30. Juni 2012

Vaporetto dell'Arte & mehr Marketing

Jungfernfahrt? am 26.5.2012
 
Seit einem Monat kreuzt das Vaporetto dell'Arte den Canal Grande rauf und runter, nach einigen Stolperern bei der Einführung. Die ursprünglich und für venezianische Verhältnisse langfristig (schon im Winter!) für den 25. April geplant war, dem Feiertag von San Marco und der Liberazione. Hat aber nicht geklappt und wurde auf den 1. Juni verschoben mit Pressekonferenz und -probefahrt am 29. Mai. 

Ich war in der Stadt und bat das Presseamt der Stadt Venedig um eine Einladung, wurde akkrediert, Erscheinen um 17:00 am Bahnhof, Vaporettohalt Imbarcadero. Um 16:55 Uhr war weder das Presseamt noch das güldene Vaporetto in Sicht, das ich bereits im Canale della Guidecca kennenlernen durfte (siehe oben) und um 17:10 Uhr (in dieser Stadt, in der man seine Uhr nach der Pünktlichkeit der Vaporetti stellen kann!) war meine Geduld zu Ende.

Ich ging nach Hause und schrieb der Dame vom Presseamt ein freundliches aber kritisches Mail. Die Antwort am folgenden Tag lautete schade, aber um 17:20 Uhr  "mehr oder weniger" habe man das neue Vaporetto gestartet, bis nächstes Mal dann hoffentlich, 2 Fotos im Anhang, herzliche Grüße. Das nenne ich eine entspannte Arbeitsauffassung, aber es war ja auch wirklich wurscht ob ich das Vaporetto probefahren konnte oder nicht. Und meine Frage: wem nützt dieses Angebot? hätte man mir sicher nicht befriedigend beantworten können.

Die goldene Pracht von vorne...
Für 24 € Normal-
preis darf man 24 Stunden lang den Canal Grande befahren, allerdings nur von 9:00 bis 20:24 Uhr (siehe Prices/Timetable). Die Museen sind (meines Wissens) geöffnet von 10:00 - 18:00 Uhr, mit Ausnahme der Accademia, die schon um 8:15 Uhr öffnet. Wie viele der Museen des Kunstvaporettos kann man also in maximal 10 Stunden (von 24 behaupteten) besuchen (einkalkuliert, dass in der ersten Juliwoche auch die Fondazione Prada die großartige Ca'Corner della Regina wieder für den Sommer öffnet)?

Im 24 € Normalpreis sind weiter enthalten 
  • kein Schlangestehen (die letzte ernsthaft lange Schlange in Venedig habe ich erlebt am Palazzo Grassi, bevor Pinault ihn kaufte)
  • komfortabler Transport (die roten Sitze sehen seehr bequem aus!)
  • Ermäßigungen in den Museen (die nicht benannt werden, erst im...)
  •  ... sogenannten Welcome Kit erfährt man etwas darüber. Enthalten ist ein Kopfhörer, damit man der 5sprachigen Erläuterung folgen kann, auf dem Monitor, der zu jedem Sitz gehört. Worin die Erläuterungen bestehen, weiss ich leider nicht (für Berichte von LeserInnen wäre ich dankbar!), toll wären natürlich Hinweise zu den einzelnen Gebäuden die man passiert (und dann rechtzeitig den Blick vom Monitor nach draußen wendet).

...die frische Pracht von oben...
Ich denke, wer in Venedig sowieso Museen besuchen will, braucht kein Vaporetto dell'Arte und schon gar nicht seinen stolzen Preis. Ihm/ihr ist mit den verschiedenen Angeboten der ACTV Tourist Travel Cards gedient. 

Wer wenig Zeit hat und Venedig vermutlich nur einmal sieht wie TagestouristInnen und 'KreuzfahrerInnen' ist mit dem stolzen Preis wahrscheinlich gar nicht schlecht bedient, erspart sich die Enge der ÖPNV-Vaporetti, sieht bequem und mit Erklärungen (?) den Canal Grande und kommt vielleicht zu seiner/ihrer Freude in ein oder zwei Museen anstatt sich durch die engen Ladengassen zu quetschen und die kostbare Venedig-Zeit mit Shoppen zu vertun. 

