11. September 2015

Isola di San Secondo

Insel und Kloster S. Secondo auf der Barbari-Karte 1500
deutlich erkennbar der runde Turm, der 1534 zerstört wurde.
Sie ist wirklich sehr klein, man kann sie nicht besuchen (außer mit einem Privatboot) und man sieht sie auch nur im Vorbei-
fahren auf der nördlichen Seite der Brücke zum Festland, oder im Anflug, wenn man schlau einen Sitz F gewählt hat. Wenn über-
haupt, dachte ich bisher, dass sie irgendwie Teil des militäri-
schen Befestigungssystems der Lagune aus dem 14.-16. JH ist, zu dem u. a. die Festungsinsel Sant'Andrea am Nordeingang des Lido und die Oktogone an den beiden Südeingängen bei Mala-
mocco und Pellestrina gehören. 




Mein Interesse an der Insel San Secondo wurde geweckt durch die Information, dass seit Ende August ein Stück Land Art vom Ufer grüßt. Das Werk Terra.Terra wurde (nach vorangehenden Rodungsarbeiten) gestaltet von 7 KünstlerInnen der Gruppe Opera Bosco. Das ist die zweite Aktion von Opera Bosco - Museo di Arte nella Natura in der Lagune, über die erste Installation auf der Insel Certosa habe ich 2014 berichtet.

Medienberichte zu Terra.Terra:
www.arte.it

www.veneziaartmagazine.it
www.insideart.eu
www.eliconie.info
Schön wäre ja, wenn mal jemand eine Drohne drüberfliegen liesse, damit man die Sache genauer sehen kann...

Jedenfalls habe ich den Anlass genutzt, um in meiner Bibliothek und im www nach Informationen zu dieser Insel zu suchen und es fand sich einiges. Seit 30 Jahren ist die Insel unbewohnt, überwuchert und weiter geschrumpft, überraschend sind die Stiche, die das ehemalige Kloster zeigen. Im 11. JH als Bene-
diktinerinnenkloster Sant'Erasmo gegründet, wurde im 13. JH dank der venezianischen Eroberung der Stadt Asti und der Reli-
quien von San Secondo das Kloster ihm geweiht und gelangte schon Ende des 13. JH in den gewissen Ruf vieler venezianischer Frauenklöster ('arm, aber sexy'). 


Ich empfehle an dieser Stelle mal wieder wärmstens die Lektüre von "Die Jungfrauen von Venedig" von Mary Laven, eine wissen-
schaftliche Arbeit, aber informativ und spannend bis zu letzten Zeile. (Rezension des Guardian



Vincenzo Coronelli, Atlante Veneto 1696
San Secondo von Osten, Süden und Westen,
mit Nachfolgecampanile, quadratischem Pulverturm und allen Gebäuden im Detail
Da alle Disziplinierungsmaßnahmen der Kirche nicht griffen, wur-
de die Gemeinschaft 1531 aufgelöst (!) und das Kloster komplett in ein Dominikanermännerkloster umgewidmet. Vielleicht erlaub-
ten sich die Mönche weniger Eskapaden, vielleicht standen sie aber auch nur weniger im Fokus wie die der Nonnen... Während der
Pestepidemien des 16. JH diente die Klosterinsel der Isolie-
rung von Kranken, danach kehrten die Mönche zurück und blieben bis 1806, als das Kloster von den napoleonischen Schließungen betroffen war und sie ins Kloster der Gesuati an den Zattere umgesiedelt wurden.


Domenico Codagli war Prior auf San Secondo 1607-6010 und verfasste die Geschichte der Insel und des Klosters "Historia dell' isola e monasterio di S. Secondo di Venetia", online und digita-
lisiert im www zu lesen, inklusive Lobgedichten, Listen der Äbtis-
sinnen und schöner Buchgestaltung. 



Illustration in Codagli "Historia dell' isola..." Darstellung der Klosterinsel
Nach dem großen Arsenalebrand 1569 beschloss die Serenis-
sima die sichere Aufbewahrung und Auslagerung von Schieß-
pulver, auf San Secondo wurde der erste der quadratischen Pulvertürme gebaut, dann auf fast allen Laguneninseln, deren Vorgängerarchitektur in den venezianischen Festungen in Adria und Ägäis z. T. noch heute zu finden sind. 1574, als
Heinrich III auf seiner Reise von Polen nach Frankreich Venedig besuchte, wurde ihm auf seiner Vorüberfahrt von San Secondo aus mit Büchsen-, Musketen- und Kanonenschüssen und Feuerwerk salutiert. In die Verteidigungsanlagen wurde die Insel tatsächlich integriert, allerdings erst Anfang des 19. JHs, als Kirche und Kloster längst niedergerissen waren und aus der deutlich verkleinerten Insel tatsächlich ein Oktogon gemäß den älteren Oktogonen gebildet wurde.

