24. Februar 2007

Venedig mit Kindern I


Wer mit Kindern Venedig besucht, tut das in der Regel, um mit Ihnen eine einzigartige Erfahrung zu teilen, ihnen ein ganz besonderes Stück des Planeten zu zeigen und einen sehr speziellen Ausschnitt menschlicher Geschichte zu vermitteln. Ich kenne Freunde, die abwinken: da haben mich meine Eltern mit sieben hingeschleppt, nie mehr!, aber auch andere, die auf diesem Weg eine nachhaltige Faszination für Venedig (und vielleicht für Bildungsreisen überhaupt) entwickelt haben.
Ein elfjähriger Freund antwortete auf die Frage nach dem Schönsten in Venedig: "Ich bin auf dem Markusplatz verloren gegangen!"
(Hilfreich für die gestressten Eltern ist ein Werbekärtchen des Hotels in der Hosentasche des Kindes, damit die Polizei weiss, wo der Fund abzuliefern ist.)

Vier Punkte sind für den entspannten und erlebnisreichen Venedig-Besuch mit Kindern nach meiner Erfahrung wichtig:
1. Blick für das Alltägliche öffnen
2. Aktivitäten den Interessen der Kinder anpassen
3. Kurzfristig Aktivitäten wechseln
4. Nachbereiten statt vorbereiten


Blick für das Alltägliche öffnen:

Der Verkehr auf dem Wasser - Kinder finden bereits nach ein paar ersten Hinweisen, dass das Leben in Venedig völlig anders als zuhause läuft:
Polizei, Feuerwehr, Krankentransport, Warentransporte (was da alles offen auf den Transportbooten durch die Stadt schwimmt!), Umzüge, Post, Müllabfuhr etc. Vor und nach dem Wasserverkehr finden Transporte per Bootskran (Supermärkte am Canale di Noale und Zattere), mobilem Kran (bei privaten Umzügen), per Sackkarren (in allen engen Gassen), per Müllsammel- und Straßenkehrerkarre (zum Müllsammelboot z. B. an der Vaporettohaltestelle Fondamente Nove), mit Rollstühlen oder Krankenkarren (z. B. am Ospedale Civile am Rio dei Mendicanti) statt. Der Briefträger läuft ganz normal mit seiner Karre durch die Gassen. Aber auch der Totentransport vom Ospedale Civile zum nahen Friedhof San Michele wird mit dem blauen Totenboot erledigt, was man mit dem erforderlichen Respekt täglich von der Brücke am Rio dei Mendicanti beobachten kann.
Es gibt Wasserfahrzeuge zu sehen, die als mobile Baustelle funktionieren, z. B. zur Reparatur bzw. zum Ersatz maroder Holzbalken, die überall in Kanälen im Wasser stehen (Foto oben, rechts von Gebäude auf der linken Seite), oder zum Einrammen der dicken Dreierbalken, die die Fahrrinnen in der Lagune markieren, oder bei den Arbeiten zur Erhöhung der Uferbefestigungen (z. Zt. z. B. südlich des Dogenpalastes an der Riva degli Schiavoni oder an den Fondamente Nove ). Spannend und einmalig zu beobachten sind natürlich die dazugehörigen Arbeiter und das, was sie da tun!
Voraussetzung ist natürlich, dass man die Trampelpfade zwischen Piazza (di San Marco) und Rialto und Bahnhof und Rialto verläßt. Dann erlebt man, dass Schulkinder nicht mit dem Bus, sondern mit dem Boot ankommen (z. B. an den Fondamente Nove), und man kann sich mit seinen Kindern unter die Schülerpulks mischen und bis zur Schule mitlaufen - ein schönes ehemaliges Kloster, Kanal an einer, Lagune auf der anderen Seite.
Kinder interessiert in diesem Zusammenhang, dass Autoverkehr auf dem Schulweg kein Thema ist, dass trotzdem sehr viele Kinder von einem Erwachsenen zur Schule begleitet werden, und sie lernen, diese ungewöhnliche Stadt auch aus dem Blickwinkel ihrer Bewohner zu sehen.
Wie funktioniert das mit den Kinderwagen auf den vielen Brücken? Mit den Ruderfährbooten über den Canal Grande, auf denen man steht? Gassi gehen mit dem Hund? Wenn das Wasser steigt und ein Boot nicht unter der Brücke durchkommt? Mit den Wasserverkehrsregeln? Wo können die einheimischen Kinder bolzen und Fussball spielen?