Den Hauptnutzen der Sache haben vermutlich die Stadt Venedig und die "Partner" dieses Angebots, so geht das nun mal in einer Stadt die vom Tourismus lebt, so funktioniert nun mal Marketing.

Aber es gibt eine weitere neue Marketingidee, im Angebot seit Juni, die für Einmal-BesucherInnen gar nicht geeignet ist, aber sehr schön für die, die öfter oder regelmäßig kommen und wunderbar für die, die ohne Venedig nicht mehr können:die MUVE Friend Card
Gültig für alle städtischen Museen Venedigs (MUVE!) Sie ist erhältlich in allen Museen oder online, ein Jahr gültig, kostet 45 €, ist nicht übertragbar, bietet kostenlosen Eintritt in alle 11 bezogenen Museen, Einladungen zu Ausstellungseröff-
nungen oder Vorabsonderöffnungen (wie hier die Wiederöff-
nung der renovierten 'Sissi'-Räume), Newsletterinformationen, Skonti in den Museumshops und -cafeterien; komplette Information hier.

Museumskarten werden ja von fast jedem Museum überall angeboten, und es gibt auch viele Museumsverbünde mit einer gemeinsamen günstigen Karte. Aber welche Stadt hat schon auf so kleinem Raum derartig viele großartige Museen, wie sie hier zu einem so guten gemeinsamen Jahrespreis dem Venedigjunkie zur Verfügung stehen. Da profitiert nicht nur die Stadt, sondern jede/r einzelne BesucherIn, die/der  öfter mal vorbeikommen kann.

...die sehr bequeme Pracht von hinten.

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17. Juni 2012

La Certosa April 2012

Kleiner Besuch auf La Certosa zunächst im Oktober 2011, um zu sehen, wie weit Schritte des Projekts Certosa Urban Park 2015 (Eintrag vom 9.9.2010) schon umgesetzt wurden. 



Ziegenherde, mit Zoom
Eines der 'hohlen' Gebäude, zu füllen mit einem
der
energieautarken Gebäude des Projekts
Blick von der erweiterten Marina auf Turm und Dom
S. Pietro, Turm S. Marco, Arsenaleeingang und Turm
Porta Nuova, Turm S. Francesco della Vigna
Gesunder Bärlauch neben giftigem Aaronstab
im Parkgelände
Sandanlegestelle an der Kanalkreuzung
ehemaliger Klosterinnenhof April 2012
Alte Bäume an der 'Hasenwiese', Umgebung gerodet, Okt. 2011

12. Juni 2012

Laguna Nord: Schäden durch Tornado

Erschreckt erfahre ich durch einen Tweet der Stadt Venedig auf Twitter von einer Windhose heute morgen in der Laguna Nord, die keine Personenschäden, aber Sachschäden auf Sant'Erasmo (Felder), Sant'Elena (viele der alten Pinien) und vor allem auf La Certosa angerichtet hat. Der alte Baumbestand auf der Insel soll sehr gelitten haben, viele Bäume sind wohl verloren, nicht aber die Gebäude (aus der Zeit der österreichischen Militäreinrichtungen) die derzeit renoviert werden. Vollkommen zerstört seien die Außeneinrichtungen des Restaurants - das lässt sich wieder richten- aber sehr schwer muss das ehemalige Kloster, bzw. seine Ruine, gelitten haben, Rettung wage ich zu bezweifeln. Die Ruine war in einem sehr schlechten Zustand. Erhebliche Maßnahmen sind/wären ohnehin notwendig, sie in die Neubelebung von La Certosa zu integrieren.

Ich hatte im April 2012 wieder La Certosa besucht um zu sehen, wie es mit dem Projekt "La Certosa - Urban Pac 2015" voran geht, dabei die ganze Insel umkreist - eine sehr schöne kleine Wanderung - und bisher noch nicht darüber berichtet, weil gerade andere Themen frischer waren. 

