2. Dezember 2017

S. Lazzaro dei Mendicanti


Canaletto; Rio dei Mendicanti 1724

Portal S. Lazzaro dei Menidanti 2009

Tatsächlich ein Bericht über diese Kirche, zum Ospedale-Komplex gehörig und praktisch immer verschlossen! 
San Lazzaro dei Mendicanti wird nur noch genutzt für katholische Trauergottesdienste; meist für Menschen, die als Patienten des Ospedale verstarben, aber die Nähe zur Friedhofsinsel S. Michele spielt vielleicht auch eine Rolle. 


Guernico, S. Helena betet das Kreuz an


Veronese, Kreuzigung mit Jungfrau und S. Giovanni


Tintoretto, S, Orsola und die 11.000 Jungfrauen

Der Bau ist vergleichsweise jung (1630er Jahre), aber der Name S. Lazzaro wanderte vom ehemaligen Heim für Leprakranke neben der Kirche S. Trovaso, das wegen der Ansteckungsgefahr, aber auch des Anblicks der Kranken 1262 auf eine der nahen Laguneninseln verlegt wurde und dort hängenblieb (seit dem 18. JH S. Lazzaro degli Armeni) an den Rio dei Mendicanti. Die Lepra in ganz Europa im Rückzug und die umständliche und teure Inselversorgung der Kranken in Venedig bei 'nur' noch 42 Patientinnen im Jahr 1595 führte zum Beschluss, das Heim auf S. Lazzaro zu schließen und die Kranken in ein allgemeines Hospital in die Stadt zurückzubringen. 'Allgemein' bedeutete die öffentliche Versorgung von Menschen, die nicht selbst für sich sorgen konnten - Waisen, Alte, Versehrte, chronisch Kranke, 'Vagabunden', Behinderte - die Hospitäler wurden von Orden getragen. Finanziert wurden sie über Spenden, Erbschaften und ähnliches Fundraising, aber auch genialerweise über die Verbindung von Pädagogik (musikalischer Erziehung der Waisenkinder, sprich Waisenmädchen) und vorhandenen Räumlichkeiten (Kirchen) zu enorm beliebten Konzertveranstaltungen, die die Kassen klingeln ließen.  

Herr Goethe hörte ein Konzert in S. Lazzaro dei Mendicanti am 3.10.1786 und schreibt in der "Italienischen Reise":
Den 3. Oktober.

Den Plan in der Hand suchte ich mich durch die wunderlichsten Irrgänge bis zur Kirche der Mendicanti zu finden. Hier ist das Konservatorium, welches gegenwärtig den meisten Beifall hat. Die Frauenzimmer führten ein Oratorium hinter dem Gitter auf, die Kirche war voll Zuhörer, die Musik sehr schön, und herrliche Stimmen. Ein Alt sang den König Saul, die Hauptperson des Gedichtes. Von einer solchen Stimme hatte ich gar keinen Begriff; einige Stellen der Musik waren unendlich schön, der Text vollkommen singbar, so italienisch Latein, daß man an manchen Stellen lachen muß; die Musik aber findet hier ein weites Feld.

Es wäre ein trefflicher Genuß gewesen, wenn nicht der vermaledeite Kapellmeister den Takt mit einer Rolle Noten wider das Gitter und so unverschämt geklappt hätte, als habe er mit Schuljungen zu tun, die er eben unterrichtete; und die Mädchen hatten das Stück oft wiederholt, sein Klatschen war ganz unnötig und zerstörte allen Eindruck, nicht anders als wenn einer, um uns eine schöne Statue begreiflich zu machen, ihr Scharlachläppchen auf die Gelenke klebte. Der fremde Schall hebt alle Harmonie auf. Das ist nun ein Musiker, und er hört es nicht, oder er will vielmehr, daß man seine Gegenwart durch eine Unschicklichkeit vernehmen soll, da es besser wäre, er ließe seinen Wert an der Vollkommenheit der Ausführung erraten. Ich weiß, die Franzosen haben es an der Art, den Italienern hätte ich es nicht zugetraut, und das Publikum scheint daran gewöhnt. Es ist nicht das einzige Mal, daß es sich einbilden läßt, das gerade gehöre zum Genuß, was den Genuß verdirbt.