Mit solchen Überlegungen kommt man kommt weit durch die Stadt, ohne dass Kinder und Erwachsene vom Pflastertreten überfordert werden und zunächst noch keine "Sehenswürdigkeit" betreten wurde.

18. Februar 2007

Sport in Venedig I

Urlaubssport für jedermann und jedefrau

Mein persönlicher Urlaubssport in Venedig ist ein täglicher bis zu 12 stündiger Fußmarsch durch Gassen, Kirchen, Museen, entlang Kanälen und befestigten Ufern, über Brücken. Mir reicht das, aber man kann anspruchsvoller sein. Deshalb mache ich einige Vorschläge zu sportlichen Aktivitäten jenseits von Tennis- und Golfplätzen, die in Reiseführern gern empfohlen werden (wer fährt ernsthaft nach Venedig, um seine Zeit mit Golfen zu verbringen?).

Laufen
Auf einem Jogger-Weblog fand ich als Empfehlung für die schönste Laufstrecke Venedigs das Ufer der Giudecca: breiter Weg um Fussgängern auszuweichen, wenige Brücken und der einzigartige Blick auf Venedig.

Ich habe außerdem schon rund um und durch die Giardini laufen sehen, auch dort kann man sich relativ ungestört bewegen außer zu Biennalezeiten.

In Cannaregio sehe ich (wenn ich in Venedig bin) täglich Läufer entlang der Fondamente Nove. Das mag daran liegen, dass die einheimische Bevölkerungsdichte dort relativ hoch ist, allerdings ist die Strecke auch sehr reizvoll mit Blick auf die schöne Friedhofsinsel und bei klarer Sicht auf die Alpen. Dort gibt es allerdings das Nadelöhr an der Vaporettostation und aktuell, jetzt im dritten Jahr bis zu deren Fertigstellung, die Bauarbeiten an den Uferbefestigungen, zur Zeit westlich des Rio dei Gesuiti. Durch einen Bauzaun ist die Uferstraße dort erheblich verschmälert, weshalb zur Rushhour (morgens und nachmittags Schüler auf dem Weg zwischen Vaporetto und Schulzentrum am Rio di Santa Caterina) dort das Laufen zur Zeit kein Spaß sein kann.

Rad fahren
In Venedig selbst macht ein Rad keinen Sinn. Aber auf dem Lido und der daran anschließenden Insel Pellestrina kann man sehr gut Fahrrad fahren wegen flacher Straßen mit mäßigem Verkehrsaufkommen. In Alberoni an der Südspitze des Lido gibt es eine kleine Fahrzeug- und Personenfähre nach Pellestrina. Fahrräder kann man ausleihen gegenüber der Vaporettostation Lido. Wenn man das Südende der Insel Pellestrina mit dem Rad erreicht hat, sollte man noch den schmalen Steindamm überqueren, der zum Caroman führt, einer südlich vorgelagerten Insel mit einem Fort und Naturschutzgebiet in einer beeindruckenden Dünenlandschaft. Unter der Rubrik 'Insel' werde ich darüber mehr berichten.

Die Strecke auf diesen langgezogenen Inseln ist für geübte Radfahrer kein Problem. Wer weniger im Training ist und nicht riskieren will die Rückfahrt zu beschwerlich zu finden, kann auch den Bus Nr. 11 nehmen, der vom Lido bis Pellestrina fährt, dort gibt es dann auch eine Fähre (nur Personen, der Bus bleibt an der Endhaltestelle) weiter bis Chiogga. (Fahrpläne unter dem Label 'Links', ACTV)

Schwimmen
Die Strände am Lido sind schwer zugänglich, da meist zu Hotels gehörig. Ich nutze die Gelegenheit, wenn ich in Pellestrina bin, denn dort ist der Strand hinter den Murazzi (Befestigungsmauern gegen das Meer auf der vollen Länge der Insel) frei zugänglich und das Meer so schön wie am Lido. Allerdings gibt es keine Hütten und sonstige Versorgung (Toiletten), d. h. man fährt mit dem Bus bis z. B. Pellestrina Ende und bringt sich Strandmatte, Getränk und sonstigen Bedarf für ein Strandstündchen mit.

