16. Juli 2013

Es googelt in Venedig

In diesen Wochen wandern, wie man in The Telegraph nach-
lesen kann, Google-Mitarbeiter mit einer 360-Grad-Kamera auf dem Rücken durch venezianische Gassen und fotografieren für Street View. Da in bestimmten Gegenden Venedigs (z. B. im heißen Dreieck Rialto - Markusplatz - Accademia) praktisch jede/r PassantIn eine Kamera in der Hand oder um den Hals hat, dürfte das eine Orgie gegenseitiger Knipserei sein. Aber vielleicht nutzen die Google-Leute ja schlauerweise die schon bzw. noch hellen Hochsommerstunden der leeren Calli und Campi bis Frühstücksende und ab dem Abendessen, um filmend zügig durch die Stadt zu kommen.



Größere Kartenansicht

Nicht, dass es das nicht schon gäbe. Venedig bzw. Venice Connected ist in dieser Sache schneller als Google. Und ich auch, im August 2010 mit dem Eintrag  Virtuell durch venezianische Kanäle. Das Programm ist ein bisschen fummelig (Street View ist nicht viel besser), bietet aber tolle virtuelle Besichtigungen der Stadt zu Wasser. 

Google Maps (und auch Bing Maps) dagegen gewährt den Blick über die Mauern, in Innenhöfe, Gärten und still gelegte Kreuz-
gänge, in Zusammenhänge von Gebäudeensembles, die man weder von der Gasse, dem Campo oder dem Kanal aus ahnen, geschweige denn sehen kann. Wo sich dann bei mir Staunen und Erkenntnisgewinn mischt mit dem peinlichen Gefühl von Indiskretion. Man guckt nicht in anderer Leute Privatbereiche, auch nicht in einer Stadt, die mittlerweile nicht nur die Ein-
wohnerInnen immer mehr als 'Disneyworld' empfinden.


Spannend finde ich, auf diesen Karten Ungewöhnliches zu finden, oder temporär Zuzuordnendes, wie z. B. bestimmte Gebäude im eingerüsteten Zustand oder der Zustand des Vergini-Gartens im Arsenale, in dem man Ausstellungen er-
kennen kann.


In der vorletzten Version von Google Maps gab es eine dicke knallrote L-Form mitten in der Stadt. Die stellte sich beim Zoomen heraus als der rote Baldachin, der jährlich errichtet wird vom Eingang der Kirche S. Rocco zum Eingang der Scuola Grande di San Rocco anläßlich des Festes von S. Rocco am 16. August. Leider habe ich einen rechtzeitigen Screenshot verpasst bevor diese Version ersetzt wurde.

Baldachin während der Festa di San Rocco von Tür zu Tür
In der aktuellen Version gibt es eine rätselhafte große An-
sammlung von Transportbooten  an der Südseite der Dogana (siehe Maps-Detail oben) - Anlass, den Experten für knifflige Venedigfragen, Andreas Götz, zu konsultieren.Der prompt eine interessante Antwort produzierte.

Das müßte der Protest der Transporteure gewesen sein, die südlich der Dogana "a lai" gegangen sind:



In den letzten Jahren hat es immer wieder Protest-
aktionen von Berufsverbänden gegen Verordnungen der Comune gegeben. Vor allem die Capparozzoli-Fischer haben immer wieder gegen die Fangbeschränkungen protestiert. Dabei haben sie mehrfach den Verkehr auf dem Canal Grande zum Erliegen gebracht. Die Comune hat darauf mit heftigen und flächendeckenden Buß-
geldern (multe) reagiert. Die Protestaktion wurde videiert und die Boote anhand der Kennungen identifiziert. Und dann haben alle eine multa bekommen. Seither enden Protestaktionen meistens an der Dogana. Die kleineren nördlich (solange eine ausreichende Fahrrinne frei bleibt), die größeren südlich.

Vor diesem Hintergrund ist auch klar, daß die multe für die Teilnehmer der zum Teil nicht genehmigten No-
Grande-Navi-Demos keine besondere Härte waren, son-
dern konsequent und gerecht. Denn gleiches Recht für alle finde ich ein wichtiges Prinzip. Bedenklicher war schon, daß die Comune die Stände der Verkäufer vor San Marco genau nachgemessen hat und mit 1000-Euro-
multe sanktioniert hat. Einen Tag, nachdem die Ver-
käufer die Comune mit einer anderen Protestaktion geärgert hatten ... Ein Schelm, der Arges dabei denkt ...


"a lai" ist irgendwie ein schöner Begriff, den ich in seiner Konstruktion nie ganz verstanden habe. Ich muß mich da mal informieren. "lai" ist irgendwie die Seite des Bootes. Wenn ich bei jemand anlegen will, um über dessen Boot an Land zu gehen, frage ich: "posso andare a lai?" Mit "lai" wird aber auch der Unterschied in der Länge der beiden Seiten der Gondel bezeichnet, wodurch diese asymmetrich wird. Fragen über Fragen ...

Ein lokalpolitisches Ereignis vom 16.11.2012, dokumentiert auf einem virtuellen Stadtplan.


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