Ich werde den Bericht kurzfristig schreiben und lade hier zunächst, sehr bekümmert, eine kleine Aufnahme des Innenhofes des ehemaligen Kartäuserklosters hoch. Man erkennt den sehr schlechten Zustand. Falls es hier einen normalen Kreuzgang gab ist er völlig verschwunden, aber trotz Betonschicht auf dem Boden des Innenhofes sieht man, wo sich ehemals die Brunnenanlage befand.
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Ergänzung 13.6.:
http://veneziablog.blogspot.de/2012/06/after-tornado-in-sant-elena-this.html


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10. Juni 2012

Termine 2012/5 - mehr Kultur im Sommer 2012 in Venedig

'Paliotto' in der Sakristei der S. M. Assunta in Malamocco

Damit die beiden Einträge zu Kulturterminen vom Jahresanfang ( Musik, Theater, Ausstellungen  und Traditionelle & religiöse Feste), mehrfach ergänzt, nicht ganz überschwappen, gibt es eine sommerliche Auffrischung, bunt gemischt.

Die Festa Sant'Antonio findet in der aktuellen Woche bis 16.6. statt, rund um San Francesco della Vigna, mit täglichem Programm. Vaporettohaltestelle Celestia, deshalb leicht zu erreichen, auch wenn es in der allerletzten Ecke von Venedig zu sein scheint.

Programn der Festa S. Pietro di Castello 24.6. - 1.7.

Das Madonnenfest in Malamocco findet am 2. Wochenende im Juli statt, siehe dazu auch den Malamocco-Eintrag  vom August 2011. Ich war kürzlich wieder in Malamocco und wurde eigens darauf hingewiesen und eingeladen. Die Dorfbewohner sind stolz auf ihr Fest, und es gibt die seltene Gelegenheit, in der Sakristei die dort aufbewahrte Holzpala von Anfang 1400 zu bewundern. Der "Paliotto" von Paolo delle Masegne zeigt die Assunta umgeben von 12 Heiligen (auch meine Nachfrage: Heilige, nicht Apostel) und den segnenden Christus.Er soll eines der herausragenden Kunstwerke dieser Zeit des ganzen Veneto sein.
Die in der Prozession präsentierte Madonna wird nur für diese Gelegenheit angezogen und aufgebrezelt, normalerweise ist sie eine schlichte bunt bemalte Holzstatue am ersten Altar rechts wenn man in die Kirche kommt.

Ausstellungen, die noch bis in den Juli laufen:

Casa dei Tre Oci
Die Casa dei Tre Oci auf der Giudec-
ca, vor einem Jahr im Herbst wieder eröffnet, ist ein span-
nendes Gebäude mit optischen Bezügen zum Dogenpalast gegenüber, wohlduftend nach frischem Holz durch Parkett in allen Räumen und einem sehr schönen Holztreppenhaus, mit insgesamt gelungener Renovierung  und einem rasanten Blick auf das Bacino/die Dogana/das ganze Gebäudeensemble um den Dogenpalast herum. Die aktuelle Fotoausstellung mit ausschließlich Werken von Elliot Erwitt gefällt mir sehr gut, z. T. sehr witzig, ist aber NICHT kostenlos, sondern der Eintritt beträgt 8 €. Ist aber in Ordnung aus meiner Sicht, da die Neugier auf das Haus mit befriedigt wird und der fotogene Blick über das Bacino im Preis enthalten ist.

Im Museo Palazzo Fortuny laufen noch die beiden Ausstellungen des Frühlings. Die Wachsportraitsausstellung fand ich sehr beeindruckend, auch die ausliegenden Bücher zum Thema, die man nicht übersehen sollte. Die Ausstellung der Modewerke von Diana Vreeland, eigentlich nicht mein Ding, war dann aber doch nicht ohne, vor allem die alten Originale von Designern und Kostümbildnern der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts (ein wildes 'Kopfkleid' von Jean Cocteau!).
Derzeit wird das Dachgeschoß umgebaut, ich bin gespannt, und nach einer 3monatigen Ausstellung im Herbst ist ab Dezember die Wagner-Fortuny-Ausstellung an der Reihe.

Aktuelle Ausstellungen der Guggenheim Foundation bis Mitte September.

Die Ausstellungen der Pinault-Foundation im Palazzo Grassi und in der Dogana (laufen 2 Jahre jeweils von Biennale zu Biennale) habe ich mir jetzt beide wieder angesehen, eigentlich vor allem wegen der Einzelausstellung von Urs Fischer im Palazzo Grassi. Und fand wieder höchst ärgerlich, bei Pinault den Status quo des weltweiten KunstMARKTES zu erleben, nicht mehr. Die hier vorgeführte Reduzierung der Bedeutung von Kunst auf ihren Marktwert ist mir unappetitlich, in beiden Häusern, und das ahnungslose, arrogante aber elegante Personal geht mir auf den Zeiger. Keine Empfehlung von meiner Seite.

