21. Oktober 2015

Saisonende auf den venezianischen Lazarettinseln

 

Das 20-Personenboot vor den restaurierten Mauern des Lazzaretto Vecchio

Wie jedes Jahr endet die Saison der von mir viel und unbedingt empfohlenen Führungen auf Lazzaretto Nuovo mit dem Ende des Monats Oktober und beginnt erst wieder im April 2016. Wer also jetzt nach Venedig kommt, sollte die nächsten beiden Samstage nutzen. Alle Details sind unter dem Link oben zu finden.

Das Lazzarretto Vecchio war nach langen und teuren Restaurierungsarbeiten (27 Millionen) in diesem Jahr an 6 Terminen dem Publikum zugänglich. Das Boot, das die kleine Strecke vom Lido, Riva Corintho, zur Insel pendelte, war zu jeder Fahrt rappelvoll. Die VenezianerInnen und auch einige TouristInnen nahmen die Gelegenheit auf der Stelle war und ich hatte das Glück, am 18.10. in einer der letzten Gruppen zu sein, die durch das ehemalige Lazarett und über die Insel geführt wurden.


Im Vergleich zur "Großen Scheune" auf Lazzaretto Nuovo sind die endlos langen und dunklen Hallen auf Lazzaretto Vecchio eine unfassbar riesige Anlage, deren Verwendung zum jetzigen Zeitpunkt anscheinend ganz unklar ist. Ursprünglich hatte man wohl eine Art archäologisches Zentrum konzipiert, dann war die Rede von einem historischen Museum der Stadt Venedig bzw. der Serenissima - jetzt, nach Abschluss der Restaurierung, scheint man nicht mehr zu wissen, was tun mit dem Riesenschuppen. 


Und dann stellt sich mir auch sofort die Frage, wie man ihn erhalten soll. Die Mauern wurden rundum erneuert, aber schon jetzt sieht man das Salz im Backstein zum Teil bis unters Dach, da offensichtlich nicht der übliche Absatz aus istrischem Stein o. ä. eingebaut wurde, der den Aufstieg des Salzes verhindern soll. Die neuen Dächer und vor allem das neue Holzgebälk, das mit den traditionellen Gebälktechnologien gebaut zu sein scheint, sind sehr beeindruckend, aber wie lange halten sie über feuchten salzigen Mauern ungenutzter, unbewohnter Gebäude?



Der Archeoclub hat für die Führungen auf der Insel die Verantwortung, wie auch für Lazzaretto Nuovo, stellt Informationen zur Insel online zur Verfügung und gibt sicher auch bald ein schönes Buch heraus wie schon für das Lazzaretto Nuovo. Vor allem stellt er kompetente und engagierte Menschen, die als BürgerInnen den interessierten MitbürgerInnen ihr Wissen ehrenamtlich (!) weitergeben. Aber was aus der Riesenanlage werden soll, wissen auch sie nicht und über die politischen Hintergründe, die Millionen im Lagunenschlamm versinken lassen, schweigt erstens meine Ahnungslosigkeit und zweitens, falls doch nicht ganz ahnungslos, meine ausländische Höflichkeit. Es sind ja nicht die ersten Millionen bzw. Milliarden, die sich im Lagunenwasser 'aufgelöst' haben.

Auf jeden Fall ist trotz aller Zukunftzweifel der Besuch des Lazzaretto Vecchio dringend zu empfehlen, und obwohl die Saison des Archeoclubs für dieses Jahr zu Ende ist, gibt es die gute Nachricht: 
NOCH befindet die die "Außenstelle" des niederländischen Biennalebeitrags auf Lazzaretto Vecchio (und nicht auf Lazzaretto Nuovo, wie ich in meinem Eintrag vom 31.5.2015 behauptet habe). 
Hermann de Vries hat auf der Insel ein Sanktuarium, einen heiligen Ort eingerichtet, mit wenigen Denkmälern, die zur Kontemplation einladen. Diese Denkmäler auf der ehemaligen Krankeninsel, die die Überreste von mehr als 1.500 menschlichen Pestopfern frei gab, die düsteren Sääle, in denen die Kranken litten, und der Blick auf die fast greifbaren Türme Venedigs hinterlassen einen unvergesslichen Eindruck. Der Besuch per Bootsfahrt zur Insel (mit dem Boot des Archeoclub) wird kostenlos angeboten und geführt.


Man geht im Pavillon der Niederlade zum/zur Aufpasser/Aufpasserin und fragt nach dem Boot zum Lazaretto Vecchio. Man bekommt einen Platz, aber erst ein paar Tage später, so groß ist die Nachfrage noch. Solange das Wetter hält, fährt das offene, unbedachte Boot weiter täglich, aber bereits etwas früher als im Sommer, wegen der kürzeren Tage (derzeit ist die Abfahrt um 13:50 Uhr, nach dem Ende der Sommerzeit ändert sich das wahrscheinlich weiter). Man wird in die Liste eingetragen und erhält eins von 20 möglichen Tickets. Der Ausflug dauert ca. 2 Stunden, die Biennale endet bekanntlich am 22.11. - aber die Bootsfahrten vermutlich früher.

Einmaliges Erlebnis - wärmstens zu empfehlen.




7. Oktober 2015

Fluglotsenstreik in Italien am 8.10.2015


Für morgen, 8.10. ist ein 4-stündiger nationaler Fluglotsenstreik angekündigt.

Lavoro 7.10.
La Nuova 7.10.

