Reato, Edition Bonn-Venedig im Bonner Verlags-Comptoir. ISBN 978-3-947838-05-9, 69 Abbildungen, 56 Seiten, Hardcover, 14 €.
Quelle: Danilo Reato; Das leere Venedig |
Für Venedigfreund*innen in Bonn und Umgebung:
Vortrag des Verlegers Arnold E. Maurer "Soziale und wirtschaftliche Probleme im heutigen Venedig", 25.8.18 Uhr im großen Saal der ev. Kirche Adenauerallee 37.
Seitdem es Zentren des “Overtourism” gibt, gehört Venedig dazu: zu viele Touristen, kein funktio-nierendes Leitsystem, auch keine “Online-Voranmeldung” für ein “Zeitfenster” zur Besichtigung. Dann kam Corona und die Stadt konnte “Luft holen”, ein fragiles Venedig wurde sichtbar, das wagemutige Touristen in den ersten Tagen nach Aufhebung der Reisebeschränkungen gleich wieder unbedingt besuchen wollten (wenn es Journalisten waren, haben sie auch gleich darüber geschrieben). Venedig ist wirklich einzigartig, aber wenn man die Schönheit dieser einst im Zusammenspiel ihrer Bewohner funktionierenden Stadt nicht mehr finden kann, weil sie komplett verstellt ist? Ein “noch mehr” an Tourismus kann die Stadt kaum verkraften, dennoch obsiegen die Wirtschaftsinteressen bislang, bürgerliches Leben wird verdrängt, die Bewohner wandern ab, es bleibt die Fassade, die wir alle als Touristen dann bevölkern.
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