Wachsportraits im Palazzo Fortuny
Im Museo Correr gibt es die Ausstellung zur Geschichte der Insel San Michele (vor ihrer Umwidmung zur Friedhofsinsel). Ich hätte sie gerne gesehen, auch, weil es um den bisherigen und weiter geplanten Ausbau des venezianischen Friedhofs durch David Chipperfield geht, aber die Schlange stand bis zum ersten Treppenabsatz herunter (!) und so eine vollgestopfte Ausstellung tue ich mir nicht an. Es mag daran gelegen haben, dass es der 2. Juni und ein Feiertag war.

Zusätzliche Konzertprogramme des Sommers

Monteverdi und Vivaldi Festival 2012 (Konzerteintritt 20,- bzw. 10,- für Studierende)
2. Orgelfestival Gaetano Callido, 2012 (kostenlos), in der Kirche der Carmini, in S. Trovaso und in Sant'Elena (das ist nun wirklich ganz weit draußen...)
Konzerte des Konservatoriums Marcello Achtung! bei den Konzerten 12.,15., 19. und 27.6. wird vor der Veranstaltung eine Führung durch den berühmten Palazzo Pisani angeboten, in dem sich das Konservatorium befindet. Eine seltene Chance, die man sich nicht entgehen lassen sollte. (Konzerteintritt: 20,- bzw. 5,- für Studierende)

Keinesfalls verpassen: die 2. Artnight am 23.6.! Die erste Artnight 2011 war wunderbar, ich habe es sehr genossen, die lange helle Mittsommernacht von Angebot zu Angebot, offener Tür zu Kunstevent durch ganz Venedig zu wandern.



Ergänzungen

15.06: Sportlich-kulturelle Sommerangebote auf dem Lido und auf Pellestrina Juni-September Lidi in Festa 2012 (Programm zum Herunterladen)

29.06: Neue Sommeröffnung des Palazzo Ca'Corner della Regina! Das Haus wurde im letzten Winter von der Fondazione Prada gekauft. Die Sommerausstellung 2011 war die erste und endete Anfang Oktober. Die diesjährige Ausstellung läuft vom 6.7. bis 25.11. Nach der Erfahrung 2011 empfehle ich den Besuch sehr.

30.06.: die kaiserlichen Sääle im Museo Correr (sprich die Kaiserin-Sissi-Räume) werden nach langer Renovierung wieder eröffnet, am 10. Juli

04.07: Palazzo Grimani - Ausstellung ab 13. Juli aus dem Archiv des venezianischen Circolo Fotografico La Gondola.

10.07: Venezia Jazz Festival 2012 30.7.-3.8. Ärgerlich: Gilberto Gil in einer venezianischen Sommernacht im Fenice, festgetackert auf einem der kleinen Stühlchen statt hüftenschwingend auf einem Campo open air! Das ist eine unverständlich dämliche Idee des Tourveranstalters.

20.07.-05.08: Venice Sherwood Festival im Parco San Giuliano auf der Mestre-Seite der Ponte della Libertà

28.07.: Musikalischer abendlicher Bootsausflug auf dem Canal Grande "Serata a Remi" (Ruderabend) ab 10:30 Uhr, Campo S. Vio (zwischen Accademia und Guggenheim)
Plan der Begleitung zu Fuß für NichtruderInnen bitte anklicken unter "View map of programmed stops"

29.08.-29.11.: Ausstellung Carlo Scarpa - Venini 1932-1947,  Fondazione Cini auf der Insel S. Giorgio Maggiore.

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7. Juni 2012

Vogalonga, alles rudert...

...und die Unsportlichen stehen am Ufer und machen Bilder. Ich auch, eher ungeplant zum Vogalongatermin am 27.5. passend in der Stadt. Ein glücklicher Zufall.



Die Einstimmung auf das Ereignis findet schon um 8 Uhr morgens an der Vaporettohaltestelle Orto statt, als ein Drachenboot auf dem Weg zum Start im Bacino um 9 durchfährt. Die ältere Venezianerin, die mit mir wartet, gerät bei seinem Anblick aus dem Häuschen wie eine Kölnerin an Weiberfastnacht um 11:11, und hört nicht mehr auf ihre wunderbare Stadt zu bejubeln bis das Vaporetto kommt.