Der Streik betrifft alle italienischen Flughäfen, aber der Flughafen Marco Polo ist derzeit, um es freundlich zu formulieren, ohnehin sehr herausgefordert durch die Umbau- und Erweiterungsmaß-
nahmen während des laufenden Betriebes. Die Schlange für den Sicherheitscheck stand in der letzten Woche bis hinaus auf die Straße der Abflugsetage. Trotz Bemühungen des freundlichen Personals lagen einige Nerven bei den Abreisenden nicht mehr im grünen Bereich.


Es empfiehlt sich:

  • die Fluggesellschaften anzurufen, sich beraten zu lassen und nach geänderten Flugterminen zu fragen
  • frühzeitig zum Flughafen zu fahren und sich mental auf etwas Stress einzustellen
  • die gute Laune nicht zu verlieren :-)


Es gibt außerdem eine nächste Streikankündigung für den 24.10.

Da wir gerade von Streik sprechen: Streiktermine der Bahnen im Oktober 2015.


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3. Oktober 2015

Giardini - Coronation Park




Im Eingangbereich der Giardini stehen 9 schwarze Postamente, 7 tragen weiße Statuen, die Könige repräsentieren, eine Statue kniet neben dem Postament, ein Postment ist leer. Alle Statuen sind unvollständig. An den Postamenten sind Tondi befestigt, die nicht die Statue identifizieren, sondern jeweils einen Satz tragen wie "In the end he could not stand it any longer and went away."

Die Installation heißt "Coronation Park" und ist ein Werk des Raqs Media Collective (1992 gegründet von Jeebesh Bagchi, Monica Narula, Shuddhabrata Sengupta). 'Raq' bezeichnet auf persisch, arabisch und urdu eine Meditationsphase, hat aber auch die Bedeutung von "rarely asked questions" (analog zu faq - frequently asked questions). 

Den Erläuterungen der Gruppe im Video oben wäre wenig hinzu-
zufügen, von der Hybris der Macht haben wir alle eine Vorstel-
lung und die Furcht vor Machtverlust, der Machterhalt um jeden Preis, erscheint uns oft als die stärkste Antriebskraft der Mächti-
gen. Die verstümmelten Statuen als Repräsentanten befristeter, gebrochener, auswechselbarer Macht sind offensichtlich und passen in den politischen Aspekt von Okwui Enwezors "Alle Zukünfte der Welt". 


Aber: worauf genau bezieht sich "Coronation Park"? Britisch-in-
dische Kolonialgeschichte. Von der ich bisher keine Ahnung habe. 

Ein riesiges Areal in Delhi, auf dem 1877, 1903 und 1911 'Hoftage' zur Krönungsfeierlichkeiten der britischen Kaiser von Indien stattfanden. Der Kaiserin/dem Kaiser zu huldigen (in An- oder Abwesenheit) waren alle indischen Fürsten aufgefordert. Der Aufwand, die Kosten, der Pomp (trotz zweijähriger Hungers-
not während des ersten Hoftages) und die Präsentation kolonia-
ler Macht waren überwältigend und werden im englischen Wiki-
pedia
ausführlicher geschildert. Zum zweiten, 14tägigen Hoftag wurde eine Infrastruktur von Zelten und Wasser- und Abwasser-
versorgung, Elektrizitäts-, Telefon- und Bahnanschluss des Ge-
ländes eingerichtet. Es gab Feuerwerke, Ausstellungen, Musik- und Tanzveranstaltungen, Sonderbriefmarken, tägliche Militär-
paraden, Polowettkämpfe. Es sollen 100.000 Personen teil ge-
nommen haben. 

Beim dritten Hoftag war der vor 50.000 ZuschauerInnen zu pro-
klamierende und feiernde Monarch/Kaiser zum ersten Mal in Per-
son anwesend, Glitter und Pomp wurden ein weiteres Mal gestei-
gert, Delhi zur neuen Hauptstadt ernannt (vorher Kalkutta) und ein Krönungsdenkmal errichtet. 


Coronation Park verfiel nach dem Ende der Kolonialzeit. Ge-
schützt von einem Stahlzaun stehen die Denkmäler der Hoftage in einem öden Gelände, das jährlich mindestens 3 Monate unter Wasser steht. Weitere Denkmäler und Statuen des vergangenen kolonialen Empires wurden hier entsorgt, ein Schrottplatz abge-
wickelter Unterdrückung und Macht. "Coronation Park" in den Giardini ist eine kritische Replik des Coronation Parks in Delhi, der zum indischen Kulturerbe gehört; es gibt eine Website für den touristischen Besuch der Anlage und ohne viel Aufwand ist man seit wenigen Jahren um ihren Erhalt bemüht.   



Bleiben die Texte auf den Tondi, den runden Scheiben auf den Postamenten in den Giardini. Sie sind von George Orwell, der in Indien geboren später als Mitarbeiter der Indian Imperial Police eigene Erfahrungen in der kolonialen Verwaltung sammelte. In seiner Entwicklung zum Antiimperialisten und Sozialisten und seinem Werk finden sich diese Erfahrungen wieder. Die Zitate auf den Tondi stammen aus "Einen Elefanten erschießen". 

Originaltext "Shooting an Elephant" in englischer Sprache.



Krönungshoftag 'Great Coronation Durbar' 1911, Huldigungen der indischen
Fürsten. Eindruck des Coronation Parks in Delhi.


Biennale-Ausstellungen haben manche spannende Hinter-
grundgeschichten.

Bei Interesse an einer Begleitung in Giardini oder Arsenale führt der Weg zu meiner Mailbox über einen Klick ganz oben rechts in der dunkelgrünen Spalte.

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