Schwimmen ist außerdem gut möglich auf der Südspitze der Insel Sant' Erasmo, wo es eine einfache Gartenwirtschaft direkt am Ufer gibt und vom Strand aus einen guten Blick auf die Hauptschiffsein- und -ausfahrt Porto di Lido. Operngucker mitbringen! Das Wasser dort ist z. T. extrem flach, aber der Strand geht weiter nach Norden (Litorale di S. Erasmo) entlang des Canale di Treporti, wo das Wasser tiefer wird. Nach S. Erasmo kommt man mit der Vaporettolinie Nr. 13 (Link ACTV). Mehr zu S. Erasmo folgt unter 'Inseln'.)

Venezianisches Rudern
Reiseführern, die sich überhaupt zum Thema 'venezianisches Rudern' äußern, stellen fest, dass man dazu einen Mindestkurs von einer Woche buchen muss und italienisch können sollte.
Die Information ist veraltet, denn seit 2006 existiert die Ruderschule "giro vogando" des Deutschen Andreas Götz, der in Venedig lebt und venezianisches Rudern als Schnupperkurs schon ab wenigen Kurseinheiten anbietet.
In ca. drei Kurseinheiten kann man sich einen Überblick über die Techniken erarbeiten, nach ca. 10 Kurseinheiten (je nach Talent) die Technik des Ruderns einigermaßen eingeübt haben. Menschen mit Talent und mehr Zeit können sich anschließend von Andreas Götz in einen der venezianischen Ruderclubs 'überweisen' lassen. Ausführliche Informationen über den Link.

(Foto: Südspitze der Insel Giudecca, Sitz der Ruderschule 'giro vogando', (C) Andreas Götz)


11. Februar 2007

Sport in Venedig II

Sportveranstaltungen - mitmachen oder zugucken?
Nicht nur für VenezianerInnen!

Venice Marathon

Nicht jede Stadt leistet sich einen Marathon, schon gar nicht jede, die dafür so schlecht geeignet scheint wie Venedig. Deshalb läuft der Venedig Marathon zum größten Teil auf dem Festland und nur auf den letzten Kilometern in Venedig selbst, dann aber umso spektakulärer mit einer eigens errichteten Pontonbrücke von der Spitze der Dogana über den Canal Grande, vorbei an der Piazzetta und dem Dogenpalast, entlang des Bacinos bis zum Ziel an der Riva dei Sette Martiri kurz vor den Giardini.

Der Venedig Marathon findet immer im Oktober statt, in diesem Jahr 2007 zum 22. Mal am Sonntag, 28. Oktober.
Er startet in Stra (Nähe Padova) vor der Palladio-Villa Pisani und folgt dem Lauf der Brenta, vorbei an weiteren berühmten Villen aus dem 16. Jahrhundert, durch das Industriegebiet von Marghera und Mestre und über die die Ponte della Libertà.
Anmeldung und Zimmerreservierung sollten rechtzeitig erfolgen! Der einzige Fall, in dem ich zum Übernachten in Mestre gezwungen war, war anlässlich des Marathon 1990, der verbunden war mit der Finissage der Tizian-Ausstellung im Dogenpalast. Da war auch bei der Zimmervermittlung im Bahnhof als letzter Hoffnung "Venice completely full".
Weitere Informationen: Website des 22. Venicemarathon.


Su e Zo per i ponti...

ist ein beliebter Volkslauf "Die Brücken rauf und runter" ohne Sieger und Preise, der in diesem Jahr 2007 zum 29. Mal am Sonntag, 15. April stattfindet. Der volle Lauf geht über 9, 4 km und 42 Brücken, der reduzierte über 5,3 km und 28 Brücken.
Die Sache ist volksfest- und familienvergüngungsmäßig aufgemacht und beginnt ordentlich mit einem Gottesdienst um 8:00 Uhr in San Marco, der Lauf startet um 10:00 Uhr an der Piazza San Marco, Ecke Dogenpalast.
Weitere Informationen: Website Su e Zo per i ponti.