Eine junge Venezianerin in rot-weißen Vereinsfarben springt noch mit aufs Boot, wir fahren beide 3 Stationen bis Celestia. Ich um von dort zu Fuß an der schmalsten Stelle der Stadt in ein paar Minuten vom Nordufer ans Bacino zu kommen, sie um mit ihrem Club von San Francesco, Clubhaus in der äußersten nordwestlichen Ecke innerhalb der Arsenalmauern, zur Vogalonga anzutreten. Sie rät mir, nicht am Canal Grande, sondern unbedingt am Canale di Cannaregio das Ende der Regatta erwarten, gegen Mittag wenn die Boote eintreffen. Und ja, es gehe bei der Vogalonga ums Dabeisein, nicht ums Gewinnen, trotzdem versuchten die venezianischen TeilnehmerInnen, möglichst als Erste anzukommen, weniger aus Ehrgeiz als aus Zeitersparnis... was ich vier Stunden später begreifen soll.
Wir passieren das blumen- und fahnengeschmückte Bootshaus des hellbau-weißen Ruderclubs der Querini zwischen Ospedale und Celestia, Hochstimmung dort, Boote werden zu Wasser gelassen, sie haben es nicht weit zum Bacino durch den Rio S. Lorenzo. Ein schöner erster Akt der Vogalonga, ich freue mich.

Das Becken ist kurz vor 9 Uhr voller Boote, ca. 1800 Boote sind angemeldet, heißt ca. 7200 RuderInnen, davon fast 4000 aus dem Ausland (und entsprechend ist der Büroverkehr in der Anmeldestelle im Obergeschoß des Fischmarktes am Rialto bis zum Samstag). 

 

Man glaubt nicht, wie viele Arten von zu rudernden Booten es gibt, unterschiedliche Weisen zu rudern und zu steuern, Besatzungsstärken von Einern bis zu über 10 Leuten auf einem Boot, Besatzungen die wie aufs Boot gequetscht wirken trotz breitbehäbigem Bau, Besatzungen, die jede Arm- und Beinfreiheit haben aber auf einem Lineal zu sitzen scheinen; und dann die vielen EinzelruderInnen, die Wasserflaschen und Obst rund um ihren Sitz befestigt haben, einer sogar eine Kamera auf der Stirn.
Und natürlich die venezianische Armada der Ruderclubs mit diversen Lagunenbooten, und die Gondeln, die mir zum ersten Mal nicht elegant, sondern riesig und schwer vorkommen, gerudert von nur einer Person, im Vergleich zu den schmalen leichten Pfeilen mit 4 oder 8 Leuten Besatzung. Ich sehe beeindruckend viele alte RuderInnen, vor allem bei den Einern, ein Sport, den man bis ins hohe Alter und als EinzelgängerIn nach persönlichen Wünschen ausüben und gestalten kann. 

Um 9 Uhr höre ich aus Richtung der Piazzetta sehr leise, denn ich stehe auf Höhe von S. Giovanni in Bragora, die San Marco-Hymne, beim letzten Akkord kommt der Kanonenschuss zum Start von der Insel S. Giorgio Maggiore. Die GLocken von San Marco läuten. Die riesige Menge von Booten und Menschen bewegt sich zügig aber ohne jede Hektik, vielstimmig übers Wasser rufend aber ohne Lärm nach links Richtung S. Elena. Trotz der enormen Wasserfläche des Bacino dauert es gut 15 Minuten bis alle Boote raus sind, abgesehen von nachziehenden Individualisten in nicht geringen Mengen. Aber es geht ja nicht ums Gewinnen!
Ein schöner und erhebender zweiter Akt der Vogalonga, wunderbarer Anblick des Beckens voller Boote, beeindruckende Ausstrahlung der SportlerInnen an Land und zu Wasser in meiner Nähe in Erwartung des Starts.