Mit dem Ende der Serenissima 1797 wurden auch die vier für ihre Musikveranstaltungen berühmten Hospitäler Pieta, Mendicanti, Ospedaletto und Incurabili geschlossen und konvertiert. Das Ospedale der Mendicanti diente zunächst als österreichisches Militärkrankenhaus und entwickelte sich dann zum städtischen Krankenhaus Venedigs, aber das ist eine andere Geschichte.
Hier geht es um die Kirche, die immer geschlossen ist, es sei denn, man kommt während einer Trauerfeier am offenen Portal vorbei. Wer hätte den Nerv... ich jedenfalls nicht. Vor Jahren konnte ich NACH einem Gottesdienst (und nachdem ich gefragt hatte) mal einen viel zu kurzen Blick ins Innere werfen. 






Überraschung im September: im Rahmen eines 2wöchigen Berufserkundungsprojekts venezianischer Gymnasien wurde die Kirche  aufgesperrt und von einem Mädchen und einem Jungen betreut und präsentiert - täglich 3 Stunden, gut vorbereitet, in gutem Englisch bei Bedarf, aufmerksam, motiviert. Eine tolle Sache. Ich bedanke mich nochmals bei den Beiden für ihr ungewöhnliches Erkundungsthema und berichte hier für alle Neugierigen, die das Ereignis verpasst haben.


Fassade S. Lazzaro dei Mendicanti
Denkmal Alvise Mocenigo, Seite zur Vorhalle


Denkmal Alvise Mocenigo, Innenseite
Blick zur Vorhalle

Hinter der palladianischen Fassade zur Fondamenta (von Antonio Sardi und seinem Sohn Giuseppe) befindet sich eine große Vorhalle von der Tiefe der Gebäudezeile am Ufer, dann erst folgt die einschiffige Kirche (Architekt Vincenzo Scamozzi) und rechts und links davon jeweils ein Kreuzgang mit altem Baumbestand und schönen Brunnenköpfen nach Entwürfen von Baldassare Longhena
Die Kirchenfassade in der Vorhalle und ihre Rückseite in der Kirche ist komplett das enorme Denkmal (restauriert mit Mitteln der Stiftung Pro Venezia) für den Admiral Alvise Mocenigo (1584-1654), Procurator von San Marco, Vorbild und Held mehrerer Seeschlachten um Paros, Naxos, Kreta, bestattet ein paar Schritte weiter in SS. Giovanni e Paolo.
In der Vorhalle gestaltet von Giuseppe Sardi mit 8 schwarzen, korinthischen Säulen, 2 Engeln mit dem Wappen des Seehelden und an den Seiten 4 Basreliefs mit den Festungen von Candia (dem venezianischen Kreta, das 1645-69 Festung für Festung von den Osmanen genommen wurde). Auf der Innenseite der Kirche wurde das Denkmal Alvise Mocenigos als Auftrag seines Enkels Alvise IV von Giusto Le Court geschaffen. Zwei großartige Reliefs in weißem Carrara-Marmor zeigen links eine Schlacht um Candia (heute Heraklion) rechts eine Schlacht um Paros. Darunter Skulpturen von 'Gerechtigkeit' und 'Tapferkeit' über allem in der Mitte von Alvise Mocenigo persönlich. 



Denkmal Alvise Mocenigo
Relief Schlacht um Candia


Denkmal Alvise Mocenigo
Relief Schlacht um Paros

Das Kirchenschiff ist eine schlichte rechteckige Box ohne Seitenkapellen, aber mit Seitenaltären, deren Altarbilder Werke von Guercino ( S. Elena betet das Kreuz an), Salviati (Verkündigung), Paolo Veronese (Kreuzigung mit Jungfrau und S. Giovanni) und Iacopo Tintoretto ( S. Orsola und die 11.000 Jungfrauen) sind. Der Guernico und der Salviati wurden mit Mitteln von Save Venice restauriert. Die ursprüngliche Deckenbemalung existiert nicht mehr, aber die optisch sehr nachdrückliche Gestaltung der Seitenwände durch Marmorinkrustation. Und natürlich die eingebaute vergitterte Empore, 1744 erfolgshalber vergrößert, für die Orgel und den Chor der "Putte" der Waisenmädchen, die den Blicken des Publikums nicht dargeboten werden sollten, siehe Goethe oben.  