La Vogalonga...

ist die große Ruderregatta durch die Laguna Nord, an der jeder teilnehmen kann, der ein Boot über diese größere Distanz rudern kann (d. h. nicht nur venezianische Ruderboote und nicht nur auf venezianische Ruderart). Entsprechend bunt sieht die Strecke aus, von Einern über Mannschaftsboote, vom modernen Kajak bis zu historischen Booten egal welcher Herkunft. Die Vogalonga stammt aus einer älteren Tradition, wurde aber vor ca. 30 Jahren als jährliches Ereignis zunächst für die venezianische Bevölkerung eingerichtet und endet im Canale di Cannaregio mit einem großen Volksfest.

In diesem Jahr 2007 findet sie zum 33. Mal am Sonntag, 27. Mai statt. Kurz vorher werden über die Website die zu erwartetenden Gezeiten- und Strömungsdaten veröffentlicht. Aktuelle Informationen über Anmeldung, Begleitveranstaltungen etc. sind dort zur Zeit noch nicht, aber sicher in Kürze erhältlich: Website Vogalonga.


Regattafotos von Andreas Götz (siehe auch Kommentar unter Sport in Venedig I)



Regatta Caorline














Regatta Gondolini
















Regatta Mascarete







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10. Februar 2007

Cannaregio I


Das Stadtsechstel Cannaregio erstreckt sich im Norden Venedigs vom Canale di Cannaregio im Westen bis zum Canale dei Mendicanti im Osten. Es wird in Reiseführern gern als "Arbeiter-" oder "kleine-Leute"-Viertel bezeichnet, was es im Vergleich zu "große-Leute"-Gegenden wie z. B. entlang des Canal Grande wohl auch ist.
Die Besitzer oder Bewohner (viele Nicht-Venezianer und Nicht-Italiener) der Palazzi halten sich allerdings oft nur zu Besuch in ihren kostbaren Heimen auf und die Gassen sind in festen Händen glitzernder Mode-, Schmuck-, Glas- und Kunsttempel oder off Limits für Touristen.

Cannaregio dagegen ist zugänglich, und das Stadtbild wird trotzdem nicht von Touristen beherrscht. Das Arbeits- und Geschäftsleben der Venezianer dominiert, und gelegentlich behindert der touristische Schlendrian den einheimischen Gassenverkehr: Straßenkehrer mit ihren rollenden Mülltonnen, Mütter mit Kinderwagen, Lieferanten mit Sackkarren, die mit ihren jeweiligen Karossen die volle Breite der sehr schmalen Gassen einnehmen. (Ein schneller Sprung auf die nächst mögliche Türschwelle stellt den Verkehrsfluss wieder her.)

Auf den Campo Santa Maria Nova trifft man, wenn man den gelben Wegweisern "Fondamente Nove" folgt. Das wuselige Zentrum im Osten Cannaregios hat ein paar bequeme rote Holzbänke unter Akazien, einige kleine Kunsthandwerkläden/Souvenirshops, an der einen Ecke eine schöne Cafebar (auch Eis im Thekenverkauf, das man gemütlich auf einer roten Bank genießen kann), ein sehr gutes Feinkostgeschäft an der anderen, und dazwischen findet sich eine Buchhandlung, die auch Antiquarisches verkauft und sich halb auf den Campo breitet. Für den touristischen Bedarf gibt es jede Menge Venedig-Literatur und schöne Bildbände, auch in Fremdsprachen, und Kunst- und Fotodrucke, Land- und Postkarten, der Laden ist eine Fundgrube für Bücherjunkies. (Zwei Brücken weiter nach Osten, immer geradeaus und schon im nächsten Sechstel Castello, gibt es an der Kirche Santi Giovanni e Paolo eine französche Buchhandlung, die weniger chaotisch und auch nicht antiquarisch ist, aber ein gutes Angebot frankophoner Literatur hat.)