San Secondo war verkehrstechnisch von Bedeutung da es direkt auf dem wichtigsten Verbindungskanal zwischen Venedig und dem Festland saß. Im Spätmittelalter war es sogar der einzige erlaubte Bootsweg zwischen Cannaregio und der gegenüber liegenden befestigten Stadt Mestre sowie dem Handelsort Mar-
ghera, um den Schwarzhandel mit Schlachttieren einzudäm-
men. 

Die Insel war schützender Hafen bei gefährlichem Wetter und bei Bedarf Reiseetappe mit Versorgung der Gäste. Das Kloster hatte laut Alvise Zorzi "zwei riesige Bootshäuser", die Schiffen und Be-
satzungen im Notfall zur Verfüung standen, aber auch sommerli-
chen AusflüglerInnen als "Unterhaltungsgasthof" (albergo dilet-
tevole), die hier die kühle Brise (oder Sonstiges dilettevole) genießen wollten. 

Das galt auch für Wanderer, die bei geschlossener Eisdecke die Lagune zu Fuss überquerten. Die Lagune fror nicht oft zu, aber wenn, war dies eine ausserordentliche Gelegenheit sich ohne Verkehrsmittel zu bewegen. 

In besonderer Erinnerung ragt schriftlich und im Bild festgehalten der außerordentlich kalte Winter 1788/89 heraus. "Wir beginnen das Jahr 1789 mit Eis, das täglich stabiler wird, die Leute benut-
zen es um frei und ohne Kosten für ein Boot nach Mestre oder Campalto zu gehen. Die vielen Leute sind ein wunderbarer An-
blick, sie gehen überall herum und transportieren alle Arten von Lebensmitteln ohne Furcht vor Belästigung durch den Zoll." (Ricciotti Bratti, 'Vecchie isole veneziane')




Ein Mönch auf San Secondo, Cherubino Zeli, beschreibt in einem Brief, was sich vor seinem Fenster abspielt: "Am 14. Dezember 1788 begann es zu schneien und das Wetter war so kalt und klar, dass am Morgen des 21. die ganze Lagune von Eis bedeckt zu sein schien. Die Werftarbeiter, die geschickt worden waren um den Kanal vom Eis zu befreien und ihn offen zu halten, kämpften vergeblich, denn die Kälte war so bitter, dass das Eis laufend dicker wurde. Es war so kalt, dass es notwendig war, ein Feuer auf dem Altar in Gang zu halten, damit das Wasser in den Messkännchen nicht gefror. Am vorletzten Tag des Jahres fingen die Leute von Mestre an, aufzukreuzen, wanderten auf dem Eis aber nur bis San Secondo. Am Tag danach war ein regelmäßiger Verkehr von Venedig zum Festland im Gange, die Leute trans-
portierten Brot, Wein, Fleisch und alles mögliche Essbare. Es war ein ungewöhnlicher Anblick, und die Fenster zur Lagune und die Ufer der Insel waren voll besetzt mit Leuten die Stunden um Stunden nur standen um dem zuzusehen, und dabei lange Tele-
skope benutzten um die unzähligen kleinen Szenen zu beobach-
ten, di sich auf dem neuen und außergewöhnlichen Fernweg abspielten. Es zeigten sich auch herausgeputze Personen in großen scharlachroten Mänteln, oder in weiß mit Pelz eingefasst; und viele hübsche junge Mädchen eingewickelt in Umhängetü-
cher; und 
Damen der Nobilität in Begleitung ihrer Verehrer; alle unterwegs zu ihrem Vergnügen und manche bis nach Mestre, um dort einen Kaffee zu trinken. Auch Schlitten, Karren und Schubkarren gbegannen zu erscheinen, die Lagune zwischen Venedig und Mestre verwandelte sich in ein wunderbares fröh-
liches Theater, mit Masken und Verkaufständen für Umhänge und Proviant, später Marktständen und Puppentheatern. Die Nicolotti machten Wettkämpfe auf dem Eis und Moreskentänze, während Ochsen und Schafe, Schweine und Hühner mit ihren Hirten in Ruhe das weite Eisfeld überquerten." (
Zitat s. o., Übersetzung ebbonn)

Alvise Zorzi, wie immer in Trauer über die Verluste in seinem Werk "Venezia scomparsa" erzählt, dass nach der Umsiedlung der Mönche zu den Gesuati und des schönen marmornen Haupt-
altars der Kirche inklusive Tafelbild in die Kirche Santo Spirito, auch am Ufer der Zattere, die Insel der Marine überlassen wur-
de, die ganze Arbeit leistete: Kloster und Kirche aus dem 11. JH, die zu Beginn des 17. JHs renoviert worden waren, wurden in den ersten 20 Jahren des 19. JHs dem Erdboden gleichgemacht. Was bleibt, sind die Kupferstiche von Francesco Tironi und Vincenzo Coronelli, die das Kloster San Secondo in Erinnerung halten.


San Secondo, Francesco Tiromi 1779


Noch eine Buchempfehlung:
Giorgio e Maurizio Crovato: Isole abbandonate della laguna veneziana. The abondoned islands of the Venetian lagoon. Italienisch/Englisch, 30 €, in venezianischen Buchhandlungen.


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