Drei Stunden später treffe ich am Canale di Cannaregio zwischen den Brücken Guglie und Tre Archi ein, jetzt ist der Lärm schon von weitem zu hören, die ersten Boote sind bereits durch, der Jubel der ZuschauerInnen am Ufer und an den Tischen der Ufertrattorien, auf Brücken, an den Fenstern ist groß. Die RuderInnen strahlen unterschiedliche Pegel von Adrenalin, manche auch Erschöpfung aus, die Begeisterung teilen sich alle. Die VenezianerInnen werden per Namen oder Namen des Ruderclubs begrüßt und Fremde werden bewußt herzlich in den Empfang einbezogen, sind teilweise ganz überrascht vom Begeisterungstaumel der venezianschen ZuschauerInnen. Um 12 Uhr läuten die Kirchenglocken, wie beim Start. Die Sache hat sehr viel von Karneval, "dr Zoch kütt" und jeder ist dabei. Eine französische Universtiätscrew singt die Marseillaise, die Ruderer des hellblau-weißen Clubs der Querini grüßen mit erhobenen Rudern.


Weitere Videos:
http://youtu.be/VCqhBxi_b78

http://youtu.be/42z03nAQh9o
http://youtu.be/Z3OwoyXwMck  
http://youtu.be/SUvYownbGB0

Nach kurzer Zeit wird die Folge der einlaufenden Boote immer spärlicher statt dichter wie zu erwarten und es scheint sich etwas zu tun an der Tre Archi, ich gehe nachsehen und finde den Stau des Jahres (vermutlich jeden Jahres):  1800 Boote kommen leicht aus dem großen Bacino raus, aber nur schwer durch einen Kanal, geschweige denn eine dreibogige Brücke wieder rein.
http://youtu.be/8NPl3nCmg6c
Vor allem, wenn die beiden Seitenbögen entgegen der polizeilichen Tagesordnung durch die Boote von Anwohnerparkern versperrt sind.

Und hier zeigt sich die eigentliche sportliche Herausforderung der Vogalonga: sich so zu verhalten, dass nicht nur das eigene Ziel erreicht wird, sondern in höchstmöglichem Maße um-, vor-, nach-, weit-, rück- und voraussichtig, dass man auch keine anderen RuderInnen daran hindert. 

Ich wundere mich immer noch, dass sich das Chaos nach und nach lichtete. Ich saß auf der Bank der Haltestelle Tre Archi bis 14:30 und durfte ehrlich staunend eine hochkonzentrierte Demonstration menschlichen Sozialverhaltens beobachten.
Von arroganten, autoritären und sogar tückischen Aktionen über Freundlichkeit, Ruhe, Zurückhaltung und gegenseitiger Unterstützung und Hilfsbereitschaft bis hin zu herausragenden Situationen in denen RuderInnen ihre eigenen Interessen zurückstellten um andere zu ermuntern, voranzubringen, Konflikte zu lösen, Stimmung und Humor hochzuhalten und sich und anderen die Freude an diesem Erlebnis nicht kaputt machen zu lassen. Manche halfen sich einfach selbst "Kommt, mir trinket erschd oiner, da vorne isch Kadaschdrofe pur..." , andere waren der Verzeiflung nahe. Vor allem junge Teamruderinnen, die sicher gute Sportlerinnen und von der Strecke nicht überfordert sind, waren es von dieser Ausnahmesituation. Kopflosigkeit und Stress verstärken sich offensichtlich, wenn man gegen die Fahrtrichtung sitzt. Es gab hervorragende Steuermänner/frauen, die ihr Team mit Überblick und sehr präzisen Befehlen dirigierten, und stauunerfahrene Steuerleute, die ihr Boot gnadenlos ins dickste Knäuel schoben.



Für ZuschauerInnen wie mich, die in dieser Situation ohne schlechtes Gewissen beim besten Willen nicht helfen können, eine hochinteressante Beobachtungssituation, die auch um 14:30 noch nicht aufgelöst war, deren Ende sich aber abzeichnete, weil der Zulauf zum Stau immer geringer wurde. Ein schöner, fröhlicher aber auch schwieriger dritter Akt der Vogalonga.

Und ich habe verstanden, warum die venezianischen TeilnehmerInnen als erste durch den Canale di Cannaregio wollen: vor dem Stau ankommen und rechtzeitig zum Mittagessen.


Unter diesem Link gibt es weitere Details und einen stimmungsvollen Zusammenschnitt von Eindrücken der Vogalonga 2012: http://www.vogalonga.it/


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