In den angrenzenden Gassen gibt es alles Weitere: Bäckerei, Apotheke, Sanität, Fleisch und Gemüse, Elektro, Li mit ihrem kleinen Glasdesignshop (Atelier P. M. Lisette Caputo, Cannaregio 5545), man kann ihr beim Herstellen von Glasschmuck zuschauen und auch Designvorschläge machen (sie spricht französisch und englisch und ist so herzlich wie energisch), eine schöne Bàcaro-Bar mit appetitlicher Cichetti (Häppchen)-Auswahl und einladende Trattorien, z. T. mit zwei oder drei Tischlein draussen in einer kleinen Erweiterung der Gasse...

Der Campo Santa Maria Nova war übrigends eine der Locations für den Film "Brot und Tulpen", der Blumenladen im Film ein Anbau der freien Hausfassade an der Ponte Santa Maria Nova.

Sehr beliebt sind die Flohmärkte auf dem Campo Santa Maria Nova. Der "Mercantino dei Miracoli", Kleiner Markt der Wunder, wird im Gegensatz zum regelmäßigen großen Antiquitätenmarkt auf dem Campo Santo Stefano (in der Nähe der Accademia-Brücke) hauptsächlich von Einheimischen besucht.

2007 findet er zu folgenden Terminen statt:
Letzter Samstag und Sonntag im März, 25. April, jeweils 2. Samstag und Sonntag des Mai, September, Oktober, Dezember. (Die nicht ganz eindeutigen Termine im März entsprechen der kommunalen Ausschreibung.)

Kleiner Markt der Wunder heißt er nicht, weil man dort Wunder erstehen könnte, sondern weil am Campo Santa Maria Nova die Kirche Santa Maria dei Miracoli liegt, getrennt vom Campo durch einen kleinen Kanal (Foto oben und unten). Die Kirche ist benannt nach einem wundertätigen Marienbild, das sich im Inneren befindet, die Geschichte des Wunderbildes erzählt jeder Venedig-Reiseführer in Einzelheiten. Ihre Restaurierung wurde vor wenigen Jahren beendet und neben ihrem ungewöhnlichen Äußeren aus Marmorpanelen und Zierscheiben aus rotem und grünem Porphyr entzückt mich bei jedem Besuch wieder die Atmosphäre und Schönheit des Kircheninneren mit den wunderbaren Steinmetzarbeiten, besonders an Empore und Altarraum, der Kassettendecke, der gesamten dreidimensionalen Aufteilung des Raumes und seine unterschiedliche Ausleuchtung durch die hohen Fenster je nach Tageszeit.

Die Kirche ist für Besucher geöffnet Mo-Sa 10-17:30 Uhr und So nur nachmittags und eintrittspflichtig. Sie gehört der Vereinigung Chorus an. (Einzeleintritt 2,50 €, Chorus-Pass für alle 16 angeschlossenen Kirchen 8 €, ein Jahr gültig. Man kann bei nur einem Kurzbesuch unmöglich alle 16 Kirchen besuchen, aber beim Besuch von nur drei Kirchen hat sich der Preis für den Pass fast schon ausgeglichen.) Vor 10:00 Uhr kann man auch ohne Eintritt 'beten' (pregare). Ich vermute, dies trifft auch auf die anderen Kirchen zu.

Ob man den Campo S. Maria Nova über die Gasse am Feinkostladen oder die Gasse an der Eisbar verlässt, man kommt jetzt in die Gasse der Steinmetze, denn der Friedhof San Michele ist nah. Die Souvenirs, die man hier erstehen kann, sind ungewöhnlich und schwergewichtig: ein Marmormörser für die Küche, eine Marmorplatte mit Namensgravur und Schalllöchern für die Türklingel...