Kirchenschiff, Apsis (mit eher schlichtem Tafelbild von Bellini di Fino:
Auferweckung des Lazarus, 1857
Kirchenschiff, linke Seite mit Kanzel und vergitterten "Putte"-Räumen

Kirchenschiff, rechte Seite mit Orgelempore und
vergitterten "Putte"-Räumen

In den Kreuzgängen an den Seiten des Kirchenschiffs befindet man sich  im nicht mehr funktionalen Teil des heutigen Ospedale Civile. Es geht mal jemand vom Krankenhauspersonal durch, oder man trifft auf einzelne Patient*innen, die vielleicht abseits ein bisschen Ruhe suchen. Die findet man hier auf den bequemen Bänken wirklich, ohne Sorge, zu stören. Es ist einer der schönsten venezianischen Tagträume, unter der Ruine des Kirchturms im Schatten des Kreuzgangs und in Gesellschaft einer der hier lebenden Katzen eine kleine Ruhe- und Denkpause einzulegen. Die Kreuzgänge und die Vorhalle von S. Lazzaro dei Mendicanti erreicht man auch durch den Haupteingang (wenn man den Weg durch die Ospedalegebäude kennt), aber die Möglichkeit des Kirchenbesuchs dürfte wohl ziemlich einmalig gewesen sein. 


Kreuzgang links der Kirche mit Brunnen und Campanile

Ergänzung 22.12.:
Ab dem 12.1.2018 ist die Kirche San Lazzaro dei Mendicanti geöffnet. Ist das nicht eine Freude! Eingang durch das Portal an der Fondamenta dei Mendicanti, Öffnungszeiten montags und mittwochs von 12-17 Uhr. Ein Eintrittsbetrag (nicht genannter Höhe, er wird es wert sein) wird erhoben.


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2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Liebe Brigitte, vielen Dank, dass Du auf diese völlig zu Unrecht stiefmütterlich behandelte Kirche hingewiesen hast. Sie ist wirklich einmalig. Wir hatten letztes Jahr in der Nähe gewohnt und ich habe sie mehrmals besichtigen können, einmal war ich über 1 Stunde drin. Man findet die Kirche geöffnet vor Beerdigungen, die natürlich sehr häufig sind, da sie als Bestattungskirche des großen Krankenhauses benutzt wird. Und in großen Krankenhäusern sterben eben auch viele Leute. In der Zeit, in der die Kirche mit Kränzen und anderen Utensilien versehen wird, kann man ohne Probleme und in Ruhe alles ansehen. Und zwischendurch gehen sie alle eine Zigarette rauchen, und man ist ganz allein. Somit ist die Chance am späten Vormittag für eine Besichtigung am größten, nachmittags wird man sie nicht geöffnet finden. Du hast die vielen Einzelheiten so gut beschrieben, dass ich sie nicht weiter kommentieren möchte. Natürlich habe ich eine Menge Bilder gemacht. In der Tat beeindruckend sind der Eingangsprospekt und die innere Fassade, weil sie in Venedig in ihrer Art einmalig sind. Allein die Seeschlacht mit den vielen Einzelheiten ist umwerfend. Die Kirche könnte im übrigen durchaus etwas Auffrischung gebrauchen.
Viele Grüße
Aldebaran

ebbonn hat gesagt…

Danke für den Kommentar, Aldebaran, und die separat gemailten Fotos. Bei Beleuchtung (vermutlich in der Vorbereitung einer Trauerfeier) beeindruckt die Kirche noch mehr. Sie könnte in der Tat Renovierung gebrauchen, der Putz kommt in großen Stücken runter. Aber da sie zum Ospedale gehört und hier ja in den letzten Jahren sehr viel Geld investiert wurde (inkl. des nicht genutzten Helikopterlandeplatzes) reichte es dafür wohl nicht. vielleicht erbarmt sich eine der Stiftungen - irgendwann.
Herzliche Grüße!