Aber nur wenige Meter weiter finden sich delikatere Angebote in zwei Werkstätten, die zum Zuschauen bei der Arbeit und/oder einem interessanten Gespräch einladen: eine Glaswerkstatt, in der ausschließlich Tiere hergestellt werden, zum kleinen Teil der Sorte "niedlich", zum großen Teil anatomisch sehr exakt gestaltete Insekten, Frösche, Fische... vor allem auf Kinder wirkt das Schaufenster wie ein Minizoo.
Die zweite Werkstatt ist die Druckerei von Gianni (Gianni Basso, 'Stampatore', Calle del Fumo 5306), der behauptet, der letzte Drucker zu sein von ehemals bis zu 200 Druckereien in der Stadt im 15./16. Jahrhundert, als ein nicht geringer Teil des gesamten italienischen Buchdrucks in Venedig abgewickelt wurde. Gianni nennt sich 'Nachfahre von Gutenberg' und betreibt Marketing nicht nur durch die Qualität seiner Produkte, sondern auch durch seine extroviertern Persönlichkeit. Wer alte Druckmaschinen bewundern und klappern hören, Druckerschwärze riechen, vielleicht sogar besonders schöne Visitenkaren oder Einladungskarten in Auftrag geben will (Lieferung wird auch ins Ausland geschickt), nach freier Auswahl der Lettern und (gesetzten oder holzgeschnittenen) Verzierungen, kann hier eine sehr spezielle Reiseerfahrung machen.

Die Gasse öffnet sich nach weiteren friedhofsbezogenen Steinmetz- und Blumengeschäften an den Fondamente Nove und gibt den Blick frei auf die Laguna Nord und die Friedhofsinsel San Michele mit ihrer roten Backsteinmauer, die die hohen schwarzen Zypressen bis auf ihre Spitzen versteckt, die Insel Murano und (bei guter Sicht) die Alpen, die vor allem im Winter, schneebedeckt, ein atemberaubender Anblick sind.





3. Februar 2007

Die Isola di San Lazzaro degli Armeni...

...liegt zwischen Venedig um dem Lido und ist seit fast 300 Jahren die Heimat des Klosters der armenischen Mechitaristen.

Der armenische Orden wurde 1700 in Konstantinopel gegründet von Mechitar da Petra aus Sebaste. Die Armenier waren seit dem 14. Jahrhundert eine verfolgte Ethnie ohne Staat und eigenes Land und gründeten von Trapezunt über Kleinasien und die ägäischen Inseln bis zum griechischen Festland (und darüber hinaus) Gemeinden, oft Dörfer mit Namen wie Armeni oder Armenous, die man bis heute auf griechischen Karten findet.
In Konstantinopel erregte der Orden aufgrund seiner Sympathien für die Papstkirche das Mißtrauen der orthodoxen Kirche, konnte deshalb nicht bleiben und siedelte 1703 in die katholische, weil venezianische Stadt Modon an der Westküste der Peloponnes um. Modon war mit Koron die "Augen der Republik", beides sehr frequentierte Zwischenstopphäfen der europäischen Pilgerschiffe auf dem Weg von Venedig nach Jerusalem. (Über Modon, heute Methoni, und Koron, heute Koroni, wir noch Weiteres in diesem Blog zu erzählen sein.)
Die Mechitaristen in Modon engagierten sich als katholisch-armenisches Kloster in der Pilgerbetreuung, mussten aber ab 1714 wie die Venezianer flüchten, nachdem die Osmanen in der Ägäis Insel für Insel und auf der Peloponnes Hafen nach Hafen eroberten. Sie landeten letzendlich in Venedig und 1717 schenkte ihnen die Republik als unwiderruflichen Standort die Lazzaro-Insel, die zuvor wie mehrere andere Inseln der Pestquarantäne gedient hatte.


Reiseführer beschreiben gerne die Ruhe und kontemplative Atmosphäre der Insel, das mag auch innerhalb der Klausur so sein, besonders, wenn die täglichen Besuchergruppen um 17:00 Uhr die Insel wieder verlassen. Tatsächlich findet man sich aber, nachdem man die Vaporetti der Linie 20 (an der Haltestelle San Zaccaria) um 14:50 oder 15:10 Uhr genommen hat, um zur Führung um 15:30 Uhr pünktlich einzutreffen, in einer großen Besuchergruppe wieder, die zur Not in zwei Hälften à bis zu 30 Personen getrennt werden muss.
Die Führung übernimmt eine polyglotte klösterliche habitundsandalentragende Plaudertasche, die wie viele Guides mehr sich selber darstellt als das Kloster, seine Geschichte und Kultur.

Wenn man sich allerdings unsichtbar macht und wartet, bis der textsprudelnde Mönch mit der Gruppe abgebogen ist, kann man durchaus persönliche Eindrücke sammeln:
z. B im Kreuzgang, in dessen offenem Quadrat meterhohe Rosensträucher und Rosmarine, die Dächer weit überragende Zedern und Palmen und weiteres mediterranes Gesträuch wachsen. In der Mitte steht ein steinerner Pozzo, überwuchert von einer Glyzinienpergola. Ich sitze zwischen den Säulen des Kreuzganges und vergesse, dass dies eine winzig kleine Insel ist, nicht viel mehr als diese Gebäudegruppe;
oder an der Installation des griechischen Künstlers Jannis Kounellis *1936, in einer Kammer, die direkt vom Kreuzgang abgeht: deckenhohe Regale prall gefüllt mit dicken Packen uralter verstaubt riechender Akten beschriftet mit kalligraphischen Zeilen armenischer Schrift, in den Zwischenräumen hängen Metallmobiles mit Kerzenbehältern. Nicht nur höflich die Nase durch die Tür stecken! Erst wenn man die Installation richtig betritt, wirkt der nicht unvertraute Eindruck von Enge, Muffigkeit und Sammelzwang in Verbindung mit dem schwebenden Metall...;
oder im Refektorium, dessen Wände mit dunklen geschnitzten Holzpanelen und großen Gemälden verkleidet sind, während der lange Esstisch für zehn Personen mit dickem altmodischem Steingutgeschirr und Silberbesteck gedeckt ist, das wahrscheinlich seit Gründung des Klosters in verwendet wird...;
oder in den langen Fluren mit verschlossenen Türen im Obergeschoss, deren Wände Rahmen an Rahmen Kunstwerke füllen, signiert mit Namen armenischer Maler (alle enden auf -ian) der letzen ca. 200 Jahre. Unglaubliche Schinken, wahrscheinlich mit bewegten Gefühlen hergestellt und mit freundlicher Verbundenheit aufgehängt, aus Höflichkeit nie entsorgt... aber ich sehe auch Bilder, die Melancholie übertragen, Farben in Spannung zu einander und Motive, die mich berühren.

Während dessen pilgert die Gruppe durch ein unübersehbares Sammelsurium von archäologischen Funden aller Größen und vieler Jahrhunderte, Kunsthandwerk aller Länder Vorder- und Hinterasiens, historischen Fotos, Waffen und der berühmten echten Mumie in den Raum, in dem der von seinen Gastgebern hochverehrte Lord Byron während seines Venedigaufenthalts täglich die armenische Sprache studiert hat (darauf komme ich an anderer Stelle zurück). Der Raum ist eng, weil vollgestopft, fensterlos und riecht einfach schlecht, was wohl weniger an der Mumie liegt als an den schwitzenden Besuchern, die dicht gedrängt höflich zu den Witzen des Mönches kichern.
Eine andere sinnliche Erfahrung bietet die weltweit reichste Bibliothek armenischer Schriften in einer eigens dafür gebauten Rotunde: wunderbare gemalte und verzierte Evangeliare in Glasvitrinen entlang der gewölbten Wände, angenehme Kühle durch eine die Bücherschätze behütende Klimaanlage und eine Echokammer-Akkustik unter der Kuppel der Rotunde.

Nach der Führung ist der Aufenthalt im Kloster beendet. Es gibt noch einen kleinen Verkaufsraum mit BüchernBildernDevotionalien. Bis zur Ankunft des Vaporetto kann man sich im parkähnlichen Eingangsbereich der Insel aufhalten, der auch in die Ausstellungen der Kunst- und Architketurbiennalen einbezogen wird. Der Rest der Insel ist, wie auch der größte Teil der Gebäude, für Besucher nicht zugänglich und vielleicht tatsächlich für ihre wenigen Bewohner ein Ort der Heimat und Kontemplation.


Fortsetzung: San Lazzaro degli Armeni - zweiter Besuch Eintrag vom 12.11.2011